TE Vwgh Erkenntnis 1999/6/16 96/01/0859

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.06.1999
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
SPG 1991 §16;
SPG 1991 §65 Abs1;
SPG 1991 §73 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des H in K, vertreten durch Dr. Helmut Fetz, Rechtsanwalt in Leoben, Parkstraße 3, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag vom 6. November 1995, Zl. 11.2 - R 152 - 94, betreffend erkennungsdienstliche Behandlung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 6. November 1995 verpflichtete die belangte Behörde gemäß § 65 Abs. 4 in Verbindung mit § 77 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz 1991 (SPG) den Beschwerdeführer, an den erforderlichen erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Sinne von § 64 Abs. 2 SPG mitzuwirken und sich der erkennungsdienstlichen Behandlung durch Beamte des Gendarmeriepostens K. nach Zustellung dieses Bescheides zu unterziehen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei bereits mit Schreiben vom 1. Dezember 1994 wegen des Verdachtes, mehrere strafbare Handlungen nach den §§ 125 und 126 (gemeint offenbar: StGB) gemäß § 77 Abs. 1 SPG aufgefordert worden, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen; mit Aktenvermerk vom 17. Jänner 1995 sei von der bescheidmäßigen Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung mangels Vorliegens der Erfordernisse des § 65 SPG solange abgesehen worden, als nicht neue Anhaltspunkte vorlägen, dass der Beschwerdeführer weitere gefährliche Angriffe im Sinne des SPG begehen werde. Am 18. Juni 1995 sei bei der belangten Behörde ein Bericht des Gendarmeriepostens K. eingelangt, wonach bekannt geworden sei, dass der Beschwerdeführer zwei Einbruchsdiebstähle sowie mehrere Diebstähle mit mehreren Komplizen begangen habe. Vom Gendarmerieposten P. sei deshalb Anzeige an die Staatsanwaltschaft Leoben erstattet worden. Die belangte Behörde habe auf Grund dieser Anzeige den Beschwerdeführer am 14. Juni 1995 abermals aufgefordert, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Nach anfänglich telefonischer Zusage habe der Vater des Beschwerdeführers die Mitwirkung mit der Begründung abgelehnt, dass er alles schriftlich haben wolle. Aus der am 7. Juli 1995 bei der belangten Behörde eingelangten Anzeige des Gendarmeriepostens P. gehe hervor, dass der Beschwerdeführer zumindest hinsichtlich dreier Übertretungen des "SPG" (gemeint wohl: StGB) eine Beteiligung zugebe und hinsichtlich zweier Übertretungen als Haupttäter geständig sei. Mit formlosem Schreiben vom 26. September 1995 sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, sich binnen einer Woche nach Zustellung dieses Schreibens beim Gendarmerieposten K. zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung einzufinden. Am 23. Oktober 1995 sei die Mitteilung dieses Gendarmeriepostens, wonach der Beschwerdeführer der Aufforderung nicht nachgekommen sei, bei der belangten Behörde eingelangt. Auf Grund der Weigerung des Beschwerdeführers, an der berechtigten erkennungsdienstlichen Behandlung mitzuwirken, sei die Verpflichtung hiezu bescheidmäßig aufzuerlegen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), in der hier anzuwendenden Fassung, haben folgenden Wortlaut:

"§ 16. ...

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer

1.

nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, oder

2.

nach den §§ 12, 14 oder 14a des Suchtgiftgesetzes, BGBl. Nr. 234/1951, oder

3.

nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr. 13/1945, strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

§ 64. (2) Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind technische Verfahren zur Feststellung von Merkmalen eines Menschen, die seine Wiedererkennung ermöglichen und die nicht mit einem Eingriff in die körperliche Integrität verbunden sind, wie insbesondere die Abnahme von Papillarlinienabdrücken, die Herstellung von Abbildungen, die Feststellung äußerlicher körperlicher Merkmale, die Vornahme von Messungen oder die Erhebung von Stimm- oder Schriftproben.

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen, die im Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln. Hievon kann solange abgesehen werden, als nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen.

(2) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, im Zusammenhang mit der Klärung der Umstände eines bestimmten gefährlichen Angriffes Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn diese nicht im Verdacht stehen, den gefährlichen Angriff begangen zu haben, aber Gelegenheit hatten, Spuren zu hinterlassen, soweit dies zur Auswertung vorhandener Spuren notwendig ist.

(3) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Menschen erkennungsdienstlich zu behandeln, deren Identität gemäß § 35 Abs. 1 Z. 3 festgestellt werden muss und die über ihre Identität keine ausreichenden Aussagen machen wollen oder können, sofern eine Anknüpfung an andere Umstände nicht möglich ist oder unverhältnismäßig wäre.

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden."

Dem Beschwerdeführer ist, soweit er die Auffassung vertritt, er sei infolge des auf § 6 Abs. 1 JGG gegründeten Verfolgungsverzichtes der Staatsanwaltschaft Leoben vom 18. August 1994 (betreffend eine Anzeige wegen Sachbeschädigung (§ 125 StGB) im Jahre 1994) und mangels einer Verurteilung wegen ihm vorgeworfener Eigentumsdelikte in den Jahren 1994 und 1995 im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides unbescholten gewesen, zunächst entgegenzuhalten, dass § 65 Abs. 1 SPG bezüglich der Ermächtigung zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes im Sinne des § 16 SPG abstellt. Daraus wird deutlich, dass diese Ermächtigung nur an die objektiv rechtswidrige Verwirklichung eines maßgeblichen strafgesetzlichen Tatbestandes (an eine entsprechende Verdachtslage) anknüpft. Es kommt also nur auf die sich in der rechtswidrigen Verwirklichung eines entsprechenden Tatbildes manifestierende Gefährlichkeit der betreffenden Person an, während weitere Voraussetzungen der gerichtlichen Strafbarkeit außer Betracht zu bleiben haben. Die Erläuterungen zu § 65 SPG weisen in diesem Sinn ausdrücklich darauf hin, dass "Fragen der Schuld im Sinne des Strafgesetzbuches ausgeklammert" bleiben. Es komme etwa nicht darauf an, ob der Betroffene zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsfähig war oder nicht (148 BlgNR, 18. GP, 48). Auch aus § 73 Abs. 1 Z. 2 SPG (Löschung erkennungsdienstlicher Daten eines Strafunmündigen unter bestimmten Voraussetzungen) erhellt, dass die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden zur erkennungsdienstlichen Behandlung nicht von der Möglichkeit strafgerichtlicher Verurteilung der betreffenden Person, sondern nur vom Verdacht der rechtswidrigen Verwirklichung eines entsprechenden Tatbildes abhängig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1998, Zl. 97/01/0623). Darauf, ob eine gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides vorlag, kommt es bei Prüfung der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides somit nicht an. Dass die belangte Behörde angesichts der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anschuldigungen und seiner teilweisen - in der Beschwerde nicht bestrittenen - Geständnisse vom Vorliegen des Verdachtes der Begehung gefährlicher Angriffe im Sinne des § 16 SPG ausgehen konnte, liegt auf der Hand.

Soweit der Beschwerdeführer in der behaupteten Verweigerung der Akteneinsicht eine Verletzung des Parteiengehörs erblickt, kann unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nicht gehindert war, der belangten Behörde seinen Standpunkt - wie aktenkundig - durch persönliche Vorsprachen aber auch schriftlich darzulegen, die Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels nicht erblickt werden.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Die Bestimmung des § 65 Abs. 1 SPG räumt der Behörde jedenfalls insoweit Ermessen ein, als sie trotz Vorliegens der Voraussetzungen hiefür von der erkennungsdienstlichen Behandlung absehen kann, wenn und solange nicht zu befürchten ist, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen. Der der Behörde eingeräumte Ermessensspielraum für die Anordnung oder das Absehen von erkennungsdienstlichen Maßnahmen ist dann gegeben, wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine vergleichsweise nur geringe Gefahr der Begehung weiterer Angriffe besteht. Hiebei ist auch zu beachten, dass ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung dann eher in Betracht kommt, wenn die Gefahr der Begehung weiterer Delikte eher hinsichtlich solcher Delikte gegeben ist, für deren Aufklärung aus erkennungsdienstlichen Daten nichts oder nur wenig gewonnen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1998, Zl. 97/01/0793). Da § 65 Abs. 1 SPG auf den Verdacht der Begehung eines gefährlichen Angriffes abstellt, ist davon auszugehen, dass die gemäß dem zweiten Satz dieses Absatzes zu treffende Prognoseentscheidung hinsichtlich der Frage des Begehens weiterer gefährlicher Angriffe jedenfalls auch dann zu treffen ist, wenn lediglich der Verdacht der Begehung eines solchen Angriffes vorliegt. Auch in einem solchen Verdachtsfall müssen die im angeführten Erkenntnis genannten Ermessenskriterien - hiebei kommt insbesondere der Frage, ob sich aus der Art des vermutlich begangenen Deliktes eine Wiederholungsgefahr ergibt, besondere Bedeutung zu - von der Behörde geprüft werden, um entscheiden zu können, ob von der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1999, Zl. 96/01/0276).

Die belangte Behörde hat zwar hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft Leoben auf Grund ihres Verzichtes nicht verfolgten, dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Straftaten zunächst von der Vornahme der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen. Im angefochtenen Bescheid hat sie aber in keiner Weise dargetan, dass sie nunmehr nach Bekanntwerden weiterer Straftaten ein Absehen von der erkennungsdienstlichen Behandlung des Beschwerdeführers überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Vielmehr ist der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen, dass sie der Auffassung war, der Beschwerdeführer sei schon deshalb jedenfalls zur erkennungsdienstlichen Behandlung zu verpflichten gewesen, weil er im Verdacht stehe, weitere gefährliche Angriffe begangen zu haben, und der Aufforderung zur Mitwirkung an der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht nachgekommen sei. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und ausgehend von dieser unzutreffenden Rechtsansicht die Prüfung der Frage, ob im Fall des Beschwerdeführers von der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung abgesehen werden könne, unterlassen bzw. keine Ausführungen zu den dargestellten Ermessenskriterien in die Begründung des angefochtenen Bescheides aufgenommen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Juni 1999

Schlagworte

Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996010859.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten