Entscheidungsdatum
28.12.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W246 2181726-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX), geb. XXXX (alias XXXX), StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2017, Zl. 1089432706-151466493, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer
gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 30.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 01.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.
3. Am 30.10.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Dabei gab der Beschwerdeführer v.a. an, dass er in Afghanistan auf Grund der schlechten Sicherheitslage keine Schule habe besuchen können. Deshalb habe seine Mutter beschlossen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen und nach Europa reisen soll.
Der Beschwerdeführer legte in der Einvernahme zwei Deutschkurszertifikate (A1 und A2) sowie mehrere Bestätigungen hinsichtlich seiner Teilnahme an Deutschkursen vor.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. (Spruchpunkt III.), erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.10.2018 u.a. im Beisein des - nur für die Vertretung in der Verhandlung bevollmächtigten - Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher er ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und seiner Integration in Österreich befragt wurde. Dabei brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass er homosexuell sei und auch aus diesem Grund in Afghanistan eine Bedrohung seiner Person befürchten würde.
7. Mit Schreiben vom 09.11.2018 führte der Beschwerdeführer das von ihm ins Treffen geführte Vorbringen zu seiner Homosexualität näher aus und beantragte die Einvernahme eines Zeugen zum Nachweis seiner Homosexualität.
8. Am 14.12.2018 setzte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung fort. Dabei erfolgten zwei Zeugenbefragungen zur vom Beschwerdeführer behaupteten Homosexualität.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der erhobenen Stellungnahme und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Er ist in der Stadt Ghazni geboren und aufgewachsen. Der Beschwerdeführer besuchte in Ghazni acht Jahre lang die Schule und arbeitete dort für mehrere Jahre als Gemüseverkäufer.
Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2015 aus Afghanistan aus und gelangte in der Folge nach Österreich, wo er am 30.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Mutter sowie ein Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers sind in Afghanistan aufhältig. Der Beschwerdeführer steht mit diesen Familienangehörigen aktuell nicht in Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers:
1.2.1. Der Beschwerdeführer ist homosexuell.
Er begann im Alter von ungefähr 14 Jahren, sich ein wenig für andere Männer zu interessieren. Nach seiner Einreise nach Österreich wurde dem Beschwerdeführer stärker bewusst, dass er gar kein sexuelles Interesse an Frauen hat und sich nur für Männer interessiert. In der Folge suchte der Beschwerdeführer Kontakt zur homosexuellen Szene in Österreich. Dies äußerte sich v.a. in mehreren Beratungsgesprächen bei Queer Base, einer in Wien ansässigen Organisation, die rechtliche und soziale Beratung für LGBTIQ-Geflüchtete anbietet, dem regelmäßigen Besuch der Homosexuelleninitiative (HOSI) in Linz sowie der Teilnahme an dortigen Veranstaltungen, dem regelmäßigen Besuch von Datingplattformen für Homosexuelle im Internet und ersten Erfahrungen mit Personen des gleichen Geschlechts. Der Beschwerdeführer geht mit seiner Homosexualität mittlerweile offen um, was u.a. durch sein in seinem Wohnheim erfolgtes Outing ersichtlich ist.
Die Mutter des Beschwerdeführers teilte ihm vor mehreren Monaten telefonisch mit, dass sie ihn mit seiner Cousine verheiraten wollen würde. Der Beschwerdeführer erzählte seiner Mutter bei diesem Anlass von seiner Homosexualität, woraufhin seine Mutter den Kontakt mit dem Beschwerdeführer abbrach und sein Onkel mütterlicherseits ihn mit dem Tod bedrohte.
1.2.2. Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Afghanistan seine sexuelle Orientierung (Homosexualität) weiter ausleben. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner sexuellen Orientierung (Homosexualität) physische und/oder psychische Gewalt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 11.09.2018 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Ghazni
Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung aus Paschtunen besteht (Pajhwok o.D.a).
Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: Provinzhauptstadt Ghazni sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinzen im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).
Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995) wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).
Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage
Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).
Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten, auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).
Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017 - 15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Ghazni
Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).
Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni
Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).
Basierend auf geheimdienstlichen Informationen bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1. - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet, insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).
Religionsfreiheit
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des Inhabers/der Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).
Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
Schiiten
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge sind 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4% der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war, diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist; außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara; nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
Homosexuelle
Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück (AA 5.2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, verbietet in den Artikeln 645 und 649 die Praktiken des Tafkhez (Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern, Anm.) und der Mosahiqah (Geschlechtsverkehr zwischen zwei Frauen, Anm.) (MoJ 15.5.2017). Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen (AA 5.2018). Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren (USDOS 20.4.2018). Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen, agieren im Untergrund und sind nicht registriert (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (USDOS 20.4.2018).
Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern. Auch existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push (Anm.: auch Bacha Posh; "Bacha" heißt auf Dari "Kinder"), junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um bestimmten, den Frauen vorenthaltenen Tätigkeiten nachzugehen (AA 5.2018) und die Bacha Bazi (Anm.: auch Bacha Baazi), Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). Bei den Bacha Push handelt es sich i.d.R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 5.2018; vgl. NGI 6.3.2018). Sobald sie volljährig werden, müssen sich die Bacha Posh wieder wie "ordentliche" afghanische Frauen verhalten (AB 27.10.2016). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (HRC 21.2.2018; vgl. MoJ 15.5.2017).
Aufgrund des Scharia-Vorbehalts im afghanischen Recht gibt es keine dem deutschen Transsexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds, etwa durch Kleidung an das andere Geschlecht, verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 5.2018).
1.3.2. Anfragebeantwortung von ACCORD vom 31.08.2017 zur Situation von Homosexuellen in Afghanistan (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
"[...]
Unterstützungsorganisationen
In einem älteren Projektbericht vom Juli 2012 der Naz Foundation International, einer in London ansässigen Organisation, die Projekte in Südasien zur Unterstützung von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) fördert, wird eine Klinik in Mazar e-Sharif erwähnt. Der Bericht beschreibt die erste Phase eines regionalen Partnerschaft-Programmes zur HIV-Prävention, -Behandlung und -Pflege namens ‚Diversity in Action' (DIVA), das MSM-, Hijra- und Transgendernetzwerke und -organisationen in sieben Ländern in Südasien unterstütze. In Afghanistan arbeite das Projekt DIVA mit der Youth Health and Development Organisation (YHDO) zusammen, die zwei Kliniken für Personen, die stark von HIV oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten gefährdet seien, betreibe. Diese Klinken würden sich in Kabul und Masar-e Sharif befinden. Die Kliniken seien erfolgreich darin, Männern, die sich austauschen und Kontakte knüpfen (‚socialise') und frei über ihre Sexualität und ihr sexuelles Verhalten sprechen wollen, einen sicheren Ort zu bieten und Zugang zu Beratung, Untersuchung, Behandlung, Pflege und Unterstützung für HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten zu schaffen.
Programmplanung im Gesundheitsbereich für MSM in Afghanistan müsse ein hohes Maß an religiösem und sozialem Konservatismus, der versuche Sexualität und Geschlechterrollen zu kontrollieren, bewältigen. Wie in jedem Land gebe es Männer, die miteinander Sex hätten, und es gebe eine Bandbreite an Geschlechteridentitäten und Sexualität. Menschen würden aber getötet, wenn diese Gegebenheit an die Öffentlichkeit dringe. Klinken seien aufgrund der Annahme, dass ihre Gesundheitsdienste diese Gegebenheiten akzeptieren, angegriffen worden[...]
[...]
Auf der Webseite der oben genannten Youth Health and Development Organisation (YHDO), einer afghanischen NGO mit Sitz in Kabul, befindet sich ein undatierter Beitrag zu einem Projekt zur Verbesserung von HIV-Interventionen (‚scaling up HIV Interventions'), das vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) finanziert und in den Provinzen Balch, Kundus und Badachschan umgesetzt werde. Das Projekt unterstütze unter anderem Männer mit hohem Risikoverhalten (‚Men with high risk behavior', MHRB)[...]
[...]
Die schwedische Behörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit (SIDA) erwähnt in einem Bericht vom November 2014, dass die pakistanische Organisation Naz Male Health Alliance regionale Kooperationen mit Gesundheitskliniken und Organisationen in Afghanistan, die MSM unterstützen, habe. Es gebe nicht viele Organisationen in Afghanistan, die sich den Rechten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen (LGBTI) Personen widmen würden. Organisation würden vielleicht LGBTI Personen in ihrer Arbeit miteinbeziehen, aber aufgrund des Sicherheitsrisikos seien nur wenige in ihrer Arbeit dafür offen[...]
[...]
Das UK Home Office beruft sich in einem Bericht vom Jänner 2017 auf eine von der Advisory Group on Country Information (IAGCI) in Auftrag gegebene Bewertung von [...]. Demnach gebe es in Afghanistan keine Organisationen, die offen oder öffentlich Unterstützung für die LGBT-Gemeinschaft anbieten würden. Sie habe aber hinzugefügt, dass LGBT Personen, besonders Frauen, bei manchen Organisationen Hilfe und Unterstützungsleistungen beanspruchen könnten. Solche Organisationen würden die sexuelle Orientierung einer Person vertraulich behandeln, um die Organisation selbst und die Person zu schützen[...]
[...]
Im allgemeinen Amtsbericht zu Afghanistan vom November 2016 gibt das Außenministerium der Niederlande unter Bezug auf eine vertrauliche Quelle sowie den Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums (USDOS) für das Jahr 2015 an, dass es keine Menschenrechtsorganisationen, die sich offen für die Rechte von Homosexuellen in Afghanistan einsetzen würden, gebe. Es sei rechtlich unmöglich, das zu tun, da sich die Organisationen nicht registrieren könnten, und aus gesellschaftlicher Perspektive wären solche Organisationen ebenfalls nicht in der Lage zu arbeiten[...]
[...]
Der Menschenrechtsbericht des USDOS vom März 2017 (Beobachtungszeitraum: 2016) gibt an, dass Organisationen, die sich für den Schutz der Freiheit von LGBTI-Personen einsetzen, verborgen halten würden, da sie sich nicht legal registrieren könnten. Mitglieder der LGBTI Gemeinschaft hätten berichtet, dass sie weiterhin Diskriminierung, Angriffen, Vergewaltigung und Inhaftierung ausgesetzt seien[...]
[...]
Im Februar 2017 berichtet die international tätige, nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einer Pressemitteilung, dass das afghanische Gesetz keinen Schutz vor Diskriminierung und Schikanen auf Grund der sexuellen Orientierung biete Gruppierungen, die zum Schutz von LGBT-Personen arbeiten, würden im Untergrund operieren, um Angriffe und Schließung zu verhindern[...]
[...]
In ihrem Jahresbericht 2017 (Beobachtungszeitraum: 2016) gibt HRW ebenfalls an, dass Unterstützer der LGBT-Gemeinschaft aus Angst vor Verfolgung im Untergrund operieren würden[...]
[...]
Vorfälle und strafrechtliche Verfolgung von Tätern
Die in Großbritannien ansässige, nicht-profitorientierte Medienplattform openDemocracy veröffentlicht im März 2017 einen Artikel zu homosexuellen Männern in Afghanistan. Der Artikel enthält ein Interview mit einem 28-Jährigen, der sich in Masar-e Scharif aufhalte und aus Sicherheitsgründen nur unter dem Pseudonym [...] genannt werde. [...] sei derzeit auf der Flucht in Masar-e Sharif und berichte, dass homosexuelle Männer systematisch dem Risiko von Ehrenmorden, ‚sexueller Säuberung' (‚sexuality cleansing') und körperlicher Gewalt von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren ausgesetzt seien. Mit 17 hätten ihn seien Eltern eingesperrt, ihm das Essen verwehrt und versucht, ihn zu ändern. Sie würden ihn töten, wenn er sich nicht ändere. Sie hätten ihn bedroht. Daraufhin sei er weggelaufen. Er sei nun in Masar-e Scharif und würde ein Zimmer mieten und gemeinsam mit Freunden wohnen. Sollten seine Eltern ihn finden, würden sie versuchen, ihn zu ändern. Vor einem Monat hätten Verwandte von seinem Aufenthaltsort erfahren und hätten ihn verletzt. Sie hätten seinen Zahn und die Rückseite seines Ohres gebrochen[...]
[...]
Das Institute for War and Peace Reporting (IWPR), ein internationales NGO-Netzwerk, das durch Reportagen und Kapazitätsaufbau Journalismus stärkt, veröffentlicht im März 2017 einen Artikel zu Prostitution von Jungen in der Provinz Balch und zur Bacha Bazi (‚Knabenspiel') genannten Praxis. Laut MenschenrechtsaktivistInnen gebe es einen florierenden Sex-Handel mit jungen Burschen in der Provinz Balch. Die Tatsache, dass homosexuelle Handlungen in der afghanischen Gesellschaft vollkommen Tabu und nach der Scharia und afghanischen Gesetzen illegal seien, würde die Problematik von sexueller Ausbeutung weiter komplizieren. Homosexualität würde generell als Abweichung eingestuft und würde mit Prostitution und Pädophilie in Verbindung gebracht. Laut [...], Direktor für Information und Kultur der Provinz Balch, würden mächtige Personen, die das Gesetz brechen, nicht strafrechtlich verfolgt und die Justiz sei unfähig das Gesetz umzusetzen, was zu einer Zunahme von Kinderschändung und Geschlechtsverkehr mit Buben in Afghanistan geführt habe[...]
[...]
Der oben angeführte Artikel der Medienplattform openDemocracy vom März 2017 weist darauf hin, dass es wichtig sei den Unterschied zwischen ‚bacha bazi', was sexuellen Kindesmissbrauchs gleichkomme, und Homosexualität zu verstehen. Afghanistan habe bis jetzt noch keine strenge Bestrafung für bacha bazi umgesetzt (obwohl der Präsident versprochen habe, die Praxis zu kriminalisieren), aber verweigere Rechte für Personen, die es bevorzugen würden, in Freiheit zu leben[...]
[...]
In dem bereits oben genannten USDOS-Menschenrechtsbericht vom März 2017 (Beobachtungszeitraum: 2016) wird angegeben, dass das Gesetz einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen kriminalisiere. Berichten zufolge würden Schikanen, Gewalt und Inhaftierung durch die Polizei weiterbestehen. Laut NGOs würde die Polizei homosexuelle Männer festnehmen, inhaftieren, ausrauben und vergewaltigen. Das Gesetz verbiete Diskriminierung und Schikanen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechteridentität nicht. Homosexualität werde weitgehend als Tabu und unsittlich wahrgenommen. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft hätten keinen Zugang zu bestimmten Gesundheitsdiensten und könnten aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren[...]
[...]
Human Rights Watch (HRW) gibt in seinem Menschenrechtsbericht vom Jänner 2017 an, dass es Berichte zu Schikanen, Gewalt und Inhaftierung durch die Polizei gebe und dass das afghanische Gesetz einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen kriminalisiere[...]
[...]
Der Jahresbericht der Nichtregierungsorganisation Freedom House mit Hauptsitz in Washington D.C. vom Jänner 2017 beschreibt ebenfalls, dass es keinen rechtlichen Schutz für LGBT-Personen gebe. LGBT-Personen seien mit gesellschaftlicher Missbilligung und mit Misshandlung durch die Polizei konfrontiert. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen seien unter dem Strafgesetz und der Scharia illegal[...]
[...]
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) beschreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016, dass die vorhandenen strafrechtlichen Maßnahmen für gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Sperre für staatlichen Schutz von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten darstelle, was Verfolgungshandlungen, die von nicht-staatlichen Akteuren wie Familien- und Gemeindemitgliedern verübt würden, miteinschließe[...]
[...]
Associated Press (AP), eine Nachrichten- und Presseagentur mit Hauptsitz in New York, veröffentlicht im November 2016 einen Artikel zu homosexuellen Männern in Afghanistan, der ein Interview mit zwei jungen schwulen Männern aus Kabul enthält. Beide Männer würden beschreiben, dass sie ausgeraubt, geschlagen und erpresst worden seien und Morddrohungen erhalten hätten. Sie hätten Fallen (‚honey traps') der Polizei vermieden, bei denen sie ohne Anklage ins Gefängnis gebracht werden könnten, nur auf den Verdacht hin, dass sie homosexuell sein könnten. Sie wüssten, dass sie getötet werden könnten und dass die Täter ungestraft bleiben würden, wenn sie ihre Sexualität preisgeben würden. Ein Bekannter sei von seiner Familie bei einem sogenannten Ehrenmord getötet worden, nachdem er sich als homosexuell geoutet habe [...]
[...]"
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.1.):
Die Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Tazkira (s. Aktenseite 375 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes); die zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffenen Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Verfahren. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln. Dass die Muttersprache des Beschwerdeführers Dari ist, folgt u.a. aus der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. v.a. S. 2 f. des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2018).
Die Feststellungen zu seinem Geburtsort, seinem schulischen sowie beruflichen Werdegang, seiner Ausreise aus Afghanistan und seinen Familienangehörigen ergeben sich aus seinen im Verfahren getätigten, im Wesentlichen gleichlautenden und daher glaubhaften Angaben. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
2.2. Zu den Feststellungen zur sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.2.):
2.2.1. Die Feststellungen zu der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers, seinem im Alter von ca. 14 Jahren beginnenden sowie nach seiner Einreise nach Österreich verstärkten Interesse für andere Männer, seiner in Österreich erfolgten Suche nach Kontakt zur homosexuellen Szene sowie seinen damit verbundenen Aktivitäten, seinem Outing im Wohnheim und seinen damit in Verbindung stehenden Problemen mit seinen Familienangehörigen in Afghanistan ergeben sich zunächst aus seinen dahingehend glaubhaften Angaben in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. S. 7, 9 sowie 10 bis 15 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2018 und S. 9 bis 13 des Verhandlungsprotokolls vom 14.12.2018). Dabei auftretende leichte Ungereimtheiten, z.B. bezüglich des Zeitpunkts der Entdeckung seiner sexuellen Orientierung, vermochte der Beschwerdeführer auf Nachfrage in nachvollziehbarer Weise aufzuklären (s. S. 9 f. des Verhandlungsprotokolls vom 14.12.2018).
Weiters folgen die unter Pkt. II.1.2. getroffenen Feststellungen auch aus den nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes glaubhaften Angaben des in der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen XXXX, der als Professor an der XXXX tätig ist, daneben bei XXXXAsylwerber mit psychischen Problemen betreut und selbst schon viele Jahre in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt. Dieser Zeuge konnte in für das Bundesverwaltungsgericht klarer und einleuchtender Art und Weise u.a. darlegen, warum der Beschwerdeführer aus seiner Sicht homosexuell ist (vgl. S. 5 f. des Verhandlungsprotokolls vom 14.12.2018: "[...] Z1: Ich bin 100%-ig sicher, dass der BF homosexuell ist. In dem mit dem BF geführten Gesprächen habe ich mich selbst immer wieder erkannt und hatte dabei auch mehrere ‚Aha-Erlebnisse'. Meines Erachtens ergibt sich die Homosexualität des BF aus seinem gesamten Auftreten, wie vor allem aus seinem Habitus, aber auch vor allem aus seinen Gefühlen und Emotionen, so etwas kann man nicht vortäuschen. Es ist alles sehr stimmig und klar und passt für mich zusammen. Es ist schwer, dies näher zu beschreiben, ohne dabei klassische Klischees zu bedienen. Aus meiner Erfahrung heraus ist es jedoch völlig klar, dass der BF homosexuell ist, gerade auch aufgrund der Verzweiflung, die mit seiner Situation teilweise einhergeht. [...]").
Auch die Angaben des in der mündlichen Verhandlung befragten Zeugen XXXX, der selbst homosexuell und seit mehreren Jahren bei Queer Base, einer in Wien ansässigen Organisation, die rechtliche und soziale Beratung für LGBTIQ-Geflüchtete anbietet, XXXXtätig ist, sprechen für die Glaubhaftigkeit der Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner sexuellen Orientierung. So konnte dieser Zeuge glaubhaft darlegen, dass der Beschwerdeführer das Beratungsangebot von Queer Base mehrmals in Anspruch genommen und sich ehrlich sowie mit ernsthaftem Interesse darum bemüht hat, in der homosexuellen Szene Fuß zu fassen (s. S. 7 f. des Verhandlungsprotokolls vom 14.12.2018). Darüber hinaus ist auch nach der - aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nachvollziehbaren - persönlichen Einschätzung dieses Zeugen davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich homosexuell ist (s. v.a. S. 8 des Verhandlungsprotokolls vom 14.12.2018: "R: Sind Sie sich sicher, dass der BF homosexuell ist? Wenn ja, warum? Z2: Ich bin mir sicher, dass der BF homosexuell ist. Man kann natürlich nicht in einen Menschen hineinsehen, aber meines Erachtens sprechen alle Anzeichen und Signale eindeutig dafür, weshalb es für mich außer Zweifel steht. Der gesamte Kontext spricht dafür: Man muss sich vorstellen, dass der BF als junger Mann, der aus Afghanistan stammt, von sich aus in ein großes, lila Haus mit der Aufschrift ‚Lesben und Schwulenhaus' hineingegangen ist. Er war in den Beratungen zunächst zwar noch sehr schüchtern, aber er war gleichzeitig auch sehr interessiert und hat alle Informationen sehr stark aufgenommen. Man sieht dies meines Erachtens an den Augen eines Menschen, ob er sich wirklich für eine Sache interessiert oder nicht. Eine nicht homosexuelle Person hätte in so einer Situation meines Erachtens anders reagiert. Außerdem hat der BF in der Folge die Beratungsangebote in Linz wahrgenommen und ich habe, wie bereits oben ausgeführt, mit der Zeit immer stärker wahrgenommen, dass er sich immer leichter damit tut, über seine sexuelle Orientierung zu sprechen. Das ist meines Erachtens auch ein sehr klassischer Prozess, konkret, dass man seine eigene Identität mit der Zeit immer stärker annimmt und diese auch nach außen besser zu zeigen im Stande ist. R: Gibt es noch etwas, das Sie gerne dem Gericht mitteilen wollen? Z2: Ich möchte noch ergänzen, dass Homosexuelle auch in Österreich nach wie vor mit einem Stigma besetzt sind. Daher müssen Homosexuelle quasi lernen, ihr Umfeld 'zu lesen' und sich ‚zu finden'. Das ist eine Erfahrung, die jeder Homosexuelle macht. Wir haben aufgrund unserer Beratungstätigkeit bei Queer Base natürlich jahrelange Erfahrung und wir betreuen auch nur Personen, die ‚zu uns' gehören. Wir sind uns also sicher, dass es sich dabei um Homosexuelle handelt. Wir gehören ja auch selbst dieser Gruppe an.").
Es wird zwar seitens des Bundesverwaltungsgerichtes keineswegs verkannt, dass der Beschwerdeführer seine Homosexualität bis zu seiner mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht weder in seinem erstinstanzlichen Verfahren noch in seiner Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid in irgendeiner Form erwähnt hat, jedoch ist nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union u.a. auf Grund des besonders sensiblen Charakters der in diesem Themenbereich angesiedelten Fragen aus einem zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens erstatteten Vorbringen zur sexuellen Orientierung nicht ohne Weiteres von der dahingehenden Unglaubwürdigkeit eines Antragstellers auszugehen (vgl. EuGH 02.12.2014, C-148/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande, Rz 69 bis 71).
2.2.2. Dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner sexuellen Orientierung (Homosexualität) physische und/oder psychische Gewalt drohen würde, ergibt sich aus dem in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterial (s. Pkt. II.1.3.). Daraus geht u.a. hervor, dass Homosexuelle Verfolgung durch afghanische Behörden und durch Privatpersonen fürchten müssen, wenn ihre sexuelle Orientierung bekannt wird. Homosexuelle haben in Afghanistan mit sozialer Ausgrenzung und Gewalt (insbesondere) durch Familien- und Gemeinschaftsangehörige und durch die Taliban sowie mit strafrechtlicher Verfolgung bis hin zur Todesstrafe zu rechnen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.3.):
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (vgl. u.a. die Kurzinformationen vom 19.10.2018, 29.10.2018 sowie 23.11.2018 zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Die unter Pkt. II.1.3.1. und 1.3.2. auszugsweise wiedergegebenen Länderberichte wurden - neben darüber hinaus gehendem Berichtsmaterial - in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführt (s. S. 17 des Verhandlungsprotokolls vom 18.10.2018). Der Beschwerdeführer nahm zu dem in das Verfahren eingeführten Länderberichtsmaterial mit Schreiben vom 09.11.2018 Stellung.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 22/2018, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 56/2018, (in der Folge: AsylG 2005) eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF