TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/21 I403 2198866-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.01.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.01.2019

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.3
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2198866-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1088554105/151421066, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.01.2019, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben. XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 23.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am folgenden Tag stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, er sei in Basra wegen seines sunnitischen Glaubens und wegen seiner Tätigkeit als Angestellter einer ausländischen Sicherheitsfirma von schiitischen Milizen bedroht worden.

Der Beschwerdeführer wurde am 18.07.2017 niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er an, er habe bei der Sicherheitsfirma XXXX als Gruppenleiter gearbeitet. Nachdem er und seine ebenfalls sunnitischen Kollegen mittels Drohbriefen von der Miliz Asai¿b Ahl al-Haqq bedroht worden seien, habe er im April 2015 seine Stelle gewechselt und beim Unternehmen XXXX zu arbeiten begonnen. Er habe gedacht, dass er damit nicht mehr in Gefahr wäre. Allerdings habe er dann erfahren, dass einer seiner früheren Kollegen ermordet worden sei. Er habe sich dann bei seinen Schwiegereltern versteckt, doch sei sein Schwager ein fundamentalistischer Schiit, so dass er sich schließlich entschlossen habe, das Land zu verlassen.

Mit Bescheid des BFA vom 18.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Gegen den am 25.05.2018 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht mit Schreiben vom 14.06.2018 in vollem Umfang Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge nach mündlicher Beschwerdeverhandlung dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu den Bescheid beheben und die Angelegenheit an die Behörde zurückverweisen, in eventu die Rückkehrentscheidung aufheben und deren Unzulässigkeit feststellen.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2018 vorgelegt.

Am 04.07.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht als Anhang einer E-Mail ein Video übermittelt, welches einen bewaffneten Angriff auf ein Haus zeigt.

Am 05.11.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, im Zuge derer der Beschwerdeführer unter Heranziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache sein Fluchtvorbringen wiederholte und näher erläuterte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer verließ den Irak im September 2015 und hält sich seither in Österreich auf. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Er wurde in Kuwait geboren, kehrte aber 1991 in den Irak zurück. Er arbeitete bis 2010 selbständig als Elektriker, danach war er bei privaten britischen Sicherheitsfirmen als Fahrer bzw. Teamleiter angestellt. Der Beschwerdeführer lebte in Basra. Der Beschwerdeführer ist gesund und erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat drei Kinder (geboren 2006, 2009, 2015). Er hat sieben Brüder und fünf Schwestern, sein Vater ist verstorben. Alle seine Angehörigen leben nach wie vor im Irak. Seine Frau und seine Kinder leben inzwischen bei den Schwiegereltern.

Der unbescholtene Beschwerdeführer hält sich seit etwa dreieinhalb Jahren in Österreich auf, hat begonnen Deutsch zu lernen und ist bei der Gemeinde ehrenamtlich tätig.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war seit 2010 für das Unternehmen XXXX tätig. Er war als Teamleiter für die Koordination der Mitarbeiter verantwortlich. Das Unternehmen war für die Sicherheit der Mitarbeiter von Ölunternehmen zuständig. Im April 2015 wurde vor dem Haus des Beschwerdeführers ein Drohbrief gefunden, in dem er als Verräter bezeichnet wurde; laut Nachbarn waren Autos mit dem Zeichen der Miliz Asai¿b Ahl al-Haqq gesehen worden. Auch andere sunnitische Kollegen von XXXX hatten identische Briefe erhalten. Der Beschwerdeführer vermutete Kontakte von schiitischen Arbeitskollegen zur Miliz und verließ daher, ebenso wie die anderen sunnitischen Kollegen, die einen Drohbrief erhalten hatten, seine Arbeitsstelle. Er begann bei einem anderen britischen Sicherheitsunternehmen zu arbeiten, verließ dann aber den Irak, als einer seiner früheren Kollegen ermordet wurde. Im Juli 2018 wurde das Haus seiner Familie beschossen.

Es ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Basra wegen seiner sunnitischen Glaubensrichtung kombiniert mit seiner mehrjährigen Tätigkeit für ausländische Sicherheitsfirmen von Mitgliedern schiitischer Milizen in seiner körperlichen Unversehrtheit bzw. in seinem Leben bedroht wäre.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist nicht gegeben.

1.3. Zur Situation im Irak:

Die folgenden entscheidungsrelevanten Feststellungen sind dem "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" (Stand 20.11.2018) zum Irak entnommen und wurden in den wesentlichen Grundzügen in der mündlichen Verhandlung erörtert.

Die irakische Regierung hatte im Dezember 2017 ihren Sieg über den Islamischen Staat erklärt. Die Sicherheitslage hat sich seitdem verbessert, bleibt aber volatil. Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates im ganzen Land sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dennoch verzeichnet der Irak aktuell die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003. In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten. Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern.

Die Volksmobilisierungseinheiten (PMF) ist eine Dachorganisation von etwa vierzig bis siebzig größtenteils schiitischer Milizen. Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten, und in der Praxis haben sie insbesondere im Zentralirak und im Süden des Landes Parallelstrukturen aufgebaut. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt.

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die USamerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF.

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sindwaren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren.

Der gesamte südliche Teil des Irak steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen.

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, zu Verletzten und Toten.

Verschiedene Berufsgruppen (Polizisten, Soldaten, Journalisten, Richter, Mitglieder des Sicherheitsapparates, Zivilisten, die für ausländische Unternehmen arbeiten, etc.) werden immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

Eine Gruppenverfolgung der Sunniten - im Sinne davon, dass jeder Sunnit im Irak befürchten müsste, alleine aufgrund seines Glaubens, verfolgt im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu werden - ergibt sich aus dem Länderinformationsblatt nicht.

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit nicht konsequent. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. In Bagdad sollen seit Dezember 2017 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden.

Einer mit der Beschwerde eingebrachten Anfragebeantwortung von ACCORD zum Irak: "Informationen zu Schiitischen Milizen im Südirak, (Zwangs-) Rekrutierung von Sunniten durch schiitische Milizen, Drohbriefe schiitischer Milizen [a-9560-1]" vom 24.03.2016 (abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/1074976.html) ist Folgendes zu entnehmen:

Schiitische Milizen im Südirak, insbesondere in Basra

Das wöchentlich erscheinende amerikanische Nachrichtenmagazin Time schreibt in einem Artikel vom Jänner 2016 über das Verhältnis paramilitärischer schiitischer Gruppen zum irakischen Staat. Laut dem Artikel habe Premierminister Haidar al-Abadi den Dachverband dieser Gruppen, die sogenannten Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Forces, PMU), zu einem offiziellen Arm des Staates erklärt und ihre Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) gewürdigt. Die drei größten dieser paramilitärischen schiitischen Gruppen seien die Badr-Organisation, Kataib Hezbollah und Asaib Ahl-alHaq. Die Badr-Organisation umfasse Berichten zufolge 10.000 Kämpfer und habe enge Beziehungen zum Staat. Das irakische Innenministerium stünde derzeit unter der Leitung eines Mitglieds der Badr-Organisation. Kataib Hezbollah und ihr Anführer, bekannt unter dem Namen Abu Mahdi al-Mohandes, würden enge Beziehungen zum Iran und zu den iranischen Revolutionsgarden pflegen und über "zehntausende" Rekruten zum Kampf gegen den IS verfügen. Asaib Ahl al-Haq sei infolge der US-Besetzung als eine Splittergruppe der Kämpfer des schiitschen Klerikers Moqtada al-Sadr entstanden. Berichten zufolge erhalte die Gruppe Unterstützung von der iranischen al-Quds-Einheit.

In einem Gastbeitrag für den Blog Informed Comment des US-amerikanischen Historikers und Nahostanalysten Juan Cole schreibt Mustafa Habib, Autor für das irakische Internetportal Niqash, im August 2015, dass Einwohner von Basra und Nasiriya gegen die mangelnde Stromversorgung protestiert und den Rücktritt des Ministers für Elektrizität gefordert hätten. Die paramilitärische Gruppe Hezbollah im Irak habe daraufhin eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie ihre Absicht bekundet habe, den Minister für Elektrizität zu treffen und das Problem mit ihm anzusprechen sowie involvierte korrupte Beamte zu bestrafen. Die Gruppe habe außerdem die Polizei von Basra ersucht, die Demonstranten nicht zu belästigen. Laut dem Artikel habe Hezbollah im Irak sich damit zum ersten Mal politisch geäußert. Die Stellungnahme habe gemischte Reaktionen hervorgerufen. Manche hätten sie begrüßt und gesagt, dass ohne Engagement der Milizgruppen die Probleme des Landes nicht gelöst werden könnten. Andere Stimmen seien besorgt über die unberechtigte Einmischung schiitischer Milizen in die irakische Politik gewesen.

Jane's, ein britischer Open Source-Nachrichtendienst mit Fokus auf militärischen Auskünften und Sicherheitseinschätzungen, berichtet in einem Beitrag vom Juni 2015, dass die Versetzung der 14. Armeedivision nach Bagdad die Präsenz von Sicherheitskräften in der Region Basra verringert habe. Dadurch sei es wahrscheinlich, dass Milizen und organisierte kriminelle Netzwerke in der Folge freier operieren könnten und Stämme ihre Auseinandersetzungen gewaltsam lösen würden.

Die wachsende Bedeutung schiitischer Milizen, die den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) führen und die auch die Volksmobilisierungseinheiten (Popular Mobilisation Units, PMU) stellen würden, steigere wahrscheinlich den Einfluss der Milizen, die der Regierung des irakischen Premierministers Haidar al-Abadi kritisch gegenüber stehen würden. Jedoch würden diese Milizen keine geeinte Front darstellen und rivalisierende Politiker unterstützen. Der Islamic Supreme Council of Iraq (ISCI) [eine schiitische Partei, deren Miliz die Badr-Organisation ist, Anm. ACCORD] und die Bewegung des schiitischen Klerikers Muqtada al-Sadr seien stärker politisch etabliert und seien daher wahrscheinlich eher in der Lage, sich Versuchen einer Entmachtung auf regionaler und staatlicher Ebene zu widersetzen. Am 11. Mai habe die Miliz Kataib Hezbollah in Basra das Büro des ISCI gestürmt, da es Anschuldigungen der Verwicklung des ISCI in Korruption gegeben habe. Es sei unwahrscheinlich, dass die staatliche Polizei in Abwesenheit der 14. Armeedivision in Basra die Sicherheit adäquat gewährleisten könne. Eine offenkundigere Präsenz von Milizen und mit ihnen verbundenen kriminellen Banden sei wahrscheinlich, da diese versuchen würden, ihren Einfluss über Basras lukrative Öl-Anlagen und Häfen wiederherzustellen. Am 18. Mai sei die Asaib Ahl al-Haq Miliz in der Provinz Basra an einer Schießerei mit einem unbekannten Stamm beteiligt gewesen.

Das Washington Institute for Near East Policy, eine US-amerikanische Denkfabrik für Entwicklung von US-Strategien für und Engagement im Nahen Osten, listet in einem Anhang zu einem Bericht über den Kampf schiitischer Gruppierungen in Syrien vom Februar 2015 die im Irak operierenden, dem Iran nahestehenden schiitischen Milizen auf. Laut dieser Liste seien in Basra die drei schiitischen Milizen Saraya al-Difa al-Schaabi (eine Untereinheit der Kataib Hezbollah), Kataib Jund al-Imam und Saraya Aqaidiyyoun (mit Verbindungen zur Badr-Organisation und zu Kataib Hezbollah) tätig.

Drohungen in Form von Patronen in Briefumschlägen

Es konnten keine Informationen zu Drohungen schiitischer Milizen in Form von Patronen in Briefumschlägen gefunden werden. Folgende Quellen erwähnen andere Formen der Bedrohung der lokalen Bevölkerung durch schiitische Milizen wie hetzerische Flugblätter, Schutzgelderpressung und Plünderung.

Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) berichtet zur Sicherheitslage in Basra im Jänner 2016, dass Angst aufgrund ansteigender Gewalt in Basra zu einem Teil des Alltags geworden sei, in dem zügellose Kriminalität, Entführungen und Erpressung üblich geworden seien. Plündernde schiitische Milizsoldaten würden in Autos mit getönten Fenstern und ohne Nummernschilder herumfahren, während lokale Stämme blutige Fehden führen würden.

Basra sowie das schiitische Kernland im Süden Iraks seien zwar von Eroberungen des Islamischen Staates (IS) verschont geblieben, jedoch habe der Staat für die Kämpfe gegen den IS zunehmend Sicherheitskräfte aus dem Süden abgezogen und somit ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das nun unkontrollierbare Milizgruppen und kriminelle Banden füllen würden. Lokale Beamte würden den Mangel an Polizeieinheiten für den starken Anstieg von Diebstählen, bewaffneten Überfällen, erpresserischen Entführungen, blutigen Stammeskämpfen und den Anstieg des Drogenhandels verantwortlich machen.

Defense One, eine in Washington ansässige Informationsagentur zur Analyse von Themen in Bezug auf Verteidigung und Nationale Sicherheit der USA, schreibt in einem Artikel vom Mai 2015, dass Milizen in Basra, Iraks zweitgrößter Stadt, beschuldigt worden seien, Schutzgeld von Unternehmen zu erpressen. Diese Anschuldigungen seien von Milizenführern abgelehnt worden, so auch von Sheikh Abu Samir al-Mayahi, der die Basra-Operationen der schiitischen Badr-Organisation leite.

Das Counter Extremism Project, eine unabhängige politische Organisation zur Bekämpfung extremistischer Ideologien und deren Finanzierung, führt seit 2006 eine Liste gewaltsamer Aktivitäten der Milizgruppe Asaib Ahl al-Haq. Im Jahr 2013 erwähnt diese Liste in einem Eintrag für September bis Dezember, dass mindestens 50 Sunniten in Basra in einer Welle der Gewalt getötet worden seien, für die Asaib Ahl al-Haq und anderen schiitische Milizen verantwortlich gemacht würden. Mindestens 59 sunnitische Familien seien aus Basra und der angrenzenden Provinz Dhi Qar [Hauptstadt:

Nasiriya] geflohen, nachdem Drohbriefe vor die Türen von Familien von Basras wichtigstem sunnitischem Stamm gelegt worden seien.

Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW), das sich selbst als überparteiliche Forschungsorganisation im Bereich Militärangelegenheiten bezeichnet, berichtet in einem älteren Artikel vom Mai 2013, dass besonders die Bewohner Bagdads besorgt seien über die zunehmende Gewalt und das Wiederaufleben schiitischer Milizen. Die Mobilisierung schiitischer Milizen zeige sich in Form militärischer Paraden, hetzerischer Rede, durch die Ermordung sunnitischer Kleriker sowie durch Flyer und anonyme Drohbriefe ("night letters"), die den Abgang von Sunniten fordern würden.

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 24. März 2016)

· Al-Monitor: Three faiths, three commanders, (Autor: Fehim Tastekin), 5. Jänner 2016

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/01/turkey-iraq-three-commanders-three-faiths.html

· Al-Monitor: It's official: Sunnis joining Iraq's Popular Mobilization Units, (Autor: Mustafa Saadoun), 14. Jänner 2016 http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/01/iraq-sunnis-join-shiite-popular-mobilization-forces.html

· Associated Press: As Iraq fights Islamic State, violence rises in Shiite south, 9. Jänner 2016,

http://bigstory.ap.org/article/3444d55d13334e559292261e61e5f8b3/iraq-fights-islamic-state-violence-rises-shiite-south

· Carnegie Endowment for International Peace: Your country needs you: Iraq's faltering military recruitment campaign, 22. Juli 2015 http://carnegieendowment.org/syriaincrisis/?fa=60810

· CEP - Counter Extremism Project: Asaib Ahl al-Haq - Violent Activities, ohne Datum

http://www.counterextremism.com/threat/asaib-ahl-al-haq

· Defense One, Iraq Is Losing Control of the Nearly 100,000 Militiamen Enlisted To Fight ISIS, 21. Mai 2015 http://www.defenseone.com/threats/2015/05/iraq-losing-control-nearly-100000-militiamen-enlisted-fight-isis/113434/

· Informed Comment: After ISIL? Shiite Militias begin Entering Iraqi Politics (Autor: Mustafa Habib), 1. August 2015 http://www.juancole.com/2015/08/militias-entering-politics.html

· ISW - Institute for the Study of War: Iraq's Sectarian Crisis reignites as Schia Militias execute civilians and remobilize, 31. Mai 2013

http://www.understandingwar.org/sites/default/files/IraqsSectarianCrisis_0.pdf

· Jane's: Tribal conflict, militia activity, and protests likely to stretch Basra's security forces, heightening risks to individuals and state buildings, 16. Juni 2015 http://www.janes.com/article/52364/tribal-conflict-militia-activity-and-protests-likely-to-stretch-basra-s-security-forces-heightening-risks-to-individuals-and-state-buildings

· MEE - Middle East Eye: Sunni tribes joining Shia militias as war against IS heats up in Iraq (Autor: Jonathan Steele), 1. Dezember 2015

http://www.middleeasteye.net/news/sunni-tribes-joining-shia-militias-war-against-heats-iraq-1175770052

· Time Magazine: Shi'ite Militias in Iraq Remain a Dangerously Potent Force, 20. Jänner 2016

http://time.com/4187322/iraq-baghdad-kidnap-shiite-militia/

· WINEP - The Washington Institute for Near East Policy: The Shiite Jihad in Syria and Its Regional Effects - Appendix 5. Iraq's New Iranian-Influenced/Proxy Militias (Autor: Phillip Smyth), Februar 2015https://www.washingtoninstitute.org/uploads/Documents/pubs/PF138Appendices/PF138_Appendix_5-1.pdf

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Darüber hinaus wurde am 15.01.2019 im Beisein des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Das BFA hatte sich für die Verhandlung entschuldigt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Lebensumstände, der Familie, des Gesundheitszustandes, der Arbeitsfähigkeit, der Herkunft, der Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 18.07.2017) und in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift vom 15.01.2019).

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines im Original vorgelegten irakischen Personalausweises fest. Ebenso wurden in Kopie Dokumente seiner Kinder und Ehefrau vorgelegt.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Feststellungen zu seinem Leben in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Dokumenten:

* Bestätigung der Teilnahme an einem Training "Mobility of Youth Workers" vom 05.11.2017 bis 12.11.2017

* Empfehlungsschreiben der Betreuerin der Caritas Flüchtlingshilfe vom 14.07.2017

* Empfehlungsschreiben des Gemeindeverbandes über die Tätigkeit des Beschwerdeführers am Wirtschaftshof vom 12.06.2015; Bestätigung seiner Tätigkeit in den Jahren 2016/2017 vom 13.07.2017 sowie eine aktuelle Arbeitsbestätigung vom 07.01.2019

* Bestätigungen, dass der Beschwerdeführer als Dolmetscher andere Asylwerber bei Arztbesuchen begleitete

* Bestätigung über die Teilnahme an der Ausbildung zum Rettungssanitäter vom 07.02.2017 bis 01.08.2017

* Bestätigung über die Teilnahme am Erste-Hilfe-Basiskurs vom 09.02.2017 bis 21.02.2017

* Verschiedene Deutschkursbesuchsbestätigungen

* Einstellungszusage eines Unternehmens vom 13.06.2018

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte - auf das Wesentlichste zusammengefasst - behauptet, in Basra für britische Sicherheitsunternehmen tätig gewesen und deswegen sowie wegen seines sunnitischen Glaubens von schiitischen Milizen bedroht worden zu sein.

Das BFA hatte im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2010 für Sicherheitsfirmen tätig gewesen war. Allerdings wurde es nicht für glaubhaft befunden, dass der Beschwerdeführer im Irak bedroht worden sei. Diesbezüglich wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 24.09.2015 den Drohbrief nicht erwähnt habe. Nun ist es zwar auch auf dem Boden des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 der Behörde nicht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben einzubeziehen (VwGH, Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2015/18/0090 oder auch Beschluss vom 10. November 2015, Ra 2015/19/0189 bzw. Beschluss vom 02.01.2017, Ra 2016/18/0323 und zuletzt VwGH, Beschluss vom 17. Mai 2018, Ra 2018/20/0168), doch liegt im gegenständlichen Fall kein Widerspruch, sondern nur eine Präzisierung vor. Der Beschwerdeführer hatte bereits in der Erstbefragung von einer Bedrohung durch schiitische Milizen wegen seiner beruflichen Tätigkeit gesprochen; dass er die Details dieser Bedrohung, konkret den Drohbrief, erst in der Einvernahme durch das BFA schilderte, entspricht dem Umstand, dass die Erstbefragung gerade nicht der näheren Erörterung der Fluchtgründe dienen soll.

Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid weiters aus, dass es unglaubwürdig und unschlüssig sei, wenn der Beschwerdeführer erst 2015 Probleme bekommen habe, obwohl er doch bereits seit 2010 für XXXX gerabeitet habe. Dieses Argument scheint aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht überzeugend, kann doch die Logik des Handelns der schiitischen Milizen schwer nachvollzogen werden und kann nicht pauschal festgestellt werden, ab wann jemand, der aufgrund seiner Religion, beruflichen Tätigkeit, Weltanschauung oder sexuellen Orientierung (um nur Beispiele zu nennen) im Widerspruch zur Weltanschauung der Mitglieder der schiitischen Milizen - welche im Übrigen ja auch keine einheitliche Gruppe bilden - steht, im Fokus der Milizen steht.

Soweit das BFA erklärte, dass es widersprüchlich sei, wenn der Beschwerdeführer seine Probleme einerseits mit seiner beruflichen Tätigkeit, andererseits mit seiner sunnitischen Glaubensausrichtung begründet, so stellt dies aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinen Gegensatz dar, sondern steigern beide Aspekte die Gefahr für den Beschwerdeführer in der von schiitischen Milizen dominierten Stadt Basra. Dass die Geschwister des Beschwerdeführers trotz ihres sunnitischen Glaubens in Basra leben können, erklärte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung durchaus nachvollziehbar damit, dass sie eben gerade nicht für ausländische Unternehmen gearbeitet und sich außerdem offiziell von ihm losgesagt hatten, weswegen er von seinen Brüdern auch keine Unterstützung für den Fall der Rückkehr zu erwarten hätte.

Das BFA führte im angefochtenen Bescheid schließlich noch aus, dass die Familie des Beschwerdeführers nach seiner Ausreise keine Probleme gehabt hätte. Im Juli 2018 legte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht ein Video vor, welches die Aufnahme einer Überwachungskamera wiedergibt. Darauf sind drei Personen zu sehen, die ein Haus beschießen. Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dar, dass sein Bruder die hauseigene Überwachungskamera gefilmt habe, da man der Polizei kein Vertrauen geschenkt habe. Auf einem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Video sieht man die Familie des Beschwerdeführers (die Identität seiner Ehefrau wird dadurch nachgewiesen, dass sie ihren Reisepass mit ihrem Foto ins Bild hält) bei dem besagten Haus. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher davon auszugehen, dass die Familie des Beschwerdeführers inzwischen durchaus Ziel der Bedrohungen wurde.

Zusammengefasst kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass die im angefochtenen Bescheid vorgebrachten Argumente nicht geeignet sind, um Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen des Beschwerdeführers zu erzeugen. Vielmehr ergab sich in der am 15.01.2019 durchgeführten Verhandlung, dass der Beschwerdeführer stets gleichlautende und inhaltlich äußerst detaillierte und konkrete Angaben erstattete. Er konnte sein Vorbringen, auch bei näheren Nachfragen nach Details, plausibel und nachvollziehbar schildern und steht eine Bedrohung von Mitarbeitern ausländischer Unternehmen auch in Einklang mit dem oben wiedergegebenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Sein Vorbringen ist daher aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes glaubhaft.

Aus einer Zusammenschau seiner übereinstimmenden Aussagen vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht sowie in der Beschwerde ergibt sich der in den Feststellungen wiedergegebene Sachverhalt. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch für den Fall seiner Rückkehr nach Basra von schiitischen Milizen als Feindbild herangezogen würde, weil er für ausländische Unternehmen tätig war und darüber hinaus sunnitischen Glaubens ist. Wie den obigen Länderfeststellungen zu entnehmen ist, haben die schiitischen Milizen in Basra zusehends an Macht gewonnen und hat der Staat das Gewaltmonopol nicht mehr inne. Durch seine Tätigkeit für ausländische Sicherheitsunternehmen unterliegt der Beschwerdeführer dem besonderen Risiko, Opfer gewalttätiger Aktionen zu werden. Da er bereits vor seiner Ausreise bedroht wurde und sein Haus Ziel eines bewaffneten Angriffs war, ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er Opfer konkreter, individueller Verfolgung wäre, wenn er nach Basra zurückkehren würde. Durch diese Verfolgung wäre sein Leben bedroht.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandten außerhalb Basras; eine Niederlassung in der Region Kurdistan-Irak ist ohne entsprechende Anknüpfungspunkte (konkret auch in Form eines Bürgen notwendig) nicht möglich. In Bagdad ist die Sicherheitslage noch immer volatil und verfügt der Beschwerdeführer auch dort über keine Anknüpfungspunkte. Aufgrund der schiitischen Mehrheit in Bagdad und der zunehmenden Macht der schiitischen Milizen, von denen die Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer ausgeht, ist ihm auch eine Ansiedelung in Bagdad nicht zumutbar. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist daher gegenständlich nicht gegeben.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Die oben zitierten Feststellungen finden sich im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak. Es fasst eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs zusammen, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Den in der mündlichen Verhandlung erörterten Länderfeststellungen wurde auch von Seiten des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten.

In der Beschwerde wurde auf die Anfragebeantwortungen des Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) zu "Aktivitäten der Asa¿ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen Muslimen" (a-10480-2) vom 02.02.2018 (abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/1424853.html) und zu "Informationen zu schiitischen Milizen im Südirak, (Zwangs-) Rekrutierung von Sunniten durch schiitische Milizen, Drohbriefe schiitischer Milizen" (a-9560-1) hingewiesen, die im gegenständlichen Verfahren ebenfalls berücksichtigt werden. Allerdings bezieht sich die erste Anfragebeantwortung auf Gebiete, die unter IS-Herrschaft standen und von schiitischen Milizen befreit wurden; eine direkte Umlegung der dort geschilderten Situation auf Basra ist daher nicht möglich. Die zweite Anfragebeantwortung wurde oben unter Punkt 1.3. wiedergegeben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Der Beschwerdeführer hat glaubhaft vorgebracht, dass er in Basra von schiitischen Milizen wegen seines sunnitischen Glaubens und seiner Tätigkeit für ausländische Sicherheitsunternehmen bedroht worden war. Auch für den Fall seiner Rückkehr ist zu erwarten, dass er von den schiitischen Milizen bedroht werden würde und gegebenenfalls sogar sein Leben verlieren würde. Dass aus der Tätigkeit für ausländische Unternehmen ein erhöhtes Risiko für im Irak lebende Personen resultiert, wurde auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, bestätigt: Der EGMR führte aus, verlässliche und objektive Quellen sprächen dafür, dass Personen, denen unterstellt wird, mit der irakischen Regierung und ihren Institutionen, mit den Besatzungstruppen oder mit ausländischen Firmen zu kollaborieren, auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Gefahr liefen, von Al Quaida und anderen oppositionellen Gruppen verfolgt zu werden (RNr. 116). Im Folgenden gelangte der EGMR zu der Einschätzung, dass die Schutzfähigkeit der irakischen Sicherheitsbehörden in der derzeitigen komplexen und volatilen Situation im Irak reduziert sei. Der kumulative Effekt der individuellen Bedrohung solcher Personen einerseits und der reduzierten Schutzfähigkeit der irakischen Sicherheitskräfte andererseits begründe die Annahme eines realen Risikos, dass Personen mit speziellem Risikoprofil bei Rückkehr in den Irak (insbesondere) entgegen Art. 3 EMRK behandelt würden (RNr. 121 und 123).

Auch wenn sich die Sicherheitssituation in den letzten Monaten generell etwas verbessert hat, so steht aufgrund der aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation doch fest, dass Personen, die für ausländische Unternehmen tätig waren, weiterhin einem besonderen Risiko unterliegen.

Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 zugrundelag (als einem ehemaligen Funker der irakischen Armee kein Glauben geschenkt worden war, dass er in das Blickfeld gewalttätiger Verfolger geraten sei), weist der Beschwerdeführer besondere Gefährdungsmomente auf, weil er glaubhaft darlegen konnte, dass er bereits vor seiner Ausreise aus dem Irak in das Visier schiitischer Milizen geraten war.

Es stellt sich die Frage, ob eine Verfolgung durch die schiitische Miliz Asai¿b Ahl al-Haqq eine dem Staat zurechenbare Verfolgung ist. Es ließen sich durchaus Argumente dafür finden, wurde der Dachverband der Volksmobilisierungseinheiten doch formell dem Ministerpräsidenten unterstellt. Die Frage kann aber letztlich offenbleiben, da jedenfalls aufgrund der oben wiedergegebenen Länderfeststellungen zu attestieren ist, dass der irakische Staat sein Gewaltmonopol nicht aufrechterhalten kann und gegen die von den Milizen aufgebaute Parallelstruktur nicht vorzugehen vermag. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt jedenfalls Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung dieser Frage haben die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zu berücksichtigen.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vg. zum Ganzen VwGH, 24.02.2015, Ra 2014/18/0063).

Im Falle des sunnitischen Beschwerdeführers kann nicht davon ausgegangen werden, dass er in Basra bei der Polizei Schutz vor Angriffen schiitischer Milizen finden könnte. Die Ermittlungen zum Anschlag auf sein Haus wurden seinen Angaben nach auch von der Polizei nicht ernsthaft betrieben. Es kann daher von keiner Schutzwilligkeit bzw. -fähigkeit des Staates ausgegangen werden.

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Flucht- bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt. Wie in der Beweiswürdigung aufgezeigt wurde, besteht für den Beschwerdeführer aufgrund des Fehlens familiärer Netzwerke außerhalb von Basra keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.

Dem Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerdeführer stellte seinen Antrag auf internationalen Schutz am 23.09.2015 und damit vor dem 15.11.2015, wodurch § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") keine Anwendung findet.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,
ausländische Gesellschaft, begründete Furcht vor Verfolgung,
Beschäftigung, erhebliche Intensität, Flüchtlingseigenschaft,
Glaubhaftmachung, inländische Schutzalternative, innerstaatliche
Fluchtalternative, maßgebliche Wahrscheinlichkeit, mündliche
Verhandlung, Nachvollziehbarkeit, real risk, reale Gefahr, religiöse
Gründe, staatliche Schutzfähigkeit, staatliche Schutzwilligkeit,
staatlicher Schutz, Unzumutbarkeit, Verfolgungsgefahr,
Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht, Zurechenbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2198866.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten