TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/11 W215 2161923-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.01.2019
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Entscheidungsdatum

11.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W215 2161923-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX, Staatsangehörigkeit Bundesrepublik Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, Zahl 1050666307-150085840, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.12.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG, § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017,

§ 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,

BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer war mit einem Zugticket von Venedig nach München unterwegs, als er am 23.01.2015 wegen seines illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet angehalten wurde. Daraufhin wies er sich mit einem gefälschten italienischen Fremdenpass aus, bei dem es sich um eine Totalfälschung handelt. Erst nachdem das gefälschte Dokument sichergestellt worden war, stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am selben Tag erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers und dieser gab nach seinem Fluchtgrund gefragt zusammengefasst an, dass er aus einer extrem armen Familie stamme, welche keine Rechte in Somalia hätte. Der Beschwerdeführer werde von anderen Stämmen bedroht und geschlagen, sei deshalb zur Polizei gegangen, wo er ebenfalls misshandelt worden sei, wovon er sichtbare Verletzungen am linken Oberarm davongetragen, bevor man ihn rausgeschmissen, habe. Der Beschwerdeführer fürchte in Somalia von anderen Stämmen umgebracht zu werden. In Italien habe sich der Beschwerdeführer neun Tage aufgehalten, aber keinen Asylantrag gestellt, weil die dortige Lage sehr schlecht sei.

Der Beschwerdeführer wurde am 24.05.2017 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt. Er gab nach seinem Fluchtgrund gefragt zusammengefasst an, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er als Angehöriger des Clans der Gabooye diskriminiert worden sei. Sein Vater sei nach einer körperlichen Auseinandersetzung mit zwei Männern Anfang Juni 2013, diese hätten dem Vater dessen Lohn nicht bezahlen wollen, auf dem Weg ins Krankenhaus an einem Asthmaanfall verstorben. Der Beschwerdeführer sei, nachdem er eine Anzeige bei der Polizei gemacht habe, dort körperlich misshandelt und einen Tag inhaftiert worden. Der Beschwerdeführer habe als Schuhputzer gearbeitet und andere Jugendliche hätte nichts mit ihm zu tun haben wollen. Er sei von anderen Jugendlichen geschlagen worden. Nachdem ihm Jugendliche am 08.06.2013 seine Tageseinnahmen weggenommen hätten, habe er einen davon mit einem Nagel gestochen, daraufhin sei der Beschwerdeführer in Haft genommen worden. Seine Mutter habe den Beschwerdeführer am nächsten Tag, nachdem sie US-$ 50.- bezahlt habe, aus dem Gefängnis geholt und ihm

US-$ 100.- gegeben; mit diesem Geld habe der Beschwerdeführer die Bundesrepublik Somalia verlassen.

Mit Urteil eines österreichischen Landesgerichts vom XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs. 2, 224 StGB verurteilt und gemäß § 13 Abs. 1 JGG der Ausspruch einer zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von zwei Jahren vorbehalten.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2017, Zahl 1050666307-150085840, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somaliland/Somalia (Spruchpunkt II.) abgewiesen, sowie dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß

§ 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somaliland/Somalia zulässig ist (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 01.06.2017, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 13.06.2017 die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers glaubhaft sei und der Beschwerdeführer wegen seiner Clanzugehörigkeit im Herkunftsstaat verfolgt wird.

2. Die Beschwerdevorlage vom 16.06.2017 langte am 20.06.2017 im Bundesverwaltungsgericht ein.

Auf Grund eines Fristsetzungsantrages wurde dem Bundesverwaltungsgericht mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2018, Zahl

Fr 2018/20/0036-3, eingelangt im Bundesverwaltungsgericht am 23.10.2018, gemäß

§ 38 Abs. 4 VwGG aufgetragen, binnen drei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 18.12.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt. Es erschienen der Beschwerdeführer und sein Rechtsanwalt. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich mit Schreiben vom 29.10.2018 für die Verhandlung entschuldigt und die Übermittlung der Verhandlungsschrift beantragt. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Der Beschwerdeführer und sein Rechtsanwalt verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Identität und das tatsächliche Alter des Beschwerdeführers können nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Somalia, moslemischem (sunnitischen) Glaubens und stammt aus XXXX Somaliland.

2. Es kann weder festgestellt werden, wann der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat verlassen hat und auf welcher Reiseroute der Beschwerdeführer tatsächlich mit welchen Verkehrsmitteln nach Europa reisen konnte noch, wie lange die Reise tatsächlich gedauert hat. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer für sein Zugticket von Venedig nach München und den verwendeten gefälschten italienischen Fremdenpass nichts bezahlen musste. Zudem kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus der Bundesrepublik Somalia als Schuhputzer und/oder Schuhmacher gearbeitet hat und ebenso wenig, dass er Schuhe repariert hat. Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer dem Clan der Gabooye angehört noch, dass er die Bundesrepublik Somalia verlassen hat, weil er wegen seiner Clanzugehörigkeit von Jugendlichen und/oder der Polizei diskriminiert und misshandelt wurde. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Somaliland zwei Mal von der Polizei inhaftiert wurde. Ebenso wenig, dass die Mutter des Beschwerdeführers den Beschwerdeführer aus einer polizeilichen Haftaufenthalte für US $ 50.- freigekauft hat.

3. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder Mann im arbeitsfähigen Alter, der in der Bundesrepublik Somalia immer in Somaliland gelebt hat. Der Beschwerdeführer hat vor der Ausreise im Elternhaus gelebt, ist in Somaliland zur Schule gegangen und alle Familienangehörigen leben nach wie vor dort. Der Beschwerdeführer konnte mit Hilfe seiner Familie immer seinen Lebensunterhalt erwirtschaften und sogar die Reise nach Österreich finanzieren.

4. Der ledige, kinderlose Beschwerdeführer wurde am 23.01.2015 wegen seines illegal Aufenthaltes in Österreich aufgegriffen. In Österreich leben keine Angehörigen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat in Österreich einen Schulabschluss und konnte sich im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.12.2018 in Deutsch verständlich machen. Der Beschwerdeführer macht derzeit XXXX.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird festgestellt:

Allgemein

Somalia entstand im Jahr 1960 aus dem Zusammenschluss von Britischund

Italienisch-Somaliland. 1969 kam Mohamed Siad Barre mittels eines Putsches an die Macht, bis er 1991 von bewaffneten oppositionellen Gruppen gestürzt wurde. Darauf folgte ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Clan-Warlords. Kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs erklärte Somaliland einseitig seine Unabhängigkeit, die aber von keiner ausländischen Regierung anerkannt wurde. Puntland erklärte sich im Jahr 1998 zu einem autonomen Staat, strebt aber in Gegensatz zu Somaliland keine Unabhängigkeit an (Accord 31.10.2018).

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt:

a) In Süd- und Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der vom VN-Sicherheitsrat mandatierten Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM (African Union Mission in Somalia) gegen die radikalislamistische, al-Qaida-affiliierte al-Schabaab-Miliz. Die Gebiete sind nur teilweise unter der Kontrolle der Regierung, wobei zwischen der im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkten Kontrolle der somalischen Bundesregierung und der Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete durch die Regierungen der föderalen Gliedstaaten Somalias, die der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen, unterschieden werden muss. Weite Gebiete stehen aber auch unter der Kontrolle der al-Schabaab-Miliz oder anderer Milizen. Diese anderen Milizen sind entweder entlang von Clan-Linien organisiert oder, im Falle der Ahlu Sunna Wal Jama'a, auf Grundlage einer bestimmten religiösen Ausrichtung. Zumindest den al-Schabaab-Kräften kommen als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu.

b) Der so genannte Puntland State of Somalia, der das Horn von Afrika im engeren Sinne umfasst, hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an und ist einer der fünf offiziellen föderalen Gliedstaaten Somalias, wenngleich mit größerer Autonomie. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden. Al-Schabaab kontrolliert hier keine Gebiete mehr, sondern ist nur noch in wenigen schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, ebenso wie der somalische Ableger des sog. "Islamischen Staats". Stammesmilizen spielen im Vergleich zum Süden eine untergeordnete Rolle. Allerdings ist die Grenzziehung im Süden sowie im Nordwesten nicht eindeutig, was immer wieder zu kleineren Scharmützeln, im Süden auch zu schwereren gewaltsamen Auseinandersetzungen führt.

c) Das Gebiet der früheren Kolonie Britisch-Somaliland im Nordwesten Somalias hat sich 1991 für unabhängig erklärt, wird aber bisher von keinem Staat anerkannt. Allerdings bemühen sich die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit. Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wurde durch die mehrfache Verschiebung der Parlamentswahlen und schwerwiegende Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Abkommen zum Betrieb des Hafens von Berbera auf die Probe gestellt. Mit der für Mitte November erwarteten Präsidentschaftswahl dürfte der demokratische Prozess jedoch wieder an Momentum gewinnen. Al-Schabaab kontrolliert in Somaliland keine Gebiete. Die Grenze zu Puntland ist allerdings umstritten.

Vor diesem Hintergrund ist zu beinahe allen folgenden Abschnitten eine Dreiteilung notwendig. Grundsätzlich gilt, dass die vorhanden staatlichen Strukturen sehr schwach sind und wesentliche Staatsfunktionen von ihnen nicht ausgeübt werden können. Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden.

ad c) Somaliland

Somaliland setzt sich weiterhin für Demokratie ein, aber es gibt nach wie vor erhebliche Herausforderungen. Während Süd- und Zentralsomalia zeitweilig von gewalttätigen Konflikten betroffen sind, hat sich Nordsomalia anders entwickelt. Im Nordwesten erklärte die Republik Somaliland im Mai 1991 die Unabhängigkeit und hat nach und nach grundlegende staatlichen Strukturen wiederaufgebaut. Obwohl Somaliland einfache Regierungsstrukturen entwickelt und den Weg in Richtung Demokratisierung fortgeführt hat, erhält es keine internationale Anerkennung (BTI 2018).

Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit 1991 mehrere allgemeine Wahlen erlebt. Aufgrund dieser Wahlen gab es friedliche Machtwechsel, zuletzt 2010. Die eigentlich für 2015 vorgesehenen Parlamentswahlen wurden mehrfach verschoben und waren für Herbst 2018 vorgesehen. Das Oberhaus, die Guurti, geht damit in das zwölfte Amtsjahr, ohne wiedergewählt zu sein. Auch die Präsidentschaftswahl hatte sich mehrfach verzögert, bevor sie Mitte November 2017 stattfand. Die Kulmiye Partei bleibt demnach führende Partei, jedoch stellte Amtsinhaber Silanyo sich nicht erneut zur Wahl und wurde von Muse Bihi Abdi abgelöst. Obwohl in der Vergangenheit alle Wahlen international begleitet wurden, war im Vorfeld regelmäßig eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit zu beobachten (AA 07.03.2018).

Das Verhältnis zwischen dem im Nordwesten gelegenen Somaliland, das sich 1991 für unabhängig erklärt hat, und dem Rest des Landes ist problematisch. Der in Somaliland etablierten de facto-Regierung ist es gelungen, ein für die Region durchaus bemerkenswertes Maß an Stabilität und Ordnung herzustellen - selbst wenn es an der Grenze zu Puntland immer wieder kleinere Scharmützel mit dort beheimateten Milizen und in letzter Zeit demokratische Rückschritte festzustellen gibt. Am 13.11.2017 erfolgten nach zweijähriger Verzögerung Präsidentschaftswahlen, die von Beobachtern als weitgehend frei und fair eingeschätzt wurden. Für März 2019 sind außerdem - zum ersten Mal seit 2005 - Parlamentswahlen geplant.

Somaliland hat trotz eines entsprechenden Antrags bei der Afrikanischen Union die angestrebte Anerkennung als unabhängiger Staat nicht erreichen können. Von einer Aussöhnung mit der Regierung in Mogadischu im Kontext einer friedlichen und definitiven Lösung der Statusfrage sind beide Seiten noch weit entfernt. Bei dem von der Türkei unterstützten "Istanbuler Dialog" konnten atmosphärische Fortschritte zwischen den beiden Verhandlungsteams aus Hargeisa und Mogadischu erreicht werden. Der nach den letzten Präsidentschaftswahlen in 2017 erhoffte neue Dialog zum Status von Somaliland liegt derzeit wieder auf Eis nicht zuletzt im Zuge einer Vereinbarung Somaliland mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Äthiopien über den Ausbau des Hafens von Berbera, die zu erheblichen Spannungen mit der somalischen Bundesregierung in Mogadischu führte (AA Innenpolitik Stand Oktober 2018 abgefragt 08.01.2019).

(Accord, Sicherheitslage in Somalia, veröffentlicht 31.10.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1448378.html

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2018, 07.03.2018

BTI, Bertelsmann Stiftung, County Report, Somalia 2018, https://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/som/ity/2018/itr/esa

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand Oktober 2018, abgefragt am 08.01.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162)

Parteiensystem

ad c) Somaliland

Gemäß der 2001 angenommenen Verfassung durften politische Parteien gegründet werden und an den Kommunalwahlen 2002 teilnehmen. Allerdings durften nur die drei in diesen Kommunalwahlen stärksten Parteien dauerhaft etabliert werden. Diese Vorgabe ist inspiriert vom nigerianischen Modell, um einer Zersplitterung der Parteienlandschaft vorzubeugen. Zunächst erhielten die UDUB (Ururka Dimuqraadiga Ummadda Bahawday, Union der Demokraten) sowie Kulmiye (Solidarität) und UCID (Ururka Caddaalada iyo Daryeelka, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) die dauerhafte Zulassung. Nach den Wahlen 2010 verlor die UDUB die Zulassung, stattdessen wurde die Waddani-Partei im Rahmen eines festgelegten Verfahrens zugelassen. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Ggf. werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 07.03.2018).

Die Organisation politischer Parteien auf clanbasierter Ebene ist in Somaliland verfassungsrechtlich verboten, aber die Clanzugehörigkeit dominiert weiterhin Politik und Entscheidungsfindung. In Somaliland funktionieren die traditionellen Normen und Institutionen zusammen mit demokratischen Institutionen. Auch wenn staatliche Gesetzgebung und traditionelle Regeln einander widersprechen können (zum Beispiel bei Rechten der Frauen), werden sie nicht als widerstreitend, sondern eher als ergänzend wahrgenommen. Das Bekenntnis zur Demokratie in Somaliland ist hoch, aber das demokratische System bleibt anfällig für Einmischung und Clan-Politik (BTI 2018). Das Beispiel eines friedlichen demokratischen Übergangs in Somaliland deutet auf eine allgemeine Akzeptanz demokratischer Prinzipien hin (BTI 2018).

Wie in den restlichen Landesteilen bekennt sich die Verfassung zum Gebot der Nichtdiskriminierung, Clan-Zugehörigkeit spielt jedoch eine große Rolle. Repressiv gehen die Sicherheitsorgane gegen die Bürger vor, die die Unabhängigkeit Somalilands ablehnen AA 07.03.2018).

Eine Besonderheit der Politik und Geschichte Somalias liegt in der Bedeutung der Clans. Clans sind auf gemeinsame Herkunft zurückgehende Großfamilienverbände mit einer bis zu siebenstelligen Zahl von Angehörigen. Die Kenntnis der Clanstrukturen und ihrer Bedeutung für die somalische Gesellschaft ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der politischen und historischen Entwicklungen in Somalia. Die übergeordneten Clans in Somalia sind die Hawiye, Darod, Issaq, Dir und der Clanverbund der Digil-Mirifle bzw. Rahanweyn. Aufgrund des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist es nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Issaq und Digil-Mirifle stellen wohl je 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Über 95 Prozent aller Somalier fühlen sich einem Sub-Clan zugehörig, der genealogisch zu einem der Clans gehört. Auch diese Sub-Clans teilen sich wiederum in Untereinheiten auf. Die Zugehörigkeit zu einem Clan bzw. Sub-Clan ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal und bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. Die Issaq leben im Nordwesten des Landes (Somaliland). Die Dir leben vor allem im Nordwesten Somalias an der Grenze zu Djibouti (Somaliland) und im Süden des Landes (Jubaland [AA Innenpolitik Stand Oktober 2018 abgefragt 08.01.2019]).

(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2018, 07.03.2018

BTI, Bertelsmann Stiftung, County Report, Somalia 2018, https://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/som/ity/2018/itr/esa

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand Oktober 2018, abgefragt am 08.01.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162)

Gabooye/Gaboye/"Midgan"

Das kanadische Immigration and Refugee Board (IRB) erwähnt in einer Anfragebeantwortung vom Oktober 2013, dass nur wenige Informationen zu Unterscheidungsmerkmalen der Gabooye gefunden werden konnten. Das IRB bezieht sich auf die Angaben verschiedener Quellen. Die Quellen würden angegeben, dass die Gabooye über keine physischen Unterscheidungsmerkmale verfügen würden. Die Gabooye könnten physisch den Samaal, einer ethnisch dominanten Gruppe in Somalia, ähneln. Laut Angaben eines Mitarbeiters des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung würden sich die Gabooye aufgrund ihrer Genealogie unterscheiden. Sie könnten in vier Untergruppen unterteilt werden: Madhiban, Muuse Deriyo, Tumaal, und Yibir. Der Mitarbeiter habe zudem angegeben, dass die Gabooye oftmals in bestimmten Wohngegenden leben würden, etwa dem Stadtteil Dhami in Hargeysa, in Somaliland, entfernt von den Mehrheitsclans, welche die Gabooye als "schmutzig" einstufen würden (Accord 27.11.2014).

"Midgan" oder Gabooye sind traditionell Jäger und arbeiten mit Leder, so zum Beispiel Schuhmacher (ARC 25.01.2018).

Es gibt es auch innerhalb der Berufsgruppen-Clans stärkere und schwächere Abstammungslinien, die schwächeren seien marginalisiert. Vertreter einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Minderheiten einsetzt, widersprachen aber dieser Darstellung. Einer anderen Quelle zufolge sind die urbanen Gabooye generell bessergestellt als andere Berufsgruppen. Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zurzeit um die Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert (EJPD 31.05.2017).

Im Norden setzen sich die Gobooye aus den Tumaal (Schmiede), "Midgan" (Schuster, Jäger und Sammler, Giftmacher und Haarschneider) sowie den Yibir zusammen. Der Clan der Gabooye bezeichnet sich selbst als Gabooye, während andere Clans den "unhöflichen" Begriff "Midgan" verwenden. Die Gabooye sind primär im Norden Somalias (Somaliland) beheimatet, obwohl einige Mitglieder in Mogadischu leben. Das kanadische Immigration and Refugee Board (IRB) zitiert in einer Anfragebeantwortung vom Dezember 2012 die Vorsitzende der Gabooye Minority Organisation for Europe and North America. Diese habe angegeben, die Gabooye würden "nicht wirklich" mit Hauptclans verbündet sein, jedoch würden sie Berichten zufolge gut mit anderen Minderheitengruppen auskommen. Im Süden des Landes gebe es Diskriminierung von Gabooye, jedoch sei die "allgemeine Unsicherheit" eine größere Bedrohung als "gezielte Verfolgung". Obwohl die Regierung von Somaliland behaupte, dass sich die Lage gebessert habe, komme es weiterhin zu Diskriminierung von und Gewalt gegen Gabooye. Die Medien in Somaliland würden nur selten über Diskriminierung oder Gewalt gegen Mitglieder der Gabooye berichten, da sie nicht in Konflikt mit Mitgliedern des Hauptclans geraten wollten, die die Regierung und Gerichte dominieren würden. Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014, dass unter anderem die Madhiban und Gabooye zu den Minderheitengruppen zählen würden. Minderheitengruppen, die oft über keine bewaffneten Milizen verfügen würden, seien unverhältnismäßig oft von Tötung, Folter, Vergewaltigung, Entführung und Plünderung durch Milizen und Angehörige von Hauptclans betroffen, die von diesen ungestraft verübt würden. Viele Minderheiten würden in großer Armut leben und von zahlreichen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sein. Die Minority Rights Group International (MRG), die sich für die Rechte von ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten und indigenen Völkern weltweit einsetzt, erwähnt in einem Bericht vom Jänner 2015, dass eine von der Organisation interviewte Person angegeben habe, dass sich die gesellschaftliche Integration und Inklusion von Angehörigen der Gabooye in Somaliland im Vergleich zu ihrer Lage früher gebessert habe. 25 weitere interviewte Personen hätten jedoch angegeben, dass es weiterhin Ungleichheiten gebe und es zu Diskriminierung komme. Eine Organisation hätte beispielsweise angegeben, dass von insgesamt bis zu 10.000 Gabooye in Hargeisa nur zwischen 30 und 40 Angehörige der Gabooye an einer Universität studieren würden oder studiert hätten. Die Norwegian Organisation for Asylum Seekers (NOAS), eine NGO, die sich für die Interessen von Asylwerbern in Norwegen einsetzt, erwähnt in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission vom April 2014, mehrere Quellen hätten angegeben, dass unter anderem die Gabooye zu den besonders gefährdeten Minderheiten ("particularly vulnerable minorities") in Somalia zählen würden. Die MRG berichtet im Juni 2012, dass Minderheitengruppen, wie etwa die Gabooye und Madhiban, zu Tausenden in Binnenvertriebenenlager in Somaliland, Puntland und Kenia ziehen würden, wo sie erneut von Diskriminierung betroffen seien. Minderheitengruppen würden außerhalb der traditionellen somalischen Clanstruktur stehen und deshalb über kein Schutzsystem verfügen. Aufgrund sozialer Segregation, Existenznot und politischer Manipulation seien Minderheitengruppen in größerem Ausmaß von Vergewaltigung, Angriffen, Entführung, Beschlagnahmung von Eigentum und den Konsequenzen von Dürre bedroht (Accord 12.06.2015).

Die internationale Organisation für Migration (IOM) schreibt im Februar 2014, dass die Gruppen der Bantu, Benadir, Gabooye und Bajuni einen Teil der ethnischen Minderheiten in Somalia bilden würden. Vor dem Konflikt seien sie Großteils isoliert und nicht mobil gewesen und hätten nur wenig mit den größeren Clans interagiert. Jedoch seien diese Minderheitengruppen traditionell in unterschiedlichem Ausmaß von Diskriminierung durch die größeren Clans betroffen gewesen und seien aufgrund ihrer traditionellen Berufe im Allgemeinen gesellschaftlich und politisch ausgeschlossen worden. Die Minderheitengruppen seien während des Konflikts [ab 1991, Anm. ACCORD] von einem steigenden Level von Vertreibungen auf Clanbasis ("clan-based expulsions") und gewaltsamer Vertreibung betroffen gewesen (Accord 12.07.2016).

Die "Midgan" stellen etwa 0,5% der Gesamtbevölkerung. Sie leben verteilt vor allem in Nord- und Zentralsomalia, Hiran, Mogadischu und Kismayo. Sie betätigen sich traditionell als Schuhmacher. Die "Midgan" sollen sich bemüht haben, den Begriff "Midgan" zugunsten der weniger abwertenden Bezeichnung Madhiban abzulegen. Andere Quellen führen jedoch die Madhiban als eine Untergruppe der "Midgan" auf. Es gibt zahlreiche weitere abwertende Benennungen für die "Midgan", die häufig auf ihre die Jagd Bezug nehmen wie Fallensteller oder Kadaveresser. Sie selbst sollen sich als Reer Gabooye (Menschen vom Pfeilköcher) oder Reer Boqon (Menschen von der Bogensehne) bezeichnen. Zu ihren traditionellen Beschäftigungen zählten die Jagd mit Pfeil und Bogen oder Gift und Fallen, das Häuten der Kadaver, die Lederherstellung, die Lederverarbeitung (Sandalen, Gürtel, Sättel, etc.). "Midgan" arbeiten als Schlachter, Wasserträger, Brunnengräber. Manche Gruppen sind auf Fischfang und Weben spezialisiert. Urbanisierte "Midgan" arbeiten als Zimmerleute, Mechaniker, Fliesenleger, Elektriker, Installateure oder Friseure (BAMF Juli 2010).

Das Immigration and Refugee Board of Canada (IRB) zitiert, in einer Anfragebeantwortung die Vorsitzende einer Gabooye-Organisation. Bei einem Vorfall in Somaliland sei die gesamte erweiterte Familie eines Gabooye-Mädchens zehn Monate inhaftiert worden, da ihr Verlobter (Mitglied eines Hauptclans) Selbstmord begangen habe, nachdem ihre Familie einer Heirat nicht zugestimmt habe. Die Familie sei für den Selbstmord verantwortlich gemacht worden. Im Oktober 2012 seien zwei Familienmitglieder zum Tod verurteilt und die restlichen Mitglieder freigelassen worden. Trotz des traditionellen Verbots der Clans von Mischehen mit einer Minderheit, sei es im Laufe der Geschichte immer, wenn auch selten, zu derartigen Beziehungen (zumindest im Geheimen) gekommen (Accord 27.02.2013).

Laut einem im Juli 2013 von Sabahi, einem vom United States Africa Command finanzierten Nachrichtenportal mit Schwerpunkt der Berichterstattung auf der Region Horn von Afrika, veröffentlichten Artikel zu den Gabooye in Somaliland habe ein Sprecher der Gabooye, Sultan Mohamed Muse Abu Sufyan, angegeben, dass die Gruppe der Gabooye vom Rest der Gesellschaft isoliert sei. Angehörige der Gabooye müssten sich auf Arbeitsplätze beschränken, die andere nicht haben möchten. Gabooye seien zudem hinsichtlich ihres Wohnortes isoliert. In Hargeisa etwa würden Gabooye in einem eigenen Stadtteil, Daami, leben (Accord 27.11.2014).

Weder das traditionelle Recht Xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen gemäß Erkenntnissen der Fact Finding Mission die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. So meinte beispielsweise eine Quelle der Fact Finding Mission in Hargeysa:

"Sie können nicht einfach eine Gabooye grundlos töten, da kommt die Polizei. Sie werden vom Gesetz geschützt..." Richtig ist aber auch, dass es

zumindest in Hargeysa in einem Minderheiten-Quartier keine Polizeistation gibt. Quellen der Fact-Finding Mission zeichneten ein teils neues Bild. So hat beispielsweise in Somaliland die Anerkennung von Gabooye-Suldaans zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Die Gabooye haben im Xeer ihre Rechte. Zusätzlich sind Verfahren im Xeer meist nicht korrumpierbar und fairer.

Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen: Laut einer Quelle der Fact Finding Mission macht es beispielsweise einen Unterschied, ob ein Gabooye oder ein Angehöriger eines Mehrheitsclans Täter bei einer Vergewaltigung ist - bzw. ob das Opfer Gabooye oder Mehrheitsangehörige ist. Der gesellschaftliche Umgang mit den Angehörigen von Minderheiten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Insbesondere unter jungen Leuten ist die Einstellung zu ihnen gemäß Erkenntnissen der Fact-Finding Mission positiver geworden. Obwohl ein gewisses Stigma weiterhin besteht, ist es mittlerweile für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten, wie mehrere befragte

Quellen übereinstimmend aussagten: "Wir haben Umgang miteinander, wir haben Freunde, sie sagen dir auch, dass sie Gabooye sind..."

Früher kam es vor, dass Angehörige der Mehrheitsclans Minderheiten-Angehörige aufgrund von Vorurteilen beschimpften. Die soziale Interaktion mit Angehörigen berufsständischer Gruppen wie z. B. das Grüßen oder gemeinsame Mahlzeiten war eingeschränkt. Nach Einschätzung einer westlichen Botschaft kommt es im Allgemeinen zu keinen gezielten Angriffen oder Misshandlungen der Gabooye (EJPD 31.05.2017).

Am 03.07.2018 ernannte der Präsident von Somaliland sieben Mitglieder in die somalische Nationale Menschenrechtskommission, darunter zwei Frauen und eine Person aus einem Minderheitsclan (Gabooye [UNSOM 20.08.2018]).

Schon Anfang der 2000er, als einige europäische Regierungen davon ausgingen, dass in Somalia die schlimmste Zeit überstanden sei, war die Angabe der Zugehörigkeit zu einer Minderheitengruppe in Somalia ein relativ sicheres Mittel, um in Europa Asyl zu bekommen. Klarerweise haben auch Angehörige von "noblen" Clans von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, und sich als Minderheitenangehörige (z.B. "Midgan" oder Ashraf) ausgegeben (BFA Anfragebeantwortung (Staatendoku 23.01.2017).

(ARC, Asylum Research Consultancy, Situation in South and Central Somalia (including Mogadishu), 25.01.2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1423361/90_1517484171_2018-01-arc-country-report-on-south-and-central-somalia-incl-mogadishu.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage der Gaboye/Midgan, Zahl a-9202-2 (9229), 12.06.2015, http://www.ecoi.net/local_link/309154/448404_de.html

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum für Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/683266/693991/697672/697677/6029534/13604856/13565580/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Minderheiten_in_Somalia%2C_Juli_2010.pdf?nodeid=13904432&vernum=-2

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Aktuelle Lage von Angehörigen der Madhiban/Midgan, Zahl a- 8293, 27.02.2013, https://www.ecoi.net/de/dokument/1211137.html

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage von Angehörigen des Clans der Gaboye [auch: Midgan, Madhiban, Zahl a-8956, 27.11.2014,

http://www.ecoi.net/local_link/291401/426097_de.html

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zum Clan der Bajuni, Zahl a-9735-1, 12.07.2016, https://www.ecoi.net/de/dokument/1255124.html

Staatendoku, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Somalia, Madhiban in Kismayo, 23.01.2017

EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Staatssekretariat für Migration SEM, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

UNSOM, United Nations Assistance Mission in Somalia, Monatliches Update zu Menschenrechten und Schutz, Berichtszeitraum Juli 2018, 20.08.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442009/1226_1535625123_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-20-08-2018-englisch.pdf)

Sicherheitslage

Das Verhältnis zwischen dem im Nordwesten gelegenen Somaliland, das sich 1991 für unabhängig erklärt hat, und dem Rest des Landes ist problematisch. Der in Somaliland etablierten de facto-Regierung ist es gelungen, ein für die Region durchaus bemerkenswertes Maß an Stabilität und Ordnung herzustellen - selbst wenn es an der Grenze zu Puntland immer wieder kleinere Scharmützel mit dort beheimateten Milizen und in letzter Zeit demokratische Rückschritte festzustellen gibt. Am 13.11.2017 erfolgten nach zweijähriger Verzögerung Präsidentschaftswahlen, die von Beobachtern als weitgehend frei und fair eingeschätzt wurden. Für März 2019 sind außerdem - zum ersten Mal seit 2005 - Parlamentswahlen geplant. Somaliland hat trotz eines entsprechenden Antrags bei der Afrikanischen Union die angestrebte Anerkennung als unabhängiger Staat nicht erreichen können. Von einer Aussöhnung mit der Regierung in Mogadischu im Kontext einer friedlichen und definitiven Lösung der Statusfrage sind beide Seiten noch weit entfernt. Bei dem von der Türkei unterstützten "Istanbuler Dialog" konnten atmosphärische Fortschritte zwischen den beiden Verhandlungsteams aus Hargeisa und Mogadischu erreicht werden. Der nach den letzten Präsidentschaftswahlen in 2017 erhoffte neue Dialog zum Status von Somaliland liegt derzeit wieder auf Eis nicht zuletzt im Zuge einer Vereinbarung Somalilands mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Äthiopien über den Ausbau des Hafens von Berbera, die zu erheblichen Spannungen mit der somalischen Bundesregierung in Mogadischu führte (AA Innenpolitik Stand Oktober 2018, abgefragt am 08.01.2019).

Für westliche Staatsangehörige besteht in ganz Somalia (dies gilt auch für Somaliland und Puntland) ein sehr hohes Entführungsrisiko, ausländische Staatsangehörige werden auch immer wieder Opfer von Mordanschlägen (BMEIA Stand 08.01.2019).

Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat. Gleichwohl gibt es keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland (Regionen Awdaal, Wooqoi Galbeed, Toghdeer, Sool, Sanaag) im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al-Schabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 07.03.2018).

Entwicklung von Konfliktvorfällen von Juni 2016 bis Juni 2018 in der gesamten Bundesrepublik Somalia:

Bild kann nicht dargestellt werden

(Accord zweites Quartal 2018, 05.09.2018)

Berichtete zu Konfliktvorfälle nach Provinzen im zweiten Quartal 2018: XXXX (Accord zweites Quartal 2018, 05.09.2018).

Entwicklung von Konfliktvorfällen von September 2016 bis September 2018 in der gesamten Bundesrepublik Somalia:

Bild kann nicht dargestellt werden

(Accord drittes Quartal 2018, 12.11.2018)

Berichtete zu Konfliktvorfälle nach Provinzen im dritten Quartal 2018: In Woqooyi Galbeed wurden 05 Vorfälle mit 0 Toten erfasst und an folgenden Orten lokalisiert: Bahdoon, Berbera, Hargeysa, Wajaale (Accord drittes Quartal 2018, 12.11.2018).

ad c) Somaliland

In Somaliland, das sich 1991 unabhängig erklärt hat, aber bislang von keinem Staat anerkannt wird, wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. Die erneute Verschiebung der Parlamentswahlen wirft einen Schatten auf das vergleichsweise demokratische Somaliland (AA 07.03.2018).

Die somaliländische Polizei nahm am 28.05.2018 in Las Anod (Region Sool) mehr als 40 Demonstranten und zwei Journalisten fest, die sich für eine Wiedervereinigung Somalilands mit Somalia eingesetzt hatten. Das Präsidialbüro Puntlands veröffentlichte daraufhin am 30.05.2018 eine Stellungnahme, in der es die somaliländischen Sicherheitskräfte beschuldigte, die Menschenrechte der Zivilbevölkerung in Las Anod zu verletzen. Die somaliländische Regierung schloss am 30.05.2018 zwei Fernsehsender wegen der Berichterstattung über den Konflikt mit Puntland (BAMF 04.06.2018).

Der ehemalige Finanzchef der islamistischen Miliz Hizbul Islam wurde von einem mutmaßlichen al-Schabaab-Selbstmordattentäter am 01.08.2018 in Budhole (Region Todgheer, Somaliland) ermordet. Die Hizbul Islam hatte sich im Dezember 2010 mit der al-Schabaab verbündet. Der Ermordete hatte sich später von der al-Schabaab getrennt. Die Explosion tötete auch den früheren Innenminister des "Regionalstaats Khatumo" und verletzte vier Zivilisten. Khatumo erhebt Ansprüche auf die somaliländischen Regionen Sool, Sanaag und Cayn, die überwiegend von Angehörigen des Clans der Dulbahante bewohnt werden (BAMF 06.08.2018).

Die Macht von Somaliland reicht nicht bis an die Ostgrenzen von Somaliland. Vor allem die Regionen Sool, Sanaag und Cayn zwischen Somaliland und Puntland werden umkämpft, wobei Somaliland und Puntland diese Regionen als Teil ihres Staatsgebiets beanspruchten. Allerdings haben weder Somaliland noch Puntland echte Kontrolle über diese Regionen geschaffen. Somaliland war im überwiegenden Teil der umkämpften Gebiete nicht in der Lage, Wahlen durchzuführen. Trotz des allgemeinen Erfolgs Somalilands bei der Friedens- und Staatsbildung bleibt die Republik Somaliland in ihrer effektiven und materiellen Kapazität begrenzt und hat nur wenige Maßnahmen zur Regulierung der Wirtschaftstätigkeit festgelegt. Der Staat ist auch in hohem Maße von einer aufstrebenden Business-Class abhängig, Korruption und Gönnernetzwerke auf Clan-basierten Patronage durchdringen alle Regierungsebenen. Somaliland, im Nordwesten Somalias, hat kein voll funktionierendes Gewaltmonopol eingeführt, es war während der Überprüfungsphase aber vergleichsweise friedlich. Es wurde jedoch die militärische Präsenz in den umkämpften östlichen Grenzgebieten zu Puntland verstärkt, wo eine abtrünnige Bewegung, die als Khaatumo-Staat bekannt ist, gegen die Streitkräfte von Somaliland und Puntland gekämpft hat. Angeblich soll al-Schabaab die Präsenz in der Grenzregion ausgebaut haben (BTI 2018).

Die Kämpfe und Zwischenfälle zwischen Al-Schabaab-Milizen und Clan-Milizen sind weit verbreitet, was zu erheblichen Opfern und Vertreibungen führt. Bei Clan-Zusammenstößen im Distrikt Dumar, der Region Sool, einem umstrittenen Gebiet zwischen den Staaten Puntland und Somaliland, wurden am 22.10.2018 mindestens 50 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Region Galgaduud ist auch von Clanauseinandersetzungen und damit verbundener Vertreibung betroffen (Accord 31.10.2018).

In ihrem Abschlussbericht im Jahr 2017 berichtete die Beobachtungsgruppe, dass die Einrichtung einer ausländischen Militärbasis in Berbera, welche einen Transport von militärischem Material in das Gebiet impliziert, eine Verletzung des Waffenembargos gegen Somalia darstellt. Am 22.11.2017 berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass die in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige Divers Marine Contracting LLC mit dem Bau der Militärbasis beauftragt worden sei. Am 15.03.2018 berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Vereinigten Arabischen Emirate Somaliland-Truppen im Rahmen des Abkommens ausbilden sollen. Am 07.09.2018 erklärten die Vereinigten Arabischen Emirate im Rahmen einer vorangegangenen Anfrage: "Die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit Somaliland ein Abkommen über die Entwicklung und Verwaltung des Hafens von Berbera geschlossen. Alle Abkommen, die die Vereinigten Arabischen Emirate mit den somalischen Regionen geschlossen haben, wurden auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Befugnisse geschlossen, welche den Regierungschefs dieser Regionen übertragen wurden, um Sicherheit, Stabilität und Wohlstand für die Bundesrepublik Somalia und seine Bevölkerung zu erreichen."

Satellitenbilder, die am 21.09.2018 aufgenommen wurden, deuten darauf hin, dass der Bau der Anlagen in Berbera im Gange war (UNSC 09.11.2018).

Tukaraq, 75 km westlich von Garowe, der Hauptstadt Puntlands, gelegen, war seit 2007 unter der Kontrolle der Behörden Puntlands und diente als wichtiger Checkpoint für die Sicherheits- und Einnahmenerhebung der Verwaltung. Am 08.01.2018 drangen Sicherheitskräfte von Somaliland in das Grenzgebiet zu Puntland ein und überrannten den strategischen Checkpoint in Tukaraq. Puntland reagierte mit einer Verstärkung der Truppen im Grenzgebiet. Im Laufe des Jahres 2018 festigten beide Verwaltungen ihre militärischen Stellungen in der Region durch eine Pufferzone, etwa 2 km voneinander getrennt. Internationale Organisationen berichteten von Dutzenden von Opfern auf beiden Seiten und der Vertreibung von schätzungsweise 2.500 Zivilisten in Tukaraq und den umliegenden Dörfern, darunter Godgabobe, Falidyale, Higlo, Bocame und Gambadhe, in der Sool Region. Der Streit hat für al-Schabaab zusätzliche Möglichkeiten geschaffen sich in den Golis Bergen Vorteile zu verschaffen. Am 11.04.2018 teilte ein Vertreter der Puntland-Verwaltung der Beobachtungsgruppe mit, dass jede Entscheidung zur Eskalation des Konflikts vollständig in den Händen Somalilands liegen würde und darüber hinaus, dass Puntland nicht bereit wäre, Verhandlungen aufzunehmen, bevor sich die Kräfte Somalilands aus der Region zurückziehen. Am 14.05.2018 kam es erneut zu Konflikten zwischen Streitkräften von Somaliland und Puntland. Schweren Artilleriegefechte auf beiden Seiten, sowie beidseitige Truppenverstärkungen auf beiden Seiten dauerten bis Ende des Mai 2018 an. Weitere Zusammenstöße und ein Anstieg des Artilleriefeuers zwischen den beiden Streitkräften wurden am 22.06.2018 gemeldet. Der Konflikt führte zu weiterer Instabilität, die Vertreibung der Anwohner nahm zu und al-Schabaab sowie ISIL (Islamic State in Iraq and the Levant) die weitere Verankerung in der Region ermöglicht. Beispielsweise führte al-Schabaab am 01.06.2018 einen großen Angriff auf einen Puntland-Stützpunkt in der Region Bari durch, was zu sechs Kausalitäten und dem Rückzug der Puntland-Streitkräfte führte. Von

28. bis 30.07.2018 führten die zwischenstaatliche Entwicklungsbehörde und die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Somalia (UNSOM) eine gemeinsame Vermittlungsmission in Somaliland und Puntland durch, die sich auf die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und die Entmilitarisierung des Gebietes konzentrierte (UNSC 09.11.2018).

Äthiopische Truppen wurden am 07.11.2018 nach Dhumey und Qansaxdheere (Region Sool, Somaliland) verlegt, um in die dort Ende Oktober 2018 ausgebrochenen Clankämpfe einzugreifen. Bisher sollen etwa 40 Menschen ums Leben gekommen sein (BAMF 12.11.2018).

(BMEIA, Österreichisches Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Reiseinformation, Somalia, unverändert gültig seit 07.11.2018, Stand 08.01.2019,

https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/somalia

BTI, Bertelsmann Stiftung, County Report, Somalia 2018, https://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/som/ity/2018/itr/esa

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 06.08.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442581/1226_1536218530_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-06-08-2018-deutsch.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2018, 07.03.2018

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 04.06.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442586/1226_1536218376_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-04-06-2018-deutsch.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand Oktober 2018, abgefragt am 26.12.2018,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162

Accord, Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Berichtzeitraum 2. Quartal 2018, 05.09.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442612/1930_1536218362_2018q2somalia-en.pdf

Accord, Sicherheitslage in Somalia, veröffentlicht 31.10.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1448378.html

UNSC, UN Security Council, Letter dated 7 November 2018 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolutions 751 (1992) and 1907 (2009) concerning Somalia and Eritrea addressed to the President of the Security Council, 09.11.2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1452043/1226_1542897099_n1830165.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 12.11.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2001572/Deutschland+_+Bundesamt+für+Migration+und+Flüchtlinge%2C+Briefing+Notes%2C+12.11.2018+%28deutsch%29.pdf

Accord, Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Berichtzeitraum 3. Quartal 2018, 12.11.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1450161/1226_1542094535_2018q3somalia-de.pdf)

Justiz und Sicherheitsbehörden

ad a) in Süd- und Zentralsomalia

Die Grundsätze der Gewaltenteilung sind in der Verfassung von 2012 niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere. In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt. In den unter Kontrolle der al-Schabaab-Miliz stehenden Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der al-Schabaab nicht anerkannt. Zu den anderen, weder von Regierung, noch von al-Schabaab, sondern von weiteren Clan- oder anderen Milizen kontrollierten Gebieten liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Es ist aber nach Einschätzung von Beobachtern davon auszugehen, dass Rechtsetzung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung zumeist in der Hand einer kleinen Gruppe von Notabeln (z.B. "Clanältesten") liegen. Von einer Gewaltenteilung ist nicht auszugehen. Die Rolle des Staatsschutzes liegt in der Hand der National Intelligence and Security Agency (NISA). NISA ist mit exekutiven Vollmachten ausgestattet.

ad c) Somaliland

Die Ausführungen zu Süd-/Zentralsomalia gelten analog mit der Einschränkung, dass in Puntland und Somaliland keine Gebiete dauerhaft unter der Kontrolle der al-Schabaab-Miliz stehen. Die Einrichtung einer nachrichtendienstlich arbeitenden Innenbehörde ist rechtlich nicht geregelt. Allerdings gibt es dem Vernehmen nach eine Einheit mit vergleichbaren Aufgaben (AA 07.03.2018).

Obwohl es gerade in Somaliland eine viel klarere Gewaltenteilung gibt, neigt die Exekutive dennoch dazu, sowohl die Legislative als auch die Justiz in erheblichem Maße zu beeinflussen. Puntland und Somaliland haben beide ein unabhängiges und formal strukturiertes hierarchisches Gerichtssystem etabliert. Die Gerichte in Süd- und Zentralsomalia und Somaliland laufen parallel zu zwei anderen Rechtssystemen: Dem Gewohnheitsrecht (Xeer), das von Fall zu Fall verhandelt und von den Ältesten umgesetzt wird; sowie das islamische Scharia-Gesetz, das in verschiedenen Gerichten und Orten unterschiedlich ausgelegt wird. Es gibt also verschiedene Versionen des Scharia-Gesetzes, und es gibt Spannungen bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts. Die Verfassung von Somaliland ermöglicht die Existenz eines zivilen Rechtsystems, dem Scharia-Recht und dem Gewohnheitsreicht, solange diese dem Scharia-Gesetz nicht widersprechen. Die drei Rechtssysteme widersprechen sich aber teilweise, und das Land hat es bisher nicht geschafft, sie zu harmonisieren. Dennoch hat Somaliland eine legale Infrastruktur und ein Gerichtssystem aufgebaut, das die meisten städtischen Zentren erreicht (BTI 2018).

Aufgrund des weiterhin ungeklärten internationalen Status Somalilands, einer möglichen Infiltration durch radikal-islamistische Gruppen und der ungeklärten Grenze zu Puntland haben die Sicherheitsorgane eine besonders starke Stellung. Ihre zivile Kontrolle durch die politischen Führer ist stärker als im Rest des Landes, aber gleichwohl lückenhaft. Auch in Somaliland wurden entgegen der Verfassung nach wie vor Zivilpersonen vor Militärgerichte gestellt und von diesen verurteilt. Im Kalenderjahr 2016 kam es zu 29 dokumentierten Fällen in Hargeisa. Die Verfahren der Militärgerichte waren in der Regel unzureichend, beschränkten das Recht auf Rechtsbeistand und ignorierten die grundlegenden Standards eines fairen zivilrechtlichen Strafverfahrens (AA 07.03.2018).

Die Verfassung von Somaliland erlaubt drei Rechtssysteme, die auf dem Scharia Recht, dem Zivilrecht und dem Gewohnheitsrecht basieren. Islamische Gerichte regeln in erster Linie Familienangelegenheiten, haben aber in der Wirtschaft, deren Vertreter schnelle Urteile zu schätzen wissen, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Obwohl säkulare Gesetze, einschließlich des alten somalischen Strafgesetzbuches, landesweit angewendet werden, rangieren diese in der Wertigkeit unterhalb des traditionellen Rechts, da die Kapazitäten der Gerichte begrenzt sind und Richter und Anwälte mangelnde Ausbildung und Expertise bezüglich säkularer Gesetze aufweisen (BTI 2018).

(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2018, 07.03.2018

BTI, Bertelsmann Stiftung, County Report, Somalia 2018, https://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/som/ity/2018/itr/esa)

Folter/Unmenschliche Behandlung

ad a) in Süd- und Zentralsomalia

Die Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte und insbesondere der Nachrichtendienst NISA entziehen sich oftmals der öffentlichen Kontrolle. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden nicht erhoben. Jedoch kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei davonkommen. In den von al-Schabaab kontrollierten Gebieten ist regelmäßig von unmenschlicher Behandlung im Sinne des Übereinkommens auszugehen, wenn einzelne Personen gegen die Interessen von al-Schabaab handeln oder dessen verdächtigt werden (AA 07.03.2018).

ad c) Somaliland

Auch die dortigen Sicherheitskräfte entziehen sich in ihrem Handeln weitgehend der öffentlichen Kontrolle. Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden nicht erhoben (AA 07.03.2018).

Obwohl die demokratischen Institutionen in Somaliland relativ stabil sind, verfügen sie nicht über ausreichende Ressourcen und Fachwissen (BTI 2018).

(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2018, 07.03.2018

BTI, Bertelsmann Stiftung, County Report, Somalia 2018, https://www.bti-project.org/en/reports/country-reports/detail/itc/som/ity/2018/itr/esa)

Korruption/Dokumente

In Somaliland ist die Korruption nach wie vor ein ernstes Problem und wird oft auf Clan-Basis praktiziert. Während unter der derzeitigen Präsidentschaft von Silanyo rechtliche Verbesserungen vorgenommen wurden, wurden Bedenken hinsichtlich internationaler Verträge geäußert, die von der Somaliland-Regierung für die Erneuerung und Verwaltung des Hafens in Berbera vergeben wurden. Auch das stark militarisierte Vorgehen in den unruhigen östlichen Teilen des Landes wird oft kritisiert, da dadurch auch Geschäftsinteressen der Regierungspartei unterstützt werden (BTI 2018).

Somalia stand im Jahr 2016 auf dem letzten Platz des Korruptionswahrnehmungsindexes von Transparency International 176 von 176 (TI 2016). Im Jahr 2017 belegte Somalia im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International Platz 180 von 180 (TI 2017).

Für Somalier ist es einfach, echte Dokumente (f

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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