Entscheidungsdatum
21.01.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W254 2164388-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch RA Edward W. Daigneault, dieser vertreten durch RA Mag. Klammer, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezüglich des am 06.05.2015 gestellten Antrags auf internationalen Schutz zur Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.11.2018, zu Recht:
A)
Dem Antrag auf internationalen Schutz wird stattgegeben und XXXX der Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang
1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz "BF" genannt) stellte am 06.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 08.05.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt, bei der er angab, am XXXX in XXXX , Somalia geboren zu sein, verheiratet, der Volksgruppe der Sheikhal anzugehören und Moslem zu sein. Als Muttersprache führte er Somalisch an, welche er in Wort und Schrift beherrsche. Er habe für fünf Jahre die Grundschule in XXXX besucht. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF an, Somalia aufgrund der Al Shabaab verlassen zu haben. Diese hätten seine Mutter getötet und ihn selbst misshandelt, wobei er seitdem seine Hand nicht mehr zusammendrücken könne.
1.3. Mit Schreiben vom 11.01.2016 urgierte der Verein Menschenrechte Österreich die Anberaumung einer Einvernahme und eine zügige Entscheidung.
1.4. Am 11.04.2017 erhob der BF, vertreten durch den RA Edward W. Daigneault, betreffend seinen Antrag auf internationalen Schutz eine Säumnisbeschwerde.
1.5. Die gegenständliche Säumnisbeschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 14.07.2017 von der belangten Behörde vorgelegt.
1.6. Mit Schreiben vom 25.07.2017 beauftragte das Bundesverwaltungsgericht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 19 Abs. 6 AsylG mit der Einvernahme des BF und das LIB der Staatendokumentation zu Somalia vom 25.04.2016 (zuletzt am 20.09.2016 aktualisiert) zur Stellungnahme vorzulegen.
1.7. Am 15.09.2017 wurde der BF vor der belangten Behörde im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Darin gab er eingangs an, am rechten Oberschenkel eine ca. 20 cm lange Narbe, auf der Stirn drei kleine Narben und am rechten Unterarm eine ca. 10 cm lange Narbe zu haben. Diese Narben hätte ihm die Al Shabaab im Jahr 2011 zugefügt. Weiters gab er an, dass sein Fluchtweg und die Geburtsdaten seiner Geschwister im Rahmen seiner Erstbefragung falsch protokolliert worden seien. Seine Mutter sei 2011 verstorben, sein Vater im Jemen, genaueres sei ihm aber unbekannt. Sowohl seine vier Brüder und seine drei Schwestern seien im äthiopischen Teil von XXXX aufhältig, seine Ehefrau in XXXX . Zu seiner Ehefrau habe er keinen Kontakt. Von 2002 bis 2006 habe er eine Grundschule in XXXX besucht, wo er auch bis 2011 gelebt habe.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF zusammenfassend aus, Somalia aufgrund der Al Shabaab und auch wegen einer von ihm verweigerten Zeugenaussage verlassen zu haben. 2011 hätten die Al Shabaab den Vater des BF unter Druck gesetzt, sich ihnen anzuschließen. Dies obwohl er als Angehöriger der Sufi gegen die Al Shabaab ausgerichtet gewesen sei. Daraufhin sei der Vater geflüchtet. In weiterer Folge hätte die Al Shabaab der Familie ihr Feld weggenommen und seine Mutter dazu überreden wollen, einzuwilligen, dass sich zwei ihrer Söhne der Al Shabaab anschließen; seine Mutter lehnte das ab. Im Dezember 2011 hätte die Al Shabaab den BF und dessen Bruder im Lebensmittelgeschäft zur Mitarbeit aufgefordert, sie hätten abgelehnt. Am nächsten Tag sei seine Mutter, sein Bruder und der BF selbst von den Al Shabaab verhaftet worden, wobei seine Mutter in eine separate Zelle gesperrt worden sei. Sein Bruder habe einer Mitarbeit zugestimmt, wogegen der BF sich erneut geweigert habe. Daraufhin sei er in einen Wald gebracht worden, an einen Baum gefesselt und von einem Mann geschlagen worden. Im Zuge dieser Folter habe er seine eingangs beschriebene Narben und einen Schnitt am linken Ohr sowie einen dunklen Fleck am Hals erhalten. Danach habe ihn dieser Mann verlassen und sei der BF bewusstlos gewesen. Ein Stammesangehöriger habe ihn gefunden und zu seiner Tante nach XXXX gebracht, wo er behandelt wurde und es ein Jahr lang gedauert hätte, dass er wieder gesundgeworden wäre. Er lebte dort bis 2014. Im Zuge seiner Arbeit als Kassierer bei einem Busunternehmen seien Leute, welche einen Bombemkoffer mit sich geführt hätten, in XXXX zugestiegen und in XXXX von AMISOM und somalischen Truppen kontrolliert worden. Die Sicherheitskräfte hätten daraufhin die beiden Männer verhaftet. Der BF und der Busfahrer hätten im Rahmen der gerichtlichen Verhandlung die Aussage verweigert. Sowohl AMISOM und die somalischen Truppen hätten dem BF Probleme prognostiziert, wenn er nicht als Zeuge aussage. Auch Angehörige der zwei verhafteten Männer hätten bei der Ehefrau des BF nach ihm gesucht, weshalb der BF bei seiner Tante übernachtet habe. Auch sei seine Tante diesbezüglich von einem Angehörigen der verhafteten Männer kontaktiert worden und sei dem BF erneut mit Problemen gedroht worden, sollte er aussagen. Zu Mitternacht hätten Mitglieder der Al Shabaab die Ehefrau des BF aufgesucht und nach dessen Verbleib gefragt. Anschließend habe er Somalia über Mogadischu verlassen.
Zu seinem Alltag in Österreich befragt, führte der BF ua. aus, dass er einen Sprachkurs besuche und auf der Warteliste für Arbeit stehe. Sein Heimleiter gebe ihm wegen seiner Hand nur leichte Arbeiten.
1.8. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12.01.2018, zuletzt am 03.05.2018 aktualisiert, Focus Somalia, Clans und Minderheiten des Schweizer Staatssekretariats für Migration SEM vom 31.05.2017 und der Fact Finding Mission Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia von August 2017 zum Parteiengehör übermittelt.
1.9. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 06.11.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Somalisch und im Beisein der Rechtsvertretung des BF eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Der BF wurde ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und seiner aktuellen Situation in Österreich befragt. Die erkennende Richterin brachte in der Verhandlung zuzüglich zu den bereits mit der Ladung übermittelten Länderberichten, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Versorgungslage in Mogadischu vom 11. Mai 2018 (Beilage V) und eine Analyse der Staatendokumentation zur Situation der Sheikhal in Somalia vom 19.08.2011 (Beilage VI) ein. Unter einem wurde durch den BF eine Arbeitsbestätigung vorgelegt, welche als Beilage ./A zum Akt genommen wurde. In Bezug auf seinen Gesundheitszustand wurde der BF zur Vorlage entsprechender ärztlicher Bestätigungen aufgefordert. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
1.10. Mit Schreiben vom 15.11.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht der in der mündlichen Verhandlung angeforderte Befundbericht vom XXXX .2018 nachgereicht. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Opposition des rechten Daumens nicht möglich sei. Folgende Diagnose wurde festgestellt: "Z.n. Machetenverletzung Hand rechts."
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
2. Feststellungen (Sachverhalt):
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:
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Der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde, die Säumnisbeschwerde
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die den BF übersandte und die in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichte, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,
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der Inhalt der mündlichen Verhandlung am 06.11.2018,
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Sämtliche vorgelegte Beweismittel,
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Einsicht in die Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).
2.1. Zur Person des BF und seinen Fluchtgründen:
Der BF ist ein männlicher, volljähriger, verheirateter, somalischer Staatsbürger, sunnitischer Moslem und gehört dem Clan der Sheikhal an. Die Muttersprache des BF ist Somalisch, welche er in Wort und Schrift beherrscht.
Der BF wurde in XXXX , Somalia geboren und ist ebendort aufgewachsen. Der BF hat in seiner Heimatstadt von 2002 bis 2006 eine Grundschule besucht. Er hat keine berufliche Ausbildung abgeschlossen. Er ist mit den Gegebenheiten in XXXX vertraut. Nach dem Vorfall mit der Al Shabaab (siehe weiter unten) war er in XXXX aufgrund von seinen Verletzungen im Krankenhaus und es dauerte ungefähr ein Jahr lang bis er wieder gesund wurde. Ende 2014 hat der BF seine Flucht nach Europa angetreten.
Seine Kernfamilie besteht aus seinem Vater, seinen drei Schwestern, seinen vier Brüdern und seiner Ehefrau. Seine Mutter ist 2011 verstorben. Sein Vater war zuletzt im Jemen, seine Geschwister in XXXX , Äthiopien und seine Ehefrau und seine Tante väterlicherseits in XXXX , Somalia aufhältig. Zu seinem Vater und seinen Geschwistern ist der Kontakt abgebrochen.
Der BF hat am 06.05.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der BF wurde bezüglich seiner Schnittverletzung an seiner rechten Hand bereits operiert und befand sich diesbezüglich von XXXX 2015 bis zum XXXX 2015 in stationärer Behandlung der XXXX . Die Funktion seiner rechten Hand ist eingeschränkt. Der Daumen ist in Streckung und Beugung zwar noch beweglich, die Opposition ist jedoch nicht möglich. Die Verletzung an seiner rechten Hand resultiert aus einer Machetenverletzung.
2011 forderten Mitglieder der Al Shabaab den Vater des BF zu einer Mitarbeit auf. Da er sich ihnen nicht anschließen wollte, entschied sich der Vater des BF zur Flucht in den Jemen. Daraufhin suchten Al Shabaab Männer im Dezember 2011 das familieneigene Geschäft auf und versuchten den BF und dessen Bruder zu rekrutieren. Der Bruder des BF lehnte ab. Am nächsten Tag wurden der BF, sein Bruder und deren Mutter gewaltsam mitgenommen. In weiterer Folge wurden der BF und sein Bruder von ihrer Mutter getrennt und zu einem Stützpunkt der Al Shabaab gebracht, wo sie in einen Raum eingesperrt wurden. Zuerst wurde sein Bruder aus dem Raum geholt, der sich schlussendlich der Al Shabaab angeschlossen hat. Danach wurde der BF nach draußen gebracht und zur Rede gestellt, warum er eine Mitarbeit ablehnt. Daraufhin wurde er in einen Wald gebracht, wo er an einen Baum gefesselt und in weiterer Folge bewusstlos geschlagen wurde. Dabei wurde ihm ua. mit einer Machete eine Verletzung an der rechten Hand zugefügt. Die Al Shabaab hat versucht, den BF umzubringen. Als der BF das Bewusstsein wiedererlangt hat, befand er sich in einem Krankenhaus in XXXX . Seine Tante väterlicherseits war bei ihm. Die Mutter des BF wurde im Zuge ihrer gewaltsamen Entführung von den Al Shabaab derart misshandelt, dass sie ihren Verletzungen erlag.
Da sich der BF nicht freiwillig den Al Shabaab angeschlossen und durch seine ablehnende Haltung sowie der Weigerung sich den Al Shabaab anzuschließen, droht dem BF bei einer Rückkehr insbesondere in seinen Heimatort, aber auch in anderen Gebieten Somalias die Anwendung physischer Gewalt durch Mitglieder der Al Shabaab.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitslage insbesondere im Herkunftsgebiet des BF ( XXXX ), aber auch in anderen Gebieten Somalias ist auch nicht damit zu rechnen, dass der somalische Staat seine Bürger vor Bedrohungen und Übergriffen seitens der Al Shabaab oder anderer bewaffneter Milizen ausreichend schützen kann. Der BF wäre daher allfälligen Bedrohungs- und Verfolgungshandlungen seitens der Al Shabaab schutzlos ausgeliefert.
Da eine Verfolgungsgefahr durch die Al Shabaab somit bei einer Rückkehr des BF nach Somalia bereits feststeht, konnten weitere Feststellungen in Bezug auf das Vorbringen zur Angehörigkeit zu einem Minderheitenclan bzw. zu den Vorfällen in XXXX unterbleiben.
Zur maßgeblichen Situation in Somalia:
2.1.1. Zur politischen Lage (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, vom 12.01.2018, zuletzt aktualisiert am 03.05.2018, welche den Parteien im Zuge der Verhandlungseinladung übermittelt wurden):
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017). [...]
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. [...]
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016). [...]
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017). [...]
Quellen: [...]
2.1.2. Zur Sicherheitslage in Somalia (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, vom 12.01.2018, zuletzt aktualisiert am 03.05.2018, welche den Parteien im Zuge der Verhandlungseinladung übermittelt wurden):
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017). [...]
Quellen: [...]
Bundesstaat Jubaland (JIA; Gedo, Lower Juba, Middle Juba)
Nominell gehören zum Machtbereich der Jubaland Interim Administration (JIA) die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Tatsächlich wird der Großteil von Jubaland aber von der al Shabaab verwaltet. Die JIA verfügt nicht über die entsprechenden Kapazitäten, ganz Jubaland zu kontrollieren. Sie kooperiert mit den AMISOM-Truppen aus Kenia und Äthiopien. AMISOM wiederum kooperiert auf lokaler Ebene mit lokalen Milizen. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017). In Lower Juba haben sich die Clan-Konflikte beruhigt (DIS 3.2017).
In der Region Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige JIA nur über schwachen Einfluss. Die in Gedo befindlichen Teile der somalischen Armee - teils aus ehemaligen Kämpfern der ASWJ bzw. von Marehan-Milizen rekrutiert - kooperieren aber zunehmend mit der JIA. Luuq und Garbahaarey werden als stabil beschrieben, auch Doolow floriert. Neben Kismayo werden insbesondere Dhobley und Doolow als sicher bezeichnet (BFA 8.2017). Der District Commissioner von Doolow sorgt in der Stadt für ein hohes Maß an Sicherheit. Äthiopische Sicherheits- und Militärvertreter arbeiten eng mit seiner Verwaltung zusammen (SEMG 8.11.2017).
Der Stadt Kismayo und damit der JIA wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der JIA ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren (BFA 8.2017). Die Stadt gilt als ruhig und sicher (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017), die Sicherheitslage hat sich seit der Eroberung wesentlich verbessert. Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Hinsichtlich der Clan-Dimension gilt die Stadt als kosmopolitisch (BFA 8.2017).
Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften. Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde. Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen (BFA 8.2017).
Der Kontrollbereich der JIA für Kismayo endet wenige Kilometer außerhalb der Stadt. Neben Kismayo, wo ca. 1.700 Soldaten der AMISOM stationiert sind, befinden sich in der Region Lower Juba auch Afmadow und Bilis Qoqani unter Kontrolle der JIA. In Dhobley befindet sich ein Stützpunkt der kenianischen Armee, die Stadt gilt als sichere Stelle für einen Grenzübertritt. Weitere Garnisonen oder Stützpunkte befinden sich in Dif, Tabta, BilisQooqaani, Hoosingow, Didir Lafcad, Academia und Luglaaw sowie in Badhaade und Abdale Birole. Der Bezirk Jamaame ist vollständig unter Kontrolle der al Shabaab. Dies gilt auch für weite Teile des ländlichen Raumes der anderen Bezirke in der Region (BFA 8.2017).
Die gesamte Region Middle Juba wird von al Shabaab kontrolliert, sie gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017; vgl. DIS 3.2017). Auch weite Teile der Region Gedo befinden sich im Bereich der al Shabaab. Garnisonen von AMISOM oder anderen anti-al-Shabaab-Kräften finden sich in Bakhtiti, Buusaar, Faan Weyn, Buulo Garas, Baardheere, Dhamaso, Faafax Dhuun, Ceel Waaq, Garbahaarey, Buurdhuubo, Doolow und Luuq (BFA 8.2017). Badhaade wechselte mehrfach die Hand, im August 2017 befand sich in der Stadt ein Stützpunkt der JIA (EASO 12.2017). Die Grenzstädte Dhobley und Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017).
In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2016 insgesamt 37 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 21 dieser 37 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2017 waren es 41 derartige Vorfälle (davon 24 mit je einem Toten). [...]
Quellen: [...]
Benadir / Mogadischu:
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (AI 22.2.2017). Die Stadtverwaltung von Mogadischu ist verhältnismäßig präsent und aktiv (BFA 8.2017). Schritte von Stadt- und Bundesregierung haben bei der Sicherheitslage zu einer Verbesserung geführt - speziell durch die Aufstellung der Mogadishu Stabilization Mission (MSM). Die Zahl von Angriffen der al Shabaab im jeweiligen Ramadan ist von 269 im Jahr 2015 auf 208 im Jahr 2017 zurückgegangen. Andererseits scheint sich die al Shabaab aufgrund der Erfolge der Sicherheitskräfte zunehmend auf Sprengstoffanschläge zu verlegen, welche unter der Zivilbevölkerung ein höheres Maß an Schaden verursachen (UNSC 5.9.2017). Regelmäßig kommt es zu sogenannten komplexen Anschlägen in Mogadischu, wobei ein Sprengstoffanschlag mit dem Einsatz einiger weniger bewaffneter Selbstmordkämpfer kombiniert wird. Ziele sind i.d.R. Hotels oder Restaurants, die häufig von Behördenbediensteten oder Sicherheitskräften frequentiert werden (SEMG 8.11.2017).
Der Einsatz von Artillerie (Mörsern) mit Ziel Mogadischu ist wieder im Steigen begriffen. Im ersten Halbjahr 2017 kam es zu zwölf derartigen Angriffen, im Gesamtjahr 2016 waren es 17 (SEMG 8.11.2017). Am 12.6. und am 4.7.2017 wurden insgesamt neun Mörsergranaten auf Stadtgebiet abgeschossen (UNSC 5.9.2017). Dabei verfügt al Shabaab nunmehr auch über schwere, von AMISOM erbeutete Mörser (120mm), was ihre Möglichkeiten erweitert (SEMG 8.11.2017). Es ist höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu erlangt (DIS 9.2015; vgl. EASO 2.2016). Es gibt in der Stadt auch kein Risiko mehr, von der al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BFA 8.2017; vgl. UKUT 3.10.2014, vgl. EGMR 10.9.2015). Es besteht zwar gemäß mehreren Berichten kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (SEM 31.5.2017).
Die Sicherheitslage hat sich also verbessert (UNSOM 13.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017), bleibt aber volatil (UNSC 5.9.2017). Die MSM hat einige Erfolge verzeichnet, darunter Maßnahmen zur Entwaffnung von Milizen und Zivilisten. Auch die Polizei in Mogadischu funktioniert merklich besser, als vor drei oder vier Jahren. Das Polizeikontingent der AMISOM ist aktiv. Es werden in der ganzen Stadt regelmäßig Patrouillen durchgeführt. Zusätzlich befinden sich Stützpunkte der Armee an neuralgischen Punkten der Stadt. Auch die National Intelligence and Security Agency (NISA) und ihre Spezialeinheiten werden in Mogadischu eingesetzt. Der wichtigste Faktor in Mogadischu ist aber die Präsenz der AMISOM. Sie ist in Mogadischu mit je einem Bataillon aus Uganda und Burundi, mit dem militärischen Stab und mit rund 300 Polizisten präsent. In einem gewissen Ausmaß stellt sie für al Shabaab einen Abschreckungsfaktor dar. Sie macht es für AS schwieriger, in die Stadt zu gelangen (BFA 8.2017). Auch die Regierung zeigt einige Bemühungen, die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Allerdings sind diese ungenügend; korrupte, unbezahlte Soldaten und unzufriedene Clans in der Peripherie ermöglichen es der al Shabaab, Mogadischu zu infiltrieren (ICG 20.10.2017).
Mogadischu ist folglich nicht absolut abgeschottet (BFA 8.2017). Der Amniyat ist schon seit Jahren in der Stadt aktiv und konnte Sicherheitsstrukturen unterwandern (ICG 20.10.2017). Insgesamt reicht die in Mogadischu gegenwärtig gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte nicht aus, um eine flächeneckende Präsenz sicherzustellen. Al Shabaab hingegen verfügt eindeutig über eine Präsenz in der Stadt (BFA 8.2017). Diese Präsenz ist aber keine offen militärische, sondern eine verdeckte (DIS 3.2017). Diese ist in den Außenbezirken stärker, als in den inneren. Zentral-Mogadischu ist relativ konsolidiert. Gleichzeitig hängt die Präsenz der Gruppe auch von der Tageszeit ab. Die nördlichen Bezirke - v.a. Dayniile und Heliwaa - werden in der Nacht von al Shabaab kontrolliert (BFA 8.2017).
Insgesamt scheint sich die al Shabaab bei der Durchführung von Attentaten von Quantität auf Qualität verlegt zu haben. Dabei sucht die al Shabaab ihre Ziele v.a. im Bereich der Regierung. Für die Zivilbevölkerung ist das größte Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (DIS 3.2017; vgl. LI 1.4.2016). Ob Mogadischu als sicher oder unsicher bezeichnet wird, hängt maßgeblich von der subjektiven Wahrnehmung und von persönlichen Erfahrungen ab (BFA 8.2017). Die Situation in Mogadischu ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko entsprechend Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre (EGMR 10.9.2015; vgl. UKUT 3.10.2014).
Mindestens einmal pro Monat kommt es zu einem signifikanten Sprengstoffanschlag. Tödliche, von al Shabaab inszenierte Zwischenfälle ereignen sich regelmäßig. Pro Monat töten die Islamisten ca. 20 Personen in Mogadischu. Dabei richten sich die Aktivitäten vorwiegend gegen die Regierung. Zusätzlich sind neben der al Shabaab auch andere Akteure für Morde und Attentate verantwortlich (BFA 8.2017). Bis in den Oktober 2017 hat Mogadischu eine moderate Verbesserung der Sicherheitslage erlebt. Die Zahl an Attentaten und Anschlägen ging zurück, die Sicherheitskräfte konnten einige Angriffe erfolgreich verhindern (ICG 20.10.2017). Andererseits schien sich al Shabaab später aus taktischen Überlegungen heraus auf Mogadischu zu konzentrieren. Dort sollen Anschläge - speziell auf sogenannte "soft targets" (z.B. Hotels und Märkte) - verstärkt werden (UNHRC 6.9.2017). In welche Richtung sich die Sicherheitslage mittelfristig entwickeln wird, ist schwer einschätzbar (BFA 8.2017).
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Quellen: [...]
Al Shabaab
Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016). Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch die al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (BFA 8.2017).
Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO 7.2017). Die al Shabaab stellt aber weiterhin eine potente Bedrohung dar (UNSC 9.5.2017). Die Stärke der al Shabaab wird im Schnitt mit ungefähr 7.000 Mann beziffert (BFA 8.2017; vgl. LI 20.12.2017). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt die al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017). Die Gruppe hat sich bei Rückschlägen in der Vergangenheit als resilient und anpassungsfähig erwiesen. Der innere Kern blieb allzeit geeint, auch wenn es bei al Shabaab zu Streitigkeiten und Fraktionierung gekommen ist. Die taktische Entwicklung der Gruppe; ihre wachsenden Fähigkeiten; und die Ausführung komplexer Angriffe auf städtische und ländliche Ziele hat dies jedenfalls bewiesen (UNSC 9.5.2017). In der Vergangenheit hat die Gruppe auch eine konventionell-militärische Bedrohung dargestellt, etwa beim Angriff auf einen kenianischen Stützpunkt bei Kulbiyow im Jänner 2017. Beim Überrennen von AMISOM-Stützpunkten ist al Shabaab auch an schwere Waffen gelangt (SEMG 8.11.2017).
Die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba), Jamaame (Lower Juba), Sablaale, Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Diinsoor (Bay), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur, Ceel Dheere (Galgaduud) befinden sich unter Kontrolle der al Shabaab. Alle anderen Regional- und Bezirkshauptstädte werden von anti-al-Shabaab-Truppen gehalten. Viele der Städte sind gleichzeitig auch Garnisonsstädte der AMISOM (BFA 8.2017). Eine andere Quelle nennt ebenfalls die o.g. Städte als unter Kontrolle der al Shabaab befindlich, fügt aber die Stadt Xaradheere (Mudug) hinzu und zieht Diinsoor ab (LI 20.12.2017).
In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen (LI 20.12.2017). Die Gruppe verfügt nicht nur über Kämpfer und Agenten, sie kann auch auf Sympathisanten zurückgreifen (NLMBZ 11.2017). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BFA 8.2017). Die al Shabaab übt über das Jubatal Kontrolle aus und kann sich auch in vielen anderen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS 3.3.2017). Al Shabaab beherrscht weiterhin große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia, v.a. in Bay, Gedo, Lower Shabelle und Middle Juba (AI 22.2.2017; vgl. BFA 8.2017). Auch rund um Städte in Süd-/Zentralsomalia, die von nationalen oder regionalen Sicherheitskräften und/oder AMISOM gehalten werden (SEMG 8.11.2017), kontrolliert al Shabaab den ländlichen Raum und wichtige Versorgungsstraßen (SEMG 8.11.2017; vgl. UKHO 7.2017). Dadurch gelingt es der Gruppe, große Teile der Bevölkerung von einer Versorgung abzuschneiden (SEMG 8.11.2017).
Die al Shabaab übt auch über manche Orte, die eigentlich der Jurisdiktion der Regierung angehören, ein Maß an Kontrolle aus:
Humanitäre Organisationen und Empfänger humanitärer Hilfe werden besteuert oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (SEMG 8.11.2017). Es gelingt der al Shabaab selbst nominell sichere Teile Mogadischus zu infiltrieren (BFA 8.2017). Außerdem verfügt die Gruppe in vielen Teilen Somalias über Verbindungen in alle Gesellschaftsebenen und -Bereiche (SEMG 8.11.2017). Generell variiert die Präsenz der al Shabaab konstant (BFA 8.2017).
Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.1.2017). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 7.2017).
Die Fähigkeit der al Shabaab, in den von ihr beherrschten Gebieten eine effektive Verwaltung zu betreiben, ist ungebrochen. Zusätzlich verfügt die Gruppe über Kapazitäten, um in neu eroberten Gebieten unmittelbar Verwaltungen zu installieren (BFA 8.2017). Die Gebiete der al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrscht Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (UNSOM 18.9.2017). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt die al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung der al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017).
Die al Shabaab finanziert sich über unterschiedliche Steuern. Allein aus Abgaben auf den (illegalen) Holzkohlehandel lukriert die Gruppe pro Jahr - nach konservativen Schätzungen - 10 Millionen US-Dollar.
Auch von anderen Wirtschaftstreibenden werden Steuern eingehoben: In Mogadischu reicht die Spannweite von zehn US-Dollar monatlich für einfache Markthändler bis zu 70.000 US-Dollar für große Firmen. Im ländlichen Raum werden auch Viehmärkte besteuert. Außerdem verlangt al Shabaab entlang von Hauptverbindungsstraßen Gebühren und hebt den Zakat ein (SEMG 8.11.2017). Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten. Die Höhe der Besteuerung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen (LI 20.12.2017).
Einerseits zwingt al Shabaab mancherorts Kinder zum Besuch der eigenen Madrassen; andererseits konnte z.B. in einem ländlichen Ort in Middle Juba eine neue Schule eröffnet werden, die sogar Englisch im Lehrplan hat. Dafür musste die Gemeinde aber eine Sonderabgabe leisten (SEMG 8.11.2017).
Die Menschen auf dem Gebiet der al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Während dies zwar einerseits zur Stärkung der Sicherheit beiträgt (weniger Kriminalität und Gewalt durch Clan-Milizen) (BS 2016), versucht al Shabaab alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2016; vgl. DIS 9.2015). Alle Bewohner der Gebiete von al Shabaab müssen strenge Vorschriften befolgen, z. B. Kleidung, Eheschließung, Steuerzahlung, Teilnahme an militärischen Operationen, Rasieren, Spionieren, Bildung etc. (DIS 9.2015). Mit den damit verbundenen harten Bestrafungen wurde ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2016). Das Brechen von Vorschriften kann zu schweren Strafen bis hin zum Tod führen (DIS 9.2015).
Die al Shabaab hat im Juni 2017 für die Bundesstaaten Galmudug, Puntland und Hirshabelle ein Verbot der Verwendung des Somali Shilling ausgerufen. Wirtschaftstreibende weichen daher teilweise auf den US-Dollar und den Äthiopischen Birr aus (UNSC 5.9.2017).
Quellen: [...]
Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab
Generell stellen in erster Linie AMISOM und nationale sowie regionale Behördenvertreter Ziele für Angriffe der al Shabaab dar (SEMG 8.11.2017). Neben AMISOM und Sicherheitskräften (BFA 8.2017) wird al Shabaab auch weiterhin Zivilisten gezielt angreifen, darunter: die somalische Regierung, Parlamentarier und Offizielle (UKHO 7.2017); Regierungsbedienstete, mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten; Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, UKHO 7.2017); Wirtschaftstreibende; Älteste (BFA 8.2017; vgl. UKHO 7.2017) und deren Angehörige; diplomatische Missionen; prominente Friedensaktivisten und Gemeindeführer (USDOS 3.3.2017); Journalisten (UKHO 7.2017; vgl. HRW 12.1.2017); mutmaßliche Kollaborateure und Spione (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017, UKHO 7.2017); Deserteure (UKHO 7.2017) sowie Personen, die am letzten Wahlprozess mitgewirkt haben; Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie keine Steuern an al Shabaab abführen (BFA 8.2017).
Es kommt also z.B. in Mogadischu regelmäßig zu Angriffen auf Zivilisten und zivile Strukturen (HRW 12.1.2017). Im Durchschnitt werden der al Shabaab in Mogadischu pro Monat ca. 20 Morde zugerechnet. Allerdings wird oft nur angegeben, dass al Shabaab für ein Attentat die Verantwortung trägt, obwohl dies gar nicht klar ist (BFA 8.2017).
In Gebieten, die von der al Shabaab kontrolliert werden, gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden. In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden Unterstützer der staatlichen Strukturen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen als militärisches Ziel definiert und entsprechend zur Ermordung freigegeben (AA 1.1.2017). Al Shabaab exekutiert vor allem jene, welche der Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung bezichtigt werden (HRW 12.1.2017).
Die Schwelle dessen, was die al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt (BFA 8.2017).
Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen:
a) die Kollaboration ist offensichtlich; b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu; c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen; d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat (BFA 8.2017).
Spezifisch als mögliche Ziele aufgrund von Kollaboration genannt wurden z.B. Rückkehrer in Gebiete der al Shabaab (Vorwurf der Spionage); Händler/Wirtschaftstreibende, welche z.B. AMISOM beliefern; Arbeiter oder Handwerker, die z.B. für Ministerien tätig werden; Hotels, die Politikern Unterkunft geben. Besonders gefährdet sind Personen, die von der al Shabaab als Spione wahrgenommen werden. Es kommt fast täglich zu Übergriffen bis hin zur Exekution von der Spionage verdächtigten Personen (BFA 8.2017). [...]
Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele - auch in Mogadischu - aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Person al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clan-Dynamiken, ist die Gruppe bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte die al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen (BFA 8.2017). Auch wenn al Shabaab einige Menschen in Somalia als "legitime Ziele" erachtet, so gilt dies für die meisten Zivilisten nicht. Dass normale Zivilisten in von der Regierung und AMISOM kontrollierten Gebieten zum Ziel der al Shabaab werden, ist unwahrscheinlich. Auch "low level"-Ziele (z.B. lokale Mitarbeiter von internationalen oder nationalen NGOs) sind keine Priorität der al Shabaab, sie werden nicht generell angegriffen. Andererseits können high profile Personen, die etwa die Regierung oder die internationale Gemeinschaft repräsentieren, einem hohen Risiko ausgesetzt sein. Auch Personen, die als Unterstützer der somalischen Regierung wahrgenommen werden, können - je nach persönlichen Umständen - einem Risiko ausgesetzt sein. Dies gilt auch für Journalisten oder Mitarbeiter von NGOs, je nachdem, wie sehr sich ihre Aktivitäten gegen al Shabaab wenden (UKHO 7.2017).
Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, stellen für al Shabaab kein legitimes Ziel dar (DIS 3.2017). Dies gilt auch für Rückkehrer aus der Diaspora (UKUT 3.10.2014). Es gibt keine Berichte, wonach al Shabaab normale Zivilisten - oder auch Rückkehrer aus dem Westen - systematisch angreifen würde. Natürlich besteht aber für Zivilisten immer das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (DIS 3.2017). Generell ist ein "normaler Zivilist" (keine Verbindung zur Regierung; zu Sicherheitskräften; zu Behörden; zu NGOs oder internationalen Organisationen) - auch bei einer Rückkehr nach Mogadischu - keinem derartigen Risiko ausgesetzt, dass dieses einen Schutz gemäß Artikel 3 oder Artikel 15c erforderlich machen würde (UKUT 3.10.2014; vgl. EGMR 10.9.2015).
Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad sind - vor allem prominente - Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet (BFA 8.2017).
Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde die al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BFA 8.2017). Es gibt so gut wie keine bekannten Fälle, wo sich al Shabaab gegen Angehörige von Deserteuren gerichtet hätte (DIS 3.2017).
Gefährdung hinsichtlich der Nicht-Entrichtung von Steuern / Schutzgeld / Zakat
Al Shabaab erhebt mit dem Zakat eine Steuer, die etwa Wirtschaftstreibenden - vom Taxifahrer bis zum international tätigen Unternehmer - oder Landwirten abgepresst wird. Im Falle des Nichtzahlens wird physische Gewalt angedroht. Der Zakat wird im Namen der al Shabaab (unfreiwillig) auch über Älteste eingehoben und an die Gruppe weitergeleitet. Wer sich gegen dieses System auflehnt, dem drohen Repressionen, die sich gegen das Eigentum oder sogar gegen das Leben richten können (UNSOM 18.9.2017). Bei der Einhebung des Zakat geht die Gruppe zunehmend aggressiv vor, und zwar sowohl hinsichtlich Quantität der und Frequenz der Abgabe als auch hinsichtlich der dabei angewendeten erpresserischen Methoden - bis hin zur Gewaltanwendung. So brannte al Shabaab im März 2017 mehrere Gebäude in Gaaleefto (Middle Shabelle) nieder und entführte fünf Älteste, da sich die Gemeinde geweigert hatte, Steuern abzuführen (SEMG 8.11.2017).
Am Beispiel Bay ist zu sehen, dass die eigenen Kräfte der al Shabaab dort durch Einnahmen aus der Besteuerung lokaler Märkte, durch Wegzoll und ein- bis zweimalig pro Jahr eingehobenen Zakat finanziert werden, während von Firmen und NGOs erpresstes Schutzgeld an die Führung abgegeben wird. Um Geld von NGOs zu erpressen, werden auch vermehrt NGO-Mitarbeiter entführt (SEMG 8.11.2017).
Bei vielen Forderungen der al Shabaab handelt es sich de facto um Schutzgeldzahlungen im klassischen Sinne. Das Personal internationaler Organisationen wird in der Regel solange nicht zum individuellen Ziel, solange Steuern an al Shabaab gezahlt werden. Und so zahlen die Bedrohten eine kleine Steuer und erhalten im Gegenzug dafür "Schutz" bzw. wird man in Ruhe gelassen (BFA 8.2017).
Steuern werden von unterschiedlichsten Personengruppen und Institutionen eingefordert: Von Taxifahrern in Mogadischu, von Regierungsbediensteten oder Angestellten internationaler Organisationen, von Deserteuren oder Angestellten von NGOs, von Hotelbesitzern und anderen Wirtschaftstreibenden (BFA 8.2017).
Generell richtet sich al Shabaab bei der Eintreibung von Steuern aber eher an die Wirtschaftstreibenden. Zur Besteuerung jeder Einzelperson reichen ihre Kapazitäten nicht aus. Insgesamt scheinen Bedrohungen nichts Ungewöhnliches zu sein, in Einzelfällen erfolgt die Realisierung (BFA 8.2017).
Quellen: [...]
2.1.3. Zur Situation der Minderheiten und Clans (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, vom 12.01.2018, zuletzt aktualisiert am 03.05.2018, welche den Parteien im Zuge der Verhandlungseinladung übermittelt wurden):
Die somalische und auch die puntländische Verfassung bekennen sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 1.1.2017). Allerdings waren Regierung und Parlament für lange Zeit entlang der sogenannten
"4.5 Lösung" organisiert, welche bedeutet, dass die Vertreter der großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam die Hälfte dieser Sitze zustehen (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Dementsprechend sind politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Sub-Clans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren. Insgesamt hat sie bisher weder zu einem Fortschritt der ethnischen bzw. Clan-bedingten Gleichberechtigung beigetragen, noch hatte sie positive Auswirkungen auf das Miteinander auf Gemeindeebene (ÖB 9.2016). In politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten ist die Clanzugehörigkeit also weiterhin wichtig, was Minderheiten und IDPs marginalisieren kann (SEM 31.5.2017).
Die Minderheiten sind im somalischen Parlament und der somalischen Regierung vertreten, ihre Stimme hat aber wenig Gewicht. Weder das traditionelle Recht xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen die Minderheiten systematisch. Faktoren wie die Finanzkraft, das Bildungsniveau oder die zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. (SEM 31.5.2017). Viele Minderheitengemeinden leben in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 3.3.2017). Einzelne Minderheiten (u.a. Jareer, Benadiri, Gabooye) leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung - nicht aber systematisch von staatlichen Stellen - wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 1.1.2017).
Minderheitengemeinden sind überproportional von der im Land herrschenden Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.) (USDOS 3.3.2017).
Gruppen wie die Rahanweyn, die Bantu oder die Madhiban können nur in geringerem Ausmaß auf Rücküberweisungen durch Angehörige in der Diaspora zählen, da sich in der Diaspora verhältnismäßig wenige Rahanweyn und Bantu finden (SEMG 8.11.2017).
Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben - sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO 8.2014).
Quellen: [...]
Bevölkerungsstruktur
Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 3.3.2017). Eine andere Quelle besagt, dass laut einer Schätzung aus dem Jahr 2002 die Minderheiten zusammen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Somalias ausmachen sollen (ÖB 9.2016). Jedenfalls gibt es in ganz Somalia eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, SEM 31.5.2017). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).
Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 4.2017a). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Allerdings gibt eines keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016).
Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können ihre Abstammung auf einen mythischen gemeinsamen Vorfahren namens Hiil bzw. dessen Söhne Samaale und Saab zurückverfolgen, die vom Propheten Mohammed abstammen sollen. Die meisten Minderheiten können eine solche Abstammung hingegen nicht geltend machen (SEM 31.5.2017).
Die Somalis sehen sich also als Nation arabischer Abstammung. Die "noblen" Clanfamilien sind meist Nomaden:
* Die Darod sind gegliedert in die drei Hauptgruppen Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während die Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Jubba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
* Die Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind die Habr Gedir und die Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
* Die Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Djibouti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind die Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
* Die Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
* Die Rahanweyn bzw. Digil/Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen. Sie gelten als Nachfahren von Saab, dem Bruder von Samaale (SEM 31.5.2017; vgl. AA 4.2017a).
Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 4.2017a).
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung;
Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben;
sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).
Quellen: [...]
Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Es gibt keine zuverlässigen Angaben über ihre Anzahl. Schätzungen bewegen sich im Bereich zwischen 6% und einem Drittel der Bevölkerung Somalias. Die wichtigsten ethnischen Minderheiten sind (SEM 31.5.2017):
* Die Bantu: Sie sind die größte Minderheit in Somalia. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Jubba und Shabelle. Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z.B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt (SEM 31.5.2017).
* Die Benadiri: "Benadiri" ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben wie z.B. in Mogadischu, Merka oder Baraawe. Die Benadiri-Gruppen beschäftigen sich traditionell mit Handel. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien (Oman), Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos (SEM 31.5.2017).
* Die Bajuni: Sie sind eine kleines Fischervolk, das auf den Bajuni-Inseln an der Südspitze Somalias sowie in Kismayo lebt (SEM 31.5.2017).
Die soziale Stellung der ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich. Die Benadiri sind gemeinhin als Händ