TE Bvwg Beschluss 2019/1/8 W256 2181863-1

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Veröffentlicht am 08.01.2019
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Entscheidungsdatum

08.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W256 2181863-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. November 2017, Zl. XXXX :

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG hinsichtlich seines Spruchteiles I. aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 16. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt (wortwörtlich laut Befragungsprotokoll wiedergegeben) folgendes an: "Mein Vater war in der Regierung und hat Taliban gefangen genommen und ausgeliefert. Vor 3 wurde versucht meinen Vater zu ermorden. Er hat jedoch überlebt. Jetzt sind die Taliban bis unser Dorf ( XXXX ) vorgedrungen und wir hatten alle große Angst, dass wir sterben würden. Deswegen sind wir alle geflohen."

Der Beschwerdeführer wurde am 16. November 2017 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Die Befragung zu seinem Fluchtgrund gestaltete sich - laut Protokoll - wie folgt:

"Nach den allgemeinen Fragen zu Ihren persönlichen Umständen werde ich Sie nun jetzt zu Ihrem Fluchtgrund befragen:

LA: Kommen wir nun zu Ihrem Fluchtgrund. Bitte nennen Sie mir die Gründe, warum Sie Afghanistan verlassen haben und nicht nach Afghanistan zurückkehren können. Bitte erzählen Sie?

VP: Beginn der freien Erzählung:

Afghanistan haben wir verlassen, weil mein Vater für die Regierung gearbeitet hat und deshalb ständig von den Taliban bedroht wurde. Er hatte Taliban verhaftet. Er hat auch für den deutschen und amerikanischen Geheimdienst gearbeitet und war deshalb bei den Taliban verhasst und galt als unrein. Er hatte als Polizist außerhalb der Stadt XXXX gearbeitet und hat mich, als meine Schule um 09:30 Uhr zu Ende war, auf seinem Nachhauseweg nach dem Nachtdienst mitgenommen. Wir fuhren auf einem Motorrad nach Hause. Dabei wurde in der Nähe unserer Wohnung auf uns geschossen. Dabei kamen wir zu Sturz, mein Vater nahm dabei seine Dienstwaffe und hat die Schüsse erwidert. Die zwei Leute, die auf uns geschossen haben, ergriffen daraufhin die Flucht. Mein Vater rief seinen Vorgesetzten an, der daraufhin ein Polizeiauto schickte, welches meinen Vater in ein Krankenhaus nach XXXX Stadt brachte. Während mein Vater im Krankenhaus war, wurde ständig an unsere Haustüre geklopft und Schüsse in die Luft abgegeben. Wir machten die Türe nicht auf. Das passierte auch, nachdem mein Vater aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Wir sind daraufhin in ein anderes Haus umgezogen. Auch dort wurde mein Vater ständig angerufen mit dem Hinweis, mich für die Taliban zu begeistern, ansonsten ich auf dem Schulweg entführt werden würde. Wir erhielten auch Drohbriefe mit dem Hinweis, dass mein Vater den Polizeidienst quittieren soll, um gemeinsam mit mir für die Taliban zu kämpfen. Es gab zwei Drohbriefe und die wurden während der Nacht vor die Eingangstüre geworfen.

Wegen der erhaltenen Drohbriefe und wegen des Krieges sind wir dann gemeinsam geflüchtet.

Ende der freien Erzählung.

LA: Ist das Ihr einziger Fluchtgrund?

VP: Ja.

Es folgen nun ein paar Fragen um die Einvernahme abzurunden:

LA: Welche Befürchtungen haben Sie in Bezug auf eine mögliche Rückkehr nach Afghanistan?

VP: Ich habe Angst vor den Taliban und vor einer möglichen Rekrutierung. Ich bin jetzt in Europa und würde ich nach Afghanistan zurückkehren, gelte ich nicht mehr als rein.

LA: Es gibt für Afghanistan ein Programm der freiwilligen Rückkehr. Es wird ihnen der Flug bezahlt und Sie bekommen einen kleinen Betrag für den Wiedereinstieg ins soziale Leben. Derzeit würden Sie 1.000 Euro für Ihre freiwillige Rückkehr bekommen. Was spräche dagegen, dass sie nach Afghanistan zurückkehren und sich in einem Teil Afghanistans niederlassen?

VP: Ich habe Angst vor den Taliban und kann mir das nicht vorstellen."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm jedoch zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Darin wird - soweit hier wesentlich - nach wörtlicher Wiedergabe der Einvernahme-Protokolle ausgeführt, dass die vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban nicht glaubhaft sei und der Beschwerdeführer in der Heimat insofern keiner Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt sei. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde - sofern hier wesentlich wörtlich wiedergegeben - wie folgt aus:

"Interessant ist Ihre Aussage, dass Sie von Ihrem Vater nach dessen Nachtdienst um 09:30 Uhr von der Schule abgeholt wurden, um dann gemeinsam mit einem Motorrad nach Hause zu fahren und danach in weiterer Folge von Unbekannten beschossen zu werden. Hier stellt sich für die ho. Behörde schon die Frage, wie lange so ein Nachdienst eines Polizisten bzw. Ihr Unterricht dauert und wie Sie sich so genau an die Uhrzeit des Abholens erinnern können. Es ist auch nicht glaubhaft, dass beim Motorradsturz nur Ihr Vater verletzt wurde, Sie aber nicht.

Wären die Taliban wirklich an Ihrer Person interessiert gewesen (mögliche Rekrutierung), hätten diese sicher Mittel und Wege gefunden, um Ihrer habhaft zu werden.

Vielmehr geht die Behörde hier von einem gesteigerten Vorbringen aus, da Sie die geschilderten Vorfälle in der EB mit keinem Wort erwähnt haben".

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde habe sich nur unzureichend mit dem Fluchtvorbingen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall zwar eine Einvernahme (auch) zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers vorgenommen, diese beschränkte sich allerdings auf eine allgemeine Befragung ohne durch konkretes Nachfragen gezielt auf das vom Beschwerdeführer eigenständig geschilderte Fluchtvorbringen und damit auf den Einzelfall einzugehen. Der Beschwerdeführer hat - wie auch bereits im Rahmen seiner Erstbefragung - eine Verfolgung durch die Taliban behauptet. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Fluchtvorbringen fand im Zuge der Befragung nicht statt, sondern begnügte sich die belangte Behörde damit, das in freier Erzählung geschilderte Fluchtvorbringen mit der Frage "abzurunden", welche Befürchtungen der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu erwarten habe. Auch ansonsten hat sich die belangte Behörde mit dem behaupteten Fluchtgrund, beispielsweise durch Einholung entsprechender Länderberichte in keiner Weise auseinandergesetzt.

Dementsprechend findet sich im angefochtenen Bescheid auch keine - zumindest nachvollziehbare - Begründung dazu, weshalb die belangte Behörde von der fehlenden Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens ausgeht. Das Argument der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei deshalb nicht glaubhaft, weil einzelne Passagen der Fluchtgeschichte "interessant" und zu hinterfragen seien, kann jedenfalls nicht als eine ernsthafte und vor allem nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen gewertet werden. Gleiches gilt für die - nicht den Tatsachen entsprechende - bloße Behauptung, es handle sich dabei um ein gesteigertes im Rahmen der Erstbefragung nicht erwähntes Fluchtvorbringen.

Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem vom Beschwerdeführer (immer) geltend gemachten Fluchtgrund zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung des Beschwerdeführers, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

2. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2181863.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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