TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/15 W211 2151165-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2019
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Entscheidungsdatum

15.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W211 2151165-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.01.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX

gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, stellte am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Die beschwerdeführende Partei wurde am XXXX 2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am XXXX 2015 und am

XXXX 2017 fanden Einvernahmen der beschwerdeführenden Partei durch die belangte Behörde statt. Die beschwerdeführende Partei brachte dabei eine Gefährdung durch die islamistische Miliz Al Shabaab vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht.

5. Am XXXX 2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen sie nach ihren Fluchtgründen befragt wurde. Die belangte Behörde entschuldigte sich mit Schreiben vom XXXX 2018 für die Teilnahme an der Verhandlung. Nach Schluss der Verhandlung verkündete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung.

6. Am XXXX 2019 langte der Antrag der belangten Behörde auf Ausfertigung des Erkenntnisses ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist ein männlicher Staatsangehöriger Somalias. Sie stellte am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2 Die beschwerdeführende Partei stammt aus Beledweyne und gehört dem Clan der Dir, XXXX , an.

Die Eltern und Geschwister der beschwerdeführenden Partei leben mittlerweile in Äthiopien; die beschwerdeführende Partei hat Kontakt zu ihren Eltern.

1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:

Die Grenze zum Gebiet der Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ) bildet Matabaan. Im nordöstlichen Hiiraan werden einige Ortschaften östlich von Belet Weyne von der Macawuusley genannten Miliz kontrolliert. Im Grenzgebiet zu Äthiopien ist die äthiopische Liyu Police aktiv. Dies betrifft in erster Linie einen 30-40 Kilometer breiten Grenzstreifen westlich von Belet Weyne. In diesem Bereich verfügt al Shabaab nur über eine geringe Präsenz (BFA 8.2017).

Buulo Barde, Jalalaqsi und Belet Weyne befinden sich unter Kontrolle von AMISOM (DIS 3.2017). Dies gilt auch für Jowhar, Warsheikh, Balcad und Cadale sowie andere größere Städte in Middle Shabelle (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017). In Hiiraan befinden sich zusätzlich in mehreren kleineren Städten Stützpunkte von AMISOM, der äthiopischen Armee, der Liyu Police und der somalischen Armee. In Middle Shabelle befinden sich Truppenteile der somalischen Armee die auch tatsächlich unter Kontrolle der Armeeführung in Mogadischu stehen (BFA 8.2017).

Große Teile des ländlichen Raumes werden von al Shabaab kontrolliert. Zwar ist die al Shabaab in Hiiraan nicht mehr so aktiv, wie zuvor (DIS 3.2017). Trotzdem verfügt sie dort über den Großraum westlich der Hauptverbindungsstraße sowie über das Gebiet zwischen Maxaas und Adan Yabaal; sowie nördlich nahezu bis zur Straße von Belet Weyne nach Dhusamareb. Der Raum zwischen Adan Yabaal und der Küste kann hingegen als ‚bandits country' mit geringer Präsenz der al Shabaab bezeichnet werden (BFA 8.2017).

Generell stellen in erster Linie AMISOM und nationale sowie regionale Behördenvertreter Ziele für Angriffe der al Shabaab dar (SEMG 8.11.2017). Neben AMISOM und Sicherheitskräften (BFA 8.2017) wird al Shabaab auch weiterhin Zivilisten gezielt angreifen, darunter: die somalische Regierung, Parlamentarier und Offizielle (UKHO 7.2017); Regierungsbedienstete, mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten; Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, UKHO 7.2017); Wirtschaftstreibende; Älteste (BFA 8.2017; vgl. UKHO 7.2017) und deren Angehörige; diplomatische Missionen; prominente Friedensaktivisten und Gemeindeführer (USDOS 3.3.2017); Journalisten (UKHO 7.2017; vgl. HRW 12.1.2017); mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017, UKHO 7.2017); Deserteure (UKHO 7.2017) sowie Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben; Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017).

Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele - auch in Mogadischu - aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Person al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clan-Dynamiken, ist die Gruppe bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte die al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017). Auch wenn al Shabaab einige Menschen in Somalia als "legitime Ziele" erachtet, so gilt dies für die meisten Zivilisten nicht. Dass normale Zivilisten in von der Regierung und AMISOM kontrollierten Gebieten zum Ziel der al Shabaab werden, ist unwahrscheinlich. Auch "low level"-Ziele (z.B. lokale Mitarbeiter von internationalen oder nationalen NGOs) sind keine Priorität der al Shabaab, sie werden nicht generell angegriffen. Andererseits können high profile Personen, die etwa die Regierung oder die internationale Gemeinschaft repräsentieren, einem hohen Risiko ausgesetzt sein. Auch Personen, die als Unterstützer der somalischen Regierung wahrgenommen werden, können - je nach persönlichen Umständen - einem Risiko ausgesetzt sein. Dies gilt auch für Journalisten oder Mitarbeiter von NGOs, je nachdem, wie sehr sich ihre Aktivitäten gegen al Shabaab wenden (UKHO 7.2017).

Die al Shabaab rekrutiert Kinder und zwingt diese, an Kampfhandlungen teilzunehmen (USDOS 3.3.2017).

Rekrutiert wird vorwiegend in den Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab (DIS 3.2017).

Insgesamt gibt es fünf Hauptarten der Rekrutierungsbestrebungen durch die al Shabaab:

a) direkte Rekrutierung von Frauen, arbeitslosen Jugendlichen und vulnerablen Bevölkerungsteilen; v.a. über soziale und ökonomische Anreize;

b) Zwangsrekrutierung durch Entführung, Bedrohung oder den Befehl z. B. an Eltern, einen Sohn abzugeben;

c) Rekrutierung über Dritte - über Freund und Verwandte (peer pressure);

d) Medienarbeit: Propaganda, Soziale Medien, Radio und Internet;

e) religiöse Überzeugung: Predigten und Radikalisierung in Madrassen (UNSOM 18.9.2017; vgl. DIS 3.2017)

Somalische Bürger identifizierten die Gruppe der 10-15jährigen als primäres Ziel der al Shabaab zum Zweck der Rekrutierung. Das junge Alter garantiert, dass die Rekruten noch nicht so sehr zwischen Gut und Böse unterscheiden können (UNSOM 18.9.2017).

Al Shabaab rekrutiert Kämpfer gezielt in Moscheen (ÖB 9.2016). Außerdem hat die Gruppe als Rekrutierungswerkzeug ein eigenes Madrassen-System aufgezogen. Diese ‚Bildungsmaßnahme' für Kinder und Erwachsene soll mögliche Rekruten frühzeitig indoktrinieren und ausbilden. Das System zeigt für die al Shabaab gute Erfolge. So befinden sich in den sieben Madrassen in Jilib jeweils ca. 600 15-20jährige in Ausbildung; in Saakow gibt es sechs Madrassen mit ähnlichen Besuchszahlen, wobei dort auch viele unter-15jährige den Unterricht besuchen (SEMG 8.11.2017). Die Madrassen dienen auch dazu, Mädchen als mögliche Bräute für eigene Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017).

1.3. Es wird festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei zwischen 2008 und 2014 eine Koranschule besuchte und im Jahr 2014 von ihrem Koranlehrer aufgefordert wurde, bei der Al Shabaab mitzuarbeiten. Sie wurde einmal entführt und verbrachte einen Nachmittag/Abend mit Al Shabaab Mitgliedern, bevor ihr die Flucht gelang. Es wird weiter festgestellt, dass die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr einer Gefährdung durch die Al Shabaab unterliegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. An den Angaben der beschwerdeführenden Partei betreffend ihre Clanzugehörigkeit gibt es keinen Grund zu zweifeln, diese Feststellungen wurden außerdem bereits im angefochtenen Bescheid getroffen (AS 206). Genauso wenig zweifelt die erkennende Richterin daran, dass die beschwerdeführende Partei aus Beledweyne stammt.

Die Feststellung zu den Familienangehörigen der beschwerdeführenden Partei beruht auf ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben im Laufe des Verfahrens.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf einem Auszug aus dem Strafregister vom XXXX 2019.

2.3. Die Feststellungen zu 1.2. fußen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia aus 2018. Sie beruhen auf den folgenden Detailquellen:

Länderinformationsblatt Staatendokumentation, 12.1.2018:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

-

DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):

South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017

-

EGMR - Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (10.9.2015):

R.H. v. Sweden, Application no. 4601/14, Council of Europe: ECHR, http://www.refworld.org/docid/55f66ef04.html, Zugriff 21.12.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

-

SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

-

UKHO - UK Home Office (7.2017): Country Policy and Information Note Somalia (South and Central): Fear of Al Shabaab, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1500368455_somalia-al-shabaab-cpin-v2-0.pdf, Zugriff 15.12.2017

-

UKUT - United Kingdom Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) (3.10.2014): UK Country Guidance Case. MOJ & Ors (Return to Mogadishu) (Rev 1) (CG) [2014] UKUT 442 (IAC), http://www.bailii.org/uk/cases/UKUT/IAC/2014/[2014]_UKUT_442_iac.html, Zugriff 21.12.2017

-

UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

-

UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

-

UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

-

UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (18.9.2017):

Countering Al-Shabaab Propaganda and Recruitment Mechanisms in South Central Somalia,

https://unsom.unmissions.org/sites/default/files/countering_al-shabaab_propaganda_and_recruitment_mechanisms_report_final_-_14_august_2017.pdf, Zugriff 11.11.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit, Aktualität und Verlässlichkeit der Länderinformationen zu zweifeln.

2.4. In Bezug auf das Fluchtvorbringen ist zu sagen, dass die beschwerdeführende Partei in der mündlichen Verhandlung ein ausführliches, detailliertes und konsistentes Vorbringen zu ihren Fluchtgründen erstattete. Das Vorbringen hinsichtlich der Aufforderung ihres Koranlehrers, sich der Al Shabaab anzuschließen, der Mitnahme, der Flucht und der weiteren Vorgehensweise ist mit den Angaben der beschwerdeführenden Partei in ihren Einvernahme vor der belangten Behörde (AS 113ff und AS 181f) nicht widersprüchlich, andererseits aber auch nicht gänzlich wortgleich und auch nicht in der Erzählstruktur vollkommen gleich, was darauf hindeutet, dass die beschwerdeführende Partei tatsächlich eine Erinnerung erzählt und nicht nur eine vorgefertigte Geschichte.

Wenn die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung darauf hindeutet, dass die beschwerdeführende Partei einmal gesagt hätte, sie sei in eine verlassene Ortschaft in den Wald gebracht worden, so meinte sie kurz davor, sie sei in einen Wald gebracht worden (AS 113) und in der späteren Einvernahme erneut, dass sie in einen Wald gebracht worden sei (AS 183). Auch in der mündlichen Verhandlung schilderte die beschwerdeführende Partei glaubhaft, dass sie in einen Wald gebracht worden ist (S. 5 des Protokolls). Die erkennende Richterin kann daher in diesen Vorbringen nicht den starken Widerspruch erkennen, den die Behörde in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheids auf S. 54 in Bezug auf jene "verlassene Ortschaft" andeutet. Im Gegenteil, gab doch die beschwerdeführende Partei selbst, wie erwähnt, bereits in der Einvernahme am XXXX 2015 an, in einen Wald gebracht worden zu sein.

Ebenso wird anerkannt, dass die Schilderung der Flucht der beschwerdeführenden Partei aus der Anhaltung abenteuerlich - im eigentlichen Sinn des Wortes - ist, sie sich jedoch für die erkennende Richterin in ihrer Detailliertheit von ähnlichen Geschichten anderer Beschwerdeführer_innen tatsächlich stark unterscheidet: Die beschwerdeführende Partei ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung in der Lage, auf gezielte Fragen zu ihrer Flucht konkret zu antworten und lebensnahe und nachvollziehbare Angaben dazu zu machen.

Die Fahrtzeit der Al Shabaab zu jenem Wald wie auch die Dauer des Fußmarsches zurück in die Stadt müssen von der beschwerdeführenden Partei aus Schätzungen gewesen sein und bleiben jedenfalls Spekulation. Eine Beweiswürdigung vermögen solche Vergleiche einer angenommenen Dauer der Fahrt und des Fußmarsches sowie von Uhrzeiten am Nachmittag nicht zu tragen.

Die Geschehnisse nach ihrer Rückkehr nach Beledweyne schildert die beschwerdeführende Partei widerspruchsfrei in ihren Einvernahmen und im Rahmen der mündlichen Verhandlung; Hinweise darauf, dass diese sich nicht so zugetragen haben, wie vorgebracht, ergeben sich für die erkennende Richterin nicht aus dem Verfahren.

Wenn die belangte Behörde schließlich in ihrer Beweiswürdigung auf S. 54 des angefochtenen Bescheids angibt, die beschwerdeführende Partei hätte in ihrer zweiten Einvernahme im Gegensatz zu ihrer ersten Einvernahme gesagt, ihre Mutter hätte sie zu einem Nachbarn gebracht und versteckt, so findet sich kein Hinweis auf eine solche Angabe im Protokoll der Einvernahme vom XXXX 2017 (vgl. AS 177ff), genauso wenig wie im Protokoll der Erstbefragung vom XXXX 2015 oder im Protokoll der ersten Einvernahme beim BFA vom XXXX 2015. Ein entsprechender Widerspruch ist also nicht dokumentiert und die Angabe, die beschwerdeführende Partei hätte gesagt, ihre Mutter hätte sie zu einem Nachbarn gebracht, daher aktenwidrig.

Die beschwerdeführende Partei machte in der mündlichen Verhandlung damit einen insgesamt glaubwürdigen Eindruck und schilderte ihr Vorbringen nachvollziehbar, detailliert, widerspruchsfrei und damit glaubhaft. Sie war darüber hinaus in der Lage, auch außerhalb einer Chronologie auf konkrete Fragen einzugehen und lebensnahe Antworten zu geben.

In weiterer Folge geht aus den Länderberichten hervor, dass die Al Shabaab auch über Moscheen und Madrassen Mitglieder rekrutiert, weshalb das Faktum, dass der Koranlehrer der beschwerdeführenden Partei Mitglied der Miliz gewesen ist und Schüler zu rekrutieren versuchte, nicht unplausibel ist. Außerdem geben die Länderinformationen darüber Auskunft, dass Al Shabaab auch in Regionen, die nicht mehr unter ihrer Kontrolle stehen, in der Lage ist, gezielte Anschläge zu verüben, und Gegner, so auch mutmaßliche Kollaborateure mit der somalischen Regierung oder den ausländischen Kräften, Spione oder Deserteure, gezielt zu verfolgen. Im Zusammenhang mit der Feststellung einer nach wie vor bestehenden Gefährdung der beschwerdeführenden Partei wurde mitbedacht, dass diese von ihrem langjährigen Koranlehrer angesprochen wurde, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass sie im Falle ihrer Rückkehr wiedererkannt und auch als Gegner der Miliz - als jemand, der sich ihr bereits einmal verweigert hat - erneut ins Visier der Al Shabaab geraten könnte. Es konnte daher eine entsprechende Feststellung zu einer Gefährdung getroffen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Aufgrund der getroffenen Feststellungen muss angenommen werden, dass die beschwerdeführende Partei im Falle einer Rückkehr in ihre Heimatregion einer aktuellen und maßgeblichen Verfolgungsgefahr durch Al Shabaab wegen einer ihr auch nur unterstellten oppositionellen religiösen oder politischen Gesinnung unterliegen würde.

Von einer ausreichenden Schutzfähigkeit der somalischen (und ausländischen) Sicherheitsbehörden kann auf Basis der oben festgestellten Länderinformationen nicht ausgegangen werden.

3.2.2. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.2.3. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, unterstellte politische Gesinnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W211.2151165.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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