TE Bvwg Beschluss 2019/1/4 W228 2167313-1

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Veröffentlicht am 04.01.2019
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Entscheidungsdatum

04.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W228 2167307-1/5E

W228 2167309-1/5E

W228 2167311-1/5E

W228 2167313-1/5E

W228 2167314-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX 1978 (BF1), der XXXX , geboren am XXXX 1980 (BF2), des XXXX , geboren am XXXX 2012 (BF3), der XXXX , geboren am XXXX 2013 (BF4) sowie der XXXX , geboren am XXXX 2016 (BF5), alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, BF3, BF4 und BF5 vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2017, Zlen: XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide

behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 27.10.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am XXXX 2012 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für die BF4, am XXXX 2013 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2015 gab der BF1 zu seinem Fluchtgrund an, dass er sieben Jahre lang im Iran gelebt habe. Vor einem Jahr sei er nach Afghanistan zurückgekehrt und habe ein Auto und ein Haus gekauft. Er sei dann von einer Personengruppe bedroht worden, dass er monatlich etwas zahlen solle, weil er im Iran so viel Geld erwirtschaftet habe, ansonsten würde er umgebracht werden.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2015 gab die BF2 an, dass sie sieben Jahre lang mit ihrem Mann im Iran gelebt habe. Nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan seien sie von einer Personengruppe mit dem Umbringen bedroht worden, für den Fall, dass sie dieser Gruppe nicht monatlich Geld geben würden.

Am 17.01.2017 wurde durch den BF1 und die BF2 als gesetzliche Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF5, am XXXX 2016 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Der BF1 wurde am 13.06.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er im Alter von sechs oder sieben Jahren mit seinen Eltern Afghanistan verlassen habe und in den Iran gegangen sei. Nach drei Jahren seien sie zurückgekehrt, hätten ein Jahr lang im Iran gelebt und dann sei der BF1 zu seiner Tante mütterlicherseits in den Iran gebracht worden, wo er sieben Jahre lang geblieben sei. Danach sei er nach Afghanistan zurückgekehrt. Er habe sich ein Auto gekauft. Eines Tages seien zwei Fahrzeuge mit bewaffneten Männern gekommen und hätten ihn zum Anhalten gezwungen. Sie hätten das Auto beschlagnahmt und seien damit weggefahren. Nach einiger Zeit sei jemand mit der Nachricht, dass eine der Personen, die das Auto gestohlen hätten, die Frau des BF1 zur Gattin haben wolle, zum BF1 nachhause gekommen. Wenn sich der BF1 nicht scheiden lassen, würde man ihm seine Kinder wegnehmen. Als er immer mehr Drohungen bekommen habe, habe er entschieden, mit seiner Familie Afghanistan zu verlassen.

Die BF2 wurde am 13.06.2017 ebenfalls beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie mit 13 oder 14 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern Afghanistan verlassen habe und in den Iran gegangen sei. Sie sei dann mit ihrem Mann nach Afghanistan zurückgekehrt. Sie seien in der Folge von einer Person bedroht worden, da diese Person die BF2 zur Frau haben wollte. Die BF2 sei von dieser Person angerufen und bedroht worden, dass sie ihren Mann verlassen solle. Zudem sei das Auto ihres Mannes gestohlen worden. Er sei von bewaffneten Personen angehalten worden. Die BF2 sei auch öfters telefonisch bedroht worden. Die Drohungen seien so gefährlich geworden, dass sie Afghanistan verlassen hätten müssen.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 25.07.2017 wurden die Anträge des BF1, der BF2, des BF3, der BF4 und der BF5 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde jeweils Feststellungen zu den Personen der BF, zu deren Fluchtgrund, zur Situation im Falle der Rückkehr und zur Situation im Herkunftsstaat. Es wurde ausgeführt, dass eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft gemacht werden habe können. Es seien auch keine Gründe hervorgekommen, die eine Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.

Gegen verfahrensgegenständlich angefochtene Bescheide vom 25.07.2017 erhoben der BF1, die BF2, der BF3, die BF4 und die BF5 mit Schriftsatz der Rechtsvertretung vom 08.08.2017 Beschwerde. Darin wurde zunächst das bereits im Zuge der Einvernahmen erstattete Vorbringen wiederholt und wurde weiters ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren betreffend die BF2 mangelhaft sei, zumal sie nicht befragt worden sei, wie sie sich als im Iran aufgewachsene Frau in der afghanischen Gesellschaft zurechtfinden könnte. Aufgrund der amtsbekannten Länderberichte hätte die belangte Behörde jedenfalls in Erwägung ziehen müssen, dass der BF2 und ihren Töchtern in Afghanistan Verfolgung drohe. Die BF2 wolle nicht in einem Land leben, in dem sich Frauen nicht frei bewegen könnten und ständig diskriminiert werden. Die BF2 und ihre Töchter wären im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen ausgesetzt. In weiterer Folge wurden Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan getätigt und wurde vorgebracht, dass angesichts der aktuellen Situation in Afghanistan davon auszugehen sei, dass die BF3, BF4 und BF5 im Falle einer Rückkehr jedenfalls in eine aussichtlose Lebenssituation geraten würden.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 11.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF1 und die BF2 sind illegal in die Republik Österreich eingereist und haben am 27.10.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde jeweils ein Antrag auf internationalen Schutz für den BF3, am XXXX 2012 geborenes Kind des BF1 und der BF2 sowie für die BF4, am XXXX 2013 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Am 17.01.2017 wurde durch den BF1 und die BF2 als gesetzliche Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz für die BF5, am XXXX 2016 geborenes Kind des BF1 und der BF2, gestellt.

Die belangte Behörde hat es in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden unterlassen, konkrete Feststellungen hinsichtlich der individuellen Situation der BF, insbesondere der minderjährigen BF3, BF4 und BF5, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu treffen. Sie hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen hinsichtlich der Situation von Kindern bzw. Minderjährigen in Afghanistan getroffen.

Die belangte Behörde hat es zudem unterlassen, die individuelle Situation der BF2 als Frau in Afghanistan zu erörtern. Sie hat es unterlassen festzustellen, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den Verfahrensakten, insbesondere aus den Bescheiden vom 25.07.2017.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht bzw. nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.

Auch unter Verweis auf die jüngste Entscheidung des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) ist festzuhalten, dass die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern in Afghanistan enthalten. Aus den in den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gebe. So wird ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend die Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden.

In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der Situation von Minderjährigen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, nicht ausreichend die individuelle konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr beschränkt sich das BFA in diesem Zusammenhang auf eine allgemeine Ausführung, dass die BF nicht zu befürchten hätten, dass sie nach ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende bzw. ausweglose Lage geraten könnten. Dafür, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären, würde es keine hinreichenden Anhaltspunkte geben.

Insofern geht das BFA aber auf die Minderjährigkeit des BF3, der BF4 und der BF5 nicht ausreichend ein. Es unterlässt jegliche vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den in den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den drei Kindern, im Zeitpunkt der Entscheidung des BFA fünf, vier und ein halbes Jahr(e) alt, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.). Die Entscheidungen betreffend die minderjährigen BF3, BF4 und BF5 sind somit begründungslos ergangen. Diese Begründungslosigkeit schlägt auch auf die Entscheidungen der BF1 und BF2 durch, da ein anderes Ergebnis bei nur einem im vorigen Satz genannten BF zwangsläufig auch auf die restlichen BF umzulegen ist.

Weiters ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich der BF2 wesentliche verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So hätte das BFA mit der BF2 ihre individuelle Situation als Frau in Afghanistan zu erläutern gehabt. Das BFA hat der BF2 im Zuge der Einvernahme am 13.06.2017 jedoch überhaupt keine Fragen bezüglich einer möglichen "westlichen Orientierung" gestellt. Es wurden keinerlei diesbezügliche Abklärungen vorgenommen.

Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde zwar allgemeine Feststellungen zur Situation von Frauen in Afghanistan getroffen, sie hat diese Feststellungen jedoch in keiner Weise mit der konkreten Situation der BF2 in Verbindung gebracht und finden sich weder in der Beweiswürdigung noch in der rechtlichen Beurteilung diesbezügliche Ausführungen. Die belangte Behörde setzt sich nicht weiter mit der Situation von Frauen in Afghanistan insgesamt und diesbezüglich auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend, in keiner Weise die individuelle konkrete Situation der B2 bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Die belangte Behörde hätte aufgrund der allgemeinen Situation von Frauen in Afghanistan amtswegig zu erheben gehabt, ob im Fall der BF2 eine Gefährdung aufgrund einer möglichen westlichen Gesinnung vorliegt. Den von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Verteidigung der Rechte der Frauen in einem Land, indem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt ist und von der traditionellen Stammeskultur bestimmt ist, nur eingeschränkt möglich sei bzw. staatliche Akteure nicht gewillt seien die Rechte der Frauen zu schützen und Richter durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt werden würden Täter freizulassen. Die belangte Behörde hätte bei offensichtlichen Zweifeln an dieser Situation aufgrund ihrer Ermittlungspflicht noch entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen gehabt hätte.

Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit bei der BF2 eine verfahrensrelevante fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher hierauf bezogenen Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Der von der Verwaltungsbehörde ermittelte Sachverhalt ist somit in mehreren Punkten grundlegend ergänzungsbedürftig.

Das BFA wird somit die oben angeführten Ermittlungen nachzuholen haben.

Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine solcherart auch darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt als bloß ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtenen Bescheide mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W228.2167313.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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