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L37155 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AVG §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie Hofrätin Dr. Bayjones und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber, BA, über die Revision der Wohnbau-Genossenschaft B Gemeinnützige reg.Gen.m.b.H. in Z, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Künstlerhausgasse 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 7. November 2016, 405-3/95/1/10-2016, betreffend Versagung einer baubehördlichen Bewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. B O,
2. M O, 3. E R, 4. E R, 5. D H, 6. B H, 7. E K, alle in S und vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg Rudolfskai 48; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevertretung der Stadtgemeinde Saalfelden; weitere Partei:
Salzburger Landesregierung), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin ist Eigentümerin von vier im rechtsgültigen Flächenwidmungsplan der Stadtgemeinde S. als Bauland in der Widmungskategorie "Reines Wohngebiet" ausgewiesenen Grundstücken der KG F. Im rechtsgültigen Bebauungsplan ist auf den Bauplatzgrundstücken der Revisionswerberin zur Verkehrsfläche (Wegparzelle X) eine Baufluchtlinie mit Abstand zur Straßenfluchtlinie von 5 m (im Bereich zweier der genannten Grundstücke) und 7,50 m (im Bereich der beiden anderen Grundstücke) festgelegt. Die mitbeteiligten Parteien sind Eigentümer von westlich bis südwestlich angrenzenden, durch die Verkehrsfläche (Wegparzelle X) von den Grundstücken der Revisionswerberin getrennten Grundstücken.
2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde S. vom 20. Jänner 2016 wurde der Revisionswerberin die baubehördliche Bewilligung für den Neubau von zwei Mehrfamilienwohnhäusern mit 18 Wohneinheiten und überdachten Stellplätzen auf den genannten, in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken erteilt. Einwendungen der Nachbarn (darunter der mitbeteiligten Parteien) wurden teilweise als unbegründet abgewiesen und teilweise als unzulässig zurückgewiesen.
3 Die gegen diesen Bescheid unter anderem von den mitbeteiligten Parteien erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung der Stadtgemeinde S. vom 19. Mai 2016 als unbegründet abgewiesen.
4 Soweit für die gegenständliche Entscheidung von Bedeutung, wurde den von den mitbeteiligten Parteien gegen den Berufungsbescheid erhobenen Beschwerden mit Spruchpunkt I.b. des angefochtenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Salzburg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) vom 7. November 2016 Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und dem zuletzt am 2. November 2016 vor dem Verwaltungsgericht modifizierten Bauansuchen der Revisionswerberin vom 13. August 2015 (in der Fassung der Austauschplanung vom Oktober 2016) gemäß § 9 Abs. 1 Z 6 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Z 2 Salzburger Baupolizeigesetz (BauPolG) die baubehördliche Bewilligung versagt. Die ordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis wurde für nicht zulässig erklärt.
5 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sehe der modifizierte Austauschplan für alle Wohnungen (mit Ausnahme von zwei Wohnungen im Erdgeschoss) bei beiden Häusern an der Straßenfassade großzügige Balkone mit Überdachung im Obergeschoss vor, die aus der Baukonstruktion frei vorkragen und durch Balkonbrüstungen aus Glas abgesichert würden.
6 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht unter anderem fest, das Beschwerdevorbringen der mitbeteiligten Parteien, wonach durch das gegenständliche Bauvorhaben der Revisionswerberin die im Bebauungsplan festgelegten Baufluchtlinien nicht eingehalten würden, sei berechtigt. Zwischen den Nachbargrundstücken der mitbeteiligten Parteien und dem Bauplatz der Revisionswerberin verlaufe die Verkehrsfläche, Grundstück Nr. X, zu der im rechtsgültigen Bebauungsplan eine Baufluchtlinie mit Abstand zur Straßenfluchtlinie von 5 m bzw. 7,50 m festgelegt sei. Diese Baufluchtlinie werde durch das gegenständliche Bauvorhaben durch die jeweils im Erdgeschoss und im Obergeschoss hervortretenden Balkone und Vordächer im Haus A um 1,5 m und im Haus B um 1,2 m überragt.
7 Nach dem modifizierten Einreichprojekt der Revisionswerberin erstreckten sich die die Baufluchtlinie überragenden Balkone jeweils über zwei Stockwerke (mit zusätzlichem Vordach im Obergeschoss). Sie nähmen jeweils 78 % der gesamten Gebäudelängen der Baukörper ein. Der von der Revisionswerberin vertretenen Meinung, wonach die hervortretenden Balkone nicht frontbildend seien, weil die errechneten Ansichtsflächen der Balkonbrüstungen und Vordachansichten nur jeweils einen Anteil von ca. 30 % der gesamten Fassadenfläche je Baukörper bildeten, werde schon auf Grund der gebotenen restriktiven Auslegung des § 8 Abs. 1 lit. b Bautechnikgesetz 1976 (BauTG 1976) nicht gefolgt. Es komme nämlich auf das tatsächliche Erscheinungsbild der hervortretenden Bauteile an. Nach der Beurteilung des beigezogenen hochbautechnischen Amtssachverständigen erweckten die Balkone auf Grund ihrer Gestaltung und ihres Ausmaßes den Eindruck einer Gebäudefront, wobei die Balkonbrüstungen vor allem bei der schräg seitlich gesehenen Perspektive fast zu einer Einheit verschmelzten. Die Ausführungen des Amtssachverständigen, denen die Revisionswerberin fachlich nicht entgegen getreten sei, seien schlüssig und insbesondere in Anbetracht der vorgelegten perspektivischen Darstellung (Verweis auf die im angefochtenen Erkenntnis, Seite 5, dargestellte Fotomontage) nachvollziehbar. Es sei daher gegenständlich kein Ausnahmegrund für das Hervortreten der Balkone über die Baufluchtlinie gegeben. Das Bauvorhaben der Revisionswerberin stehe im Widerspruch zum rechtsgültigen Bebauungsplan. Dies stelle gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 BauPolG einen Versagungsgrund für die Baubewilligung dar.
8 Da nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 27.2.2015, 2012/06/0219, mwN) den der Baufluchtlinie gegenüberliegenden Grundstücksnachbarn ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung der Baufluchtlinie zukomme, sei die rechtzeitig erhobene Einwendung der mitbeteiligten Parteien, dass die Baufluchtlinie nicht eingehalten werde, berechtigt. Hinsichtlich der mitbeteiligten Parteien liege somit auch ein Versagungsgrund gemäß § 9 Abs. 1 Z 6 BauPolG vor.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit ausgeführt, zur Rechtsfrage, ob ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht darauf bestehe, dass die Baufluchtlinie eingehalten werde, bestünden divergierende Rechtsansichten. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts komme den auf der anderen Seite der Verkehrsfläche situierten Nachbarn ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht auf Einhaltung der Baufluchtlinie zu, ungeachtet dessen, dass die Abstände hin zu ihren Liegenschaften mehr als eingehalten würden. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Judikatur, wonach gemäß § 62 in Verbindung mit § 8 BauTG 1976 ein subjektivöffentliches Nachbarrecht auf Einhaltung der Grenzen des Bauplatzes bestehe, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die genannten Bestimmungen könnten nur dahingehend verstanden werden, dass ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht auf Einhaltung der Grenzen des Bauplatzes ausschließlich dann bestehe, wenn dadurch die Mindestabstandsgrenzen zu den beschwerdeführenden Nachbarn tangiert werden würden. Dies sei gegenständlich aber nicht der Fall.
14 Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den gegenüberliegenden Nachbarn, zwischen deren Grundstücken und dem Baugrundstück sich eine Verkehrsfläche (an die diese Grundstücke angrenzen) befindet, ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung der Baufluchtlinie bzw. ein diesbezügliches Mitspracherecht zukommt (vgl. VwGH 22.11.2001, 2000/06/0064, 0065; 27.2.2015, 2012/06/0219, mwN; vgl. auch VwGH 11.3.2016, Ra 2015/06/0033, mwN). Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht abgewichen.
15 Soweit die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 14.12.2007, 2006/05/0235; 16.11.2010, 2009/05/0086) zitiert und dazu vorbringt, dass dem Nachbarn nur insoweit ein subjektivöffentliches Nachbarrecht hinsichtlich der Einhaltung der Nachbarabstände zukomme, als diese ihm gegenüber einzuhalten seien, bezieht sie sich offenkundig auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes, wonach Nachbarn nur dort ein durchsetzbares Mitspracherecht haben, wo ihre durch baurechtliche Vorschriften geschützte Rechtsphäre bei Verwirklichung des Bauvorhabens beeinträchtigt werden könnte (vgl. dazu auch VwGH 7.8.2013, 2012/06/0142, mwN).
16 Die Revisionswerberin lässt dabei jedoch außer Acht, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat - das Mitspracherecht der Nachbarn (in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden) schon deshalb geboten ist, weil § 9 Abs. 1 Z 6 BauPolG ausdrücklich die Regelungen über die Höhe und die Lage der Bauten im Bauplatz als solche nennt, die Nachbarrechte beinhalten (vgl. erneut VwGH 27.2.2015, 2012/06/0219). Dass die "räumliche Nähe" (im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 6 BauPolG) der Grundstücke der mitbeteiligten Parteien zum Bauvorhaben der Revisionswerberin nicht gegeben wäre, wird in der Revision nicht konkret behauptet. Darauf, ob zu den (auf der gegenüberliegenden Straßenseite situierten) Grundstücken der mitbeteiligten Parteien der Mindestabstand eingehalten wird, der sich aus § 25 Abs. 3 Bebauungsgrundlagengesetz ergäbe, kommt es nach der hg. Rechtsprechung nicht an, weil für den Abstand der Bauten von der Grundgrenze gegen die Verkehrsfläche die Baufluchtlinie oder die Baulinie gilt (VwGH 22.11.2001, 2000/06/0064, 0065). Daher wird auch mit dem Hinweis auf die (im zitierten Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilte) Auffassung in der Literatur (Giese, Kommentar zum Salzburger Baurecht (2006), Rz 17 zu § 8 BauTG) keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt.
17 Hinsichtlich des - im gegenständlichen Verfahren gemäß § 56 Abs. 3 Salzburger Bautechnikgesetz 2015, LGBl. Nr. 1/2016, maßgeblichen - § 8 Abs. 1 lit. b BauTG 1976, LGBl. Nr. 75/1976 in der bis zu seinem Außerkrafttreten am 30. Juni 2016 geltenden Fassung, wird in der Zulässigkeitsbegründung der Revision bemängelt, dass das Verwaltungsgericht die in Rede stehenden Balkone als frontbildend erachtet habe. § 8 Abs. 1 lit. b BauTG 1976 stelle auf den optischen Eindruck ab, ob die vortretenden Bauteile den Eindruck einer "neuen" Gebäudefront erweckten. Es möge wohl richtig sein, dass die Balkone 78 % der Gebäudelänge einnähmen, jedoch hätten die Baubehörden erster und zweiter Instanz festgestellt, dass aus der Frontansicht sowie aus den Nordwest- und Südost-Ansichten die Balkone eindeutig als solche ersichtlich seien und sich gegenüber den Hausfronten absetzten. Es werde keineswegs der Eindruck einer "neuen" Gebäudefront erweckt. Ferner machten die Balkone nur ca. 30 % der gesamten Frontfassadenfläche aus. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Judikatur sei "mit dem gegenständlichen Fall nicht vergleichbar". Es liege eine korrekturbedürftige unrichtige Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts vor.
18 Gemäß § 8 Abs. 1 lit. b BauTG 1976 dürfen Balkone, Erker u. dgl. höchstens 1,50 m über die Baulinie oder Baufluchtlinie sowie in den Mindestabstand von den Grenzen des Bauplatzes vortreten, dies jedoch nur in einer solchen Anzahl und in einem solchen Ausmaß, dass sie nicht selbst den Eindruck einer Front des Baues erwecken, in Verkehrsflächen überdies nur dann, wenn diese mehr als 12 m breit sind.
19 Zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass diese Norm als Ausnahmebestimmung restriktiv auszulegen ist (vgl. VwGH 30.3.2004, 2003/06/0059, und VwGH 10.4.2012, 2012/06/0021, 0023, jeweils zur vergleichbaren Bestimmung des § 4 Z 29 Stmk. BauG). Maßgeblich für die Beurteilung sind nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Dimension und Gestaltung der vortretenden Bauteile (VwGH 31.1.2008, 2007/06/0203; 17.12.2009, 2008/06/0080) bzw. die Erscheinung und insbesondere Dimensionen der Bauteile und die Relation zur Gebäudefront (vgl. nochmals VwGH 30.3.2004, 2003/06/0059; 10.4.2012, 2012/06/0021, 0023).
20 Die Beurteilung, ob die in § 8 Abs. 1 lit. b BauTG 1976 normierten Voraussetzungen vorliegen, hat in jedem Einzelfall zu erfolgen. Dass das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall eine unvertretbare Einzelfallbeurteilung vorgenommen hätte, kann der Verwaltungsgerichtshof, der nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern (VwGH 27.9.2018, Ra 2016/06/0061, mwN), nicht finden. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht in nicht zu beanstandender Weise auf das tatsächliche Erscheinungsbild der hervortretenden Bauteile, auf ihre Gestaltung und ihr Ausmaß abgestellt. Es hat dabei unter anderem berücksichtigt, dass sich die Balkone jeweils über zwei Stockwerke mit zusätzlichem Vordach im Obergeschoss erstreckten und jeweils 78 % der gesamten Gebäudelängen der Baukörper einnähmen, sowie seiner Beurteilung die fachkundigen Ausführungen des hochbautechnischen Amtssachverständigen, denen die Revisionswerberin nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen trat, zu Grunde gelegt.
21 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 30. Jänner 2019
Schlagworte
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Abstandsvorschriften BauRallg5/1/1Baurecht NachbarEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2017060002.L00Im RIS seit
26.02.2019Zuletzt aktualisiert am
06.03.2019