TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/7 W159 2146352-1

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Veröffentlicht am 07.01.2019
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Entscheidungsdatum

07.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W159 2146352-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2017, Zahl 1097590900 - 151911292/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_02, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.09.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, gelangte (spätestens) am 01.12.2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am darauffolgenden Tag wurde er einer niederschriftlichen Erstbefragung durch das Bezirkspolizeikommando (BPK) XXXX, Polizeiinspektion (PI) XXXX, unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, in seinem Heimatdorf habe es Angriffe von den Taliban bzw. von Zigeunern gegeben. Die Sicherheitslage sei schlecht gewesen, der Beschwerdeführer habe sich nicht frei bewegen können.

Am 05.01.2017 erfolgte eine ausgiebige Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion (RD) Steiermark, Außenstelle (ASt) Graz.

Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, mit den Kutschis, die von den Taliban unterstützt würden, Probleme gehabt zu haben. Diese hätten ihre Landwirtschaften und Grundstücke weggenommen, der Beschwerdeführer habe somit keine Möglichkeit mehr gehabt, dort zu leben. Sie würden einfach kommen und bauen ohne zu fragen. Entweder man kämpfe oder man laufe weg. Es sei kein Haus gewesen, das man weggenommen habe, den Kutschis seien Grundstücke und Landwirtschaften wichtig. Das sei kurz vor der Ausreise des Beschwerdeführers gewesen.

Aufgefordert, den Ablauf des Tages der Beschlagnahme der Landwirtschaft genau zu schildern, führte der Beschwerdeführer aus, sie seien bewaffnet gewesen und hätten gekämpft. Sie seien in ihr Dorf gekommen und hätten gekämpft. Der Beschwerdeführer habe Angst bekommen und einen Schlepper gesucht. Bevor sie zum Beschwerdeführer gekommen seien, habe er einen Schlepper gefunden und sei von dort weg.

Die Kutschis habe der Beschwerdeführer nicht gesehen. Er hätte das Eindringen der Kutschis durch einen Raketenangriff auf ein Haus in der Nähe wahrgenommen. Mehrere Dorfbewohner hätten das Dorf verlassen.

Der Schlepper habe den Beschwerdeführer sodann nach XXXX, XXXX, gebracht, wo er an einen anderen Schlepper, der ihn nach Kabul brachte, übergeben worden sei. Von dort sei er ausgereist, weil man als Hazara in Afghanistan nirgendwo eine Chance habe, deshalb sei er nach Österreich gekommen. Sie würden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt, auch die Sicherheitslage für Hazara sei nicht gut. Viele Sunniten würden sagen, dass die Schiiten Ungläubige seien und auch, dass sie getötet werden dürften. Die Taliban würden ihn töten wollen, weil er Hazara sei, das habe er in einem Internetvideo gesehen.

Mit dem im Spruch bezeichneten und nunmehr bekämpften Bescheid vom 09.01.2017 wies das BFA, RD Steiermark, ASt Graz, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

Begründend stellte das BFA den bisherigen Verfahrensgang einschließlich der oben bereits wesentlichen Inhalt wiedergegeben Einvernahmen dar und listete sämtliche Beweismittel auf. Anschließend traf es negative Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers sowie zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr und im Weiteren Feststellungen zu Afghanistan. In der Beweiswürdigung wurde dem Vorbringen die Glaubhaftigkeit zur Gänze abgesprochen. Der Beschwerdeführer habe keine Details oder Nebenumstände nennen können. Glaubhaft sei aber, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein besseres Leben führen wolle.

Rechtlich begründend führte das BFA zu Spruchpunkt I. insbesondere aus, dass es die Angaben des Beschwerdeführers als unwahr erachte, sodass sie nicht als Feststellungen der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden könnten. Zu Spruchpunkt II. führte das BFA insbesondere aus, in Ermangelung einer Glaubhaftmachung der Fluchtgründe könne im Falle des Beschwerdeführers nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 50 FPG ausgegangen werden. Auch bestehe kein Hinweis auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die eine Abschiebung nach Art. 3 EMRK und § 50 FPG unzulässig machen könnte. Dem Beschwerdeführer sei es zuzumuten, sich in Afghanistan in Großstädten wie z.B. Kabul sich den Lebensunterhalt zu sichern. Auch leide er an keiner lebensbedrohenden Krankheit.

Zu Spruchpunkt III. hielt das BFA zunächst fest, die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gem. § 57 AsylG 2005 lägen nicht vor. Der Beschwerdeführer führe in Österreich weder Privat- noch Familienleben. Es sei auch nicht hervorgekommen, dass eine besondere Integration in Österreich anzunehmen wäre, weil er keine besonderen privaten Bindungen zu Österreich habe. Da ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, sei eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen. Wie bereits in der Begründung zu Spruchpunkt II. dargelegt, liege im vorliegenden Fall keine Gefährdung im Sinne das § 50 FPG vor und es gebe auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die einer Abschiebung entgegenstehen würde, sodass die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan auszusprechen gewesen sei. Zu Spruchpunkt IV. hielt das BFA fest, Gründe für eine Verlängerung für die Frist für die freiwillige Ausreise wären nicht hervorgekommen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Neben der weitwendigen Zitierung von Länderinformationen und einer Wiederholung des Fluchtvorbringens rügt die Beschwerde insbesondere, das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt sowie mangelhafte und unrichtige Länderfeststellungen getroffen, was sich in einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung niederschlüge.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 20.09.2018 an, zu der der Beschwerdeführer mit einem Rechtsvertreter des Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung erschien. Das BFA hatte sich bereits in der Beschwerdevorlage von der Teilnahme an der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt. Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und führte soweit wesentlich aus, dass die Kutschis in der Erstbefragung fälschlicherweise mit "Zigeuner" übersetzt worden wären. Dokumente habe er keiner, die Mehrheit der Leute in Afghanistan hätten nicht einmal eine Geburtsurkunde.

Er sei Hazara und jetzt Christ. Seine Mutter sei verstorben, sein Vater verschwunden. Er habe zwei verheiratete Schwestern, die im Iran leben würden. Nach dem Tod seiner Mutter habe der Beschwerdeführer unter Hilfe einer Tante den Haushalt geführt. Zu den Problemen mit den Kutschis gab der Beschwerdeführer an, sie seien im Winter nicht da. Jedes Jahr im Frühling, wenn die Ernte reif sei, würden sie mit ihren Gewehren kommen und den Leuten alles wegnehmen. Hätten sie gewusst, dass der Beschwerdeführer Kind eines Kommandanten sei, hätten sie ihn gleich umgebracht. Das Nachbarhaus sei von einer Rakete getroffen worden. Er schäme sich, alles zu erzählen. Sie hätten Futter und Lebensmittelvorräte verschmutzt und vergiftet. Der Beschwerdeführer sei erst 2015 ausgereist, weil er bis zur letzten Minute gewartet hätte, dann sei es aber nicht mehr möglich gewesen, dort zu leben. Er sei dann ins Dorf gegangen und - als dies nicht mehr möglich gewesen sei - danach nach Kabul in eine Art Jugendherberge gegangen und sodann weiter durch Pakistan, den Iran und die Türkei nach Griechenland gereist. Familienangehörige habe der Beschwerdeführer in Afghanistan nicht mehr, seine Tante sei verstorben. Ein Cousin befinde sich in Österreich.

Das Christentum habe ihm seine "Ersatzmutter" empfohlen, wobei er damals schon den Wunsch gehabt habe, Christ zu werden. Er habe XXXX, der auch Mitglied der Kirche sei, gefragt, dieser habe ihm eine Kirche empfohlen, wo Persisch gesprochen werde. Das sei eine internationale Freikirche in XXXX. Den Kurs zur Vorbereitung der Taufe habe er abgeschlossen. Sodann wurden dem Beschwerdeführer Fragen zum Christentum im Allgemeinen und zu Jesus Christus im Besonderen gestellt, welche er größtenteils zutreffend beantworten konnte. Der anwesende Rechtsberater führte aus, dass der Beschwerdeführer im Oktober oder November getauft werde.

Befragt zu seinem Leben in Österreich gab er an, Fitness zu betreiben, einen Deutschkurs besucht zu haben, Single zu sein, für das Deutschdiplom A1 noch € 70,- bis 80,- zu benötigen, bereits für eine Gemeinde Hilfstätigkeiten wie Laubrechen durchgeführt zu haben, im Fitnesscenter und in der Baptistenkirche aktiv zu sein und bereits österreichische Freunde zu haben.

Andere Afghanen wüssten von seinem Abfall vom Islam. Er habe deshalb auch schon Probleme gehabt, allerdings nicht so große, dass er hätte zur Polizei gehen müssen.

Weiters wurde ein Zeuge befragt, welcher angab, der Beschwerdeführer komme seit einem Jahr und sieben Monate in die Kirche, woher er den Beschwerdeführer auch kenne. Der Zeuge stamme aus dem Iran, sei österreichischer Staatsangehöriger und gehöre zum Führungsteam der Baptistenkirche. Der Taufkurs des Beschwerdeführers sei beendet, wobei er diesen regelmäßig besucht habe. Er besuche auch die Gottesdienste und die Bibelstunden und helfe bei der Reinigung. Höchstwahrscheinlich werde der Beschwerdeführer Ende Oktober oder Anfang November getauft. Man sehe, dass der Beschwerdeführer bemüht sei und dass das "von Herzen" komme. Er bekenne seinen Übertritt auch nach außen, wodurch es zu Auseinandersetzungen komme. Er habe auch schon anderen Leuten die Kirche vorgestellt. Auch viele andere Afghanen wüssten von der Konversion des Beschwerdeführers.

Den Verfahrensparteien wurden folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme bis zum 30.11.2018 eingeräumt:

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, aktualisiert am 11.09.2018;

* ACCORD Anfragebeantwortung zum Kuchi-/Hazarakonflikt vom 10.04.2014, a-8744;

* ACCORD Anfragebeantwortung zur Lage der Hazara vom 02.09.2014, a-9737-V2.

Eine Stellungnahme zu diesen Dokumenten langte beim Bundesverwaltungsgericht nicht ein. Mit als "Beschwerdeergänzung, XXXX, W159 2146352-1, geb. XXXX, StA Afgh..docx" bezeichneten E-Mail vom 13.12.2018 wurden namens des Beschwerdeführers zwei offensichtlich auf der in Rede stehenden Taufzeremonie aufgenommenen Fotos sowie ein Scan der den Beschwerdeführer betreffenden Taufbestätigung in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers wird folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Sein genaues Geburtsdatum kennt er nicht, er wurde in der Provinz Ghazni geboren. Er war in Ghazni nie in einer Schule und hat nur ein wenig Arabisch lesen gelernt. Schreiben kann er nicht.

Der Beschwerdeführer war ursprünglich schiitischer Moslem, hat sich aber, seit er in Österreich aufhältig ist, zunehmend dem Christentum zugewandt. Er wurde getauft und ist damit förmlich dem Christentum beigetreten und vom Islam abgefallen. Dies hat er auch gegenüber in Österreich aufhältigen Afghanen geäußert, die seiner Konversion kritisch gegenüberstehen. Es ist aufgrund der digitalen Kommunikationsmittel davon auszugehen, dass Menschen in Afghanistan von der Konversion des Beschwerdeführers wissen.

Der Beschwerdeführer ist gesund. Er hat schon einen Deutschkurs besucht, nicht aber ein Deutschzertifikat erworben. Er ist bei der Baptistengemeinde in XXXX aktiv, besucht die dort abgehaltenen Gottesdienste, hilft bei Reinigungsarbeiten und hat sich dort der Taufe unterzogen. Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich. Er ist vorbestraft wegen der Begehung des Delikts nach § 27 Abs. 2a 2. F SMG.

Zu Afghanistan wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

Christentum und Konversionen zum Christentum:

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 6.6.2018

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebu ngsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 3.4.2018

-

AIK - Ambasciata d'Italia Kabul (o.D.): La Cappella, https://ambkabul.esteri.it/ambasciata_kabul/it/ambasciata/la_sede/la-chiesa.html, Zugriff 10.4.2018

-

BBC (15.10.2014): Afghanistan first lady Rula Ghani moves into the limelight, http://www.bbc.com/news/world-asia-29601045, Zugriff 9.4.2018

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CNN (24.4.2014): Afghanistan Violence, http://editionBild kann nicht dargestellt werden

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asia/Bild kann nicht dargestellt werden

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stan-violence/Bild kann nicht dargestellt werden

, Zugriff 9.4.2018

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CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdfhttps://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 12.2.2018

-

CURE - CURE International Hospital of Kabul, https://cure.org/afghanistan/, Zugriff 6.4.2018

-

FT - First Things (27.10.2017): The church in Afghanistan, https://www.firstthings.com/web-exclusives/2017/10/the-church-in-afghanistan, Zugriff 6.4.2018

-

NPR - National Public Radio (19.2.2015): For The First Time, An Afghan First Lady Steps Into The Spotlight, http://www.npr.org/sections/parallels/2015/02/19/386950128/for-the-first-time-an-afghan-first-lady-steps-into-the-spotlight, Zugriff 12.2.2018

-

NYP - The New York Post (24.4.2014):

http://nypost.com/2014/04/24/3-foreigners-killed-in-attack-at-afghan-hospital/, 12.2.2018

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OD - Open Doors (2018): Weltverfolgungsindex, Afghanistan, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/2018/afghanistan, Zugriff 6.4.2018

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PBK - Pro Bamibini di Kabul (o.D.): Chi siamo, http://www.probambinidikabul.org/chi-siamo/, Zugriff 6.4.2018

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USCIRF - U.S. Commission on the International Religious Freedom (2017): 2017 Annual Report: Afghanistan Chapter, http://www.uscirf.gov/sites/default/files/Afghanistan.2017.pdf, Zugriff 5.4.5018

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USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2017 Report on International Religious Freedom - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2016/sca/268924.htm, Zugriff 3.4.2018

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Vertrauliche Quelle - Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf

Beweis wurde erhoben durch Erstbefragung des Antragstellers durch das BPK XXXX, PI XXXX, am 01.12.2015, durch Einvernahme durch das BFA, RD Steiermark, ASt Graz, am 05.01.2017 sowie durch Befragung im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.09.2018, durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des BFA, durch Einsichtnahme in diverse, im Verfahren durch den Beschwerdeführer bzw. seine Vertretung vorgelegte und in Kopie zum Akt genommenen Urkunden, durch Vorhalt des Länderinformationsblattes zu Afghanistan, Stand 11.09.2018 sowie der beiden oben angeführten ACCORD-Anfragebeantwortungen und schließlich durch Einsichtnahme in den aktuellen, den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug.

2. Beweiswürdigung:

Die länderspezifischen Feststellungen entstammen einer Zusammenstellung der Staatendokumentation (die nicht nur für die Länderinformationen des BFA, sondern auch für das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist), welche auf einer ausgewogenen Sammlung zahlreicher seriöser, aktueller, internationaler, staatlicher und nicht staatlicher Quellen beruht.

Von Seiten des Beschwerdeführers wurde zum Länderinformationsblatt keine Stellungnahme abgegeben. Es wurde auch keine mangelnde Aktualität der eingeführten Länderdokumente behauptet und das erkennende Gericht geht daher von den oben erwähnten Länderfeststellungen aus.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird wie folgt gewürdigt:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).

Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH 16.01.1987, 87/01/0230, VwGH 15.03.1989, 88/01/0339, UBAS 12.05.1998, 203.037-0/IV/29/98 u.v.a.m.)

Das Bundesverwaltungsgericht schenkt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Konversion zum Christentum Glauben. Er hat ab seiner Einvernahme vor dem BFA vorgebracht, zum Christentum konvertiert zu sein. Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist jedenfalls glaubhaft: Der Beschwerdeführer hat glaubhaft vorgebracht, bisher erhebliche Zeit in seiner Glaubensgemeinde verbracht und auch mitgeholfen zu haben und er hat insbesondere in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erhebliches christliches und biblisches Wissen unter Beweis gestellt. Würde der Beschwerdeführer nicht tatsächlich das entsprechende Interesse haben, hätte er sich den Mühen nicht unterzogen, sich derart beachtliche Kenntnisse anzueignen.

Angesichts der insgesamt glaubhaften Angaben zu seinem neu gewonnenen Glauben geht das Bundesverwaltungsgericht von der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers aus. Die Angaben des Beschwerdeführers, dass andere Afghanen in Österreich seinen Abfall vom islamischen Glauben ablehnen, sind jedenfalls nicht unplausibel und können daher festgestellt werden. Vor dem Hintergrund der streng religiösen afghanischen Gesellschaft erscheint es auch glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zugemutet werden kann.

Was den persönlichen Eindruck betrifft, so konnte der Beschwerdeführer letztlich den zur Entscheidung berufenen Einzelrichter doch davon überzeugen, dass ihm die Abwendung vom Islam und die Zuwendung zum Christentum ein wichtiges inneres Anliegen ist.

Schließlich konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der Beschwerdeverhandlung durch Befragung des vom Beschwerdeführer stellig gemachten Zeugen davon überzeugen, dass der Beschwerdeführer den christlichen Glauben verinnerlicht hat. Der Zeuge gab glaubhaft an, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit ein unruhiger Mensch war, der viel Alkohol getrunken und auch geraucht hat und ein bisschen aggressiv war. Seit seiner Zuwendung zum Christentum habe sich seine seelische Situation stark verbessert. Auch gab der Zeuge an, dass man sehe, dass der Beschwerdeführer sich bemüht und diese Bemühungen "von Herzen" sind.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass letztlich beim Beschwerdeführer die für eine Glaubhaftgkeit der Angaben zur Verfolgung in Afghanistan sprechende Momente die gegenteiligen überwiegen und am aktuellen Abfall vom Islam durch die diesbezüglichen konkreten und eindeutigen Aussagen des Beschwerdeführers in Verbindung mit den vorgelegten Unterlagen und der glaubhaften Zeugenaussage kein Zweifel besteht, wobei hinsichtlich des religiösen Wissens keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen sind (jüngst VwGH vom 18.10.2018, Ra 2018/19/0236-8).

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der

Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen.

Zu A - Gewährung von Asyl:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

Der Beschwerdeführer hat glaubhaft dartun können, dass er auf Grund seiner Konversion zum Christentum im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein würde.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendiger Weise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (z.B. von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; 14.10.1998, 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz

vorliegt - wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (z.B. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, zum christlichen Glauben konvertiert zu sein und im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Konversion aus religiösen Gründen verfolgt zu werden, macht der Beschwerdeführer, der in Österreich konvertiert ist, einen (subjektiven) Nachfluchtgrund im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG 2005 geltend.

Wie der VwGH bereits wiederholt ausgeführt hat, können diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0923).

Allein aus der Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit kann das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der GFK aber nicht abgeleitet werden (VwGH 09.11.1995, 94/19/1414). Es sind darüberhinausgehende, konkret gegen den Asylwerber gerichtete, von staatlichen Stellen ausgehende bzw. von diesen geduldeten Verfolgungshandlungen gegen seine Person erforderlich, um die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers zu erweisen (VwGH 08.07.2000, 99/20/0203; VwGH 21.09.2000, 98/20/0557).

Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/83/EG (Status-Richtlinie) kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftsstaates beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Konversion eines Fremden vom Islam zum Christentum ist zu prüfen, ob die Konversion allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Hat der Fremde nicht behauptet, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wieder vom christlichen Glauben zum Islam übertreten zu wollen, und ist der Fremde nicht nur zum Schein zum Christentum konvertiert, kommt es nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Asylwerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion (allenfalls sogar mit der Todesstrafe) belegt zu werden (VwGH 24.10.2001; 99/20/0550; VwGH 19.12.2001, 2000/20/0369; VwGH 17.10.2002; 2000/20/0102; VwGH 30.06.2005, 2003/20/0544).

Aus dem oben zur Person des Beschwerdeführers festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation der Christen in Afghanistan, insbesondere der vom Islam zum Christentum konvertierten Personen, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Person mit innerer christlicher Überzeugung, die er nicht verleugnen, sondern offen ausüben will, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum den afghanischen Behörden oder anderen Personen in seinem familiären und sozialen Umfeld verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, zumal seine Familie von seiner Konversion erfahren hat. Es ist dem Beschwerdeführer auch nicht zumutbar, seine Religion nur im Geheimen auszuüben (z.B. AsylGH 20.04.2010, E408.796-1/2009).

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum nur zum Schein erfolgt wäre, sind im Beschwerdeverfahren nicht hervorgekommen.

Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers vor.

Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan, ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung eines vom Islam zum Christentum konvertierten Mannes verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 01.12.2015 und somit nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.

Zu B - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall erweist sich die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall vorwiegend tatsachenlastig ist und die Beweiswürdigung und die Länderberichte die entscheidenden Punkte darstellen. Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall uneinheitlich zu beurteilen wäre. Vielmehr gründet sich die vorliegende Entscheidung auf die bisher ergangene Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes, insbesondere auch eine aktuelle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Konversion, Nachfluchtgründe, Religion, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W159.2146352.1.00

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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