Entscheidungsdatum
14.01.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2177924-1/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Oktober 2017, Zl. XXXX:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 6. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er stamme aus der Region XXXX. Zu seinem Fluchtgrund befragt führte er (wortwörtlich um Rechtschreibfehler bereinigt wiedergegeben) folgendes an: "Ich hatte in Somalia ein Geschäft und es gab immer wieder Probleme mit der AL-SHABAAB und sie wollten mich zwangsrekrutieren (Heer) und ich wollte nicht mit ihnen gehen. Ich bin dann geflüchtet und ich habe dann erfahren, dass sie dann meinen Vater getötet haben."
Der Beschwerdeführer wurde am 12. Oktober 2017 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Die Befragung zu seinem Fluchtgrund gestaltete sich - laut dem um Rechtschreibfehler bereinigten Protokoll - wie folgt:
"F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, detailliert, von sich aus, vollständig und wahrheitsgemäß. Soweit Sie auf Ereignisse Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, dass diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren.
A: Als ich mein Geschäft geführt habe, es war August 2015, kamen drei Männer zu mir ins Geschäft und sagten, sie wären von der Al-Shabaab (AS): Sie wollten, dass ich mich ihnen anschließe und mit ihnen zusammen kämpfe. Ich verneinte und sagte, dass ich arbeiten muss, um meine Familie zu versorgen. Es entstand dann ein Streit. Ich wurde dann mit einer Pistole bedroht und mitgenommen. Wir fuhren dann mit ihrem Auto ungefähr eine Stunde zu einem Haus. Dort angekommen wurde ich wieder zur Mitarbeit aufgefordert. Ich verneinte wieder und wurde dann mit einem Holzstock geschlagen. Ich habe dann dort übernachtet. Am nächsten Tag wurde ich wieder gefragt, ob ich mitarbeiten will. Am Abend gab es dann plötzlich einen Angriff durch die Regierungstruppen, wobei es auch einen heftigen Schusswechsel gab. Ich nutzte diese Gelegenheit und lief einfach davon. Ich kam dann am nächsten Tag ins Nachbarsdorf und blieb bei meiner Tante. Nach ungefähr drei Tagen erfuhr ich, dass die AS zu meiner Familie gekommen war, um mich zu suchen. Dabei soll es auch zu Handgreiflichkeiten zwischen AS und meinem Vater gekommen sein, woraufhin mein Vater getötet wurde. Mein Vater wurde dann beerdigt. Es kamen auch viele Verwandte aus verschiedenen Orten zum Begräbnis. Einige Zeit später habe ich dann das Land verlassen.
F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Somalia verlassen haben?
A: Nein.
F: Was würde Sie jetzt konkret erwarten, wenn Sie in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren würden?
A: Ich habe Angst vor der AS.
F: Mussten Sie Steuern (Zakat) an die AS zahlen, als Sie Ihr Geschäft betrieben?
A: Nein. Es wurde nie etwas verlangt. Die AS kam nur heimlich ins Dorf. Es kauften sogar die Regierungstruppen bei uns ein.
F: Bedeutet das, dass Ihr Dorf also nicht unter der Kontrolle der AS gestanden ist.
A: Das stimmt. Es gab dort Regierungstruppen und äthiopische AMISOM Truppen.
F: Was machte Sie so interessant für die AS, dass man Sie zwangsrekrutieren wollte. Hatten Sie irgendeine spezielle Ausbildung oder ein besonderes Talent?
A: Ich weiß es nicht.
F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen, vollständig geschildert?
A: Ja."
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia zulässig sei.
Darin wurde - soweit hier wesentlich - nach wörtlicher Wiedergabe der Einvernahme-Protokolle und des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Somalia (LIB) ausgeführt, dass die vorgebrachte Bedrohung durch Al-Shabaab nicht glaubhaft sei und der Beschwerdeführer in der Heimat insofern keiner Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt sei. Es stelle sich für die belangte Behörde als nicht glaubhaft dar, dass Al-Shabaab genau den Beschwerdeführer rekrutieren würde, zumal er über keine (für die Islamisten interessante) spezielle Fähigkeiten oder Talente verfüge. Auch sei unglaubwürdig, dass die Islamisten in das - unter der Kontrolle der AMISOM und der Regierungstruppen stehende - Heimatdorf des Beschwerdeführers gekommen seien und sich damit einem Risiko ausgesetzt hätten. Dass Al-Shabaab vom Beschwerdeführer auch nie Steuern verlangt hätte, werde ebenfalls als Hinweis gewertet, dass das Heimatdorf des Beschwerdeführers wohl außerhalb des von der Al-Shabaab kontrollierten Gebietes gelegen sei und somit tatsächlich dort kein Risiko einer Zwangsrekrutierung durch Al-Shabaab bestehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 27. November 2017 vorgelegte Beschwerde. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde rekrutiere Al-Shabaab überwiegend junge Männer in seinem Alter und stelle insofern nicht notwendiger Weise auf eine bestimmte Personengruppe ab. Auch sei das Netzwerk von Al-Shabaab so verstrickt, dass Zwangsrekrutierungen sogar über das Internet stattfinden würden. Die belangte Behörde habe völlig missachtet, dass es in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Al-Shabaab und somalischen Regierungstruppen komme. Im Übrigen sei die Feststellung der belangten Behörde, es komme in der Heimatprovinz XXXX und damit in Zentralsomalia zu keinen Zwangsrekrutierungen, völlig verfehlt. Dabei dürfe auch die verdeckt bestehende Präsenz der Al-Shabaab nicht außer Acht gelassen werden.
Mit Schriftsatz vom 29. November 2018 stellte der Beschwerdeführer einen Fristsetzungsantrag wegen Verletzung der Entscheidungspflicht an den Verwaltungsgerichtshof.
Mit am 17. Dezember 2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangter verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2018, Fr 2018/19/0047-2, wurde dem Bundesverwaltungsgericht aufgetragen, binnen drei Monaten eine Entscheidung zu erlassen.
Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19. Dezember 2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W256 am 2. Jänner 2019 zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).
Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall zwar eine Einvernahme (auch) zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers vorgenommen, diese beschränkte sich allerdings auf eine allgemeine Befragung ohne durch konkretes Nachfragen gezielt auf das vom Beschwerdeführer eigenständig geschilderte Fluchtvorbringen und damit auf den Einzelfall einzugehen. Der Beschwerdeführer hat - wie auch bereits im Rahmen seiner Erstbefragung - eine Zwangsrekrutierung und damit verbunden eine Verfolgung durch Al-Shabaab behauptet. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Fluchtgeschichte fand im Zuge der Befragung jedoch nicht statt.
Dementsprechend findet sich im angefochtenen Bescheid auch keine - zumindest nachvollziehbare - Begründung dazu, weshalb die belangte Behörde von der fehlenden Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens ausgeht. Die in der Beweiswürdigung dazu lediglich enthaltenen Ausführungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer unterliege deshalb keiner Gefahr einer Zwangsrekrutierung, weil er weder spezielle Fähigkeiten, noch seine Heimatregion von Zwangsrekrutierungen betroffen sei, finden jedenfalls in den getroffenen Feststellungen (und auch ansonsten im angefochtenen Bescheid) keine Deckung. Vielmehr stellte die belangte Behörde im Rahmen der Wiedergabe des LIB sogar im Gegenteil selbst fest, dass gerade Zentralsomalia - und damit die behauptete Heimatregion des Beschwerdeführers - Hauptrekrutierungsbereich der Al-Shabaab sei.
Eine auf reinen Behauptungen basierende (und im Übrigen mit den eigenen Feststellungen in Widerspruch stehende) Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen kann aber nicht als eine ernsthafte und damit ausreichende Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen gewertet werden.
Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem vom Beschwerdeführer (immer) geltend gemachten Fluchtgrund eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung des Beschwerdeführers, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2177924.1.00Zuletzt aktualisiert am
26.02.2019