Entscheidungsdatum
10.01.2019Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W239 2211907-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde desXXXX, geb. XXXX, StA. Kamerun, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als
unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Kamerun, wurde am 08.11.2018 nach versuchter illegaler Ein- bzw. Weiterreise von Österreich nach Deutschland im österreichischen Bundesgebiet wegen rechtswidrigem Aufenthalt festgenommen und stellte hier vorerst keinen Antrag auf internationalen Schutz.
Zu seiner Person liegen zu Italien ein EURODAC-Treffer der Kategorie 2 vom 20.06.2017 und ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragstellung) vom 05.07.2017 vor.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 09.11.2018 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien.
Am 20.11.2018 stellte der Beschwerdeführer den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er an, der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können; er habe aber einen gebrochenen Daumen. In Österreich oder der EU habe er keine Familienangehörigen oder Verwandten.
Über Nachfrage führte der Beschwerdeführer aus, er habe am 30.01.2017 den Entschluss zur Ausreise gefasst und sei am selben Tag aus seiner Heimat ausgereist. Zuerst habe er nur Kamerun verlassen wollen und sei nach Nigeria gereist. Dort habe er andere Flüchtlinge getroffen, die nach Italien gereist seien, und denen er sich angeschlossen habe. Er sei etwa drei Tage in Nigeria, etwa zwei Wochen im Niger, etwa ein Monat in Algerien und etwa fünf Monate in Libyen gewesen. Von dort sei er nach Italien gelangt, wo er sich etwa 14 Monate aufgehalten habe. Etwa im September 2017 sei er dort eingereist. Er habe in einem Lager gewohnt, habe sich die Hand verletzt und er leide auch an Hepatitis B. Ob er in Italien um Asyl angesucht habe, könne er nicht genau sagen. Es seien ihm jedenfalls die Fingerabdrücke abgenommen worden. Seit 08.11.2018 befinde er sich nunmehr in Österreich; er sei in einen Zug gestiegen und hierher gefahren. Nach Italien wolle er nie wieder zurück. Er wolle in Österreich bleiben und in einem Land leben, in dem die medizinische Versorgung gut sei.
Seine Heimat Kamerun habe der Beschwerdeführer verlassen, weil dort Krieg herrsche und er Angst gehabt habe.
Italien ließ das Aufnahmeersuchen des BFA unbeantwortet. Mit Schreiben vom 26.11.2018 teilte das BFA der italienischen Dublin-Behörde daher mit, dass gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr seit 24.11.10.2018 zur Führung des inhaltlichen Verfahrens zuständig sei.
Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 13.12.2018 im Beisein eines Rechtsberaters die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA statt. Hierbei gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, sich geistig und körperlich dazu in der Lage zu sehen, die Einvernahme durchzuführen. Er sei Staatsangehöriger von Kamerun, seine Muttersprache sei Französisch, er spreche auch Englisch, sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Dokumente könne er keine vorlegen; in Kamerun habe er eine Geburtsurkunde.
Die Angaben, die er bei der Erstbefragung gemacht habe, seien richtig. Er sei im Jänner 2017 aus seiner Heimat ausgereist und über Nigeria, den Niger, Algerien und Libyen nach Italien gelangt. Dort seien ihm die Fingerabdrücke abgenommen worden. Er habe einen Asylantrag gestellt, sei aber dann aus dem Lager geworfen worden. Im Lager sei er etwa ein Jahr gewesen. Er habe keine Entscheidung erhalten, habe aber bei der Polizei eine Einvernahme gehabt.
Nachgefragt, seit wann er von seiner Erkrankung mit Hepatitis B wisse, erklärte der Beschwerdeführer, davon wisse er seit seiner Ankunft in Italien. Auch das Problem mit seiner linken Hand sei in Italien passiert. Er habe sich die Hand in der Türe eingezwickt. Im Lager sei seine Verletzung nicht behandelt worden; er habe vor lauter Schmerzen nicht schlafen können. Am nächsten Tag habe ihn der Leiter des Lagers in ein Krankenhaus gebracht. Der Arzt dort habe ihm erklärt, dass er nichts hätte. Der Beschwerdeführer habe sich wiederholt an den Leiter des Lagers gewandt, sei aber dann aus dem Lager geworfen worden. Seine Verletzung sei erst in Österreich behandelt worden. Hier sei seine Hand geröntgt worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass sie gebrochen sei. Diesbezüglich legte der Beschwerdeführer medizinische Unterlagen vor und erklärte, dass es noch keine Therapie gebe, weil der Stift in seiner Hand noch nicht entfernt worden sei. Er nehme Schmerzmittel. Betreffend seine Hepatitis sei noch keine Behandlung begonnen worden. Er sei diesbezüglich in Österreich auch bei keinem Facharzt gewesen und auch in kein Krankenhaus eingeliefert worden; nur wegen seiner Operation an der Hand sei er im Krankenhaus gewesen. Ob die Erkrankung mit Hepatitis B ansteckend sei, wisse er nicht. Nachgefragt, ob er diesbezüglich in Italien behandelt worden sei, antwortete der Beschwerdeführer, dass man nicht einmal seine Hand behandelt habe. Nach seinem Hinauswurf aus dem Lager habe er zwei Wochen auf der Straße schlafen müssen. Es sei aber richtig, dass die Erkrankung mit Hepatitis B in Italien festgestellt worden sei.
Die Frage, ob er Angehörige oder Verwandte in Österreich habe, verneinte der Beschwerdeführer.
Dem Beschwerdeführer wurde sodann zur Kenntnis gebracht, dass Italien für die inhaltliche Führung seines Verfahrens zuständig sei, weshalb seine Außerlandesbringung dorthin geplant sei. Dazu erklärte der Beschwerdeführer, es gebe nichts Wertvolleres als die menschliche Gesundheit. Wie könne es möglich sein, dass man ihn in Italien aus dem Lager geworfen habe, die Polizei habe sogar ein entsprechendes Dokument in der Hand gehabt, und jetzt wolle man auf einmal, dass er wiederkomme.
Vorgehalten, dass er hier in Österreich medizinisch versorgt worden sei und allenfalls nötige weitere Behandlungen auch in Italien durchgeführt werden könnten, entgegnete der Beschwerdeführer, dass er nicht mehr nach Italien zurückkönne. Sie hätten ihn aus dem Lager geworfen und er habe zwei Wochen auf der Straße leben müssen. Eine Rückkehr nach Italien bedeute für ihn, dass er wieder auf der Straße leben müsse, und zwar bei Schnee und Kälte. Man werde ihn nie wieder in einem Lager aufnehmen. Als festgestellte worden sei, dass er an Hepatitis B leide, sei er nicht behandelt worden. Er habe um eine Behandlung gebeten, aber es sei nichts gemacht worden. Weiter Vorgehalten, dass er bei einer Überstellung nach Italien ein Recht auf medizinische Versorgung und Unterkunft in Italien habe, wiederholte der Beschwerdeführer, dass die Praxis anders sei. Seit seiner Erfahrung mit der Hand glaube er nicht mehr daran. Nachgefragt, ob seine Hand geröntgt worden sei, bestätigte der Beschwerdeführer, dass auch in Italien im Krankenhaus ein Röntgen durchgeführt worden sei. Der Arzt habe dann aber erklärt, dass nichts sei.
Zu den aktuellen Länderfeststellungen zu Italien gab der Beschwerdeführer keine konkrete Stellungnahme ab, wiederholte aber, dass er nicht nach Italien zurückkehren wolle. Die anwesende Rechtsberatung stellte keine Fragen und erstattete kein weiteres Vorbringen.
Vorgelegt wurden folgende medizinische Unterlagen:
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Ärztliches Schreiben des behandelnden Arztes einer Klinik für
Unfallchirurgie: Diagnose: "Bennettluxationsfraktur Basis MC I li. (2 Wochen alt)", Therapie: "Gedeckte Repo. und Anlage eines Gipses, (...) Wiedervorstellung am 15.11.2018 (...), dann ggf. op. Versorgung über den Dienst."
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Ärztlicher Entlassungsbrief, datiert mit 19.11.2018:
Aufnahmegrund: "Handverletzung links", Entlassungsdiagnosen:
"Bennett-Luxationsfraktur Basis MC I links (2 Wochen alt)" [Anm.
BVwG: Fraktur an der Basis des ersten Mittelhandknochens, die bis in das Daumensattelgelenk zieht], Durchgeführte Maßnahmen: "16.11.2018:
Gedeckte Reposition und Stiftfixierung (1,4mm)", Empfohlene
Medikation: "Seractil 300mg, Mexalen 500mg" [Anm. BVwG:
entzündungshemmendes Mittel, Schmerzmittel], Weitere empfohlene
Maßnahmen: "Hochlagerung, Schonung, Kühlung. Trocken und sauber Halten des Gipses. Daumeneinschlussgips für 5 Wochen. Stiftfixierung für ebenfalls 5 Wochen.", Termine, Kontrollen, Wiederbestellung:
"Wundkontrolle einwöchig in der allg. Ambulanz, beginnend mit 28.11.2018 (...), Wiederbestellung bei Schmerzexazerbation od. Infektverdacht jederzeit.", Zusammenfassung des Aufenthalts: "Der Pat. wird am 15.11.2018 mit oben genannter Diagnose stat. aufgenommen. Nach entsprechender präoperativer Vorbereitung kann die oben genannte OP am 16.11.2018 durchgeführt werden. Postoperativ wird der Pat. auf die Kinderstation übernommen. Die Pineintrittsstelle zeigt sich jederzeit trocken und reizfrei, die PDMS intakt. Die Schwellung der linken Hand stetig rückläufig. Die verordnete Analgesie [Anm. BVwG: Schmerztherapie] kann stetig reduziert werden. Die postoperativ durchgeführte Röko [Anm. BVwG:
Röntgenkontrolle] zeigt die korrekte Lage des eingebrachten Kirschnerdrahtes ohne V.a. sekundäre Dislokation im Vergleich zum inoperativen Befund. Während des stat. Aufenthalts wird der hiesige Sozialdienst involviert, um eine weitere Unterbringung des Pat. zu organisieren.", Allergien, Unverträglichkeiten und Risiken: "keine bekannt", Frühere Erkrankungen: "Hepatitis B".
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Aufenthaltsbestätigung des behandelnden Klinikums, datiert mit 20.11.2018: Eintritt am 15.11.2018, Entlassung am 20.11.2018.
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Patientenkarte, Abteilung für Unfallchirurgie, datiert mit 27.11.2018; für den 06.12.2018 wurde ein Kontrolltermin fixiert.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 14.12.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Zur Lage in Italien traf das BFA folgende Feststellungen (Stand:
27.09.2018, unkorrigiert und gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):
Allgemeines zum Asylverfahren
In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 21.3.2018; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).
Laut offizieller italienischer Statistik wurden 2018 bis zum 21. September 42.613 Asylanträge in Italien gestellt. Mit selbem Datum waren 2018 38.512 Anträge negativ erledigt (inkl. unzulässige),
4.756 erhielten Flüchtlingsstatus, 2.838 erhielten subsidiären Schutz, 17.728 erhielten humanitären Schutz. 5.433 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (MdI 21.9.2018).
Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 20.4.2018).
Am 24.9.2018 hat Italiens Regierung ein Dekret verabschiedet, das Verschärfungen im Asylrecht vorsieht. Der Schutz aus humanitären Gründen würde weitgehend abgeschafft werden, besetzte Häuser sollen geräumt werden und deren Bewohnern drohen Haftstrafen. Auch die Regelungen für den Verlust des Schutzanspruchs würden verschärft werden. Das vom Kabinett einstimmig verabschiedete Dekret bleibt unter Juristen jedoch umstritten. Es muss nun vom Präsidenten unterzeichnet und dann innerhalb von 60 Tagen auch noch vom Parlament verabschiedet werden, bevor es in Kraft treten kann. In Anbetracht der umstrittenen Materie, kann es also noch zu einer Abschwächung des Dekrets kommen (NZZ 25.9.2018).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
-
MdI - Ministero dell'Interno (21.9.2018): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail
-
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (25.9.2018): Italien verschärft sein Asylrecht: Der Schutz aus humanitären Gründen wird abgeschafft, https://www.nzz.ch/international/italien-verschaerft-sein-asylrecht-ld.1422862, Zugriff 25.9.2018
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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018
Dublin-Rückkehrer
Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und zumeist auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 21.3.2018).
Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 21.3.2018).
2. Ist das Verfahren des Rückkehrers in der Zwischenzeit positiv ausgegangen, hat er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten (AIDA 21.3.2018).
3. Ist das Verfahren des Rückkehrers noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere Asylwerber auch (AIDA 21.3.2018).
4. Wenn das Verfahren vor endgültiger Entscheidung unterbrochen wurde, etwa weil sich der Antragsteller diesem entzogen hat, und der Betreffende wird von Italien im Rahmen von Art. 18(1)(c) zurückgenommen, wird das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen (EASO 12.2015).
5. Bei Rückkehrern, die unter Art. 18(1)(d) und 18(2) fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, beginnt die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, nachdem der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (EASO 12.2015; vgl. AIDA 21.3.2018).
6. Wurde der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt und hat dagegen nicht berufen, kann er zur Außerlandesbringung in ein Schubhaftlager gebracht werden (AIDA 21.3.2018).
7. Hat sich der Rückkehrer dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen (AIDA 21.3.2018).
(Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3. Dublin-Rückkehrer.)
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
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EASO - European Asylum Support Office (12.2015): Quality Matrix Report: Dublin procedure, per E-Mail
(...)
Non-Refoulement
Das italienische Innenministerium hat explizit bestätigt, dass alle Migranten das Recht haben, vor Refoulement geschützt zu werden und keine Ausweisungen zu erhalten, ohne zuvor korrekt darüber informiert worden zu sein. Die italienische Kooperation mit Libyen im Kampf gegen die Migration über das Mittelmeer ist Gegenstand starker Kritik durch Menschenrechtsorganisationen. Es gibt Berichte über sogenannte Push-backs an der österreichischen Grenze (AIDA 21.3.2018).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
Versorgung
Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 21.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).
Im SPRAR gibt es die Möglichkeit an Jobtrainigsprogrammen teilzunehmen und es werden auch standardisierte Integrationsprogramme für Asylwerber und Schutzberechtigte angeboten. Dazu gehören auch Ausbildungen und Praktika. Diese Art von Integrationsmaßnahmen wird nur im SPRAR angeboten, allerdings auch hier mit regionalen Unterschieden. Berufliche Schulungen oder andere Integrationsprogramme können auch mit nationalen Mitteln (8xmille) oder mit Mitteln des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) über das Innenministerium und NGOs bereitgestellt werden. Die im Rahmen von AMIF finanzierten Projekte sind jedoch in Bezug auf die Dauer der Aktivität und die Anzahl der Projekte sehr begrenzt. Kommunen können auch Berufsausbildungen, Praktika und spezielle Beschäftigungsstipendien finanzieren (borse lavoro), die sowohl Italienern als auch Ausländern offenstehen, einschließlich Asylsuchenden. Die Möglichkeit, an Berufsausbildungen oder Praktika teilzunehmen, ist im Falle von Asylsuchenden, die in Regierungszentren untergebracht sind, erheblich begrenzt. In der Praxis haben Asylwerber Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere, Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 21.3.2018).
Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
-
USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018
Unterbringung
Grundsätzlich sind Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht dieses Recht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Asylwerber können überall in Italien untergebracht werden, je nach Verfügbarkeit von Plätzen und ohne Einspruchsmöglichkeit. Gemäß der Praxis in den Jahren 2016 und 2017 erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione) anstatt sofort nach der erkennungsdienstlichen Behandlung (fotosegnalamento). Zwischen diesen beiden Schritten sind, abhängig von Region und Antragszahlen, Wartezeiten bis zu mehreren Monaten möglich, in denen Betroffene Probleme beim Zugang zu alternativer Unterbringung haben können. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben (AIDA 21.3.2018).
Schätzungen der NGO Médecins sans Frontières (MSF) zufolge, waren im Feber 2018 im ganzen Land mindestens 10.000 Personen von der Unterbringung faktisch ausgeschlossen, darunter Asylwerber und Schutzberechtigte. Sie leben nicht selten in besetzen Gebäuden, von denen mittlerweile durch Involvierung von Regionen oder Gemeinden aber auch viele legalisiert wurden (MSF 8.2.2018). Vertreter des UNHCR, von IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichteten ebenfalls über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 20.4.2018).
Von den in Aufnahmestellen der Regierung untergebrachten Migranten ist ein kleiner Prozentsatz in Zentren untergebracht, die direkt von lokalen Behörden geführt werden und deren Qualität allgemein als hoch gilt, während der Rest in Zentren mit sehr unterschiedlicher Qualität untergebracht ist, unter anderem in alten Schulen, Kasernen und Wohnungen (USDOS 20.4.2018).
Das italienische Unterbringungssystem ist in drei Phasen eingeteilt:
die Phase der unmittelbaren Notversorgung in sogenannten CPSA/Hotspots in den Hauptankunftsorten von Bootsflüchtlingen; die Erstaufnahmephase in großen Zentren (CARA bzw. CDA) bzw. in temporären Strukturen (CAS), wenn keine Plätze verfügbar sind; und schließlich die Zweitaufnahmephase in den sogenannten SPRAR-Unterkünften. Gemäß Gesetz muss die Unterbringung in der Erstaufnahme lediglich grundlegenden Bedürfnissen Rechnung tragen, während sie im SPRAR die individuelle Integration im Fokus haben soll:
(...)
(AIDA 21.3.2018)
Grundsätzlich sollten Antragsteller dieses System "so schnell als möglich" durchlaufen und in SPRAR-Strukturen untergebracht werden. Platzmangel hat aber dazu geführt, dass dies nicht immer eingehalten wird (AIDA 21.3.2018).
Mit Stand 31.8.2018 waren 155.619 Migranten in staatlichen italienischen Unterbringungseinrichtungen untergebracht. (VB 24.9.2018).
CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots
Im Zuge der zunehmenden Migrationsbewegungen in Richtung Europa hat die Europäische Kommission im Mai 2015 zur besseren Steuerung der Migration den sogenannten "Hotspot approach" eingeführt, um in den Hauptankunftsstaaten für Migranten (Griechenland und Italien) eine rasche Identifizierung und Registrierung der ankommenden Migranten zu gewährleisten und die Effektivität der EU-Relocationprogramme zu erhöhen (GDP 18.1.2018).
Personen, die - vor allem auf dem Seeweg - illegal nach Italien gelangen, kommen zunächst in die großen Zentren (CPSA, derzeit formell als Hotspots operativ) in Pozzallo, Trapani und Messina (Lampedusa und Taranto wurden im März 2018 vorläufig geschlossen) und werden dort formell erkennungsdienstlich behandelt und in Asylwerber und Migranten getrennt und entsprechend weiter behandelt - also wenn möglich außer Landes gebracht (eventuell verbunden mit Schubhaft in einem CPR) bzw. in Asylwerberunterkünfte verlegt. Kritiker bezeichnen die Art und Weise wie diese Gruppen identifiziert werden, als oberflächlich (AIDA 21.3.2018).
Der Aufenthalt in den Hotspots soll so kurz als möglich sein und 48 bis 72 Stunden nicht überschreiten, was aber oft nicht eingehalten wird. Kritiker sprechen im Zusammenhang mit dem Aufenthalt in Hotspots von Haft ohne ausreichende gesetzliche Basis und richterliche Anordnung (AIDA 21.3.2018; vgl. GDP 18.1.2018). Personen, die einen Asylantrag gestellt haben, dürfen nach der erkennungsdienstlichen Behandlung (fotosegnalamento) die Hotspots in der Regel zwar ungehindert verlassen und betreten, es wurden in der Vergangenheit aber Verzögerungen bei der Einbringung von Asylanträgen beobachtet, wodurch Antragsteller für Monate in Hotspots bleiben mussten (AIDA 21.3.2018).
Die Gesamtkapazität der Hotspot-Zentren lag im Juli 2017 bei ca.
1.600 Plätzen (GDP 18.1.2018).
CDA (Centri di accoglienza) / CARA (Centri d'accoglienza richiedenti asilo) / CAS (Centri di accoglienza straordinaria)
Zum Unterschied von der Phase der ersten Hilfe und Unterstützung an den Hauptanlandungspunkten von Migration über das Mittelmeer (siehe oben) findet die klassische Erstaufnahme in kollektiven Zentren und - wenn nötig - in temporären Strukturen statt. CDA und CARA sind kollektive Erstaufnahmezentren (AIDA 21.3.2018).
Wenn in anderen Unterbringungsstrukturen temporäre Engpässe herrschen, können CAS als Notunterkünfte, solange als unbedingt notwendig, von den Präfekturen zur Verfügung gestellt werden. Von den CAS sollen die Unterzubringenden im Idealfall dann in SPRAR weitervermittelt werden. Ende August 2017 gab es 9.150 CAS in Italien, 77 davon reserviert für unbegleitete Minderjährige. Anfang Dezember 2017 lebten 151.239 Personen in CAS, das waren 81% des gesamten italienischen Aufnahmesystems (AIDA 21.3.2018).
Erstaufnahmestrukturen sind große Zentren mit sehr vielen Unterbringungsplätzen und bieten eine eher grundlegende Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Basisinformation, Rechtsberatung und medizinischer Notversorgung. Es handelt sich um. Die Qualität der Leistungen, insbesondere bei juristischer und psycho-sozialer Unterstützung, ist jedoch regional unterschiedlich. Die Identifizierung und Betreuung von Vulnerablen lassen oft zu wünschen übrig. In diesen Strukturen ist auf die persönlichen Bedürfnisse der Antragsteller (Alter, Geschlecht, Familienverhältnisse, Vulnerabilität) Rücksicht zu nehmen. In CDA, CARA und CAS gibt es in der Regel ein Taschengeld. Ende November 2017 gab es 15 Erstaufnahmezentren in sieben Regionen Italiens, mit damals 10.738 Untergebrachten (AIDA 21.3.2018).
SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati)
Das SPRAR bietet Unterbringung, Unterstützung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte. Finanziert wird dieses System durch das italienische Innenministerium und die Gemeinden. In der Praxis deckt das SPRAR aber nur rund 20% des Unterbringungsbedarfs in Italien ab. Die SPRAR-Projekte bieten Übersetzungsleistungen, linguistisch-kulturelle Mediation, rechtliche Beratung, Sprachtraining, Einschulung, medizinische Versorgung, sozio-psychologische Unterstützung, Unterstützung Vulnerabler, Jobtrainings, Integrationsberatung sowie kulturelle und Freizeitaktivitäten und ein Taschengeld. Auch im SPRAR kann die Qualität der gebotenen Leistungen regional unterschiedlich sein. Das SPRAR besteht (Stand Feber 2018) aus 876 kleineren dezentralisierten, öffentlich finanzierten Aufnahmeprojekten lokaler Gemeinden und NGOs mit gesamt 35.869 Plätzen. Davon waren 3.488 Plätze in 143 Projekten für unbegleitete Minderjährige und 734 Plätze in 52 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen reserviert. Meist handelt es sich bei den Unterbringungen um Wohnungen (AIDA 21.3.2018).
NGOs
Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von karitativen Organisationen bzw. Kirchen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel. Im April 2017 beherbergten über 500 Familien in Italien einen Fremden. In einer Initiative der Caritas waren im Mai 2017 rund 500 weitere Migranten privat untergebracht (AIDA 21.3.2018).
CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)
Personen, die sich illegal im Land aufhalten und keinen internationalen Schutz beantragen, kommen unter bestimmten Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem Schubhaftzentrum (CPR) infrage. Gleiches gilt für Personen die eine Ausweisung erhalten haben. Italien verfügt über fünf CPR mit zusammen 610 Plätzen; vier weitere CPR sind derzeit inaktiv. Unbegleitete Minderjährige und Vulnerable können nicht in CPR untergebracht werden, Familien hingegen schon. In der Praxis werden aber nur sehr selten Kinder in CPR untergebracht (AIDA 21.3.2018). Wenn Migranten in den Hotspots die Abgabe von Fingerabdrücken verweigern, können sie für max. 90 Tage (30 Tage mit zweimaliger Verlängerungsmöglichkeit) in CPR inhaftiert werden (CoE-CPT 10.4.2018).
Diese Zentren waren vormals unter der Bezeichnung Centri di identificazione ed espulsione (CIE) bekannt (GDP 18.1.2018).
Quellen:
-
AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
-
CoE-CPT - Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10.4.2018): Report to the Italian Government on the visit to Italy carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 7 to 13 June 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428908/1226_1523350206_2018-13-inf-eng-docx.pdf, Zugriff 21.9.2018
-
GDP - Global Detention Project (18.1.2018): Immigration Detention in Italy,
https://www.globaldetentionproject.org/wp-content/uploads/2017/11/GDP-Immigration-Detention-Report-2018.pdf, Zugriff 21.9.2018
-
MSF - Médecins Sans Frontières (8.2.2018): "Out of sight" - Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 19.9.2018
-
USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017: Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430262.html, Zugriff 24.9.2018
-
VB des BM.I Italien (24.9.2018): Bericht des VB, per E-Mail
Dublin-Rückkehrer
Dublin-Rückkehrer die noch nicht in Italien offiziell untergebracht waren, haben Zugang zu Unterbringung. Eine allgemeine Aussage, wie lange es dauert bis tatsächlich ein Platz gefunden ist, ist nicht möglich. Aufgrund von mangelnder Information der Rückkehrer am Flughafen zum Wiedereintritt in das italienische Unterbringungssystem, Fragmentierung des Systems und Platzknappheit, dauert es tendenziell länger. Berichten zufolge kommt es auch vor, dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden und sich daher selbst um ihre Unterbringung - mitunter in Behelfssiedlungen - kümmern müssen. Wenn Rückkehrer in Italien bereits einmal offiziell untergebracht waren und diese Unterbringung einfach verlassen haben, kann dies zu Problemen führen. Wenn diese Personen nach Rückkehr einen Antrag auf Unterbringung stellen, kann dieser von der zuständigen Präfektur abgelehnt werden. Gestützt auf Daten aus dem Jahr 2016, denen auch für 2017 Gültigkeit bescheinigt wird, bezeichnen NGOs den Zugang von Dublin-Rückkehrern, auch von Familien mit Kindern, zu Unterbringung in Italien, als willkürlich (AIDA 21.3.2018). Die NGO Baobab Experience betreibt in Rom ein informelles Migrantencamp und berichtet von einer Zunahme von Dublin-Rückkehrer, Antragstellern die das offizielle Unterbringungssystem verlassen müssen, weil sie die maximale Unterbringungsdauer erreicht haben und Inhabern eines Schutztitels unter den von ihnen Betreuten (MSF 8.2.2018).
Im Sinne des Tarakhel-Urteils des EGMR stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von SPRAR-Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, die als Dublin-Rückkehrer nach Italien zurückkehren. Zuletzt wurde am 4. Juli 2018 ein neuer Rundbrief versendet und die Liste aktualisiert. Diese umfasst nun 19 SPRAR-Projekte mit zusammen 79 Unterbringungsplätzen, welche für die Unterbringung von Familien mit Kindern im Rahmen der Dublin-Rückkehr reserviert sind (MdI 4.7.2018).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
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MdI - Ministero dell'Interno (4.7.2018): Circular Letter, per E-Mail
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MSF - Médecins Sans Frontières (8.2.2018): "Out of sight" - Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 19.9.2018
Medizinische Versorgung
Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann, weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, so lange dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt in den Büros der lokalen Gesundheitsdienste (Aziende sanitarie locali, ASL). Im Zuge der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen:
freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. In der Praxis kann es aber bei der Erneuerung zu Verzögerungen kommen. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist die Sprachbarriere (AIDA 21.3.2018).
Die Wohnsitzmeldung ist für Asylwerber und Schutzberechtigte die größte administrative Hürde für die Registrierung beim nationalen Gesundheitsdienst. Wenn sie aus der Unterbringung ausziehen, wird ihr Wohnsitz dort abgemeldet. Folglich müssen sie sich anderswo melden. Eine Wohnsitzmeldung in einem besetzten Gebäude oder unter einer fiktiven Adresse (wie bei Obdachlosen) ist in der Regel nicht möglich, wenn auch in Rom einzelne Kommunen gelegentlich schon Ausnahmen gemacht haben. Die Folge ist ein zunehmender Rückgriff auf das System der vorübergehend aufhältigen Fremden (Straniero Temporaneamente Presente, STP), das illegal aufhältigen Migranten den Zugang zu medizinischer Notfallbehandlung ermöglicht. Medizinische Behandlung wird vermehrt über die Notaufnahmen der Krankenhäuser in Anspruch genommen. Auch die medizinischen Leistungen von privaten humanitären Organisationen werden immer wichtiger. Diese können aber keine Medikamente zu Kassenkonditionen verschreiben, so dass die von ihnen behandelten Migranten die Medikamente zum vollen Preis kaufen müssen (MSF 8.2.2018).
Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den ASL als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr ("Ticket") bezahlen. Die Praxis ist jedoch nicht im ganzen Land einheitlich, die Befreiung gilt aber überall zumindest für zwei Monate ab Asylantragstellung (=der Zeitraum in dem kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden (AIDA 21.3.2018).
Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes und spezialisierten NGOs zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte und Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 21.3.2018).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (21.3.2018): Italian Council for Refugees (CIR) / Association for Legal Studies on Immigration (ASGI): Country Report: Italy,
http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 3.8.2018
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MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016):
Auskunft MedCOI, per E-Mail
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MSF - Médecins Sans Frontières (8.2.2018): "Out of sight" - Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 19.9.2018
(...)
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, da gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b iVm Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung des Beschwerdeführers ernstlich für möglich erscheinen ließe, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben.
Der Beschwerdeführer leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten. Dazu wurde näher ausgeführt, aus den medizinischen Unterlagen gehe zweifelsfrei hervor, dass der Beschwerdeführer nach seiner in Österreich durchgeführten Operation an linken Handgelenk unter Verordnung von Schonung, Kühlung und Hochlagerung sowie wöchentlicher Kontrollen in häusliche Pflege entlassen worden sei. Er erhalte derzeit Schmerzmittel und sei aktuell in keiner medizinischen Einrichtung untergebracht. Soweit aus der Aktenlage hervorgehe, dass die Entfernung des Stiftes für etwa fünf Wochen nach der Operation angedacht sei, somit etwa Ende Dezember 2018, könne dieser Eingriff bis zur endgültigen Rechtskraft dieser Entscheidung bzw. Durchführung der Außerlandesbringung noch hier in Österreich durchgeführt werden und müsse letztlich die tatsächliche gesundheitliche Situation und Reisefähigkeit bei einer Abschiebung dann ohnedies geprüft werden. Weitere Behandlungen könnten dann auch in Italien durchgeführt werden. Betreffend die behauptete Hepatitis B gebe es keine medizinischen Unterlagen, die diese Erkrankung belegen könnten. Der Beschwerdeführer habe bis dato auch noch keinen Facharzt hier in Österreich aufgesucht. Die gesundheitlichen Probleme könnten daher keinesfalls so schwerwiegend sein, dass eine organisierte Überstellung nach Italien unmöglich wäre. Eine notwendige Behandlung von Hepatitis B könne dann auch in Italien durchgeführt werden.
Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Bindung bestehe. Er habe auch keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden würden. Von daher könne nicht festgestellt werden, dass seine Überstellung nach Italien eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeute.
3. Gegen den Bescheid des BFA vom 14.12.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine Vertretung rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde und hielt fest, dass der Bescheid in vollem Umfang angefochten werde. Gleichzeitig wurde der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Inhaltlich wurde im Wesentlichen gerügt, dass sich das BFA nicht ausreichend mit der gesundheitlichen Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er an Hepatitis B leide. Außerdem habe er sich im Lager in Italien das Daumensattelgelenk gebrochen, wobei diese Verletzung dort nicht behandelt worden sei. Da er in Italien nicht die nötige medizinische Versorgung erhalten habe, habe er Italien verlassen müssen. Hinzu komme, dass er aus dem Lager geworfen worden sei und für zwei Wochen auf der Straße leben habe müssen.
Den vorgelegten medizinischen Schreiben sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an der Hand operiert worden sei und dass der eingesetzte Stift fünf Wochen nach der Operation entfernt werden solle. Das BFA habe nicht geprüft, ob die in Österreich begonnenen fachärztlichen Kontrollen für Asylwerber in Italien gewährleistet seien und ob die in Österreich verordneten Medikamente in Italien verfügbar seien. Auch die Angaben, wonach der Beschwerdeführer an Hepatitis B leide, seien vom BFA überhaupt nicht berücksichtigt worden. Allenfalls hätte eine medizinische Untersuchung angeordnet werden müssen, da eine abschließende Beurteilung darüber, ob eine Überstellung möglich sei und ob fachärztliche Kontrollen für Asylwerber in Italien gewährleistet seien, auf dem aktuellen Wissenstand gar nicht möglich seien.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er in Italien auf der Straße habe leben müssen, decke sich mit den Schilderungen vieler anderer Asylwerber und sei nachvollziehbar. Gegenüber Flüchtlingen werde von den italienischen Behörden eine grundsätzliche Gleichgültigkeit an den Tag gelegt. Es komme zu einer systematischen, notorischen Verletzung fundamentaler Menschenrechte. Mangelnde Versorgung und die Verweigerung von Unterkunftmöglichkeiten seien Realität. Der Verweis des BFA auf die Länderfeststellungen sei daher nicht gerechtfertigt. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien stelle eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK dar.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Kamerun, reiste illegal aus einem Drittstaat (Libyen) kommend über Italien in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein, wo er am 20.06.2017 erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 05.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. In weiterer Folge gelangte er illegal ins österreichische Bundesgebiet, wurde am 08.11.2018 beim Versuch der illegalen Ein- bzw. Weiterreise von Österreich nach Deutschland festgenommen und suchte hier am 20.11.2018 um internationalen Schutz an.