TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/28 W212 2204254-1

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Veröffentlicht am 28.11.2018
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Entscheidungsdatum

28.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §55 Abs4

Spruch

W212 2204254-1/9E

W212 2204251-1/7E

W212 2204253-1/7E

W212 2204252-1/5E

W212 2204250-1/5E

W212 2204249-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER über die Beschwerde von 1.) XXXX, geb. XXXX, 2.) XXXX, geb. XXXX, 3.) mj. XXXX, geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter

XXXX, 4.) mj. XXXX, geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter

XXXX, 5.) mj. XXXX, geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter

XXXX, 6.) mj.XXXX, geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, alle StA. Ukraine, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2018, Zl.en 1.) 1134638508/161525217, 2.) 1134638203/161525252, 3.) 1134637304/161525373, 4.) 1134635201/161525411, 5.) 1134635408/161525475, 6.) 1134635310/161525420, zu Recht:

A)

Die Beschwerde werden gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG sowie § 55a Abs. 4 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. der angefochtenen Bescheide zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer (BF3 - BF6). Sie reisten mittels ungarischer Visa in das Bundesgebiet ein, wo sie am 10.11.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Im Rahmen der Erstbefragung am 10.11.2016 gab der BF1 an, dass sein Asylantrag in Deutschland im Sommer 2016 abgelehnt und die Familie abgeschoben worden sei. In der Ukraine würden sie diskriminiert und als Zigeuner beschimpft. Seine Kinder seien in der Schule beleidigt und geschlagen worden, die Lehrer hätten die Kinder nie in Schutz genommen. Er selbst habe keine Arbeit gefunden, da er Zigeuner sei. In der Ukraine gebe es für sie keine Zukunft. Außerdem würden sie mit dem ukrainischen Geheimdienst Probleme bekommen, da sie als Verräter betrachtet würden.

Die BF2 gab zu ihren Fluchtgründen an, dass sie diskriminiert würden, weil sie Roma seien. Es gebe in der Ukraine keine Arbeit für sie und keine Bildungsmöglichkeiten für ihre Kinder. Die BF3 habe in der Schule in der letzten Reihe sitzen müssen, obwohl der Augenarzt die erste Reihe empfohlen hatte, da sie schlecht sehe. Die ukrainischen Kinder würden die Bücher gratis bekommen, während sie die Bücher kaufen mussten. Sie würden beschimpft und die Kinder geschlagen werden. Da es keine Zukunft gebe, hätten sie sich zur Ausreise entschlossen.

Der BF3 gab in der Erstbefragung an, dass seine Mutter seine Schulbücher nicht mehr habe bezahlen können, nachdem sie arbeitslos geworden sei. Deshalb habe er die Schule abbrechen müssen. Die ukrainischen Kinder würden in der Schule alles gratis bekommen und sie müssten alles bezahlen, weil sie Roma seien. Außerdem seien sie in der Schule beschimpft und seine Schwester auch geschlagen worden. Seine Eltern hätten daraufhin den Entschluss gefasst, das Land zu verlassen.

I.2. Aus einer Auskunft des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 02.12.2016 geht hervor, dass die BF am 23.03.2016 in Deutschland Asylanträge gestellt hatten, welche am 15.06.2016 abgewiesen wurden. Die BF reisten am 15.06.2016 aus Deutschland aus.

I.3. Am 11.04.2017 stellten die BF einen Antrag auf freiwillige Rückkehrhilfe. Der Antrag wurde am 19.04.2017 mit der Begründung, dass die Kinder gesundheitliche Probleme hätten, zurückgezogen.

I.4. In der Einvernahme vor dem BFA am 23.04.2018 gab der BF1 an, dass er den Beruf des Zuckerbäckers erlernt habe. Bis zum Jahr 2016 habe er selbstständig als Händler Bekleidung verkauft. Dann sei die Familie nach Deutschland ausgereist, wo sie sich drei Monate aufgehalten habe. Er habe die freiwillige Rückkehr in Anspruch genommen und als Angestellter arbeiten wollen. Es sei aber aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit nicht einfach gewesen, eine Arbeit zu finden. Ein paar Monate habe er auf einer Baustelle gearbeitet, habe aber nicht den gesamten Lohn erhalten. Er habe seinen Job verloren und überlegt, wieder als Händler zu arbeiten. Er habe mit Bekannten darüber gesprochen, diese hätten ihm geholfen. Dann sei ein Vorfall auf der Gargarinastraße passiert, die Leute hätten ihn aufgehalten, geschlagen und mit einer Pistole bedroht. Sie hätten 4000 Dollar von ihm gefordert. Wenn er die Summe nicht bezahle, schulde er 5000 Dollar. Er habe versichert, das Geld zu beschaffen, und sei freigelassen worden. Zuhause habe er erfahren, dass seine Frau einen Anruf von unbekannten Personen erhalten habe, sie sei bedroht worden. Sie hätten dann bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. Am Abend seien Personen zu ihnen gekommen, die sie zuerst für Polizisten gehalten hätten. Es seien aber Leute aus der Gruppierung gewesen, die ihn verfolgt hätten. Er sei zusammengeschlagen worden. Er habe zugesagt das Geld zu beschaffen, sei dann aber mit seiner Familie ausgereist.

Es seien regelmäßig Leute in sein Bekleidungsgeschäft gekommen und hätten Geld gefordert. Es habe sich um kleine Summen, 300 - 400 UAH (ca. 10 -12 €, Anm.) gehandelt. Er habe das Geld bezahlt. In Deutschland hätten die gleichen Fluchtgründe bestanden wie in Österreich. Er hätte immer größere Summen Schmiergeld zahlen sollen. Er habe beschlossen, kein Schmiergeld mehr zu bezahlen, das habe zu Problemen geführt. Viele andere Händler hätten auch Schmiergeld zahlen müssen. Er habe seit der Eröffnung des Geschäfts zahlen müssen.

Der Ausreisegrund im November 2016 sei gewesen, dass er nicht mehr zahlen hätte wollen. Er sei mehrmals geschlagen und auch seine Frau bedroht worden. Bevor er nach Deutschland gereist sei, sei er dreimal geschlagen worden, zwei Mal im Geschäft und einmal zuhause. Nach der Rückkehr aus Deutschland sei er zwei Mal geschlagen worden. Er habe eine Kieferverletzung und Abschürfungen erlitten. Die Polizei sei korrupt und arbeite mit diesen Leuten zusammen. Das habe seine Situation noch verschlechtert. Die Leute, die ihn bedroht hätten, würden für führende Personen in der Stadt arbeiten. Er habe Angst, die Namen anzugeben.

Der BF3 und die BF4 hätten in der Ukraine eine gute Schule besucht, der BF3 fünf Jahre, die BF4 ein Jahr lang. Dafür hätte er Schmiergeld zahlen müssen. Nach der Rückkehr aus Deutschland habe es für sie dort keinen Platz gegeben, es seien ihnen "komische" Gründe dafür genannt worden. Die BF3 sei in der Schule diskriminiert worden. Der BF5 und die BF6 hätten einen Kindergarten besucht.

Er habe den Antrag auf freiwillige Rückkehr widerrufen, weil seine Kinder krank geworden seien. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass die Leute, die Geld von ihm verlangt hätten, noch immer nach ihm suchen würden.

Die BF2 gab in ihrer Einvernahme am selben Tag an, dass sie in der Ukraine als Müllfrau gearbeitet und mit ihrem Mann ein Bekleidungsgeschäft betrieben habe. Unbekannte Leute hätten von ihnen eine gewisse Summe Geld verlangt. Ihr Mann sei mehrmals zusammengeschlagen worden. Einmal seien die Leute zu ihnen gekommen und hätten ihn geschlagen. Sie und ihr ältester Sohn hätten dies gesehen. Von ihrer Schwiegermutter habe sie erfahren, dass diese Leute noch immer nach ihnen fragen würden. Diese Leute seien seit ca. drei Jahren zu ihnen gekommen. Eine Zeitlang hätten sie auch Geld bezahlt. Sie seien zwei bis drei Mal pro Woche gekommen und sie hätten 300 - 400 UAH bezahlt. Sie wisse nicht, wie oft ihr Mann geschlagen worden sei. Im Jahr 2016 sei er zwei Mal geschlagen worden, einmal auf der Straße, einmal zuhause. Einmal hätten sie Anzeige erstattet. Am selben Tag seien die Leute zu ihnen gekommen. Sie hätten einen Polizeiausweis gehabt und gewusst, dass sie Anzeige erstattet hätten. Als ihr Mann auf der Straße geschlagen worden sei, habe sie einen Anruf bekommen. Ihr sei gedroht worden, dass sie ihren Mann umbringen und sie vergewaltigen würden. Sie seien zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten, diese wollte die Anzeige jedoch nicht entgegennehmen. Die Täter seien noch immer nicht ausgeforscht. Nur ihr Mann sei geschlagen worden, sie selbst sei nur telefonisch bedroht worden. Außerdem hätten die Kinder Probleme in der Schule bekommen, sie seien schikaniert worden, weil sie Roma seien. Nur die BF4 habe zwei Jahre lang die Schule besucht. Sie habe es nicht geschafft., für BF5 und BF6 einen Kindergartenplatz zu finden. Die BF3 sie in der Schule in die letzte Reihe gesetzt worden, obwohl sie schlecht sehe.

In seiner Einvernahme am selben Tag gab der BF3 an, dass seine Eltern die Ausreise beschlossen hätten, als Leute zu ihnen gekommen seien und seinen Vater geschlagen hätten. Er könne sich nicht erinnern wann das gewesen sei. Sein Vater habe eine Zeit lang auf einer Baustelle gearbeitet und dann als Händler Kleidung verkauft. Er wisse nicht wer seinen Vater bedroht habe. Er habe nur zwei Männer gesehen und dann seine Geschwister ins Nebenzimmer geführt.

Sie seien nicht nur von Mitschülern, sondern auch von Lehrern diskriminiert worden. Seine Schwester habe Probleme mit anderen Kindern gehabt. Er selbst sei einmal des Diebstahls beschuldigt worden, nur weil er Roma sei. Er und seine Schwester hätten eine gute Schule besucht, er sei sieben Jahre zur Schule gegangen.

Die BF legten mehrere ärztliche Befunde, einen Sozialbericht sowie Besuchsbestätigungen von Deutschkursen (BF1 und BF2) vor.

I.5. In einer Stellungnahme vom 09.05.2018 wurde vorgebracht, dass die gesamte Familie an Tuberkulose leide. Die BF3-Bf6 würden an einer multiresistenten Tuberkulose leiden. Diese Form könne in der Ukraine nicht hinreichend behandelt werden. Hierzu wurde ein Bericht über einen Tuberkulose-Ausbruch in der Ukraine zitiert. Eine Überstellung eines Fremden in den Herkunftsstaat sei nicht zulässig, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohe. Auf ein Erkenntnis des BVwG vom 30.12.2016 wurde verwiesen. Die Familie befinde sich auch psychisch in einem äußerst labilen Zustand. Zur Diskriminierung der Roma wurden Passagen aus den Länderberichten zitiert. Die BF seien als Roma diskriminiert worden, hätten Schwierigkeiten gehabt, Arbeit zu finden, und die Kinder hätten Probleme in der Schule gehabt. Sie hätten nur begrenzt bis gar keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, die von Korruption betroffen sei. Die Patienten müssten die meisten Leistungen selbst bezahlen.

I.6. Aus einer gutachterlichen Stellungnahme vom 23.05.2018 geht hervor, dass der BF1 an einer Anpassungsstörung leidet.

I.7. Mit Schreiben vom 11.06.2018 wurden ein Empfehlungsschreiben, ein Deutschzertifikat A1 des BF1 sowie drei Berichte über Angriffe auf Roma-Familie in der Ukraine (zwei undatiert, einer vom April 2018) übermittelt.

I.8. In einer Stellungnahme vom 11.06.2018 wurde vorgebracht, dass die gutachterliche Stellungnahme vom 23.05.2018 im Widerspruch zu den vorgelegten Befunden stehe.

I.9. In einer weiteren Stellungnahme vom 26.06.2018 zu den Länderberichten wurde vorgebracht, dass es in der Westukraine vermehrt zu gewaltsamen Übergriffen auf Roma komme. Die rechtsextreme Bewegung, die hinter diesen Übergriffen stecke, werde teils projektbasiert von der ukrainischen Regierung finanziert.

I.10 Mit Schreiben vom 09.07.2018 wurde ein Bericht über den Mord an einer Roma-Frau, Anmeldebestätigungen für einen Deutschkurs und ein weiteres Empfehlungsschreiben übermittelt.

I.11. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2018 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 8 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde ein auf die Dauer von zwei jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Festgehalten wurde, dass die BF Staatsangehörige der Ukraine seien und ihre Identität feststehe. Bei den BF sei eine latente Tuberkulose daignostiziert worden. Eine weitere Medikamenteneinnahme sei nicht notwendig, der Gesundheitszustand der BF stehe einer Ausweisung nicht entgegen. Es sei nicht glaubhaft, dass sie einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen seien und sei eine Rückkehr zumutbar und möglich. Da die BF Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat hätten und die BF1 und BF2 überdies arbeitsfähig und gesund seien, gehe die Behörde davon aus, dass ihnen auch keine Gefahren drohten, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die BF habe auch keine wesentlichen Schritte zur Integration gesetzt. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass der den BF vorgebrachte Sachverhalt nicht glaubhaft sei, womit keine Grundlage für eine Subsumierung unter § 3 AsylG 2005 habe festgestellt werden können. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass bei den BF keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass sie bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine derart extreme Notlage geraten würden, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Unter Spruchpunkt III. wurde mit näherer Begründung darauf verwiesen, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der BF in Österreich rechtfertigen würden. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen würden somit keine Hinweise gefunden werden, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens eingegriffen werden würde. Zu Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Ukraine ein sicherer Herkunftsstaat sei. Das Bundesamt erkannte die aufschiebende Wirkung ab, da davon auszugehen sei, dass im Fall der BF die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten sei. Zu Spruchpunkt V. führte die belangte Behörde aus, es ergebe sich für das Bundesamt unzweifelhaft, dass in concreto eine missbräuchliche Asylantragstellung vorliege. Die BF seien offensichtlich nicht dazu bereit, die österreichische Rechtsordnung zu achten und stelle ihr Aufenthalt in Österreich jedenfalls eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Es sei festzuhalten, dass die BF konkret nicht in der Lage seien, die Mittel für ihren Unterhalt aus eigenem nachzuweisen. Ihr Unterhalt sei derzeit nur durch staatliche Unterstützung gewährleistet. Die Gesamtbeurteilung habe daher die im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes gemäß § 53 FPG in der angegeben Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die von den BF ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

I.12. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht am 15.08.2018 Beschwerde erhoben. Der belangten Behörde wurden mangelhafte Länderfeststellungen, eine mangelhafte Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung vorgeworfen.

I.13. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.08.2018 wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

I.14. In einer vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.10.2018 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung gab der BF1 im Wesentlichen an, dass er sich in Gesprächstherapie befinde und Heilgymnastik mache. Er nehme Schlaftabletten. Die Familie gehe regelmäßig zur Tuberkulosekontrolle nehme aber keine Medikamente ein. Derzeit liege keine akute Erkrankung vor und bestehe kein Behandlungbedarf. Der BF1 gab an, dass in der Ukraine seine Mutter und Schwester mit ihren drei Kindenr leben würden. Zu Onkeln und Tanten habe er wenig Kontakt. Seine Mutter leide an Tuberkulose und Diabetes, sie werde von seiner Schwester versorgt. Sie spreche auf die medikamentöse Behandlung der Tuberkulose nicht an. Seine Schwester leide nicht an Tuberkulose. Vor der Ausreise habe die Familie bei seiner Mutter gewohnt.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF1 zusammengefasst an, dass er Schmiergeld bezahlen habe müssen, die Preise aber immer erhöht worden seien. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland sei er wieder erpresst worden, er hätte 5000 Dolllar zahlen sollen. Seine Frau sei am selben Tag telefonisch bedroht worden. Am Weg zur Staatsanwaltschaft habe er ihr von dem Erpressungsversuch erzählt. Der Staatsanwalt habe ihm gesagt, dass er zahlen müsse, aber die Anzeige entgegen genommen. Am Abend seien Leute, die sich als Polizisten vorstellten, in sein Haus gekommen und hätten das Geld von ihm verlangt. Er habe ihnen zugesagt, das Geld in zwei Tagen zu besorgen. Sie seien nach ihrer Ausreise wieder gekommen und hätten seine Mutter angeschrien.

Vor diesem Vorfall habe er monatlich 20 Dollar zahlen müssen. Der ehemalige Bürgermeister der Stadt stecke dahinter. Seine Frau sei mit ihrer Handelsware in Büros und Firmen gegangen und habe auch Schmiergeld zahlen müssen. Vor der Ausreise nach Deutschland seien er und seine Frau zuhause geschlagen worden. Er glaube, dass er damals Anzeige bei der Polizei erstattet habe.

Bei dem Vorfall vor der Ausreise sei auch der BF3 bedroht worden. Dieser habe nach der Rückkehr aus Deutschland in eine Roma-Schule gehen müssen. Davor sei er in eine sehr gute Schule gegangen. Die Kinder seien in der Schule verspottet worden. Er gehe davon aus, dass sie aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit diskrminiert worden seien.

Die BF2 gab in der Verhandlung an, in pschothapeutischer Behandlung zu sein. Sie nehme derzeit keine Medikamente. In der Ukraine habe sie noch ihre Mutter und einen Bruder. Ihre Mutter leide an Tuberkulose.

Sie könne nicht angeben, wie lange sie Schmiergeld bezahlen mussten. Ihr Mann sei am Markt geschlagen worden und ständig "zerschlagen" heimgekomen. Er habe ihr aber nicht gesagt, was passiert sei. Sie hätten Anzeige erstattet, aber am selben Abend sei ihr Mann zuhause zusammengeschlagen worden. Sie hätten 3000 Dollar von ihm verlangt. Noch am selben Tag seien sie nach Deutschland gefahren. Nach der Rückkehr sei ihr Mann auf dem Weg nach Hause zusammengeschlagen worden. Sie selbst sei telefonisch bedroht worden. Diese Leute hätten sie ständig bedroht und sie habe ihnen auch etwas zahlen müssen. Sie seien zwei bis drei Mal pro Woche gekommen. Nachdem ihr Mann zusammengeschlagen worden sei, seien sie zur Polizei gegangen. Diese habe sie aber wieder weggeschickt, weshalb sie zur Staatsanwaltschaft gegangen seien. Am Abend seien Männer, die sich als Polizisten ausgegeben hätten in ihr Haus eingedrungen und hätten erst ihren Mann und dann sie selbst geschlagen. Sie hätte sich auf ihren Mann gelegt, um ihn zu beschützen. Die Männer hätten 3000 Dollar gefordert.

Der BF3 und die BF4 hätten es in der Schule sehr schwer gehabt. Die BF4 sei fehlsichtig und habe am linken Auge nur 10% Sehkraft und sei als blinder Maulwurf beschimpft worden. Die Bf3 sei derzeit nicht in psychotherapeutischer Behandlung, es gehe ihr gut.

Der BF3 gab in der Verhandlung an, vor der Ausreise nach Deutschland sieben Jahre lang in eine Schule gegangen zu sein. Nach seiner Rückkehr sei er in eine neue Schule gegangen, in der nichts funktioniert habe. In der neuen Schule sei seine Schwester beschimpft worden, weil sie Brillen trage. Er selbst sei auch beschimpft worden, weil er Roma sei, habe sich aber gewehrt, dann hätten die Kinder aufgehört. Er sei der einzige Roma in der Klasse gewesen, in der Schule habe es noch ein paar andere gegeben.

Im Rahmen der Verhandlung wurde den BF der Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine des Deutsche Auswärtigen Amtes (Stand Jänner 2018) ausgehändigt und eine Frist zur Stellungnahme gewährt.

Die BF legten folgende Unterlagen vor:

-

Teilnahmebestätigung betreffend BF3 über ein Jugendcollege

-

Ambulanter Befundbericht betreffend BF1 vom 28.01.2017

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Bestätigung über den Schulbesuch der BF 5 im Schuljahr 2018/19

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Zertifikat über die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme für BF1

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Teilbesuchsbestätigung über Deutsch A1 des BF1

-

Bestätigung des Österr. Roma Verbandes

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Schreiben der Klassenvorstände der BF6, undatiert

-

Schreiben der Klassenvorstände der BF6 vom 17.10.2018

-

Bestätigung von HEMAYAT vom 17.10.2018 betreffend BF1

-

Urkunde für BF 6 undatiert über einen VHS Lernhilfekurs

-

Kopie der Medikation des BF1 (Seroquel) sowie der BF2 (Cipralex)

I.15. In einer Stellungnahme vom 05.11.2018 wurde auf einen Bericht der OSZE verwiesen, der die Situation der Roma umfassend darstelle. Zusätzlich wurden mehrere Berichte des European Roma Rights Centre angeführt. Aufgrund der Tuberkuloseinfektion der BF3-BF6 seien engmaschige Kontrollen für mindestens zwei Jahre notwendig. In der Ukraine würden für eine Behandlung weder die diagnostischen noch die therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Gefahr einer neuerlichen Infektion gehe nicht nur von Familienangehörigen aus, da die Krankheit in der Ukraine weit verbreitet sei. Roma hätten aufgrund von Diskrminierung Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Die BF3-BF6 wären daher in der Ukraine einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, der Volksgruppe der Roma zugehörig und Christen. Ihre Identität steht infolge der vorgelegten unbedenklichen Dokumente fest.

Die BF stellten am 10.11.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Vor ihrer Ausreise besaß der BF1 ein Bekleidungsgeschäft. Er verfügt über eine Ausbildung zum Zuckerbäcker, ist arbeitswillig und -fähig. Die BF2 hat in der Ukraine die Schule besucht, aber keine Berufsausbildung absolviert. Sie war vor der Ausreise als Hausbesorgerin tätig. Der BF3 und die BF4 haben in der Ukraine die Schule besucht.

1.3. Die BF halten sich seit der Einreise am 10.11.2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Es konnte - auch angesichts der rund zweijährigen Aufenthaltsdauer - keine fortgeschrittene Integration nachgewiesen werden. Die BF1 und BF2 sind im Rahmen der Grundversorgung versorgt und krankenversichert, gehen keiner legalen Beschäftigung nach und haben auch nicht dargelegt, dass sie eine solche für den Fall eines Aufenthaltsrechts in Österreich in Aussicht haben. Sie haben auch keine Aus-, Fort- oder Weiterbildung absolviert und sind keine Mitglieder eines Vereins. Der BF3, die BF4 und der BF5 besuchen in Österreich die Schule, die BF6 besucht den Kindergarten. Der BF1 und die BF2 sprechen deutsch auf dem Niveau A1. Die BF sind strafrechtlich unbescholten.

1.4. Der Bruder des BF1 hält sich als Asylwerber in Österreich auf. Ein Familienleben oder ein Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht. Die Mutter und Schwester des BF1 als auch die Mutter und Bruder der BF2 halten sich unverändert in der Ukraine auf.

1.5. Beim BF1 und der BF2 wurde am 28.01.2017 nach Kontakt mit einem Patienten mit MDR-Tuberkulose (multidrugresistant tuberculosis) eine latente Tuberkuloseinfektion diagnostiziert. Da die Tuberkulose nur auf sehr wenige Antibiotika sensibel ist, welche ein hohes Nebenwirkungspotential aufweisen, wurde keine präventive Therapie empfohlen. Kontrollen sollen im Abstand von drei Monaten erfolgen. Bei den BF3 bis BF6 wurde im Dezember 2016 ebenfalls eine latente multiresistente Tuberkuloseinfektion diagnostiziert. Sie wurden bis August 2018 mittels kombinierter Chemotherapie behandelt. Weitere Kontrollen sind für mindestens zwei Jahre notwendig. Laut Patientenbericht vom März 2018 besteht derzeit keine Infektiosität. Derzeit besteht kein Behandlungsbedarf.

Der BF1 und die BF2 leiden an einer depressiven Störung. Bei der BF3 wurde im März 2018 eine Angststörung und depressive Stimmung diagnostiziert. Der BF1 nimmt Seroquel (Neuroleptikum/Antipsychotikum), die BF2 Cipralex (Antidepressivum). Der BF1 absolviert eine Gesprächstherapie.

Die BF leiden aktuell an keinen schwerwiegenden, lebensbedrohlichen oder behandlungsbedürftigen Erkrankungen, die ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.6. Die BF waren in der Ukraine keiner an asylrelevante Merkmale anknüpfenden Verfolgung - oder einer sonstigen Verfolgung maßgeblicher Intensität - ausgesetzt und droht ihnen auch im Fall einer Rückkehr keine asylrelevante Verfolgung.

Die BF wären im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

1.7. Die BF würden im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

Quellen:

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BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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