TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/11 W237 2171431-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.01.2019
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Entscheidungsdatum

11.01.2019

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W237 2171431-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2017, Zl. 1051369002-151346684, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, iVm § 11 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste legal mit einem Konventionsreisepass aus Malta nach Österreich und stellte am 08.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des asylrechtlichen Familienverfahrens. Dabei gab er an, Staatsangehöriger von Somalia und am XXXX geboren worden zu sein.

1.1. Am 15.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts die niederschriftliche Erstbefragung zur Familienzusammenführung des Beschwerdeführers statt. In dieser gab der Beschwerdeführer an, im Jahr 2013 subsidiären Schutz in Malta erhalten zu haben. Seine Ehefrau und sein Sohn seien jedoch in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Deswegen sei er im September 2014 mit einem Direktflug aus Malta nach Österreich gekommen, um hier dem gemeinsamen Familienleben nachgehen zu können.

1.2. Am 17.11.2015 und 28.01.2016 fanden Einvernahmen mit dem Beschwerdeführer im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit zur Führung des Asylverfahrens nach der Dublin III-VO statt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies daraufhin den Antrag auf internationalen Schutz vom 08.09.2015 mit Bescheid vom 20.02.2016 als unzulässig zurück, weil für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz Norwegen zuständig sei. Das Bundesamt ordnete unter einem die Außerlandesbringung an und erklärte die Abschiebung nach Norwegen für zulässig. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht - nach einem erfolglosen Abschiebeversuch am 14.04.2016 - mit Beschluss vom 12.05.2016 statt, behob den angefochtenen Bescheid und ließ das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zu.

1.3. Am 05.07.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache niederschriftlich zu den inhaltlichen Gründen für seine Asylantragstellung einvernommen.

Der Beschwerdeführer legte dabei die Geburtsurkunde seines älteren Sohnes, einen Auszug aus dem Geburtsregister seines jüngeren Sohnes, seine Heiratsurkunde und eine Kursbesuchsbestätigung einer VHS vom 24.08.2016 vor.

Der Beschwerdeführer gab an, der Volksgruppe der "Sheikhal, Lobogi, Caagane" anzugehören. Dieser Clan sei ein kleiner Minderheits-Clan, dessen Angehörige Landwirte und sehr religiös seien; der Beschwerdeführer sei sunnitischer Moslem. Er könne nur in seinem Heimatort leben, weil er sonst mit anderen Clans Probleme bekommen würde. Woanders habe er keine Familie und könne deshalb dort nicht wohnen.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass er in Österreich mit seiner Frau und seinen Kindern leben würde. Er habe in Wien ehrenamtlich für die Dauer von zwei Monaten zweimal wöchentlich Essen an Obdachlose verteilt oder gekocht.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er sein Heimatland aus zwei Gründen verlassen habe. Erstens habe er einer Minderheit angehört. Der zweite Grund liege in der Terrrormiliz Al-Shabaab. Mit 13 Jahren sei der Beschwerdeführer in die Schule gegangen. Die Mitschüler hätten ihn geschlagen, diskriminiert und beschimpft. Der Beschwerdeführer habe sich deswegen beim Schulhalter beschwert, welcher ihm aber nicht habe helfen können. Sein Vater habe gemeint, dass er besser mit der Schule aufhören und bei ihm auf der Farm und den Tieren mitarbeiten solle. Das habe der Beschwerdeführer dann auch gemacht. Im Februar 2011 seien bewaffnete Männer auf die Farm gekommen, hätten gedroht und die Tiere einfach mitgenommen. Im Oktober desselben Jahres sei der Beschwerdeführer in die Stadt gefahren, um einzukaufen. Die gleichen Männer, die die Kamele Monate zuvor gestohlen hätten, seien wiedergekommen und hätten der Familie auch noch die Landwirtschaft selbst weggenommen. Als der Vater sich geweigert habe, hätten die Männer ihn erschossen. Nachdem sie die Mutter des Beschwerdeführers geschlagen hätten, sei sie aufgefordert worden, die Farm zu verlassen und ihrem Sohn auszurichten, dass er auch getötet würde, sollte er zurückkommen.

Der Onkel des Beschwerdeführers habe ihm zwar nicht helfen können, der Beschwerdeführer habe aber angefangen, beim Onkel im Friseurgeschäft zu arbeiten. Nach zwei Monaten seien drei Männer gekommen und hätten dem Onkel mitgeteilt, dass sie dieses Geschäft brauchen würden. Diese Männer hätten gemeint, es sei besser, wenn der Beschwerdeführer und sein Onkel das Geschäft verlassen würden, weil sie sie sonst umbrächten. Der Beschwerdeführer gab an, dass er in der Folge eine Art Kino eröffnet habe. Die Al-Shabaab hätten aber ein neues Gesetz erlassen, in welchem sie dies verboten hätten. Aus Angst habe der Beschwerdeführer das Kino bloß versteckt für zwei Stunden am Abend geöffnet. Eines nachts seien vier maskierte Männer gekommen, hätten die Türe aufgebrochen und mit einem Gewehr auf den Fernseher geschossen. Die anwesenden Leute seien weggelaufen, der Onkel des Beschwerdeführers sei jedoch von einer Kugel erwischt worden. Die Männer hätten den Beschwerdeführer festgehalten und in ein Gefängnis gebracht. In einem Raum seien drei Scheichs, die Richter der Al-Shabaab, gesessen. Sie hätten dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er als Strafe für die verbotenen Filmvorführungen enthauptet werde. Während der drei Tage, die der Beschwerdeführer im Gefängnis verbracht habe, sei jeden Tag jemand getötet worden. Neun andere Männer und er hätten es dann geschafft, die Türe mit Gewalt aufzubrechen. Da sie in alle Richtungen davongelaufen seien, hätten die Wächter sie nicht aufhalten können. Fremde Leute hätten dem Beschwerdeführer zunächst Unterschlupf gewährt; am nächsten Tag sei er nach Beletweyne gereist und sodann über die äthiopische Stadt Jigjiga ausgereist.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 01.08.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. ab (Spruchpunkt II.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde hingegen als auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 2 leg.cit. eine Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde erachtete das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers mit näherer Begründung als nicht glaubhaft. Ergänzend führte die Behörde aus, dass die Volksgruppe Sheikhal mit anderen Clans in verschiedenen Regionen Somalias friedlich zusammenlebe. Die Sheikhal gälten allgemein als religiös und seien wegen ihres besonderen religiösen Status als Nachkommen des Propheten beschützt. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Somalia einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Aufgrund des Familienlebens mit seiner Frau und seinen minderjährigen Söhnen, die allesamt in Österreich den Status von subsidiär Schutzberechtigten erhalten hätten, sei die Ausweisung des Beschwerdeführers auf Dauer unzulässig; es lägen in seinem Fall nur die Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung vor.

3. Der Beschwerdeführer erhob gegen die Spruchpunkte I. und II. Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Im Wesentlichen monierte er dabei, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aktuelle Länderberichte außer Acht gelassen habe, laut welchen die Al Shabaab weiterhin in ganz Somalia präsent sei. Als Angehöriger einer Minderheit stehe der Beschwerdeführer im besonderen Fokus der Al Shabaab. Die humanitäre Situation in ganz Somalia gebiete zumindest die Erteilung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

3.1. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 25.09.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.12.2018 in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertreterin, zwei Vertretern des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und eines Dolmetschers für die somalische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

In dieser gab der Beschwerdeführer über seine Rechtsvertreterin zunächst bekannt, die Beschwerde betreffend Spruchpunkt II. des Bescheids vom 01.08.2017 zurückzuziehen.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er Angaben bezüglich seiner Niederschrift klarstellen wolle. Er gehöre dem Clan der Sheikhal, Subclan Lobogi, Subsubclan Caagane, an. In der Niederschrift sei dokumentiert worden, dass die Sheikhal eine Minderheit darstellten. Sheikhal lebten zwar überall in Somalia, sie stellten aber in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers eine Minderheit dar. Bei einer möglichen Rückkehr habe er nicht nur Angst, von der Terrormiliz Al Shabaab getötet zu werden, sondern er fürchte auch jene Personen, die seinen Vater umgebracht und die Felder der Familie übernommen hätten. Die Sorge dieser Leute sei nämlich, dass der Beschwerdeführer Klage gegen sie einreichen könnte, gäbe es in Zukunft einmal eine gerechte somalische Regierung. Sie würden sich auch davor fürchten, dass der Beschwerdeführer Rache üben könnte.

Zu seinen persönlichen Hintergründen befragt gab der Beschwerdeführer an, in einem Dorf namens Ceel Cali in der Provinzverwaltung von Beletweyn geboren und aufgewachsen zu sein. Nur seine Familie habe den Sheikhal angehört. Die Sheikhal seien eine religiöse Gruppe und arbeiteten auch als Bauern. Er persönlich sei in keiner Weise religiös. Sein Vater habe sich zwar zur Religion bekannt, aber beruflich damit nichts zu tun gehabt. Ceel Cali liege ca. 75 km südwestlich von Beletweyn in der Provinz Hiiraan, jedoch fast schon an der Grenze zur Provinz Bakool. Es gebe in Ceel Cali weder einen Fluss noch liege die Ortschaft am Meer, sie sei jedoch für einen Brunnen bekannt. Die Bewohner seien meistens Bauern und Viehzüchter. Hauptsächlich lebten dort Gaal'Jecel und ein paar Hawadle. Der Beschwerdeführer gab an, nie in einer anderen Gegend gewesen zu sein; er wisse aber, dass in Beledeweyn der Fluss Shabelle fließe.

Aufgrund von Problemen in der Schule habe er diese nur vier Jahre besuchen können. Er hätte in Somalia den Beruf des Frisörs von seinem Onkel gelernt, eine spezifische Berufsausbildung gebe es dafür in Somalia aber nicht. Der Beschwerdeführer habe schon früh seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Er sei bei seinen Eltern aufgewachsen; Geschwister habe er keine, allerdings habe auch ein Onkel in Ceel Cali gelebt. Sein Vater und sein Onkel seien getötet worden. Seit Anfang April 2012, als er Somalia verlassen habe, habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner Mutter mehr, weil seine Mutter kein Telefon besitze. Die Familie des Beschwerdeführers habe in finanzieller Hinsicht der Mittelschicht angehört, zumal sie eine Landwirtschaft und Kamele besessen habe.

Der Beschwerdeführer gab weiters an, in Österreich geheiratet und zwei minderjährige Söhne zu haben; diese Familienangehörigen seien subsidiär schutzberechtigt. Seine Frau würde zurzeit ein Mädchen erwarten. Der Bruder seiner Frau gehöre dem Clan der Hawiye an und lebe in Mogadischu; seine Frau habe ab und zu telefonischen Kontakt zu ihm, der Beschwerdeführer selbst pflege keinen Kontakt zu seinem Schwager.

Zu seinem Fluchtgrund befragt erstattete der Beschwerdeführer daraufhin ein zu seinen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 05.07.2017 gleichlautendes Vorbringen und beantwortete auf einzelne Punkte dieses Vorbringens gerichtete Fragen des erkennenden Richters, eines Behördenvertreters sowie seiner Rechtsvertreterin. Seitens der Behörde wurde bezüglich der behaupteten Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wegen seiner Clanzugehörigkeit auf das ins Verfahren eingeführte Länderinformationsmaterial verwiesen, aus welchem hervorgehe, dass der Clan der Sheikhal traditionell respektiert und auch von anderen Clans geschützt werde. Außerdem habe sich der Beschwerdeführer nach den ersten Verfolgungshandlungen über Monate hinweg weiter in seinem Herkunftsort aufgehalten und keine Fluchtversuche unternommen. Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers sei eine innerstaatliche Fluchtalternative sowohl in der Stadt Beletweyn als auch in der somalischen Hauptstadt Mogadischu gegeben; beide Städte verfügten über einen öffentlichen Flughafen und es lebe in Mogadischu zudem ein weitschichtiger Verwandter des Beschwerdeführers.

Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers entgegnete dem Vorhalt des Referenten der belangten Behörde, wonach es aus seiner Sicht nicht nachvollzogen werden könne, dass der Beschwerdeführer trotz der bereits langen Verfolgung auf Grund seiner Clanzugehörigkeit nicht bereits früher geflüchtet sei, dass der Beschwerdeführer ein Einzelkind gewesen sei und sich mit Hilfe seines Einkommens um seine Familie gekümmert habe. Es sei nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer erst geflüchtet sei, als er zusätzlich ins Visier der Al Shabaab geraten sei. Aus den Länderinformationen gehe zudem hervor, dass auch Angehörige "starker Clans" zu Minderheiten werden könnten. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet lebten, in dem ein anderer Clan dominant sei; dies treffe im gegenständlichen Fall zu.

Zu den mit der Ladung zu Verhandlung übermittelten Länderfeststellungen erstattete der Berschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme, die er über seine Rechtsvertreterin in der Verhandlung vorlegte. Darin bringt er u.a. vor, es stehe ihm in Somalia keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da die Al Shabaab auch in Mogadischu "jedenfalls präsent" sei und über ein Netzwerk von Spionen verfüge. Ein Leben im Untergrund in der ständigen Angst vor der Al Shabaab sei zudem auch nicht zumutbar. Durch den erkennenden Richter wurden in der Verhandlung weitere Berichte betreffend die Sicherheitssituation in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, den Clan der Sheikhal sowie die Sicherheits- und Versorgungssituation in Mogadischu in das Verfahren eingeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter Pkt. I dargelegte Verfahrensgang wird zum Inhalt der Feststellungen erhoben.

1.2. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger und gehört dem Clan der Sheikhal, Subclan Lobogi, Subsubclan Caagane, an; er bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Der Beschwerdeführer wuchs gemeinsam mit seinen Eltern in der Ortschaft Ceel Cali in der südsomalischen Provinz Hiiraan auf und lebte dort bis zu seiner Ausreise im April 2012 aus Somalia. In dieser Ortschaft wohnte auch ein Onkel des Beschwerdeführers und betrieb ein Frisörgeschäft. Ab dem 13. Lebensjahr besuchte der Beschwerdeführer vier Jahre die Schule, danach half er seinem Vater auf der familieneigenen Landwirtschaft in der Umgebung von Ceel Cali.

Im Februar 2011 erschienen sechs Brüder einer dem örtlichen Mehrheitsclan Gaal'Jecel zugehörigen Familie und enteigneten dem Vater des Beschwerdeführers unter Waffengewalt acht Kamele. Im Oktober 2011 erschienen diese Männer erneut auf dem Feld und wollten dieses zur Gänze in Besitz nehmen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nur die Eltern des Beschwerdeführers auf dem Feld, worauf ein Streit mit den Männern entbrannte und der Vater des Beschwerdeführers erschossen wurde. Die Mutter lief zurück nach Ceel Cali, wo sich zu diesem Zeitpunkt der Beschwerdeführer befand. Nachdem sie ihm von dem Vorfall erzählte und ihn vor den Männern warnte, kehrte der Beschwerdeführer nicht mehr auf das Feld zurück. Um ein weiteres Einkommen für sich und seine Mutter zu erwirtschaften, arbeitete der Beschwerdeführer in der Folge ungefähr zwei Monate bei seinem Onkel im Frisörgeschäft. Danach erschienen allerdings drei Verwandte jener Männer, die den Vater des Beschwerdeführers getötet hatten, und übernahmen das Frisörgeschäft.

Von seinen Ersparnissen eröffnete der Beschwerdeführer daraufhin mit seinem Onkel eine Art Kino, das aus einem Fernseher und Bänken in einem abgedunkelten Raum bestand und in dem einmal pro Abend ein Film gezeigt wurde. Dies fand heimlich statt, weil die Ceel Cali kontrollierende Terrormiliz Al Shabaab Filmvorführungen untersagte. Drei Monate nach Eröffnung des Kinos traten während einer Filmvorführung auf einmal vier Männer der Al Shabaab die Türe des Kinos ein und schossen auf den Fernseher sowie in die flüchtende Menschenmenge; dabei wurde der Onkel des Beschwerdeführers tödlich verwundet. Der Beschwerdeführer selbst wurde festgenommen und eingesperrt. Am nachsten Tag wurde er durch einen Richter der Al Shabaab zum Tod durch Enthauptung verurteilt. Anschließend war der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Häftlingen noch drei Tage in einer Wellblechhütte eingesperrt, die durch zwei Aufseher der Al Shabaab bewacht war. In der Nacht des dritten Tages konnte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinen Mitgefangenen die Tür aufstoßen und damit die beiden Wärter überrumpeln. Sämtliche Gefangene liefen in unterschiedliche Richtungen davon; die Wärter gaben dabei zwar Schüsse ab, der Beschwerdeführer wurde jedoch nicht getroffen und konnte sich verstecken. Mit der Hilfe einer Familie, bei der er die Nacht verbrachte, konnte er die Provinz Hiiraan umgehend über die Stadt Beletweyne verlassen und gelangte mit einem Tranporter in die äthiopische Grenzstadt Jigjiga. Von dort aus trat er seine Flucht nach Europa an.

1.2.2. In Österreich hat der Beschwerdeführer eine Ehefrau und zwei minderjährige Söhne, die allesamt subsidiär schutzberechtigt sind. Die Ehefrau des Beschwerdeführers steht mit ihrem Bruder, der dem Mehrheitsclan der Hawiye zugehörig ist und in der somalischen Hauptstadt Mogadischu lebt, in unregelmäßigem telefonischen Kontakt. Der Beschwerdeführer ist gesund, leidet aber an Schlafstörungen und nimmt regelmäßig Schlaftabletten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):

SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update,

http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Quellen:

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

Süd-/Zentralsomalia

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensiven mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf.

Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts anderes übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (NHRC 10.12.2017a).

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten: Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).

Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).

Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017

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BBC (22.12.2017): Who are Somalia's al-Shabab?

http://www.bbc.com/news/world-africa-15336689, Zugriff 5.1.2018

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (6.11.2017): The World Factbook

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Somalia,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html, Zugriff 10.11.2017

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DS - Der Standard (2.12.2017): Neue Bilanz: Mehr als 500 Tote bei verheerendem Anschlag in Mogadischu, http://derstandard.at/2000068930378/Neue-Bilanz-Mehr-als-500-Tote-bei-verheerendem-Anschlag-in?ref=rec, Zugriff 21.12.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

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ICG - International Crisis Group (20.10.2017): Managing the Disruptive Aftermath of Somalia's Worst Terror Attack , http://www.refworld.org/docid/59e9b7e74.html, Zugriff 11.11.2017

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ICRC - International Committee of the Red Cross (ICRC) (23.5.2017): Annual Report 2016 - Somalia, http://www.refworld.org/docid/59490dab2.html, Zugriff 11.11.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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