TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/24 W227 2132867-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.01.2019
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Entscheidungsdatum

24.01.2019

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W227 2132867/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde des syrischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, gegen den Spruchteil I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juli 2016, Zl. 1072889700-150647821/BMI-BFA_KNT_RD, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der 1987 geborene Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, brachte am 10. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Bei seiner Erstbefragung gab er u.a. an, er stamme aus XXXX, Provinz Ar-Raqqa. Syrien habe er aufgrund des Bürgerkrieges am 10. Mai 2015 illegal zu Fuß Richtung Türkei verlassen. Der sogenannte islamische Staat (IS) habe XXXX erobert; er habe Angst vom IS ermordet zu werden. Sein Bruder lebe als anerkannter Flüchtling in Österreich. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, getötet zu werden.

Weiters legte er seinen (als echt qualifizierten) syrischen Personalausweis vor.

2. Bei seiner Einvernahme vor dem BFA am 5. Juli 2016 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst Folgendes an:

Er sei in XXXX geboren und aufgewachsen und habe mit seiner Familie in einem großen dreistöckigen Haus gelebt. Er habe als Mechaniker in der Autowerkstatt seines Onkels gearbeitet. Ihnen sei es "mittelmäßig" gegangen. XXXX habe er gemeinsam mit seiner Familie im Sommer 2014 verlassen, als der IS die Stadt erobert habe. Sie hätten große Angst vor dem IS gehabt, da der IS Kurden als "Ungläubige" sehe. Danach hätten seine Familie und er für einige Monate in XXXX, Provinz Aleppo, gelebt. In XXXX hätten sie "nichts" besessen und gemeinsam mit 40 Personen in einer kleinen Wohnung gelebt. XXXX sei damals unter der Kontrolle der Al-Nusra Front gestanden. Es sei täglich zu Bombardierungen und Kämpfen zwischen der Al-Nusra Front und der Miliz Ahrar al-Scham gekommen. Die kurdischen Milizen hätten deshalb Männer für den Kampf rekrutiert. Schließlich habe er Syrien aus Angst vor der Einziehung zum Militärdienst verlassen. Er sei ein "friedlicher Mensch" und wolle "keine Waffen tragen und kämpfen". In Gebiete, die unter der Kontrolle des syrischen Regimes gestanden seien, sei er nicht gereist, da Männer zwischen 20 und 40 Jahren zum Reservedienst einberufen worden seien. Einen Einberufungsbefehl habe er (noch) nicht bekommen. Seinen Militärdienst habe er bereits von 2006 bis 2008 absolviert; er sei "normaler" Soldat gewesen und für die Lebensmittelaufbereitung zuständig gewesen.

Seine Mutter lebe nach wie vor in Syrien. Zwei Brüder hielten sich in Österreich auf.

In Folge legte er eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses vom 8. März 2016 vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchteil I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchteil II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28. Juli 2017 (Spruchteil III.).

Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers stellte das BFA Folgendes fest:

Seine Identität stehe fest; er sei syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und gehöre der kurdischen Volksgruppe an. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder. In Syrien habe er (den Großteil seines bisherigen Lebens) gemeinsam mit seiner Familie in XXXX gelebt und als Mechaniker in einem Industriegebiet gearbeitet. Zuletzt habe er sich in XXXX aufgehalten.

Dem Vorbringen, dass der IS die Kurden als "Ungläubige" gesehen habe, werde zwar durchaus Glauben geschenkt. Die Gefahr einer Verfolgung bestehe jedoch für alle Angehörigen der kurdischen Volksgruppe gleichermaßen und sei nicht konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtet. Der Beschwerdeführer habe XXXX noch vor Ansiedlung des IS verlassen und er habe sich danach in einer kurdisch kontrollierten Stadt niedergelassen. Somit habe die Gefahr einer Verfolgung durch den IS in XXXX nicht bestanden. Dass Männer zwischen 18 und 40 Jahren vom syrischen Regime zum Reservedienst einberufen worden seien, entspreche zwar den Tatsachen, jedoch hätten sich damals keine Regierungstruppen in XXXX befunden. Weiters sei der Beschwerdeführer auch nicht von kurdischen Verbänden zum Kämpfen aufgefordert worden. Eine konkrete oder maßgeblich wahrscheinliche Gefahr einer Rekrutierung habe demnach nie bestanden. Darüber hinaus sei anzumerken, dass der Beschwerdeführer selbst im Falle einer Einziehung zum "Selbstverteidigungsdienst" nicht zwingend an Kampfhandlungen hätte teilnehmen müssen. Es sei daher glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen habe.

Rechtlich begründete das BFA die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten damit, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA mit der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Syrien.

4. Gegen Spruchteil I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der er im Wesentlichen Folgendes vorbringt:

Das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt und das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend gewürdigt. So habe der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe einerseits Angst, vom IS getötet zu werden, andererseits drohe ihm die Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Darüber hinaus sei eine Einberufung zum Militärdienst des syrischen Regimes äußert wahrscheinlich bzw. würden dem Beschwerdeführer im Falle einer Weigerung Repressalien drohen. Seine Fluchtgründe habe er im Hinblick auf die Länderberichte genügend substantiiert und schlüssig vorgebracht, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten zu verleihen sei.

5. Mit Schreiben vom 18. Juli 2018 legte der Beschwerdeführer Fotos vor, die ihn bei der Teilnahme an Demonstrationen gegen das syrische Regime zeigen. Dazu führte er insbesondere aus, es sei allgemein bekannt, dass der syrische Geheimdienst exilpolitische Aktivitäten syrischer Staatsangehöriger im Ausland dokumentiere. Durch die Beteiligung an den regimekritischen Demostationen sei der Beschwerdeführer in das Blickfeld der syrischen Behörden geraten, weshalb ein weiterer gefährdungserhöhender Faktor vorliege.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zum Beschwerdeführer

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist am XXXX geboren.

Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX, Provinz Ar-Raqqa und lebte zuletzt in XXXX, Provinz Aleppo. Er reiste am 10. Mai 2015 illegal aus Syrien aus. Der Beschwerdeführer ist in Österreich exilpolitisch tätig; er nahm an Demonstrationen gegen das syrische Regime teil.

Das BFA erkannte dem Bruder des Beschwerdeführers (XXXX) den Status des Asylberechtigten zu.

Im Falle einer Rückkehr besteht für den 32-jährigen Beschwerdeführer die Gefahr, zum Militärdienst - sowohl zum kurdischen als auch zu jenem für das syrische Regime - eingezogen zu werden, was er ablehnt.

Zudem wird er im Falle einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einerseits aufgrund seines Herkunftsortes und andererseits aufgrund seiner Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen als regierungsfeindlich angesehen werden.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

1.2.1. Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche, eine politische Alternative zu schaffen, wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten. Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce".

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden. Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen.

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten.

Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt. Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, lebt. Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte. Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht, wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt.

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch. Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden. Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 14ff.)

1.2.2. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit. Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren. Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken. Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten.

Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weitverbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt. Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter. Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen. Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert.

Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen. Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel. Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 39ff.)

1.2.3. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

Präsident Baschar al-Assad hat mit russischer Unterstützung die Oberhand im syrischen Bürgerkrieg gewonnen. Große Teile des Landes, insbesondere an den Landesgrenzen, sind jedoch weiter in der Hand von Aufständischen.

Nach der zwei Monate andauernden "Operation Olivenzweig" eroberten im März 2018 von der Türkei unterstützte syrische Rebellengruppierungen die Stadt Afrin, eine mehrheitlich kurdische Stadt nahe der türkischen Grenze (NYT 18.3.2018, vgl. IFK 3.2018). Zuvor baten die Kurden die syrische Regierung um Unterstützung bei der Verteidigung Afrins, woraufhin regierungstreue Einheiten, nicht jedoch die syrische Armee selbst, nach Afrin zogen (Reuters 20.2.2018). Nach der erfolgreichen Einnahme von Afrin durch türkische Truppen, kündigte die YPG den Beginn des Guerilla-Kampfes gegen die Türkei und pro-türkische Kräfte an. In den letzten Wochen erfolgten zahlreiche Anschläge.

Eine Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen - mit unterschiedlichen ideologischen und politischen Hintergründen und in wechselnden Bündniskonstellationen - agiert weiterhin vor allem in der Provinz Idlib, Teilen der ländlichen Gebiete der Provinz Aleppo, im Norden der Provinzen Homs und Hama, in den südlichen Provinzen Dera'a und Quneitra sowie in der Provinz Damaskus-Umgebung. Seit dem Beginn der Operation "Schutzschild Euphrat" im August 2016 haben türkische und syrische oppositionelle bewaffnete Gruppen de facto die Kontrolle des Gebiets zwischen Jarablus und Azaz in Nordsyrien von ISIS übernommen. Zusätzlich zu den Kämpfen zwischen der Regierung und ISIS kam es Berichten zufolge wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden bewaffneten Gruppen aufgrund von Machtkämpfen, Gebietsansprüchen und politischen/ideologischen Differenzen.

Im Juli 2017 führten zunehmende Spannungen zu einer Eskalation der Kämpfe zwischen den zwei mächtigsten bewaffneten oppositionellen Gruppen, Ahrar Al-Sham und Hay'at Tahrir Al-Sham (HTS), dem mit Al-Qaida in Verbindung gebrachten Bündnis unter der Führung von Jabhat Fatah Al-Sham. Nachdem sich Ahrar Al-Sham aus der Stadt Idlib und dem Bab Al-Hawa Grenzübergang mit der Türkei zurückgezogen hatte, konsolidierte HTS seine Vorherrschaft in weiten Teilen der Provinz Idlib und den umgebenden Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden.

Berichten zufolge haben die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) ihre Kontrolle über faktisch selbstverwaltete kurdische Gebiete entlang der syrisch-türkischen Grenze konsolidiert, insbesondere in den "Kantonen" Al-Hasaka, Kobane (Ayn Al-Arab) und Afrin. Unter dem Dach der SDF haben die YPG auch ehemals ISIS-kontrollierte Gebiete eingenommen, u. a. 2016 die Städte Menbij und Tel Rifaat (beide in der Provinz Aleppo) und Shaddadi (Provinz Al-Hasaka), und am 20. Oktober 2017 die Stadt Raqqa. Seit September 2017 sind die SDF und ihre Verbündeten in einer von den Regierungstruppen unabhängigen Offensive vom Nordosten in die Provinz Deir Ez-Zour vorgerückt. Im Juli 2017 führten zunehmende Spannungen zwischen den YPG und von der Türkei unterstützen Truppen Berichten zufolge zu immer wieder neu aufflammenden Kämpfen im Nordwesten Syriens.

("Live Universal Awareness Map" zur Situation in Syrien, abgerufen am 23. Jänner 2019 unter https://syria.liveuamap.com, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung, Stand:

November 2017, Punkt II. A. sowie Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 8)

In Situationen bewaffneter Konflikte und Gewalt droht möglicherweise Einzelpersonen, ganzen Personengruppen oder Bevölkerungsgruppen die Gefahr, ausgewählt oder gezielt aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden.

Eine Besonderheit des Konflikts besteht darin, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, des IS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt sowie von extralegalen Hinrichtungen betroffen.

Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die ernsthafte und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.

Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung davon ausgeht, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, generell Verbindungen zur bewaffneten Opposition haben. Diese Zivilpersonen werden daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen. Dies gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet anzugreifen, das als regierungsfeindlich betrachtet wird und/oder von dem vermutet wird, dass es oppositionelle bewaffnete Gruppen unterstützt. Es wird berichtet, dass die Regierung versucht, die breite Unterstützung von oppositionellen bewaffneten Gruppen auszuhöhlen, indem sie Zivilisten für die tatsächliche oder vermeintliche Opposition zur Regierung bestraft und das Leben in Gebieten unter deren Kontrolle für Zivilisten unerträglich macht. Zivilisten in diesen Gebieten sind Berichten zufolge im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen von unterschiedlichen Strafmaßnahmen durch Regierungskräfte und regierungsnahe Kräfte betroffen, darunter Inhaftierung, Folter, sexuelle Gewalt und extralegale Hinrichtungen.

Darüber hinaus wurden, wie berichtet wird, Häuser und Geschäfte von Personen, die als gegnerisch gelten, bei militärischen Überfällen durch Regierungskräfte und regierungsnahe Kräfte geplündert und zerstört. Nachdem die Regierung über einige Teile des Landes die Kontrolle verloren hat, ist sie Berichten zufolge nun dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten unter ausgedehnten Artilleriebeschuss zu nehmen und mit Bombardierung aus der Luft zu überziehen. Diese gezielten Angriffe, darunter auf Krankenhäuser, Beerdigungsprozessionen, öffentliche Märkte, Brottransporte und Bäckereien, wurden als eine Taktik beschrieben, mit der die in Gebieten unter der Kontrolle regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen oder des IS lebende Zivilbevölkerung bestraft und terrorisiert werden soll und ihre Lebensbedingungen unerträglich gemacht werden sollen. Es wurde berichtet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle der Opposition stehen, belagert hat und auf diese Weise systematisch Zivilpersonen von der Grundversorgung - z. B. mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung - abgeschnitten hat.

Wie aus Berichten hervorgeht, wurden Personen, die versuchten belagerte Gebiete zu verlassen um medizinische Hilfe aufzusuchen, verhaftet, von Heckenschützen ins Visier genommen oder am Verlassen gehindert. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge drangsaliert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die gegen Gebiete unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen gerichtete Belagerungstaktik der Regierung zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterbinden und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen. Es wird berichtet, dass Regierungskräfte im Rahmen von lokalen Waffenstillständen zunehmend auf die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Gebieten zurückgreift, die zuvor unter der Kontrolle regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen gestanden haben, häufig nach langen Phasen der Belagerung und Bombardierungen der betroffenen Gemeinschaften.

Die Vereinten Nationen und unabhängige Beobachter haben ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass diese Maßnahmen Zwangsvertreibung von Zivilisten darstellen. Außerdem weisen regierungskritische Quellen und unabhängige Beobachter auf die konfessionelle Dimension derartiger erzwungener Umsiedlungen von (sunnitischen) Bevölkerungsteilen aus ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten hin, da es Berichten zufolge in mehreren Fällen Mitgliedern religiöser Minderheiten, die als loyal der Regierung gegenüber galten, gestattet wurde, sich in den frei gewordenen Gebieten niederzulassen. Die Regierung wies dies zurück. In den Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt hat, nimmt sie Berichten zufolge zahlreiche Personen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Unterstützung oder Sympathie für regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen fest, insbesondere Männer sowie Jungen, die älter als zwölf Jahre alt sind.

(UNHCR-Bericht, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen vom Februar 2017 [deutsche Version April 2017], S. 15ff.)

1.2.4. Sunniten

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit, was demographische Daten betrifft, Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese ethnische Araber, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und Turkmenen inkludieren. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10%, wobei laut Medien- und anderen Berichten davon auszugehen ist, dass viele Christen aufgrund des Bürgerkrieges das Land verließen, und die Zahl nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jesiden. Diese Zahl könnte aufgrund des Zuzugs von Jesiden, die aus dem Irak nach Syrien flüchteten, mittlerweile höher sein.

Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder von bestimmten Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen den bewaffneten Aufstand von oppositionellen Gruppierungen niederzuschlagen. Laut mehreren Beobachtern des Konfliktes wandte das Regime Taktiken an, die darauf abzielten die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass dieser als ein Konflikt gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht. Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte Berichten zufolge auf Städte und Nachbarschaften mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizierten und eine Unterstützerbasis haben, die fast ausschließlich aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt existierten. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei. Auch der IS ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich.

Dies führte dazu, dass manche Mitglieder religiöser Minderheiten die Regierung Präsident Assads als ihren einzigen Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Gleichzeitig sehen sunnitische Araber viele der syrischen Christen, Alawiten und schiitischen Muslime aufgrund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als mit der syrischen Regierung verbündet an. Die Minderheiten sind zwischen den konfessionellen Spannungen gefangen und in ihrer Loyalität gespalten. Viele entschieden sich dafür, das Regime zu unterstützen, da sie sich Schutz durch die syrische Regierung erhoffen, während andere Mitglieder von Minderheiten auf der Seite der Opposition stehen.

Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Assad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär. Nichtsdestotrotz werden auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter, Haft und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen. Durch den Aufstieg und die Verbreitung von extremistischen bewaffneten Gruppen seit 2014 werden Minderheiten vermehrt Menschenrechtsverletzungen durch diese Organisationen ausgesetzt. Gruppierungen wie der IS oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Minderheiten, in Gebieten unter ihrer Kontrolle Angriffen und Unterdrückung ihrer Religionsfreiheit aus, und bestrafen jene hart, die gegen ihre Kontrolle sind. In Gebieten, welche der IS kontrolliert, wurden Christen gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren oder liefen Gefahr getötet zu werden. In Raqqa hielt der IS tausende jesidische Frauen und Mädchen, die im Irak entführt und nach Syrien verschleppt wurden, gefangen, um sie zu verkaufen, oder um sie an seine Kämpfer als Kriegsbeute zu verteilen. Jabhat Fatah ash-Sham und einige verbündete Rebellengruppen zielen im Norden des Landes mit Bomben und Selbstmordattentaten auf Drusen und Schiiten ab, was laut Jabhat Fatah ash-Sham eine Reaktion auf das "Massaker an Sunniten" durch die Regierung sei. Oppositionelle Gruppen entführen Mitglieder religiöser Minderheiten. Da sich die Motive politischer, ethnischer, konfessioneller und religiöser Gewalt überschneiden, ist es schwierig, Übergriffe als lediglich religiös motiviert zu kategorisieren.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 59ff.)

1.2.5. Wehrdienst

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden.

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt. Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten.

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zurzeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden. Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein. Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden.

Die syrische Armee hat durch Todesfallen, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kampfer benötigt.

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden.

Zusatzinformationen zum Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung).

Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert. Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.

Wehrdienstverweigerung/Desertion

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu 5 Jahren bestraft. Nach Verbüßen der Strafe muss der Wehrdienstverweigerer weiterhin den regulären Wehrdienst ableisten. Bei einer Wehrdienstverweigerung hat man die Möglichkeit sich zu verstecken und das Haus nicht mehr zu verlassen, das Land zu verlassen, sich durch Bestechung freizukaufen oder einer anderen Gruppierung beizutreten. Bezüglich Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während die einen eine Foltergarantie und Todesurteil sehen, sagen andere, dass Verweigerer sofort eingezogen werden. Die Konsequenzen hängen jedoch vom Profil und den Beziehungen der Person ab. Wenn es eine Verbindung zu einer oppositionellen Gruppe gibt, wären die Konsequenzen ernster.

Wenn jemand den Wehrdienst verweigert und geflohen ist, gibt es die Möglichkeit seinen Status zu "regularisieren", wobei möglicherweise auch ein signifikanter Betrag zu entrichten ist (gerüchteweise bis zu 8.000 USD). Eine solche "Regularisierung" schützt allerdings nicht automatisch vor Repressalien oder einer zukünftigen Rekrutierung. Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen. Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (so genannte externe Desertion), unterliegen

Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt. In vielen Fällen erwartet Deserteure der Tod. Möglicherweise werden sie inhaftiert, befragt und gefoltert, wobei die Behandlung eines Deserteurs auch davon abhängt wer er ist, welcher Konfession er angehört, wie wohlhabend er ist etc. Die große Sorge vieler ist hierbei auch, dass dies nicht nur den Tod des Deserteurs oder die Vergeltung gegen ihn, sondern auch Maßnahmen gegen seine Familie nach sich ziehen kann. Die gängige Vorgehensweise ist, Deserteure nicht zurück an die Front zu schicken, sondern sie zu töten. Berichten zufolge werden sie an Ort und Stelle erschossen. Theoretisch ist ein Militärgerichtsverfahren vorgesehen und Deserteure könnten auch inhaftiert und dann strafrechtlich verfolgt werden. Außergerichtliche Tötungen passieren dennoch.

Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen. Im Gegensatz zum Beginn des Konfliktes haben sich mittlerweile die Gründe für Desertion geändert: Nun desertieren Soldaten, weil sie kampfmüde sind und dem andauernden Krieg entkommen wollen. Auch Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern haben mit Konsequenzen zu rechnen. Eine Familie kann von der Regierung unter Druck gesetzt werden, wenn der Deserteur dadurch vielleicht gefunden werden kann.

Familienmitglieder (auch weibliche) können festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal wird ein Bruder oder der Vater eines Deserteurs ersatzweise zur Armee rekrutiert.

Befreiung und Aufschub

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben.

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums.

Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat.

Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden. Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht. Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein. Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen. Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden. Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 44 ff.)

Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten Desertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus.

Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet.

Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

(UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen, Stand:

Februar 2017, S. 12f. und S. 22ff.)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten.

Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen. In Artikel 2 und 3 des Wehrpflichtgesetzes wird zunächst der Personenkreis definiert, auf den sich das Gesetz bezieht. So heißt es in Artikel 2: "Die Pflicht zur Selbstverteidigung ist eine gesellschaftliche und moralische Pflicht der gesamten Bevölkerung. Aufgrund dessen obliegt es jeder in der Region ansässigen Familie, einen Angehörigen für die Ausübung der Pflicht zur Selbstverteidigung zu stellen." Artikel 3 führt weiter aus: "Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für alle männlichen Personen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Frauen können sich freiwillig zur Selbstverteidigung verpflichten."

Der Wehrdienst beträgt gemäß Artikel 4 sechs Monate, die in der Regel innerhalb von höchstens einem Jahr abzuleisten sind. Laut Artikel 5 sind Personen, deren Familien "einen Märtyrer aus den Reihen der Volksverteidigungseinheiten, des Asayis [Sicherheitsdienstes] oder der kurdischen Volksbefreiungsbewegung zu beklagen haben" sowie Einzelkinder von der Wehrpflicht befreit. Ferner sind Menschen freigestellt, die die Wehrpflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben können, und darüber ein ärztliches Attest vorweisen können.). Das Grundproblem dieses Gesetzes besteht zum einen darin, dass es nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen wurde, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Beim bewaffneten Arm der PYD, den YPG, handelt es sich nicht um eine quasistaatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Zum anderen sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor.

Die YPG unternimmt umfangreiche Rekrutierungskampagnen - auch aufgrund der Schlacht um Raqqa. Die YPG verkündete kürzlich eine Amnestie für Wehrdienstverweigerer, laut welcher diese die zusätzliche Dienstzeit von üblicherweise 3 Monaten, die als Bestrafung definiert ist, nicht ableisten müssen, sondern nur die reguläre Wehrdienstdauer. Berichten zufolge kommt es in den kurdischen Gebieten zu Zwangsrekrutierungen von Männern und Jungen. Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten. Während einer Fact Finding Mission der Staatendokumentation des BFA gaben zwei Quellen an, dass es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gibt, es jedoch einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen, die gegen den IS kämpfen, geben kann.

Laut Eva Savelsberg vom Europäischen Zentrum für Kurdische Studien sind jedoch auch Frauen und Mädchen von Zwangsrekrutierungen betroffen: KurdWatch und das Europäische Zentrum für Kurdische Studien haben mehrere Fälle recherchiert, in denen minderjährige Mädchen rekrutiert bzw. zwangsrekrutiert wurden. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, die YPG wieder zu verlassen. Organisationen wie Human Rights Watch, den Vereinten Nationen und KurdWatch zufolge rekrutiert die YPG sogar Kinder, einige nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen. Nurman Ibrahim Khalifa etwa wurde von der YPG entführt, als sie dreizehn Jahre alt war, und in ein PKK-kontrolliertes Lager in Irakisch-Kurdistan verschleppt.

Während ihres Zwangsaufenthaltes dort wurde sie Zeugin, wie eine achtzehnjährige Frau nach mehreren Fluchtversuchen aus dem Lager öffentlich von einer PKK-Funktionärin hingerichtet wurde. Der tote Körper der Frau wurde in den nahegelegenen Fluss geworfen. Derartige Brutalität ist eher die Regel als die Ausnahme; Zwangsrekrutierungen sind seit ihrer Einführung zu einem der Hauptgründe junger, kurdischer Männer geworden, aus den kurdischen Regionen zu fliehen.

Dies trifft nicht auf junge Araber zu: Im Gegensatz zu Kurden sind sie nicht von Zwangsrekrutierungen betroffen. Wenn Araber in den kurdischen Gebieten rekrutiert werden, dann vom syrischen Regime.

Die syrische Regierung zog sich 2012 weitgehend aus der Jazira Region im Nordosten Syriens zurück, hat ihre Kontrolle jedoch in zwei urbanen Zentren der Region, Hassakah und Teilen von Qamishli, aufrechterhalten. Die PYD kontrolliert den Großteil der Jazira, abgesehen von diesen beiden urbanen Zentren. Die Regierung hat in der Jazira jedoch noch immer essentielle Machtstrukturen inne, weshalb in dieser Region ein duales Sicherheitsarrangement herrscht. Die administrativen Strukturen der Regierung und der PYD überschneiden sich, zumindest in Bezug auf Überwachung und die Militarisierung der lokalen Bevölkerung. So kann es jungen Männern in der Jazira-Region passieren, dass sie von beiden Seiten zum verpflichtenden Wehrdienst einberufen werden, weil keine der beiden Gruppierungen die offiziellen Militärdienstdokumente der jeweils anderen anerkennt.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 52 ff.)

1.2.6. Kurden

Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Arabern (hauptsächlich Syrer, Palästinenser und Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen. Dazu kommen die chaldäischen und assyrischen Christen. Innerhalb der Minderheiten gibt es eine Spaltung zwischen Gegnern und Befürwortern des syrischen Regimes.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 24. August 2018, S. 62f.)

1.2.7. Aktivisten/Demonstranten

Die Regierung überwacht politische Treffen, die Post und Onlineaktivitäten. Unzählige Personen wurden verhaftet, weil sie auf social media Fotos oder Videos "geliked" oder geteilt haben, die oppositionelle Meinungen vertreten oder unterstützen. Die sog. Syrische Elektronische Armee hackt Websites und social media Seiten von oppositionellen Gruppen, westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen.

Syrer, die im Ausland in regierungsgegnerische Proteste verwickelt waren, wurden systematisch überwacht, eingeschüchtert und teilweise physisch durch Botschaftsangestellte und andere angegriffen. Familienangehörige von Syrer, die sich im Ausland an Protesten oder ähnlichen Aktivitäten beteiligen, wurden in Syrien befragt, bedroht, verhaftet, körperlich misshandelt oder sogar getötet.

Die echte oder unterstellte regierungsgegnerische Einstellung einer Person wird häufig auch Personen in ihrem Umfeld zugeordnet, wie Familienangehörigen, Nachbarn oder Kollegen. Familienangehörige von Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien, Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern wurden Ziel von willkürlichen Verhaftungen, Folter, Misshandlungen, auch sexueller Gewalt und standrechtlicher Exekution. In Fällen, in denen eine gesuchte Person, der eine oppositionelle Haltung unterstellt wird, nicht gefunden werden kann, werden Familienangehörige verhaftet und misshandelt, um zu erfahren, wo die Person ist, damit sie sich stellt, oder um ihre Handlungen zu bestrafen. Weibliche Familienangehörige werden Berichten zu Folge auch zum Tausch bei Gefangenenaustauschen mit regierungsgegnerischen bewaffneten Gruppen verwendet. Nachbarn, Freunde und Kollegen waren ebenfalls Ziele solcher Praktiken.

Aus Angst wird häufig Abstand genommen, sich über eine Verhaftung zu beschweren; stattdessen werden Bestechungsgelder bezahlt, um einen Verhafteten verlegen zu lassen oder freizubekommen. Präsidentielle Amnestien ermöglichten auch Bestechungen von Richtern. In besonders schweren Fällen wurden ganze Familien von Oppositionellen oder Deserteuren verhaftet oder ermordet, z.B. während einer Hausdurchsuchung. Personen, die leicht von den syrischen Behörden als regierungskritisch wahrgenommen werden, oder die Sympathisanten sind oder Verbindungen zur Opposition haben, werden wahrscheinlich internationalen Schutz wegen ihrer auch nur unterstellten politischen Gesinnung benötigen.

(UNHCR-Bericht, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen vom Februar 2017 [deutsche Version April 2017], S. 2f.)

1.2.8. Rückkehr

Die Hauptfaktoren, die die Entscheidung zurückzukehren, beeinflussen, sind primär die Wiedervereinigung mit Familienmitgliedern, den Zustand des eigenen Besitzes/Grundstücks zu prüfen und in manchen Fällen auch die tatsächliche oder wahrgenommene Verbesserung der Sicherheitslage in Teilen des Landes. Andere Rückkehrgründe können eine Verschlechterung der ökonomischen Situation am Zufluchtsort oder soziokulturelle Probleme sein. Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Im Prinzip steht es syrischen Staatsangehörigen frei, mit ihrem syrischen Pass (oder bei einer Ausreise in den Libanon: mit gültigem Personalausweis) über alle funktionsfähigen Grenzübergänge, einschließlich dem Flughafen Damaskus, das Land zu verlassen.

Syrische Staatsangehörige müssen eine Ausreisegebühr in einer Höhe zahlen, die vom Ausreisepunkt (Landgrenze oder Flughafen) abhängt. Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 18 aus dem Jahr 2014 kann die Ausreise oder Rückkehr ohne gültigen Pass oder ohne die erforderliche Genehmigung oder über einen nicht genehmigten Ausreisepunkt je nach Umständen des Einzelfalls Freiheits- und/oder Geldstrafen nach sich ziehen. Es ist nicht klar, ob das Gesetz tatsächlich angewandt wird und ob Personen, die aus dem Ausland zurückkehren, gemäß Gesetz Nr. 18 von 2014 einer Strafverfolgung ausgesetzt sind. Personen werden bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdäc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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