TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/8 W202 2188479-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2019
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Entscheidungsdatum

08.01.2019

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §67

Spruch

W202 2188479-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl IFA 810873203/171042361, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 67 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 09.08.2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.08.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, in dem der Beschwerdeführer einer niederschriftlichen Erstbefragung zugeführt und niederschriftlich einvernommen worden war, wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 17.08.2011, Zahl 11 08.732-BAT, den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab und den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien aus (Spruchpunkt III.).

Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof (AsylGH) mit Erkenntnis vom 16.04.2012, Zahl C12 421.086-1/2011/6E, ab.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und setzte seinen nunmehr unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet fort. Am 17.04.2015 heiratete er eine ungarische Staatsangehörige.

Die Landespolizeidirektion (LPD) Wien führte im Auftrag des Magistrates der Stadt Wien, MA 35, Hauserhebungen zur Prüfung des Vorliegens einer Scheinehe durch. Die mit deren Ergebnis befasste Staatsanwaltschaft (StA) XXXX sah von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ab.

Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom Vorliegen einer Scheinehe ausging, lud es den Beschwerdeführer und seine Ehefrau zu niederschriftlichen Befragungen am 11.12.2017.

Mit dem nunmehr bekämpften und im Spruch bezeichneten Bescheid erließ das Bundesamt gem. § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte dem Beschwerdeführer gem. § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung (Spruchpunkt II.).

Gegen Spruchpunkt I. des genannten Bescheides richtet sich die gegenständliche Beschwerde, die neben einer Wiederholung des behaupteten Sachverhaltes einräumt, dass sich der Beschwerdeführer zwischenzeitlich von seiner Ehefrau getrennt habe und ihm daher kein "Bleiberecht im Rahmen der Freizügigkeitsrichtlinie" zukomme. Es habe sich aber um keine Scheinehe gehandelt. Er arbeite als Zeitungszusteller, habe eine Arbeitsplatzzusage, verfüge über das Mietrecht an seiner Wohnung und über eine Krankenversicherung, über Verwandte und Freunde. Sodann trifft die Beschwerde noch folgende Ausführungen (sprachliche Unzulänglichkeiten im Original):

"Ich bin niemals strafrechtlich in Erscheinung getreten, habe immer versucht zu arbeiten und legal Geld zu verdienen, dies als Zeitungszusteller, was bekanntermaßen in indischer Hand ist, weil es sich um eine sehr unattraktive Arbeit handelt, die nämlich in den Morgenstunden zwischen 01:00 - 06:00 Uhr früh stattfindet, was im Hinblick auf die winterlichen Temperaturen in den letzten Wochen beachtenswert ist.

Die österreichische Zeitungswirtschaft würde hohe Verluste erleiden, wenn es nicht möglich wäre, Abonnenten pünktlich zu beliefern."

Die Beschwerde beantragt, das Aufenthaltsverbot aufzuheben und ihm eine Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ehelichte am 17.04.2015 die ungarische Staatsangehörige XXXX, geb. XXXX. Die Ehegatten sind eine Aufenthaltsehe eingegangen.

Der Beschwerdeführer hält sich seit November 2011 im Bundesgebiet auf, spätestens seit Mitte 2012 ist sein Aufenthalt unrechtmäßig. Er kam seither, obwohl er im Besitz eines indischen Reisepasses ist, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach. Er ist gesund und erwerbsfähig. Der Beschwerdeführer ging im Bundesgebiet illegalen Erwerbstätigkeiten nach, wobei er zumindest zweimal davon auf frischer Tat von den Behörden betreten wurde. Der Beschwerdeführer ist als Zeitungszusteller tätig und wohnt in einer Mietwohnung in XXXX Wien. Er verfügt hier über Freunde und Verwandte. Der Beschwerdeführer spricht etwas Deutsch. Er war im Zeitraum von 31.03.2015-21.11.2017 an der gleichen Meldeadresse wie seine Ehefrau gemeldet. Darüber hinaus besteht zwischen den Gatten kein Naheverhältnis. Die Gattin des Beschwerdeführers ging zurück nach Ungarn.

Der Beschwerdeführer hat in Indien seine engere Familie, er hat zwölf Jahre die Schule besucht, er spricht Punjabi und Hindi und hat in seinem Herkunftsland als Taxifahrer gearbeitet.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt und den insoweit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in den verschiedenen Einvernahmen.

Die Feststellungen zur Vergangenheit des Beschwerdeführers in Indien ergeben sich aus dem Erkenntnis des AsylGH vom 16.04.2012, Zahl C12 421.086-1/2011/6E.

Die Feststellung zur Heirat mit einer ungarischen Staatsangehörigen beruht auf der im Akt einliegenden Heiratsurkunde. Zur Beurteilung, dass es sich bei der zwischen dem Beschwerdeführer und der ungarischen Staatsangehörigen eingegangenen Ehe um eine Aufenthaltsehe handelt, gelangt das erkennende Gericht aus folgenden Gründen:

Zwischen den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau hinsichtlich der Ehe ergaben sich, wie schon vom BFA zutreffend aufgezeigt, zahlreiche erhebliche Widersprüche. So führte die ungarische Staatsangehörige bei ihrer Zeugenbefragung vor dem Bundesamt an, drei Kinder zu haben (AS 200), die sie auch manchmal besuchen kommen würden (AS 201). Demgegenüber gab der Beschwerdeführer an, er sei sich sicher, dass seine Ehefrau keine Kinder habe (AS 212). Zur innerehelichen Komunikation befragt, gab die Ehefrau des Beschwerdeführers an, sie verstehe ein wenig Deutsch, der Beschwerdeführer verstehe auch etwas ungarisch. Ansonsten helfe auch ihre Cousine bei der Unterhaltung (AS 200). Im Gegensatz dazu brachte der Beschwerdeführer vor, mit seiner Ehefrau auf Deutsch zu sprechen; es gebe sonst niemanden, der bei der Kommunikation helfe (AS 212 f.). Die ungarische Staatsangehörige gab zu Protokoll, sie hätte in der Hochzeitsnacht das erste Mal Geschlechtsverkehr mit dem Beschwerdeführer gehabt (AS 202). Der Beschwerdeführer führte aus, im März 2015 sei es zum ersten Geschlechtsverkehr gekommen (AS 213) - den Angaben seiner Frau zufolge, muss es aber in der Nacht vom 17.04.2015 auf den 18.04.2015 zum ersten Geschlechtsverkehr gekommen sein.

Abgesehen von diesen eindeutigen Widersprüchlichkeiten lassen auch folgende Unstimmigkeiten keinen vernünftigen Grund übrig, am Vorliegen einer Aufenthaltsehe zu zweifeln:

Die ungarische Staatsangehörige brachte vor, den Beschwerdeführer drei Wochen, nachdem sie ins Bundesgebiet gekommen sei, um Arbeit zu suchen, geehelicht zu haben. Sie hätte innerhalb von drei Wochen den Beschwerdeführer kennengelernt und geheiratet (AS 200) - zwar ist das nicht gänzlich undenkbar, entspricht aber nicht der allgemeinen Lebenserfahrung und fügt sich daher auch aufgrund der offensichtlich bestehenden Sprachbarrieren als weiteres Indiz in die Kette der oben angeführten Unstimmigkeiten lückenlos ein. Davon abgesehen gab die ungarische Staatsangehörige an, der Beschwerdeführer habe ihr ca. einen Monat nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet den Heiratsantrag gemacht (AS 201), was angesichts dessen, dass die Hochzeit vor diesem Zeitpunkt stattfand, einen weiteren Widerspruch ergibt.

Bei einer Hauserhebung am 21.03.2017 (AS 127 f. und Bericht AS 181 ff. vom 07.09.2017, wo offenbar der Bericht vom 21.03.2017 kopiert und partiell ergänzt wurde, weshalb auch dort als Zeitpunkt der Hauserhebung "am heutigen Tag" aufscheint - schließlich bezieht sich das Schreiben auch auf die Einstellung des Verfahrens durch die StA XXXX am 16.08.2017, die nach der Hauserhebung erfolgte) konnte der Beschwerdeführer an seiner Wohnadresse in XXXX Wien angetroffen werden, ohne die ungarische Staatsangehörige, die sich angeblich in der Arbeit befand. In der Wohnung waren zwar weibliche Wäschestücke in einen Schrank hineingestopft, die Kleidergrößen variierten aber von der Kindergröße 156 bis XL. Auch wurden zwei Unterhosen in verschiedenen Größen vorgefunden, die neu gekauft worden waren. Der Reisepass der ungarischen Staatsangehörigen wurde gesichtet, jedoch keine weiteren Dokumente. Im Bett befand sich bloß eine Bettdecke und auch im Badezimmer waren keine weiblichen Toilett- oder Hygieneartikel vorhanden.

Insgesamt betrachtet ist nochmals festzuhalten, dass in eindeutiger Weise feststeht, dass der Beschwerdeführer eine Aufenthaltsehe eingegangen ist und er mit seiner Gattin nie ein Familienleben geführt hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zum Aufenthaltsverbot:

§ 67 FPG lautet auszugsweise:

"Aufenthaltsverbot

§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) . . .

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise."

§ 23 EheG lautet:

"Namensehe und Staatsangehörigkeitsehe

(1) Eine Ehe ist nichtig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen ist, der Frau die Führung des Familiennamens des Mannes oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen, ohne daß die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll.

(2) Die Ehe ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn die Ehegatten nach der Eheschließung fünf Jahre oder, falls einer von ihnen vorher verstorben ist, bis zu seinem Tode, jedoch mindestens drei Jahre, als Ehegatten miteinander gelebt haben, es sei denn, daß bei Ablauf der fünf Jahre oder zur Zeit des Todes des einen Ehegatten die Nichtigkeitsklage erhoben ist."

Die neuere Rechtsprechung wendet den Nichtigkeitsgrund des § 23 EheG analog auch auf Fälle der Eheschließung zum Zweck der Erlangung der unbeschränkten Aufenthaltsmöglichkeit im Inland oder des ungehinderten Zutrittes zum inländischen Arbeitsmarkt ("Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungsehen") an (Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 23 EheG, Stand 01.01.2002, rdb.at).

Die Nichtigerklärung einer Ehe gemäß § 23 EheG stellt keine Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens einer Scheinehe dar und spricht das Unterbleiben einer solchen Nichtigerklärung nicht gegen die Beurteilung einer solchen Ehe (VwGH 21.01.2013, 2012/23/0040).

Einem Fremden, der mit einem in Österreich lebenden, sein unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmenden EU-Bürger aufrecht verheiratet ist (unabhängig davon, ob die Ehe als Scheinehe zu qualifizieren ist), kommt die Rechtsposition als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zu (vgl. VwGH 07.04.2011, 2011/22/0005). Insofern trifft es zwar zu, dass das formell aufrechte Bestehen der Ehe maßgeblich ist. Das steht der Wahrnehmung einer Scheinehe aber nicht entgegen, sondern bedeutet nur, dass sich die Konsequenzen dieser Scheinehe nach den für begünstigte Drittstaatsangehörige geltenden Regeln bestimmen. Insbesondere käme etwa die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach § 67 Abs. 1 FPG, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des begünstigten Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, in Betracht (vgl. VwGH 21.02.2013, 2011/23/0647). Aber auch die Versagung eines Visums ist auf dieser Basis zulässig (vgl. VwGH 19.06.2008, 2007/21/0266; 26.03.2015, Ro 2014/22/0026).

Das Eingehen einer Aufenthaltsehe rechtfertigt die Annahme nach § 67 FPG (vgl. VwGH 22.01.2013, 2011/18/0003; 12.03.2013, 2012/18/0228).

Aufgrund obenstehender Erwägungen steht für das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der entsprechenden Beurteilung durch die belangte Behörde fest, dass es sich bei der zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Gattin geschlossenen Ehe um eine Aufenthaltsehe handelt, die den Zweck verfolgt, dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsmöglichkeit im Bundesgebiet zu verschaffen, wobei keine Absicht bestand und besteht, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen, womit die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gem. § 67 FPG geboten ist, da durch das obgenannte Verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung gefährdet ist (vgl. hiezu VwGH 21.02.2013, 2011/23/0647; 29.03.2012, 2012/23/0023 mwN).

Im konkreten Fall ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bereits aufgrund der Ausweisungsentscheidung im Jahre 2012 gehalten gewesen wäre, das Bundesgebiet zu verlassen, er jedoch unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieb, er mehrfach bei einer illegalen Beschäftigung betreten wurde, er sodann versuchte, im Wege einer Aufenthaltsehe einen Aufenthaltstitel zu erschleichen, woran sich erkennen lässt, dass der Beschwerdeführer beharrlich die österreichische Rechtsordnung missachtet. Bei einer Gesamtbetrachtung aller aufgezeigten Umstände und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes ist von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Ordnung auszugehen.

§ 9 BFA-VG lautet:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Es ist daher nunmehr eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff als verhältnismäßig - auch im Sinne des Art. 8 EMRK - angesehen werden kann:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Entsprechend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) als auch jener des Verfassungsgerichtshofes muss der Eingriff hinsichtlich des verfolgten legitimen Ziels verhältnismäßig sein.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des bzw. der Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (EGMR, Maslov/Österreich, 23.06.2008, 1638/03, RN 63). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration der Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Der Begriff des "Familienlebens" besteht unabhängig vom nationalen Recht (EGMR, Marckx/Belgien, 13. Juni 1979, Serie A Nr. 31, §§ 31 und 69). Folglich gilt, dass die Frage, ob ein "Familienleben" besteht, im Wesentlichen eine Frage der Tatsachen ist und von den tatsächlich bestehenden engen familiären Bindungen abhängt (K./Vereinigtes Königreich, Nr. 11468/85, Kommissionsentscheidung vom 15.10.1986, DR 50). Der Begriff "Familie" in Art. 8 bezieht sich nicht allein auf eheliche Verbindungen, sondern kann auch andere de facto "Familienbande" mitumfassen, wenn die Parteien außerhalb einer Ehe zusammenleben (EGMR, Johnston und andere/Irland, 18.12.1986, Serie A Nr. 112, § 56).

Ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet im oben dargestellten Sinn liegt gegenständlich nicht vor, weil es sich bei der aufrechten Ehe des Beschwerdeführers wie oben dargetan um eine Aufenthaltsehe (Scheinehe) handelt. Sonstige Anhaltspunkte für das Bestehen eines Familienlebens liegen nicht vor.

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

Geht man nun im vorliegenden Fall von einem bestehenden Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich aus, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung zu Lasten des Beschwerdeführers aus und das Aufenthaltsverbot stellt jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dar:

Bei der Beurteilung der Frage, ob er in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).

Der Beschwerdeführer machte zwar geltend, dass er seit mehreren Jahren in Österreich aufhältig sei, als Zeitungszusteller arbeite, über eine Arbeitsplatzzusage und das Mietrecht an seiner Wohnung verfüge, er hier Verwandte und Freunde habe, doch ist dem entgegen zu halten, dass der sehr kurze rechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers von nicht einmal einem Jahr bloß auf einem unberechtigten Asylantrag beruhte. Der überwiegende Teil seines Aufenthaltes war jedoch nicht rechtmäßig, weshalb im Bundesgebiet eingegangene Bindungen nicht schwer wiegen. Zudem hat der Beschwerdeführer den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens in Indien verbracht, wo er aufgewachsen ist und die Schule besucht hat, er Landessprachen spricht, wo er bereits erwerbstätig war und sich seine engere Familie aufhält.

Überdies stellen ein unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet und eine ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung ausgeübte Erwerbstätigkeit eine Gefährdung öffentlicher Interessen dar (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0371) und ist zur Tätigkeit als Zeitungszusteller festzuhalten, dass daraus keine maßgebliche Integration am Arbeitsmarkt abzuleiten ist (vgl. VwGH 11.06.2014, 2013/22/0356). Aus einer Arbeitsplatzzusage ist nicht ein bereits erreichter Grad an Integration in wirtschaftlicher Hinsicht ableitbar, sondern bloß die noch ungewisse Möglichkeit deren künftigen Eintretens. Schließlich geht, was sich schon aus den obigen Ausführungen zum Aufenthaltsverbot ergibt, das Eingehen einer Aufenthaltsehe schwer zu Lasten des Beschwerdeführers.

Auch kann nicht erkannt werden, dass der arbeitsfähige und gesunde Beschwerdeführer im Herkunftsland in Hinblick auf seine materielle Versorgung in eine aussichtslose Situation geraten würde.

Insgesamt betrachtet ist davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig (vgl. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0142; 18.03.2010, 2010/22/0023).

Zur Dauer des Aufenthaltsverbotes:

Zur Befristung des Aufenthaltsverbotes ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall ein Aufenthaltsverbot nach Maßgabe von § 67 Abs. 2 FPG höchstens für die Dauer von zehn Jahren verhängt werden kann.

Wie die belangte Behörde geht auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass unter den Umständen des vorliegenden Falls die höchstzulässige Befristungsdauer von zehn Jahren nicht voll auszuschöpfen ist, allerdings besteht keine Veranlassung, die von der belangten Behörde festgesetzte Befristungsdauer des Aufenthaltsverbotes in der Dauer von vier Jahren zu reduzieren, da die Befristungsdauer von vier Jahren zum dargestellten Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers und der vorgenommenen Gefährdungsprognose in angemessener Relation steht. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes von vier Jahren ist zum Schutz der angeführten öffentlichen Interessen geboten.

Die gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gerichtete Beschwerde erweist sich daher als unbegründet.

Zum Entfall der Beschwerdeverhandlung:

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind im gegenständlichen Fall erfüllt, zumal in den entscheidungswesentlichen Punkten die Beschwerde dem angefochtenen Bescheid nicht ausreichend substantiiert entgegen trat, die Entscheidungsgrundlagen unzweifelhaft vorlagen. (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0316; 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. insb. zur Begründung eines Aufenthaltsverbotes durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe VwGH 22.01.2013, 2011/18/0003; 12.03.2013, 2012/18/0228); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Interessenabwägung, öffentliche Interessen,
Scheinehe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W202.2188479.1.00

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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