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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Sperrzeitenverordnung mangels Legitimation infolge Anhängigkeit von Strafverfahren gegen die Antragstellerin wegen Übertretung der angefochtenen VerordnungSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. a) Gestützt auf Art139 B-VG begehrt die Antragstellerin, die Bestimmungen des "§1 Abs1 litc" und §3 Abs3 der Verordnung des Landeshauptmannes (von Tirol) vom 11. Mai 1995 über die Regelung der Sperrzeiten in den Gastgewerbebetrieben (Sperrzeitenverordnung 1995), LGBl. für Tirol 46/1995, wegen Gesetzwidrigkeit, und zwar insbesondere wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, aufzuheben.
2. a) §1 Abs1 und 2 der (Tiroler) Sperrzeitenverordnung 1995 lauten wie folgt:
"§1
Sperrstunde
(1) Gastgewerbebetriebe sind, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, spätestens um 24.00 Uhr zu schließen.
(2) Abweichend von der Bestimmung des Abs1 sind Gastgewerbebetriebe
a)
in der Betriebsart 'Eisdiele' ('Eissalon') oder 'Branntweinschenke' spätestens um 22.00 Uhr,
b)
in der Betriebsart 'Kaffeehaus' ('Cafe') spätestens um 02.00 Uhr,
c)
in der Betriebsart 'Bar' oder 'Diskothek' spätestens um 04.00 Uhr
zu schließen.
(3) ..."
b) Abs3 des unter der Überschrift "Sonderregelungen für bestimmte Gastgewerbebetriebe" stehenden §3 der (Tiroler) Sperrzeitenverordnung 1995 hat folgenden Wortlaut:
"(3) Gastgewerbebetriebe in der Betriebsart 'Bar' oder 'Diskothek', die ihren Standort in der Landeshauptstadt Innsbruck haben, können bis 6.00 Uhr offengehalten werden."
3. a) Die Antragstellerin bringt vor, sie sei handelsrechtliche und gewerberechtliche Geschäftsführerin einer Betriebsgesellschaft m.b.H., welche außerhalb Innsbrucks einen gastgewerblichen Betrieb in der Betriebsform "Bar" betreibe. Sie ist der Ansicht, die bekämpfte Vorschrift berühre ihre Rechtssphäre deshalb nachteilig, weil sie bei Übertretungen der Sperrzeitenverordnung bestraft wurde bzw. werden könne:
So sei sie als gewerberechtliche Geschäftsführerin wegen Nichteinhaltung der Sperrzeiten mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 7. August 1996 und vom 6. November 1996 nach §370 Abs2 iVm §368 Z9 iVm §152 Abs3 GewO 1994 iVm §1 Abs2 litc Sperrzeitenverordnung 1995 bestraft worden. Beide Verfahren hätten Tatzeiträume zwischen 4.00 Uhr und 6.00 Uhr zum Gegenstand gehabt. Ihre gegen den erstgenannten Bescheid erhobene Berufung sei vom Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol mit Bescheid vom 13. November 1996 dem Grunde nach als unbegründet abgewiesen worden; das Berufungsverfahren gegen den zweitgenannten Bescheid sei derzeit beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol pendent. Auch für den Fall weiteren Zuwiderhandelns müsse die Antragstellerin mit der Verhängung weiterer Verwaltungsstrafen rechnen.
Der Antragstellerin stehe daher kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um sich gegen die rechtswidrige Verordnung zur Wehr setzen zu können.
b) In der Sache erachtet es die Antragstellerin für sachlich nicht gerechtfertigt, zwischen Gastgewerbebetrieben in der Betriebsart "Bar" oder "Diskothek" mit Standort in der Landeshauptstadt Innsbruck und Gastgewerbebetrieben in den angeführten Betriebsformen mit Standort außerhalb von Innsbruck zu differenzieren.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art139 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11684/1988, 13871/1994).
2. Ein solcher zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normenprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, daß besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offenstehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normenprüfungsantrages einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10251/1984). Zwar ist es unzumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um solcher Art Gelegenheit zu bekommen, ein amtswegiges Normenprüfungsverfahren zu initiieren (vgl. zB VfSlg. 12019/1989, 13886/1994). Ist ein Strafverfahren aber ohnehin bereits anhängig, so ist es dem Beschuldigten durchaus zumutbar, den administrativen Instanzenzug auszuschöpfen und sodann beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin seine Bedenken gegen die generelle Norm vorzubringen (vgl. VfSlg. 12019/1989, 13344/1993 und VfGH 14.3.1996, V12/96).
3. a) Der Antrag begehrt - neben §3 Abs3 der (Tiroler) Sperrzeitenverordnung 1995 - §1 Abs1 litc der genannten Verordnung aufzuheben. Eine solche Bestimmung gibt es aber nicht. Aus dem Zusammenhang geht jedoch mit genügender Deutlichkeit hervor, daß sich der Antrag, insoweit er einen Teil des §1 anficht, gegen §1 Abs2 litc richtet. Er ist daher hinreichend genau bestimmt.
b) Dennoch erweist er sich aus folgendem Grund als unzulässig:
Nach dem Vorbringen der Antragstellerin war bzw. ist in ihren Strafsachen ein Verfahren beim UVS Tirol anhängig. Dieser ist dann, wenn er Bedenken gegen die von ihm angewendete bzw. anzuwendende Verordnungsvorschrift hegt, gemäß Art129a iVm Art89 Abs2 erster Satz B-VG verpflichtet, den Antrag auf Aufhebung der Verordnungsstelle beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.
Überdies stand bzw. steht der Antragstellerin im vorliegenden Fall die Möglichkeit offen, nach Erledigung ihrer Berufungen durch den UVS gegen dessen auf die (Tiroler) Sperrzeitenverordnung 1995 gestützten Bescheide beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin ihre Bedenken gegen die Verordnung vorzubringen, was dem Verfassungsgerichtshof, falls er die Bedenken teilt, Gelegenheit zur amtswegigen Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens böte.
Da sohin ein zumutbarer Weg - das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände iSd oben unter Pkt. II.2. wiedergegebenen Rechtsprechung wird von der Antragstellerin nicht behauptet - gegeben ist (bzw. war), die gegen die angefochtene Verordnung sprechenden Bedenken geltend zu machen, ist der Antrag mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.
III. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, VfGH / Formerfordernisse, Gewerberecht, Sperrstunde, Auslegung eines AntragesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:V44.1997Dokumentnummer
JFT_10029390_97V00044_00