TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/10 W147 1411926-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.01.2019
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Entscheidungsdatum

10.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W147 1411926-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Oktober 2015, Zl: 13-780551907-1008395, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 7. Jänner 2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 55 und 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 10 Asylgesetz 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 164/2013, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 26. Juni 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Nachweis seiner Identität legte der Beschwerdeführer einen russischen Inlandspass vor.

Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, in XXXX geboren zu sein und dem muslimischen Glauben anzugehören. Er habe nach drei Jahren die Volksschule abgebrochen. Er sei ledig und habe zuletzt als Bauarbeiter gearbeitet. Er nehme keine Medikamente; durch diverse Folterungen in Tschetschenien zittere er ständig. Seine Eltern und ein Bruder würden noch in seiner Heimatstadt leben. Ein anderer Bruder müsste im Jahr 2005 ebenfalls in Österreich um Asyl angesucht haben.

Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, sein Bruder habe im Krieg den tschetschenischen Kämpfern geholfen, indem er für sie Essen und Medikamente besorgt habe. Im Jahr 2001 hätten russische Soldaten seinen Bruder verhaftet, doch seine Familie habe 5.000,- US Dollar für seine Freilassung bezahlt. Im Jahr 2004 hätten die Soldaten seinen Bruder neuerlich verhaften wollen, doch sei dieser nicht zu Hause gewesen, deshalb hätten sie ihn, den Beschwerdeführer, sozusagen als Geisel mitgenommen. Er sei einen Monat lang im Gefängnis festgehalten worden; sein Bruder habe sich jedoch nicht gestellt und man habe ihn freigelassen. Bei dem Bruder handle es sich um jenen, der 2005 nach Österreich gekommen sei. Kurze Zeit später sei er auf einer Baustelle wieder verhaftet worden, wobei er zwei Jahre im Gefängnis gewesen sei. Er sei in dieser Zeit gefoltert und befragt worden, wo sich sein Bruder und die tschetschenischen Kämpfer aufhalten würden. Er habe Stromschläge bekommen und sei mit Wasser überschüttet worden. Seine Eltern hätten 10.000,- US-Dollar bezahlt und er sei freigelassen worden. Er habe ein Ausreiseverbot erhalten und einmal im Monat bei der Behörde erscheinen und eine Unterschrift leisten müssen. Da er glaube, dass ihn diese Leute nicht in Ruhe lassen werden, sei er nach Österreich geflüchtet. Im Fall einer Rückkehr habe er Angst, dass das russische Militär ihn wieder verhafte und foltere.

2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 1. Juli 2008 gab der Beschwerdeführer für gegenständliches Verfahren von Relevanz an, seit etwa zwei Jahren an epileptischen Anfällen zu leiden; er zittere auch immer. In Tschetschenien habe er Medikamente gegen die Krämpfe eingenommen; er könne den Namen der Medikamente nicht nennen. In Österreich nehme er derzeit keine Medikamente, aber eine Ärztin habe ihn bereits untersucht. Seine Schwester und sein Bruder seien bereits seit vier oder fünf Jahren in Österreich und hätten ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Seit er in Österreich sei, habe er seine Geschwister nicht gesehen; sie hätten nur telefonischen Kontakt.

3. Am 6. Mai 2009 fand vor dem Bundesasylamt eine ergänzende niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt, in der er zunächst vorbrachte, dass er ein vom Arzt verschriebenes Medikament namens "Depakine Chrono Retard 500 mg" zu sich nehme. Befragt zu seiner Person gab er an, dass er in XXXX aufgewachsen sei. Er habe vier Jahre die Schule besucht. Sein Vater sei Bauarbeiter gewesen; er sei mittlerweile in Pension und arbeite nebenher, wovon die Familie lebe. Seine Mutter sei Hausfrau. Sein Bruder lebe bei den Eltern und sei arbeitslos. Seine Schwester lebe in XXXX und sein Bruder in XXXX . Er habe bis zu seiner Ausreise mit seinem Vater auf Baustellen gearbeitet und habe die Familie von den Einkünften ortsüblich leben können. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er habe noch viele Verwandte im Herkunftsstaat. Er sei ausgereist, da er im Herbst 2002 von russischen Soldaten mitgenommen und eine Woche festgehalten worden sei. Sechs Monate später hätten ihn tschetschenische Soldaten mitgenommen und für zwei Jahre festgehalten. Er sei nach Österreich gekommen, damit sich sein Bruder und seine Schwester um ihn kümmern könnten, da es ihm gesundheitlich schlecht gehe.

Befragt, wann und wo er sich seinen Inlandspass ausstellen habe lassen, gab er an, dass er seinen Pass am Passamt in Grosny habe ausstellen lassen. Das genaue Datum wisse er nicht mehr. Seinen Reisepass habe er nicht selbst abgeholt. Erst in Österreich habe er von seinem Bruder erfahren, dass er einen Reisepass habe. Auf Vorhalt, er habe bei seiner ersten Einvernahme angegeben, nie einen Reisepass erhalten zu haben, erwiderte der Beschwerdeführer, sein Bruder habe ihm erzählt, dass er den Reisepass abgeholt habe, während der Beschwerdeführer im Krankenhaus gewesen sei. Auf Vorhalt, dass der Reisepass bereits im Jahr 2007 ausgestellt worden sei und nicht erst 2008, erklärte er, sich nicht genau erinnern zu können.

Er sei in der Russischen Föderation nicht einen anderen Landesteil umgezogen, da er dort keine Verwandten habe; in Österreich seien seine Schwester und sein Bruder.

Er leide seit seiner ersten Anhaltung, wo er auf den Kopf geschlagen worden sei, an Epilepsie. Er sei deshalb oft im Krankenhaus gewesen. Er habe Spritzen und Medikamente erhalten, wodurch sich sein Zustand gebessert habe, sodass er mit seinem Vater auch "schwarz" am Bau habe arbeiten können. Die Behandlung im Krankenhaus und die Medikamente seien von seinen Eltern bezahlt worden, wobei er nicht wisse, wie viel dies gekostet habe. Seit seiner Einreise in Österreich sei er keiner legalen Beschäftigung nachgegangen, da er auch nicht gesund genug sei um zu arbeiten. Er lebe von der Grundversorgung und wohne derzeit in einem Flüchtlingsheim. Nur seine Schwester und sein Bruder würden in Österreich leben. Er würde gerne zu seinem Bruder ziehen, mit dem er regelmäßigen, persönlichen Kontakt habe; sie würden sich fast jeden Tag sehen. Sein Bruder mache im öfters Geschenke, wenn er kein Geld mehr habe. Er besuche einen Deutschkurs und sei kein Mitglied in einem Verein.

4. Mit Schreiben vom 20. Mai 2009 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er noch immer bei seinem Bruder, der bereits Konventionsflüchtling sei, wohne. Die meiste Zeit befinde er sich bei seinem Bruder oder seiner Schwester zu Hause, da er ohne sie Angst vor einem Anfall habe. Er nehme laufend Medikamente und werde von seiner Familie vorbildlich unterstützt. Er besuche einen Alphabetisierungs- und Deutschkurs.

Der Beschwerdeführer legte hinsichtlich seines Gesundheitszustandes vor:

• Befund von XXXX , FA für Neurologie und Psychiatrie, vom 07.11.2008 sowie vom 27.02.2009, wonach der Beschwerdeführer an Epilepsie leide und der Verdacht auf Agoraphobie (Platzangst) bestehe

• Befund des XXXX vom 03.09.2008, wonach beim Beschwerdeführer eine 1 Zentimeter große simple Pinealiszyste festgestellt wurde

5. Mit Schreiben vom 21.September 2009 legte der Beschwerdeführer ein Schreiben des Ministeriums für Gesundheitswesen der Tschetschenischen Republik vom 26. September 2007 in russischer Sprache vor, wonach er laut Übersetzung vom 15.08.2007 bis 25.09.2007 in einem Sanatorium aufgrund seiner Epilepsie behandelt wurde.

6. Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 30.12.2009 wurde dem Beschwerdeführer die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur medizinischen Versorgung von Epilepsie in Tschetschenien (Russische Föderation) zur Stellungnahme übermittelt. Mit Schreiben vom 15.01.2010 nahm der Beschwerdeführer hiezu Stellung und führte aus, dass die Anfragebeantwortung lediglich allgemeine Ausführungen über die Behandlung von Epilepsie insbesondere in Moskau beinhalte und nicht seine individuelle Lage berücksichtige; da er mit Verfolgungshandlungen zu rechnen habe, würde er keine medizinische Hilfe erhalten. Außerdem werde nicht auf die Kosten und die faktischen "Zuzahlungen" eingegangen. Er sei bereits in der Heimat auf die Unterstützung seiner Verwandten angewiesen gewesen. Seit seiner Flucht habe er keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern oder Verwandten und wisse nicht, wie diese derzeit leben würden. Er nehme derzeit zweimal täglich das Medikament "Depakine Chrono retard". Der Beschwerdeführer verwies abschließend auf verschiedene Berichte über die mangelnde medizinische Versorgung in der Russischen Föderation.

7. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Februar 2010, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Zur Situation im Falle einer Rückkehr führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer an Epilepsie leide und er aufgrund seiner Erkrankung im Herkunftsstaat bereits in ärztlicher Behandlung gewesen sei und sich auch in Österreich in Behandlung befinde. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Zurückweisung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass ihm in Herkunftsstaat die Lebensgrundlage entzogen wäre. Fest stehe, dass im Herkunftsstaat ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und auch zugänglich seien. Der Beschwerdeführer habe als Bauarbeiter gearbeitet und im familieneigenen Haus gelebt. In der Heimat würde er über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen.

Hinsichtlich der Ausweisung wurde ausgeführt, dass aufgrund der mangelnden Intensität der Bindung zu seinen Geschwistern nicht von einem schützenswerten Familienleben gesprochen werden könne und die Ausweisung daher keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Familienleben darstelle. Zudem würden sich keine Anhaltspunkte für die Annahme besonderer sozialer oder wirtschaftlicher Beziehungen in Österreich ergeben. Er lebe in einem Flüchtlingsheim und besuche einen Deutschkurs. Weder arbeite er, noch engagiere er sich ehrenamtlich, er sei kein Mitglied in einem Verein. Die Ausweisung stelle daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

8. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer fristgerecht zur Gänze Beschwerde.

9. Mit Schreiben vom 18. März 2010 brachte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der XXXX hinsichtlich seiner psychologischen Beratung in Vorlage, wonach der Beschwerdeführer erstmals im November und Dezember 2009 bei der psychologischen Abklärung gewesen sei und seit März 2010 wegen seiner Traumatisierungsstörung regelmäßig zur Beratung gehe.

10 Mit Eingabe vom 27. August 2012 legte der Beschwerdeführer diverse Deutschkursbestätigungen vor.

11. Nach Einholung der Einverständniserklärung des Beschwerdeführers wurde mit Beschluss vom 8. Mai 2014, XXXX , FA für Psychiatrie und Neurologie, zum Sachverständigen zur Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens bestellt. Mit diesem Gutachten vom 5. Juni 2014 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer aus neurologischer Sicht an einem epileptischen Anfallsleiden leide, das am ehesten einer Grand-Mal-Epilepsie zuzuordnen sei. Aufgrund der unauffälligen Gehirnstruktur sei von einer ideopathischen generalisierten Epilepsieform auszugehen. Der Beschwerdeführer befinde sich in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung und sei auf ein Antiepileptikum eingestellt, wobei er unter dieser Behandlung seit fünf Jahren anfallsfrei sei. Aus psychiatrischer Sicht finde sich beim Beschwerdeführer eine leichtgradige Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion (ICD-10: F43.21). Zudem leide er an einem einfachen motorischen Tic, nämlich an ruckartigen Kopfbewegungen. Hinweise auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nicht fassbar gewesen. Beim Beschwerdeführer sei weder eine psychische Erkrankung fassbar, die die Verhandlungsfähigkeit einschränken würde, noch eine psychische Störung, die eine höhergradige Gedächtnisstörung beinhalte; er müsste daher in der Lage sein, Erlebtes zwischen 2002 und 2008 wiederzugeben. Lediglich für kurze Zeiträume, zwei bis drei Stunden am Tag, wo der Beschwerdeführer einen epileptischen Anfall erlitten habe, sei eine Nachanfallamnesie, d.h. eine kurze Erinnerungslücke, als möglich zu erachten. An Behandlungen sei die Fortführung der nervenärztlichen, insbesondere der medikamentösen Einstellung indiziert. Bestreffend der Arbeitsfähigkeit wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aus psychiatrischer Sicht für Tätigkeiten mit einfachem geistigem Leistungsvermögen, allgemein üblichen Zeitdruck und durchschnittlicher psychischer Belastung als einsetzbar zu erachten sei. Aus neurologischer Sicht sei er für körperliche Tätigkeiten als geeignet zu erachten mit Ausnahme von Tätigkeiten, die an allgemein exponierten Stellen wie Leitern, Gerüsten, etc. ausgeübt werden, sowie Tätigkeiten an offenen Maschinen.

12. Am 19. November 2014 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (vormals Bundesasylamt) entschuldigt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, dass er bei seinen bisherigen Aussagen die Wahrheit gesagt und habe nichts zu ergänzen habe. An seinen Asylgründen habe sich nichts geändert und er halte seine Beschwerde aufrecht.

Er leide neben Epilepsie an keinen anderen Krankheiten; da er sehr ruhig und zurückgezogen sei, sei er zu einem Psychologen gegangen. Er habe bereits im Herkunftsstaat Medikamente genommen, die ihm aber nicht geholfen hätten; er sei deswegen auch stationär im Krankenhaus sowie in einer Kuranstalt gewesen. Nach Verlesung des Gutachtens vom 05.06.2014 brachte der Beschwerdeführer vor, dass er im Jahr 2014 einen epileptischen Anfall gehabt habe und sieben Tage im Krankenhaus gewesen sei. Der Beschwerdeführer verwies auf den vorgelegten Bericht des XXXX . Er nehme weiterhin Medikamente ein. Er interessiere sich für Arbeit und könnte viele Stellen annehmen. Die physische Belastung könne er ertragen. Sobald er eine Aufenthaltsbewilligung bekomme, werde er seinen Lebensunterhalt selbst verdienen. Nach Verlesung der Auskunft der ÖB Moskau betreffend die Verfügbarkeit des vom Sachverständigen als notwendig erachteten Medikamentes in der Russischen Föderation und die Kostenübernahme im Rahmen der russischen Pflichtversicherung erklärte der Beschwerdeführer, dass die Leute im Internet berichten, keine Hilfe zu erhalten. An Epilepsie erkrankte Personen würden in Tschetschenien seiner Meinung nach keine Medikamente, keine Behandlung und keine finanzielle Unterstützung erhalten. Auf Vorhalt, dass er sowohl in einem Krankenhaus als auch in einem Sanatorium behandelt worden sei, erwiderte er, die Behandlungen selbst bezahlt zu haben bzw. seine Verwandten hätten sie bezahlt. Auf Vorhalt, dass laut Bericht des IOM-BAMF 2013 Epilepsie zum kostenlosen Bezug von Medikamenten berechtige, brachte er vor, schon lange nicht in Tschetschenien gewesen zu sein und daher nicht zu wissen, ob sich etwas geändert habe.

Aufgefordert seinen Lebenslauf zu schildern, gab der Beschwerdeführer an, XXXX in XXXX geboren zu sein, er habe sowohl dort als auch in XXXX gelebt. Er habe nur vier Jahre die Schule besucht und mit 13 oder 14 Jahren begonnen, Bauarbeiten als Hilfsarbeiter mit seinem Vater zu verrichten. Er habe sechs Schwestern, eine Halbschwester und fünf Brüder. Ein Bruder und zwei Schwestern seien in Österreich, wobei der Bruder und eine Schwester anerkannte Flüchtlinge seien und die andere Schwester eine Niederlassungsbewilligung habe; seine Eltern seien noch in Tschetschenien. Er habe noch einen Cousin in Belgien. Auf Vorhalt, dass der Bruder in seinem Verfahren nur drei Geschwister angegeben habe, erklärte der Beschwerdeführer, sein Bruder habe nur einige Geschwister angegeben, weil man ihm vielleicht nicht geglaubt hätte so viele Geschwister zu haben. Die Halbschwester sei die Tochter der zweiten Frau seines Vaters; dieser habe zwei Ehen gleichzeitig gehabt, die zweite Frau sei bereits verstorben. Er spreche Tschetschenisch, schlecht Russisch und ein wenig Deutsch. Sein Vater sei mittlerweile Pensionist und arbeite "nicht offiziell" als Bauarbeiter. Im Herkunftsstaat habe er mit seinen Eltern und Geschwistern im Elternhaus gelebt. Seit etwa zwei Jahren habe er wieder Kontakt zur seiner Familie und den Verwandten im Herkunftsstaat; es gehe ihnen gut.

Er sei nicht aus wirtschaftlichen, gesundheitlichen oder familiären Gründen nach Österreich gekommen. Er wohne alleine in einem Flüchtlingsheim der XXXX , besuche aber oft seine Geschwister. Seine Geschwister würden ihn bitten, bei ihnen zu bleiben, aber er wolle ihnen nicht zur Last fallen. Seine jüngste Schwester lebe bei seinem Bruder. Seine Geschwister würden ihm Kleidung und Geld geben. Er sei seit 2008 in Österreich und habe seither das Bundesgebiet nicht verlassen. Er besitze außer dem asylrechtlichen Aufenthaltstitel kein weiteres Aufenthaltsrecht. Er habe bis jetzt insgesamt etwa 15 Stunden für die XXXX leichte Arbeiten verrichtet. Er habe um Arbeit gebeten, da andere Arbeiten für ihn zu schwer seien, werde er für leichte Arbeiten herangezogen. Ohne Aufenthaltsbewilligung könne er nicht arbeiten. Sein Bruder arbeite seit sechs Jahren und würde ihm bei der Arbeitssuche unterstützen. Er wisse nicht, nach welcher Arbeit er suchen würde, er müsse es erstmal probieren, aber es gebe sicher Arbeit für ihn. Er werde momentan von der XXXX unterstützt. Zurzeit besuche er keinen Deutschkurs, aber der vierte Kurs beginne bald und nach diesem Kurs würde er die A2-Prüfung ablegen. Die A1-Prüfung habe er nicht abgelegt. Der Beschwerdeführer antwortet auf Deutsch, dass er zwei österreichische Freunde habe, mit denen er sich in seiner Freizeit treffe. Ansonsten sei er bei seinen Geschwistern oder lese ein Buch. Die Richterin stellte daraufhin fest, dass der Beschwerdeführer über grundlegende Deutschkenntnisse verfügt. Außer den erwähnten Deutschkursen besuche er keine Kurse oder Ausbildungen. Er sei auch kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation. Er sei strafgerichtlich unbescholten. Die Anzeige wegen versuchten Diebstahls im Jahr 2008 habe keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen.

13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. April 2015, W112 1411926-1/22E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

14. Mit Schreiben vom 20. August 2015 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Fragenkatalog sowie Länderberichte zu seinen Herkunftsstaat und forderte ihn auf, binnen einer Frist von zwei Wochen Stellung zu nehmen und entsprechende Nachweise seiner Integrationsbemühungen vorzulegen.

15. Der Beschwerdeführer legte in weiterer Folge vier Empfehlungsschreiben, einen Befund eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 4. September 2015, einen Arztbrief vom 2. Juli 2014 samt Laborbefund sowie Besuchsbestätigungen von Deutschkursen vor und nahm wie folgt Stellung:

Als Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe könne er in seiner Situation in der Russischen Föderation mit keiner medizinischen Versorgung und Unterstützung rechnen und hätte er jedenfalls mit Diskriminierung und mangelnder Existenzgrundlage zu rechnen.

Er sei bekanntlich beschuldigt worden, mit seinem Bruder - der bereits anerkannter Flüchtling sei - Freiheitskämpfern geholfen zu haben. Inzwischen sei ein anderer Bruder von ihm entführt worden und wisse die Familie bis heute nicht, wo sich dieser befinde. Entsprechende Unterlagen, zwei Vermisstenanzeigen und einen Internetbericht lege er seiner Stellungnahme bei. Dem Beschwerdeführer würde jedenfalls dasselbe Schicksal erwarten.

Diese Informationen würden verdeutlichen, dass ihm eine Rückkehr nicht zumutbar sei. Er befinde sich schon seit langer Zeit in Österreich und habe keinen Bezug mehr zur Russischen Föderation. Seine Familie sei leider ebenfalls in einer prekären Situation und würde er in eine ausweglose und lebensbedrohliche Lage geraten.

Er sei am 26. Juni 2008 unrechtmäßig in Österreich eingereist und habe nie ein Visum oder dergleichen besessen. Er sei weder verheiratet noch habe er Kinder. In Österreich seien sein als Flüchtling anerkannter Bruder und zwei Schwestern aufhältig. Die minderjährige Schwester lebe bei seinem Bruder, die volljährige Schwester habe eine eigene Wohnung. Er sehe alle seine Geschwister regelmäßig. Weitere Familienangehörige habe er keine in Österreich. Sein Freundeskreis umfasse auch österreichische Freunde und habe er Empfehlungsschreiben beigefügt. Er fühle sich in Österreich sehr wohl, habe die Sprache bereits gelernt und Anschluss gefunden. Er habe mehrere Deutschkurse besucht, eine A2 Diplom habe er jedoch nicht erworben. Er sei in einem Ringerverein aktiv und habe einige ehrenamtliche Arbeiten für die Nachbarschaftshilfe absolviert.

Seinen Lebensunterhalt finanziere er durch den Bezug der Grundversorgung und leben in einem Quartier der XXXX .

Eine Rückkehr nach Tschetschenien sei ihm nicht möglich, er wäre ohne Existenzgrundlage und würde mit seiner Krankheit in eine ausweglose Situation geraten. In Österreich fühle er sich sicher und lege hier nach seinem siebenjährigen Aufenthalt sein Lebensmittelpunkt. Er habe, so gut es ihm aufgrund seiner gesundheitlichen Situation möglich war, die Sprache erlernt und möchte hier den Rest seines Lebens verbringen. Er sei strafrechtlich unbescholten.

16. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt II.).

17. Mit Schriftsatz vom 23. November 2015 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid und ficht diesen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang an.

18. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2017, W147 1411926-2/3E, wurde das Verfahren gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, und § 24 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, eingestellt Eine Meldeauskunft sowie ein Auszug aus der Grundversorgung ergaben, dass der Beschwerdeführer nur bis 3. April 2017 im Bundesgebiet gemeldet war und auch im Grundversorgungssystem keine Aktivität und Meldeadresse aufschien. Da sich der Beschwerdeführer dem Verfahren entzog und eine Entscheidung ohne eine Verhandlung nicht erfolgen konnte, war das Verfahren einzustellen.

19. Nachdem sich der Beschwerdeführer wieder im Bundesgebiet gemeldet hatte, wurde das Verfahren mit Beschluss vom 25. Juni 2018, W147 1411926-2/7Z, fortgesetzt.

20. Am 7. Jänner 2019 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die tschetschenische Sprache sowie eines Rechtsberaters eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer neuerlich zu seinen Rückkehrbefürchtungen, Familien- und Privatleben und allfälligen Integrationsaspekten sowie Gesundheitszustand befragt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation und den Ergebnissen der Beschwerdeverhandlung wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist russischer Staatsangehöriger und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Er bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer wuchs in XXXX und XXXX auf, wo er auch zuletzt mit seinen Eltern und Geschwistern im Elternhaus lebte. Der Beschwerdeführer arbeitete bis zu seiner Ausreise als Hilfsarbeiter auf Baustellen. Im Herkunftsstaat leben noch seine Eltern, drei Brüder, vier Schwestern, eine Halbschwester sowie zahlreiche weitere Verwandte väterlicher- und mütterlicherseits.

Im gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt wäre.

Auch unter Berücksichtigung der beim Beschwerdeführer diagnostizierten Epilepsie leidet der Beschwerdeführer nicht an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden. Es besteht auch kein längerer Pflege- oder Rehabilitationsbedarf. Der Beschwerdeführer verfügt in der Russischen Föderation über ein soziales Netz und eine Unterkunft, sodass seine Existenz im Falle einer Rückkehr gesichert ist.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde dem Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , gemäß § 7 AsylG 1997 idgF, der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde der Schwester des Beschwerdeführers, XXXX , gemäß § 11 AsylG 1997 idgF, der Status der Asylberechtigten im Wege der Erstreckung zuerkannt.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom XXXX wurde die Beschwerde der Schwester des Beschwerdeführers, XXXX , gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF, als unbegründet abgewiesen. Ihr wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Geschwistern ein finanzielles oder persönliches Abhängigkeitsverhältnis besteht.

Er ist mit XXXX , W171 1426490-5, seit XXXX standesamtlich verheiratet. Seine Ehegattin hat nach negativem Ausgang ihres fünften Asylverfahrens das Bundesgebiet verlassen und wurde gegen diese neuerlich eine Rückkehrentscheidung getroffen.

Eine ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer bezieht seit seiner Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er ist in keinen Vereinen aktiv tätig und hat sich lediglich Grundkenntnisse der deutschen Sprache angeeignet.

1.2. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 16.5.2018, vgl. IOM 6.2014). Im Unterschied zu den faktisch mono-ethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann (IOM 6.2014).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der die Sicherheitslage zwar angespannt ist, sich in jüngerer Zeit aber verbessert hat. War die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern bei Auseinandersetzungen zwischen "Aufständischen" und Sicherheitskräften in den Jahren 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen, hat die Gewalt in den letzten Jahren abgenommen (AA 21.5.2018). Gründe für den Rückgang der Gewalt sind die konsequente Politik der Repression radikaler Elemente und das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak (ÖB Moskau 12.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. Im Jahr 2006 wurde Muchu Alijew vom Kreml als Präsident an die Spitze der Republik gesetzt. 2013 wurde er von Magomedsalam Magomedow ersetzt. Magomedow war vor allem mit Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert, die auch sein Vorgänger nicht lösen konnte. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramzan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagierte Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew schreckte der Kreml die lokalen Eliten auf. Wassiljew ist keiner von ihnen, er war mit Blick auf das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien wie eine Faust aufs Auge. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden. Im Nordkaukasus hatte er davon Abstand genommen. Immerhin dürfte Wassiljew für ethnische Fragen ein gewisses Gespür mitbringen. Er ist selbst halb Kasache, halb Russe. Wassiljew ist das Gegenmodell zu Kadyrows ungestümer Selbstherrlichkeit. Er ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan - und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht - Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll. Mit Wassiljew tritt jemand mit wirklich direktem Draht zur Zentralmacht im Nordkaukasus auf. Das könnte ihn, zumindest für einige Zeit, zum starken Mann in der ganzen Region machen. Dafür allerdings benötigt er genauso die Akzeptanz der Einheimischen (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef [Abdussamad Gamidow], zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet zur Ausbeutung der wirtschaftlich abgeschlagenen und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängenden Nordkaukasus-Republik. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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