Entscheidungsdatum
07.01.2019Norm
ASVG §18aSpruch
W178 2201841-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Frau XXXX, vertreten durch Arbeiterkammer Vorarlberg, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Landesstelle Vorarlberg, vom 28.05.2018, Zl. HVBA-XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG Folge gegeben und festgestellt, dass Frau XXXX zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a ASVG in der Zeit von Juli 2003 bis einschließlich Juli 2008 berechtigt war.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit Antrag vom 21.12.2017 begehrte Frau XXXX die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für die Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX, geboren am XXXX, von Juli 2003 bis Juli 2008. Sie sei 28 Stunden als Krankenschwester erwerbstätig gewesen. Der Sohn lebe im gemeinsamen Haushalt, ihre Arbeitskraft sei durch die Pflege überwiegend beansprucht gewesen. Die Frage, ob für das Kind Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe bestehe, verneinte sie (durch Ankreuzen). Das Kind beziehe kein Pflegegeld.
2. Die PVA hat mit Bescheid vom 25.05.2018 den Antrag abgelehnt. Zur Begründung wurde angeführt, dass ärztlicherseits festgestellt worden sei, dass mit der Diagnose Seromukotympanon kein wesentlich größerer Pflegeaufwand im Vergleich zu einem gesunden Kinde bestehe. Das Kind bedürfe nicht ständig der persönlichen Pflege. Sie unterliege der gesetzlichen Pensionsversicherung. Es liege kein Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe vor.
3. Dagegen hat FrauXXXX Beschwerde erhoben. Sie bringt darin zur Begründung vor, für die Zeit von Juli 2003 bis Juli 2008 bestehe für sie eine pensionsversicherungsrechtliche Lücke. In dieser Zeit habe die Bf ihren Sohn, für den sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen habe, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung gepflegt. Bei XXXX bestehe wahrscheinlich seit Geburt eine Tuben-Belüftungsstörung. Er brauchte daher vor allem in den ersten Jahren eine besonders intensive Betreuung durch die Bf. Es seien bei XXXX nicht nur sehr viele Mittelohrentzündungen aufgetreten, er habe auch sehr viel Sprachtherapie, viel Logotherapie gebraucht, sie hätte die Übungen durchführen müssen und ihn zu vielen Arztterminen begleiten müssen. Insgesamt sei die Bf durch die Pflege ihres Kindes überwiegend beansprucht worden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Streitgegenständlich ist der Zeitraum vom Juli 2003 bis einschließlich Juni 2008.
Das Kind XXXX, war in diesem Zeitraum somit zwischen 4 und 9 Jahre alt. Es lebte mit seiner Mutter (Bf) in XXXX.
Das Finanzamt Feldkirch hat mit Schreiben vom 18.04.2018 an das BVwG mitgeteilt, dass für das Kind XXXX Mai 2002 bis Juni 2014 erhöhte Familienbeihilfe bezogen wurde.
Eine gegenteilige Angabe in der Stellungnahme der belangten Behörde ist aktenwidrig.
Das Kind litt jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum an Seromukotympanon beidseits, ICD-10: H 65.4, wiederkehrende Mittelohrentzündung und Ergüssen, weiters wurde chronische Tonsillitis (J 35.0) festgestellt. Das ist auch seitens der belangten Behörde unbestritten.
Im fachärztlichen Sachverständigengutachten im Auftrag des Finanzamtes vom 14.07.2006 wurde festgestellt: Seit Kindheit immer wieder auftretenden Tubenpaukenergüsse beidseits mit einer massiven Schallleitungsschwerhörigkeit beidseits. Bisher wurden mehrere Operationen durchgeführt, davon 5 Mal eine Paracentese, zusätzlich Adenotomie und Tonsillektomie und viermaliger Paukenröhrcheneinlage. Es besteht bereits eine Sprachentwicklungsverzögerung, sodass eine weiterführende Betreuung im Landeszentrum für Hörgeschädigte in Dornbirn erfolgt.
Weiters wird angeführt: Rahmenbegründung: Da der Bub jeweils nur nach Einlegen eines Paukenröhrchens besser hört, diese Operation aber schon fünfmal erfolgen musst und sich bereits eine Sprachentwicklungsverzögerung zeigt, vorerst 50% (Grad der vorläufigen Behinderung)Zitatende.
Es erfolgten nach den zahlreichen Berichten des Landeskrankenhauses Feldkirch auch nach dieser Begutachtung (aus 2006) weitere solche Behandlungen (Paracentese (Trommelfellschnitte) und Paukenröhrchen-Applikationen).
Nunmehr (außerhalb des streitgegenständlichen Zeitraumes) liegt laut vorgelegten befunden Schwerhörigkeit beim Sohn der Bf vor.
Die Bf hatte sowohl während der akuten Ohrenerkrankung als auch nach dem jeweiligen Eingriff eine intensive Betreuungsphase zu leisten, mehr als bei einem durchschnittlich gesunden Kind.
Sie hatte- um die Folgeschäden zu beseitigen bzw. nicht entstehen zu lassen - mit dem Kind logopädische und sprachpädagogische Therapien zu absolvieren, vgl. ärztlicher Kurzbericht vom 16.05.2007 des LKH Innsbruck, Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen. Sie hatte mit ihrem Sohn regelmäßig die in der Therapie gezeigten Übungen umzusetzen ("üben") und viele Arzttermine wahrgenommen.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der PVA, insbesondere dem Schreiben des Finanzamtes Feldkirch vom 18.04.2018, und dem Parteienvorbringen, insbesondere den von der Bf vorgelegten medizinischen Unterlagen, vgl. Ambulanzbericht des Krankenhauses Feldkirch vom 30.07.1999, vom 21.06.2001, vom 19.07.2001, vom 18.10. und 08.11.2001, vom 19.02. und 25.04.2002, vom 06.06.2002, Befund mit Therapievorschlag von Dr. Franz Rieger, HNO-Facharzt vom 02.12.2002, ärztlicher Bericht des LKH Feldkirch vom 30.01.2003, Befunde Dr. Rieger vom 10.02. und 08.03.2005, ärztlicher Bericht des LKH Feldkirch vom 17.05.2005 und vom 22.04.2006, ärztlicher Kurzbericht des Landeskrankenhauses Innsbruck vom 16.05.2007, ärztlicher Bericht des LKH Feldkirch vom 09.09.2009.
Die als rechtliche Würdigung einzustufende Aussage des chefärztlichen Dienstes vom 15.05.2018, dass eine Selbstversicherung nicht gerechtfertigt sei, ist für die Feststellungen nicht relevant. Die Aussage, die sich auf den Antrag der Bf bezieht, dass durch die Behinderung kein wesentlich größerer Pflegeaufwand im Vergleich zu einem gesunden Kind bestand, ist nicht begründet und setzt sich mit den umfangreichen medizinischen Unterlagen nicht auseinander.
Bezüglich der Feststellungen, welche Konsequenzen sich aus den Befunden für die Betreuung des Kindes im Alltag ergaben, stützt sich das Gericht vor allem auf das nachvollziehbare Vorbringen der Bf, das mit den ärztlichen Unterlagen und Therapievorschlägen in Einklang zu bringen ist und daher auch als plausibel gelten muss.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1 Gesetzliche Bestimmungen:
Gemäß § 669 Abs 3 ASVG idF des BGBl.I Nr. 125/2017 kann die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.
§ 18a ASVG idF des BGBl. I Nr. 2/2015:
(1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.
(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der
1.(Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)
2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder
3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.
(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und solange das behinderte Kind
1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,
2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,
3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.
3.2 Im konkreten Fall:
Im Beschwerdefall hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung in der PV vorliegen, nach der Fassung der Novelle BGBl. 2 /2015 zu erfolgen, d.h. dass die Beschäftigung der Mutter (mit reduzierter Wochenarbeitszeit) kein Hindernisgrund wäre und die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft zu prüfen ist.
3.2.1 Die Voraussetzung des Bezuges der erhöhten Familienbeihilfe ist erfüllt.
3.2.1.Ebenso lebten die Bf und ihr zu pflegender Sohn im gemeinsamen Haushalt.
3.3 Zur überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft:
Die überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist im § 18a Abs 3 ASVG definiert.
In der hier anzuwendenden Rechtslage war ständige persönliche Hilfe und besondere Pflege gefordert.
"Besondere Pflege" ist ein Begriff aus dem Krankenanstaltenrecht (§2 Abs 1 Z 3 und § 37 Abs 2 Z 4 KaKuG). Danach steht krankheits-behindertenspezifische Pflege im Gegensatz zur allgemeinen Pflege eines Kindes iSd §160 Abs 1 ABGB (Wahrnehmung des körperlichen Wohles und der Gesundheit sowie die unmittelbare Aufsicht, die Erziehung besonders die Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen und sittlichen Kräften, die Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie dessen Ausbildung in Schule und Beruf).
Der VwGH (vgl. 89/08/0353 vom 19.11.1991 u.a.) hat diese gesetzliche Voraussetzung so ausgelegt, dass sie dann erfüllt ist, wenn unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung - auch außerhalb der Zeit des Schulbesuches - erforderlich ist und wenn bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteilwird, benachteiligt oder gefährdet ist.
Die Pflegeleistungen sind als "ständig" zu beurteilen, wenn sie zwar nicht notwendigerweise täglich, aber doch mehrmals in der Woche regelmäßig erforderlich sind.
3.4 Das bedeutet für den gegenständlichen Fall:
Die Frage, ob die Arbeitskraft der Bf überwiegend im Sinne des § 18a ASVG in der hier anzuwendenden Fassung in Anspruch genommen wurde, ist eine Rechtsfrage, die das Gericht zu beantworten hat.
Die medizinischen Fakten (Diagnose) sind unbestritten und daher Grundlage der Beurteilung.
Für die Lösung des vorliegenden Falls ist unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 18a Abs. 3 ASVG wesentlich, ob und in welchem Umfang die Bf regelmäßig eine - behinderungsbedingte - Betreuungstätigkeit geleistet hat, die diese Kriterien erfüllt.
Das Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass die Bf für ihren Sohn regelmäßig wiederkehrende, notwendige und krankheits- und behinderungsbedingte Betreuungsleistungen erbracht hat, wie Pflege bei besonders häufigen Ohrentzündungen, Pflege und besondere Beobachtung nach Operationen, Therapiebesuche, Therapieübungen und häufige Arztbesuche.
Nach den obigen Feststellungen waren diese regelmäßigen Betreuungsleistungen kausal zum festgestellten Krankheitsbild.
Diese Pflege- und Betreuungsmaßnahmen wären bei einem nicht beeinträchtigten Kind nicht in dieser Weise zu erbringen gewesen.
Die Bf leistete ständige Betreuung im Sinne der oben dargelegten Auslegung der Judikatur, die erforderlich war, weil bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem Kind mit ähnlichem Krankheitsbild, dem diese Zuwendung zuteilwird, benachteiligt oder gefährdet gewesen wäre.
Damit erfüllt sie die Voraussetzung der ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege, sodass in den im Spruch genannten Zeiträumen das Vorliegen überwiegender Inanspruchnahme der Arbeitskraft zu bejahen ist. Das Höchstausmaß von 120 Monaten nach § 669 Abs. 3 ASVG wird nicht überschritten.
Die sonstigen Tatbestandselemente sind gegeben.
Die belangte Behörde stützte ihre negative Entscheidung vor allem auf die Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes, die jedoch als Begründung nicht geeignet ist (vgl. oben unter Pkt. 2).
Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Zur Frage der Interpretation des § 18a ASVG gibt es eine umfangreiche Judikatur des VwGH, vgl. Erk Ra 2014/08/0045, Ro 2015/08/0012, Ro 2014/08/008)
Schlagworte
Arbeitskraft, Betreuungsbedarf-Angehöriger, Pensionsversicherung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W178.2201841.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.02.2019