Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi sowie die fachkundigen Laienrichterinnen Dr. Hunger und Dr. Krenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Ltd, *****, vertreten durch Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 75.000 EUR) und Zurückziehung (Streitwert 10.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Oktober 2018, GZ 133 R 90/18k-11, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Vorinstanzen wiesen den auf die Unterlassung patentverletzender Handlungen gerichteten Sicherungsantrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass die Beklagte die mangelnde Rechtsbeständigkeit des Klagspatents bescheinigt habe.
Die Klägerin macht als erhebliche Rechtsfrage im Wesentlichen eine fehlerhafte Beurteilung der Vorinstanzen bezüglich der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit des Klagspatents geltend. Die Rechtsbeständigkeit des Klagspatents lasse sich mit dem besonderen Dosierungsschema begründen.
Damit wird jedoch keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Im Sicherungsverfahren ist die Schutzfähigkeit des Patents durch das Gericht selbstständig als Vorfrage zu prüfen (17 Ob 34/09p; 17 Ob 4/11d). Seine Registrierung begründet einen – allenfalls durch Gegenbescheinigung zu entkräftenden – prima-facie-Beweis für die Rechtsbeständigkeit (RIS-Justiz RS0071369). Im Provisorialverfahren ist die Rechtsbeständigkeit des Patents damit eine widerlegbare Vermutung (RIS-Justiz RS0103412).
1.2 Die von den Vorinstanzen zu prüfenden Fragen zur Neuheit bzw zur fehlenden Erfindungshöhe des Klagepatents werfen grundsätzlich keine erheblichen Rechtsfragen auf, zumal der Schutzumfang bzw die Schutzfähigkeit eines Patents nur durch Auslegung im Einzelfall beurteilt werden kann; in diesem Zusammenhang stellen sich – abgesehen von im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden (krassen) Fehlbeurteilungen – im Einzelfall daher in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO bzw § 528 Abs 1 ZPO (vgl 4 Ob 214/12t).
2. Ein Patent ist für nichtig zu erklären, wenn der Anspruch nicht patentierbar war. Eine Erfindung gilt nach dem zu § 1 Abs 1 PatG sinngleichen Art 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Fachmann aufgrund des Standes der Technik zu ihr hätte gelangen können, sondern erst dann, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (RIS-Justiz RS0071157; 4 Ob 17/15a, Gleitlager mwN). Dieser (vom Europäischen Patentamt als „could/would-approach“) bezeichnete Ansatz kann insbesondere anhand des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes geprüft werden, der sich in folgende drei Phasen gliedert: 1. Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik, 2. Bestimmung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe und 3. Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre (4 Ob 17/15a, Gleitlager; 4 Ob 80/18w, Wischkopf). Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen nicht abgewichen.
3. Ob eine Erfindung nach diesen Grundsätzen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist grundsätzlich eine Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0123155 [T3 und T4]). Sie ist aber in erster Linie von Tatfragen abhängig, nämlich insoweit, als es auf das Fachwissen ankommt, über das der Durchschnittsfachmann auf dem betreffenden Gebiet verfügt (RIS-Justiz RS0071399). Die Vorfrage der Gültigkeit oder Wirksamkeit des Klagspatents kann nur dann geprüft werden, wenn dies aufgrund der angebotenen Gegenbescheinigungsmittel mit den Mitteln des Provisorialverfahrens möglich ist (RIS-Justiz RS0071408). Ob diese ausreichen, einen bestimmten Sachverhalt als bescheinigt annehmen zu können, ist eine Frage der – in dritter Instanz nicht mehr überprüfbaren – Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen (RIS-Justiz RS0005656 [T3]).
4. Aufbauend auf dem bescheinigten Sachverhalt haben die Vorinstanzen die Gültigkeit des Klagspatents vertretbar verneint. Im vorliegenden Fall haben sich die – in Senaten mit einem fachmännischen Laienrichter entscheidenden – Vorinstanzen ausreichend mit den ihnen vorliegenden Bescheinigungsmitteln auseinandergesetzt und sind auf dieser Grundlage zum nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass die strittigen Ansprüche des Klagepatents mangels Erfindungshöhe nichtig seien.
Selbst bei Bejahung der Patentierbarkeit einer reinen Dosierungsempfehlung wäre für die Klägerin somit nichts gewonnen.
5. Die Klägerin stützt die Patentierbarkeit im Wesentlichen auf den Umstand, dass das Klagspatent eine dreimalige Verabreichung von 40 mg/ml alle sieben Tage vorsieht.
5.1 Bereits in der als Vorveröffentlichung angeführten Patentanmeldung („Vorpatent“) ist eine Dosierung im annähernd gleichen Ausmaß wie im Klagspatent, allerdings an jedem zweiten Tag festgehalten. Diese Patentanmeldung sieht bereits eine Behandlung mit einem Dosierschema durch periodisch wiederkehrende subkutane Injektionen vor. Nach dem bescheinigten Sachverhalt bestand schon 2008 „besonderes Interesse an alternativen Dosierungen, da die tägliche Injektion eine Herausforderung an die Compliance bei Langzeitbehandlungen darstelle“.
5.2 Wenn die Vorinstanzen eine Erfindungshöhe im Hinblick auf die mit dem Klagspatent verbundene (im Verhältnis zum Vorpatent nur unwesentliche) Verminderung der Injektionen um ca zwei pro Monat verneint haben, weil das Dosierschema des Klagspatents jedenfalls nahe zum Dosierschema des Vorpatents liege, das bereits im Stand der Technik nachgewiesen sei, liegt darin jedenfalls keine im Rahmen des § 528 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung, zumal die Vorinstanzen beim Klagspatent damit eine überraschende Aufgabenlösung bzw einen unerwarteten Effekt (vgl Op 3/11, Op 2/12, Op 1/12) jedenfalls vertretbar abgelehnt haben.
6.1 Der Oberste Gerichtshof orientiert sich auch im Patentverletzungsverfahren an der Spruchpraxis des EPA (vgl 4 Ob 214/04f; 17 Ob 35/09k, Isoflavon; 4 Ob 80/18w, Wischkopf ua). Die Entscheidung vom 19. 2. 2010 der Großen Beschwerdekammer des EPA zu G 2/08, auf die das Rekursgericht Bezug nahm, führte aus, dass sich die Definition der Dosierungsanleitung im Anspruch nicht nur dem Wortlaut nach vom Stand der Technik unterscheiden müsse, sondern auch eine andere technische Lehre widerspiegeln müsse, ob etwa die in dem Anspruch definierte Dosierungsanleitung gegenüber dem bekannten Stand der Technik nachweislich eine besondere technische Wirkung hervorgebracht hat.
6.2 Das Rekursgericht verneinte die auf die Dosierung gestützte erfinderische Tätigkeit auch mit dem Hinweis, dass sich die Klägerin auf besondere zusätzliche technische oder therapeutische Wirkungen, Eigenschaften oder Effekte bei der Anwendung des Dosierschemas gar nicht berufen habe.
6.3 Auch unter Berücksichtigung dieses Umstands kann in der Beurteilung der Vorinstanzen, dass es den klägerischen Ansprüchen an der Patentierbarkeit fehle, weil es an einer erfinderischen Tätigkeit mangle, keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung erkannt werden.
7. Mit der angefochtenen Entscheidung ist das Rekursgericht auch nicht von der Rechtsprechung des Senats zur Technizität (vgl 4 Ob 94/16a, Stromchiffrierung) abgewichen, weil es die Technizität im Anlassfall beim Klagspatent weder geprüft noch verneint, sondern nur damit argumentiert hat, dass im Vergleich zum bekannten Stand der Technik eine besondere (gemeint: zusätzliche) technische Wirkung weder behauptet noch nachgewiesen wurde.
8. Auch der Vorwurf, das Rekursgericht weiche von seiner eigenen Rechtsprechung ab, kann allein die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen, weil die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit stets von den Umständen des Einzelfalls geprägt ist und damit ein Entscheidungsspielraum eröffnet wird (vgl 4 Ob 116/16m, itikat/öz itimat; RIS-Justiz RS0116241).
9. Die gerügte Mangelhaftigkeit (Vorwurf der nicht gesetzmäßig behandelten Tatsachenrüge) wurde geprüft, sie liegt nicht vor. Die Tatsachenrüge der Klägerin bezog sich explizit (nur) auf jenen Bereich des erstgerichtlichen Beschlusses, in dem das Erstgericht seine rechtlichen Schlussfolgerungen ausführte. Die dazu korrespondierende Feststellung wurde vom Erstgericht an anderer Stelle seiner Entscheidung ausdrücklich getroffen. Auf diese Feststellung ging der Rekurs nicht näher ein. Die damit verbundenen Unklarheiten gehen zu Lasten des Rechtsmittelwerbers (vgl RIS-Justiz RS0041761). Wenn das Rekursgericht davon ausgegangen ist, dass eine vom Erstgericht im Abschnitt des bescheinigten Sachverhalts getroffene Feststellung gar nicht angefochten wurde, liegt darin keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.
10. Insoweit sich der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auf einen (allfälligen) Antrag der Beklagten auf Aufnahme ihres vertriebenen Produkts in den Erstattungskodex bezieht, wurde dieser Anspruch vom Erstgericht ebenso verneint wie ein Anspruch auf Zurückziehung eines allenfalls bereits gestellten Antrags. Die Klägerin ließ das im Rekurs unbekämpft und kommt darauf nicht mehr in dritter Instanz zurück, was ihr auch verwehrt gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0043338).
Schlagworte
Glatirameracetat,Textnummer
E124088European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00228.18K.1220.000Im RIS seit
21.02.2019Zuletzt aktualisiert am
19.07.2019