Entscheidungsdatum
15.01.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W211 2204039-1/11E
Schriftliche Ausfertigung des am 08.01.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX,
StA: Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl XXXX, nach der Durchführung einer mündlichen
Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX
gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Die beschwerdeführende Partei wurde am XXXX2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am XXXX2018 fand eine Einvernahme der beschwerdeführenden Partei durch die belangte Behörde statt. Sie brachte dabei eine Gefährdung wegen einer Zwangsheirat mit einem Mitglied der Al Shabaab vor.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG wurde ihr nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die beschwerdeführende Partei eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiter wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 - 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
4. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.
5. Am XXXX2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen sie nach ihren Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX2018 für die Teilnahme an der Verhandlung. Nach Schluss der Verhandlung verkündete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung.
6. Am XXXX2019 langte der Antrag der belangten Behörde auf Ausfertigung des Erkenntnisses ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:
1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die am XXXX2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
1.1.2. Die beschwerdeführende Partei stammt aus XXXX in Gedo, nahe an der äthiopischen Grenze, und gehört der Minderheit der Madhibaan an.
In Somalia lebten zur Zeit der Ausreise der beschwerdeführenden Partei ihre Eltern, eine Schwester, ein Onkel sowie eine Cousine ihrer Mutter. Zu ihren Familienangehörigen hat die beschwerdeführende Partei keinen Kontakt.
1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Es werden die folgenden Feststellungen zur Situation in Somalia getroffen (Hervorhebung besonders relevanter Aussagen durch die erkennende Richterin):
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).
Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).
Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).
Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).
Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).
Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert - außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).
Einzig in der Frage der Mischehen besteht noch eine gesellschaftliche Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Als besonders problematisch wird es angesehen, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch. Mischehen kommen äußerst selten vor - insbesondere die zuletzt genannte Konstellation. Es bestehen aber offenbar regionale Unterschiede: Im clanmäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden. Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017).
Kommt eine Mischehe zustande, dann kommt es häufig zur Verstoßung der betroffenen Person durch die eigenen Familienangehörigen (des Mehrheits-Clans). Sie besuchen sie nicht mehr, kümmern sich nicht um ihre Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck. Die Gesprächspartner der Fact-Finding Mission bekräftigten, dass es unter solchen Umständen so gut wie nie zu Gewalt oder gar Tötungen kommt. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017).
Beide - Familie (auch die erweiterten und entfernt verwandten Teile) und Clan - bleiben einer der wichtigsten Faktoren, wenn es um Akzeptanz, Sicherheit und Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrung) geht. Eine Person, die an einen neuen Wohnort zieht, erwartet sich die Akzeptanz des Clans in der lokalen Gemeinschaft. Diese Akzeptanz bedeutet, dass die Menschen über den Neuankömmling und seine Verbindungen Bescheid wissen; damit steht auch der Schutz in Verbindung, den diese Person vom Clan erlangen kann (DIS 9.2015).
1.3. Es wird festgestellt, dass der beschwerdeführenden Partei in Somalia eine Zwangsheirat drohte und ihr Vater diese Zwangsheirat initiierte. Daraus ergibt sich für die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr eine Gefährdung, entweder zwangsverheiratet zu werden oder einer Bestrafung wegen ihrer Weigerung zu unterliegen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden.
Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Clanzugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei und ihre Herkunft aus Gedo wurden bereits durch die Behörde festgestellt (AS 153, Bescheidseite 17); das BVwG hat keinen Grund, an dieser Feststellung zu zweifeln.
Die Feststellungen zu den Familienangehörigen basiert auf den diesbezüglich zumeist nicht widersprüchlichen Angaben der beschwerdeführenden Partei im Verfahren; auch diese Feststellung wurde bereits durch die Behörde getroffen (AS 155, Bescheidseite 19). Die erkennende Richterin übersieht dabei die Angaben der beschwerdeführenden Partei in der Erstbefragung nicht, sondern verweist auf unten Punkt 2.4.
Dass die beschwerdeführende Partei strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Strafregister vom XXXX2018.
2.3. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die bereits Bestandteil des angefochtenen Bescheids waren und in den relevanten Auszügen unter Punkt 1.2. in diesem Erkenntnis wiedergegeben sind. Die Feststellungen betreffen die Situation der Frauen, Mischehen, Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen und ausländischen Sicherheitsbehörden sowie die Notwendigkeit, auf familiäre und Clanunterstützung bei einer Neuansiedlung zurückgreifen zu können. Sie beruhen auf den folgenden
Einzelquellen:
Quellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-
HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017
-
DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 13.12.2017
-
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
-
SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017
-
UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
-
UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
-
UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
-
USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit, Verlässlichkeit und Aktualität der Länderfeststellungen zu zweifeln, die auch bereits die belangte Behörde zur Entscheidung heranzog.
2.4. Zum fluchtauslösenden Vorbringen ist zu sagen, dass die beschwerdeführende Partei dieses im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Vergleich zur Einvernahme bei der belangten Behörde weitgehend widerspruchsfrei angab: Sie machte zum Einvernahme-Protokoll gleichbleibende Angaben in Bezug auf ihre Reisen nach Mogadischu (vgl. AS 102, Seite 10 des Protokolls vom 16.04.2018 und S. 7 des Verhandlungsprotokolls: zu Fuß nach XXXX und dann mit dem LKW über XXXX nach Mogadischu); ihren Aufenthalt dort (einmal bei der "Tante", einmal bei einer Freundin der "Tante": vgl. AS 99 und AS 103 sowie S. 7 und 8 des Protokolls); darüber, beim zweiten Mal nicht mehr mit dem Vater gesprochen zu haben (vgl. AS 103 und S. 12 des Verhandlungsprotokolls), und beschreibt auch den Besuch der Familie ihres "Verlobten" gleichbleibend und detailliert (vgl. S. 10f des Verhandlungsprotokolls und AS 101).
Selbst wenn der erkennenden Richterin eine drohende Mischehe mit einem Marehan, seine Rolle in der Stadt als Al Shabaab Mitglied oder eben nicht als Al Shabaab Mitglied, und die eher vage gebliebenen Angaben der beschwerdeführenden Partei zu dieser Person wenig nachvollziehbar erscheinen, so geht aus den oben unter 1.2. wiedergegebenen und festgestellten Länderinformation hervor, dass Frauen in Somalia nach wie in einer grundsätzlich prekären Lebenssituation sind, geschlechtsspezifische Gewalt ungebremst grassiert und es eben zu Zwangsverheiratungen junger Mädchen und Frauen kommt. Dafür, dass der beschwerdeführenden Partei nun im Lichte ihres nicht widersprüchlichen eigentlichen Fluchtvorbringens eine solche Zwangsverheiratung eben gerade nicht gedroht haben soll, ergeben sich aus den Länderberichten keine Hinweise.
Und in Bezug auf die geplante Mischehe, die tatsächlich nicht leicht nachvollziehbar ist, muss dennoch darauf hingewiesen werden, dass aus den Länderinformationen hervorgeht, dass eine solche zwischen einem Mehrheitsclanangehörigen und einer Angehörigen einer Minderheit noch eher in Frage kommt, als die umgekehrte Situation. Auch daraus lässt sich also eine gänzlich fehlende Plausibilität des Vorbringens nicht ableiten.
Der belangten Behörde ist Recht zu geben, wenn sie in ihrer Beweiswürdigung auf die Diskrepanz zu den Angaben der Erstbefragung hingewiesen hat: Dort gab die beschwerdeführende Partei an, dass ihre Eltern gestorben seien und sie bei einem Onkel aufgewachsen sei, der sie an einen alten Mann habe verheiraten wollen (vgl. AS 9). Dazu ist allerdings zu sagen, dass das Kernvorbringen - eine drohende Zwangsheirat - auch in der Erstbefragung gleichgeblieben ist und damit die dort fehlerhaften Angaben zu den Familienangehörigen nicht in der Lage sein können, das Kernvorbringen gänzlich zu entkräften. Im Lichte dessen, dass im Beschwerdeverfahren geglaubt wird, dass die beschwerdeführende Partei durch ihren Vater in eine unerwünschte Ehe gezwungen hätte werden sollen, kann auch ihre Erklärung, vor ihrem Vater Angst zu haben und diesen verleugnen zu wollen, nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden.
Im Ergebnis sprechen die Länderinformationen, die Auskunft über die schwierige Lage der Somalierinnen und das hohe Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt geben, die weitgehend widerspruchsfreien Angaben der beschwerdeführenden Partei in der Einvernahme bei der belangten Behörde und im Rahmen der mündlichen Verhandlung zum Kernvorbringen und die im Vergleich daher unwesentlichen Widersprüche dafür, das Fluchtvorbringen und in weiterer Folge die Gefährdung festzustellen und einer rechtlichen Würdigung zu unterziehen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Spruchpunkt I.:
3.1. Rechtsgrundlagen
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
3.2.1. Daher muss von einer aktuellen und maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr der beschwerdeführenden Partei als Mitglied der sozialen Gruppe der Frauen wegen einer drohenden Zwangsheirat und der Konsequenzen bei einer Weigerung ausgegangen werden.
3.2.2. Von einer Schutzwilligkeit und -fähigkeit der somalischen (oder anderer) Sicherheitsbehörden kann nach den Länderinformationen nicht ausgegangen werden.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auf Basis der Notwendigkeit von familiärer und Clanunterstützung bei der Neuansiedlung in einem anderen Landesteil nicht zumutbar - die beschwerdeführende Partei gehört einer Minderheit an und kann auf ihre Kernfamilie deshalb nicht zurückgreifen, weil gerade von ihrem Vater die Gefährdung ausgeht. Mogadischu und ihre Tante dort als Relokationsort kommen für die beschwerdeführende Partei aus dem letzteren Grund ebenfalls nicht in Frage.
3.2.3. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.3. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall Anwendung finden.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W211.2204039.1.00Zuletzt aktualisiert am
26.02.2019