TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/16 W261 2200009-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.01.2019
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Entscheidungsdatum

16.01.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2200009-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt, vom 29.05.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.12.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben.

II. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.01.2022 erteilt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Gang des Verfahrens:

Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF), eine afghanische Staatsbürgerin, reiste nach eigenen Angaben am 31.10.2016 gemeinsam mit ihren vier minderjährigen Brüdern, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX, irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 31.10.2016 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Paschtu. Dabei gab die BF an, afghanische Staatsangehörige und sunnitische Muslimin zu sein und der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören. Sie sei am XXXX in der Provinz Laghman, Afghanistan, geboren. Ihren Fluchtgrund betreffend führte sie aus, ihr Vater habe als Fahrer für Polizisten für die Regierung gearbeitet. Als er Polizisten von Nangahar nach Kabul fahren wollte, sei er in einen Hinterhalt der Taliban geraten und alle seien durch eine Mine getötet worden. Nach diesem Vorfall hätten die Taliban ihren älteren BruderXXXX bedroht. Sie hätten auch gedroht, die BF und ihre kleinen Brüder zu töten, weshalb sie beschlossen hätten, das Land zu verlassen. Der ältere Bruder habe die Flucht organisiert und sei mit der BF und den jüngeren Brüdern geflüchtet. In der Türkei sei der Kontakt zu ihm abgebrochen, die BF sei daraufhin allein mit ihren jüngeren Brüdern weitergereist.

Mit Schreiben vom 08.11.2016 stellte die Bezirkshauptmannschaft Baden als regionale Organisationseinheit des Landes Niederösterreich als Kinder- und Jugendwohlfahrtsträger hinsichtlich der vier minderjährigen Brüder der BF fest, dass die BF mit der Pflege und Erziehung betraut wurde.

Am 29.03.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt (in der Folge BFA oder belangte Behörde), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Dabei wiederholte sie betreffend ihre Fluchtgründe im Wesentlichen die Angaben der Erstbefragung. Weiters brachte die BF vor, ihr älterer Bruder sei im August 2017 nach Afghanistan zurückgekehrt und nach einer Woche umgebracht worden. Die BF habe am 27.07.2017 in Traiskirchen geheiratet. Ihr Ehemann sei vor sechs bis sieben Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Er lebe in Italien in Florenz und arbeite in einem Weingarten. Sie habe ihn im Zug in Österreich kennengelernt, einmal im Monat sehe sie ihn. Die BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen von sich und ihren Brüdern, Fotos ihres Vaters und ihre Heiratsurkunde vor.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 25.05.2018 wurde der BF die Obsorge für ihre vier minderjährigen Brüder übertragen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29.05.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde der BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Mit ebenfalls angefochtenen Bescheiden vom selben Tag wies die belangte Behörde auch die Anträge der minderjährigen Brüder der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde den minderjährigen Brüdern der BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gegen die Brüder der BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung der Brüder der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Brüder der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Gegen diese Bescheide brachten die BF und ihre vier minderjährigen Brüder, alle bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, mit Eingabe vom 27.06.2018 jeweils fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und legten eine Vertretungsvollmacht vor.

Die belangte Behörde legte die Beschwerden der BF samt den Aktenvorgängen mit Schreiben vom 28.06.2018 dem BVwG zur Entscheidung vor, wo diese am 04.07.2018 einlangten.

Das BVwG beraumte für 20.11.2018 eine mündliche Verhandlung an, welche in weiterer Folge vertagt wurde.

Mit Schreiben vom 29.11.2019 übermittelte das BVwG das Länderinformationsblatt zu Afghanistan mit Stand 23.11.2018, die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, Auszüge aus der Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan vom Juni 2018 und den Landinfo Report Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 und räumte sowohl der BF als auch der belangten Behörde die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Mit Schreiben vom 14.12.2018 gab das BFA eine Stellungnahme zu den übermittelten UNHCR-Richtlinien ab. Zusammengefasst brachte die belangte Behörde dabei vor, dass die UNHCR-Richtlinien die wesentlichen Schlussfolgerungen der EASO Country Guidance nicht beeinträchtigen würden. Während sich die UNHCR-Richtlinien oft auf allgemeine theoretische Formulierungen beschränkten, würde die EASO Country Guidance ein praktisches Hilfsmittel mit konkreten rechtlichen Schlussfolgerungen für Entscheidungsfinder darstellen. Das BFA erachte eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul-Stadt als grundsätzlich zumutbar, jedoch sehr stark abhängig von individuellen Faktoren des Einzelfalls. Ob und für welche Fälle UNHCR eine IFA in Kabul-Stadt für zumutbar halte, bleibe derzeit offen.

Am 20.12.2018 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung der gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Beschwerdeverfahren der BF und ihrer vier minderjährigen Brüder im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu statt, zu der die BF und ihre vier minderjährigen Brüder gemeinsam mit ihrer Rechtsvertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH erschienen. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte die BF im Wesentlichen das aus, was sie bereits vor der belangten Behörde aussagte und legte eine Reihe von Integrationsunterlagen für sich und ihre minderjährigen Brüder vor. Darüber hinaus gab die BF bekannt, im fünften Monat schwanger zu sein. Seitens der Rechtsvertretung der BF wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung Stellungnahmen zu den seitens des BVwG übermittelten Länderinformationen abgegeben und ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Afghanistan-Gefährdungsprofile" vom 12.09.2018, eine Stellungnahme zur Gefährdung von Kindern in Afghanistan vom 19.12.2018, eine Stellungnahme zur nichtgegebenen internen Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 20.11.2018 und eine Stellungnahme zur Verfolgung der BF und ihrer minderjährigen Brüder durch die Taliban im gesamten Staatsgebiet vom 17.12.2018 vorgelegt. Die bevollmächtigte Vertretung führte dazu aus, dass die BF und ihre minderjährigen Brüder alle unter ein Gefährdungsprofil fallen würden und allein deshalb in Afghanistan mit asylrelevanter Verfolgung zu rechnen hätten. Sie könnten keine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen, da es sich um eine junge Frau mit vier minderjährigen Brüdern handle, die keinerlei finanzielle Unterstützung und kein Netzwerk in Afghanistan habe. Zudem erwarte die BF noch ein Kind. Außerdem hätten die BF und ihre Brüder mit einer Verfolgung aufgrund ihrer (unterstellten) politischen Gesinnung zu rechnen, da ihr Vater für die Regierung tätig gewesen sei. Personen, die von den Taliban verfolgt würden, stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Die BF sei von ihrem in Italien legal aufhältigen Ehemann schwanger und könne dieses Familienleben keinesfalls in Afghanistan fortgesetzt werden.

Laut dem am 07.12.2018 vom BVwG eingeholten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem befindet sich die BF laufend in der vorübergehenden Grundversorgung.

Das BVwG holte am 07.12.2018 eine Strafregisterauskunft der BF ein, wonach sie strafrechtlich unbescholten ist.

Betreffend die Beschwerdeverfahren der vier minderjährigen Brüder der BF ergeht mit heutigem Tag ein eigenes Erkenntnis des BVwG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1 Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:

Die BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX, im Dorf XXXX, im Distrikt XXXX, in der Provinz Laghman und ist Afghanische Staatsbürgerin. Sie gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Die BF ist gesund. Die BF hat keine Schule besucht, kann aber in Paschtu lesen und ein wenig schreiben.

Die BF ist seit 27.07.2017 traditionell mit dem afghanischen StaatsbürgerXXXX verheiratet, er ist in Italien asylberechtigt und lebt in Florenz. Die BF erwartet mit ihm im Mai 2019 das erste gemeinsame Kind. Ihr Ehemann besucht die BF etwa einmal im Monat.

Die Eltern der BF sind bereits verstorben. Die BF verließ Afghanistan gemeinsam mit ihrem älteren Bruder und den vier jüngeren Brüdern XXXX, XXXX,XXXX und XXXX. In der Türkei riss der Kontakt zum älteren Bruder,XXXX, ab. Später erfuhr die BF, dass er nach Afghanistan zurückgekehrt war und getötet wurde. Die BF reiste mit ihren vier minderjährigen Brüdern weiter und kümmert sich seither allein um sie.

Die BF besucht einmal wöchentlich einen Deutschkurs und kann sich auf Deutsch verständigen. Sie hat eine österreichische Freundin, mit der sie telefoniert, und welche die BF regelmäßig besucht und mit ihr spazieren geht. Die BF geht alleine zum Arzt und einkaufen. Sie kümmert sich alleine um ihre vier minderjährigen Brüder, für welche sie die Elternrolle übernommen hat.

Die BF ist mittlerweile eine Frau, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie führt in Österreich ein freies, selbstbestimmtes Leben. Ihr Ehemann lebt in Italien und besucht sie einmal im Monat. Ihr obliegt die Haushaltsführung und ihr Fokus liegt aktuell darin, ihre vier minderjährigen Brüder zu betreuen, wobei sie plant, nach dem besseren Spracherwerb berufstätig zu sein. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, wieder nach der streng konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen. Sie trägt ihr Haar lose mit einem Schal bedeckt und ist zwar nicht westlich, aber nach ihrem eigenen Geschmack und nicht nach den afghanischen Vorschriften gekleidet. Die BF ist strafrechtlich unbescholten.

Die BF stellte am 31.10.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Es liegen keine Gründe vor, nach die BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen sind oder nach denen ein Ausschluss BF zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 23.11.2018, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 und im Landinfo Report Afghanistan zum Thema "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.5.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

Die Herkunftsprovinz der BF, die Provinz Laghman, liegt inmitten des Hindukush-Gebirges. Sie besteht aus folgenden Distrikten:

Alishing/Alishang, Alingar, Dawlat Shah/Dawlatshah, Qargayi/Qarghayi und Mehtar Lam/Bad Pash (Pajhwok o.D.f). Laghman grenzt an die Provinzen Nangarhar im Süden, Kunar im Osten, Nuristan und Panjshir im Norden und Kapisa und Kabul im Westen. Mehtar Lam/Mehtarlam ist die Provinzhauptstadt. In der Provinz leben mehrheitlich Paschtunen, gefolgt von Tadschiken, Nuristani, Paschai. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 460.352 geschätzt.

Laghman zählte seit dem Fall der Taliban im Jahr 2001 zu den relativ friedlichen Provinzen; Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen nahmen jedoch in den letzten Jahren zu. Im Juli 2017 waren die Distrikte Alingar, Alishing und Dawlatshah von Sicherheitsproblemen betroffen, während sich die Sicherheitslage in der Provinzhauptstadt und ihren Vororten verbesserte. In Laghman befindet sich eine internationale Militärbasis (Forward Operating Base Gamberi).

Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 147 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Laghman 354 zivile Opfer (84 getötete Zivilisten und 270 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 14% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Luftangriffe werden durchgeführt. Dabei werden Aufständische, auch Talibananführer getötet. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräfte finden statt. Berichtet wurde, dass nun zum ersten Mal Zusammenstöße zwischen Aufständischen der Taliban und des IS von Nangarhar auf die Provinz Laghman übergeschwappt sind - beide Seiten haben hohe Verluste bei diesen Zusammenstößen zu verzeichnen. Die Provinz Laghman grenzt an die Provinz Nangarhar, in der sowohl Anhänger der Taliban als auch Anhänger des IS in abgelegenen Distrikten aktiv sind. Lokale Beamte berichten von Luftangriffen auf die Taliban und den IS in manchen Distrikten der Provinz Laghman. Regierungsfeindliche Gruppierungen, inklusive Anhänger der Taliban und des IS, haben versucht, in abgelegenen Teilen der Provinz ihre Aktivitäten auszuweiten. In der Provinz Laghman kam es zu Zusammenstößen zwischen Taliban- und IS- Kämpfern.

Die Provinz Laghman zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass im Einzelfall nur minimale Teilvoraussetzungen erfüllt sein müssen, um berechtigten Grund für die Annahme zu liefern, dass Zivilisten, welche in diese Provinz zurückgebracht werden, eine reelle Gefahr, ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen, gewärtigen hätten.

1.5.2 Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist generell festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

In der Herkunftsprovinz der BF, der Provinz Laghman, werden zahlreiche Projekte implementiert: der Bau eines Flughafens, der die vier östlichen Provinzen verbinden soll, Dämme, ein Solarenergieplan, Parks, Straßen, ein Wasserversorgungssystem, der Campus der Universität Laghman sowie die Errichtung eines Kricket-Stadiums usw.. Ein Abschnitt der Kabul-Jalalabad Autobahn geht durch die Provinz Laghman. Auch wurde Ende 2013 eine 14 km lange Straße gebaut, welche die Provinzhauptstadt Mehtarlam mit dem Distrikt Qarghayi verbindet). Mitte April 2017 wurde in Mehtarlam der Bau einer Tangente in der Provinz Laghman angekündigt.

2017 stieg die Opium-Produktion in der Provinz Laghman um 64% im Vergleich zu 2016. Alle Distrikte der Provinz, in denen Mohn angebaut wird, waren davon betroffen. Im Laufe des Jahres 2017 wurden 23 Hektar Mohnfelder umgewidmet.

1.5.3 Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet. Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit. In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist. Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach. Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden. Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter.

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.49 Schulen, insgesamt

8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert.

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit. Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung.

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen.

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach. Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert.

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes.

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt. Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018. Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden. Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt. Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen.

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit.

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden. Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen. Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen.

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig; und bietet rechtlichen Schutz für Frauen.

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:

Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert. Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt.

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren. Die EVAW- Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt.

Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW- Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden.

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen. Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen. Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen.

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben. Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter.

Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt.

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt und kommen auch weiterhin vor. Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde.

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System.

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine.

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben. Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich.

1.5.4 Medizinische Versorgung

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar.

1.5.5 Paschtunen und Sunniten

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten, wie es auch die BF ist.

1.5.6 Taliban und Aufständische

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen.

2. Beweiswürdigung

2.1 Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen:

Die Angaben der persönlichen Verhältnisse der BF ergeben sich aus dem Akt, insbesondere auch aus der persönlichen Einvernahme der BF vor dem BVwG am 20.12.2018 und aus der Einvernahme vor dem BFA am 29.03.2018 bzw. aus den von der BF im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden. Das erkennende Gericht erachtet diese Angaben der BF zu ihrer Herkunft, ihrem Familienleben und zu ihren Lebensumständen in Afghanistan, wie bereits die belangte Behörde auch, als glaubhaft.

Die getroffene Feststellung betreffend die überwiegende Orientierung der BF an dem allgemein als "westlich" zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild ergibt sich primär aus dem selbstbewussten, offenen und natürlichen Auftreten der BF und ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung am 20.12.2018 vor dem BVwG.

Die BF vermochte in der Beschwerdeverhandlung zu überzeugen, dass sie in Österreich nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese vielmehr ablehnt. Sie war bedingt dadurch, dass sie, nachdem ihre Eltern gestorben waren und der Kontakt zu ihrem älteren Bruder auf der Flucht abriss, mehr oder weniger auf sich alleine gestellt und übernimmt seither für ihre vier minderjährigen Brüder die Elternrolle. An ein freies und selbstbestimmtes Leben als Frau war für die BF in ihrem Heimatdorf nicht zu denken. So durfte die BF nicht in die Schule gehen, arbeiten und alleine das Haus verlassen und hielt sich die meiste Zeit im Haus auf. Obwohl sie unbedingt die Schule besuchen wollte und ihre Familie damit einverstanden gewesen wäre, musste sie sich den gesellschaftlichen Zwängen unterwerfen. Sollte sie das Haus einmal verlassen haben, trug sie - wie alle anderen Frauen im Dorf auch - eine Burka. (vgl. S 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 20.12.2018).

Mittlerweile lebt die BF seit etwas über zwei Jahren in Österreich. Sie ist inzwischen mit einem in Italien als Asylberechtigten lebenden afghanischen Staatsbürger traditionell verheiratet und erwartet im Mai 2019 ihr erstes Kind. Sie vermochte in der Beschwerdeverhandlung zu überzeugen, dass sie in Österreich nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition lebt, sondern diese aus tiefer Überzeugung ablehnt. Sie hat sich aufgrund ihres Aufenthaltes in Österreich an die Lebensführung ohne religiös-motivierte Einschränkungen angepasst und will sich auch weiterhin anpassen. Die BF hat - auch ihrem äußeren Erscheinungsbild nach - die zugrundeliegenden Werte mittlerweile verinnerlicht und lebt auch danach. Sie ist eine Frau, die in Österreich, alleine außer Haus geht und es genießt, sich nach ihrem freien Willen zu kleiden, und sich nicht mehr mit einer Burka zu verhüllen. Sie trägt ihr Haar lose mit einem Schal bedeckt und kleidet sich zwar nicht westlich (vgl. Beilage ./I zur Niederschrift der Beschwerdeverhandlung), aber nach ihren eigenen Vorstellungen und ohne sich an die traditionellen Kleidungsvorschriften ihres Herkunftsstaates zu halten. Sie trifft ihre Entscheidungen selbst, und fragt nicht - wie in Afghanistan üblich - ihren Mann, welchen sie aufgrund der räumlichen Trennung auch nur einmal im Monat sieht. Sie kümmert sich allein um ihre vier minderjährigen Brüder, für welche sie auch die Obsorge hat und besucht einmal wöchentlich einen Deutschkurs. Die Beschwerdeführerin lernte in Österreich Rad zu fahren. Sie hinterließ bei der Verhandlung das Bild einer Frau, welche genau weiß was sie will, und wie sie dies erreicht. Sie genießt die für sie neue Freiheit in Österreich sehr und weiß diese zu schätzen. Sie nutzt diese Freiheiten jedenfalls für sich und will diese Freiheit auch für ihre jüngeren Brüder und ihr ungeborenes Kind nutzen. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich, die vier minderjährige Kinder zu versorgen haben, führen. Sie beabsichtigt, nach Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse in Österreich eine berufliche Selbstständigkeit zu erlangen. Aus all dem ergibt sich, dass die BF als eine Frau anzusehen ist, die in einer Weise lebt, die nicht mit den traditionellen, konservativen Ansichten betreffen die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft übereinstimmt.

Es ist daher davon auszugehen, dass eine Ablehnung der konservativ-islamischen Wertvorstellungen der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihres Aufenthaltes im Ausland und ihre Anpassung an das hier bestehende Gesellschaftssystem im gesamten Herkunftsstaat zumindest unterstellt würde. Im gesamten Verfahren sind keine Gründe zu Tage getreten, welche die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausschließen.

Der Zeitpunkt der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der BF gründet sich auf den vom BVwG eingeholten Strafregisterauszug.

Die Feststellung, dass sich die BF laufend in der vorübergehenden Grundversorgung befindet, basiert auf den vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

Zu dem von der BF vorgebrachten Fluchtgrund betreffend die Bedrohung durch die Taliban kann in Anbetracht der westlichen Orientierung als Frau von einer weiteren Ermittlungstätigkeit des BVwG Abstand genommen werden.

2.2. Zur Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen und wurden in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.12.2018 erörtert. Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation von Frauen in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Alle Parteien des Verfahrens hatten die Möglichkeit, zu diesen Länderinformationen eine Stellungnahme abzugeben, wovon sie auch Gebrauch machten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Zum Spruchpunkt A: Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass BF in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt wird, dies primär, weil diese der sozialen Gruppe der westlich orientierten Frau zuzuordnen ist.

Sie hat glaubhaft dargelegt, dass sie auf Grund ihrer inneren und nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung und wegen ihres Widerstandes gegen die in Afghanistan vorherrschenden Diskriminierungen und Einschränkungen im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein würde. Das von der persönlichen Wertehaltung der BF überwiegend getragene und als westlich zu bezeichnende Frauen- und Gesellschaftsbild steht im völligen Gegensatz zu der in weiten Teilen Afghanistans immer noch vorherrschenden und durch teils bizarre gesellschaftliche und politisch-religiöse Zwänge gekennzeichneten Lebensweise.

Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan wäre die BF unter den dargelegten Umständen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendiger Weise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, Zl. 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (zB von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichende Schutz vorliegt - wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (zB VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von solchen Einschränkungen und Diskriminierungen kann bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Auslegung geprägten gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, jedoch Asylrelevanz erreichen.

Es ist zu prüfen, ob es der BF möglich wäre, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen, bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos - trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat - wahrscheinlich ist:

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass es der afghanischen Zentralregierung möglich wäre, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen, der afghanische Staat kommt somit seinen Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe meist nicht nach. Ausgehend davon kan

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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