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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/01/0280 E 21. Dezember 2000 98/01/0367 E 6. Juli 1999 98/01/0466 E 24. November 1999 98/01/0556 E 6. Juli 1999 99/01/0115 E 8. September 1999 99/01/0352 E 7. Juni 2000Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des F K in K, geboren am 28. Jänner 1972, vertreten durch Mag. Siegfried Riegler, Rechtsanwalt in 8724 Knittelfeld, Marktpassage 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. April 1998, Zl. 200.463/0-III/07/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Nationalität aus dem Kosovo, der am 22. Juni 1997 in das Bundesgebiet einreist ist und am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 23. Juni 1997 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen ausgeführt, dass er am 5. und am 10. Juni zu Hause von Polizeibeamten gesucht worden sei, weil er zum Militärdienst habe einrücken müssen. Einen schriftlichen Einberufungsbefehl habe er nicht erhalten. Da er sich in der fraglichen Zeit bei Verwandten aufgehalten habe, habe er erst durch eine Mitteilung seines Bruders davon erfahren, dass die Polizei nach ihm gesucht habe. Ein bestimmter Einrückungstermin sei von den Polizisten nicht genannt worden. Er sei geflüchtet, weil er Angst davor gehabt habe, beim Militärdienst schlecht behandelt zu werden. Er habe gehört, dass albanische Wehrpflichtige sogar getötet worden seien. Über Vorhalt gab er an, dass während des Krieges auch Wehrpflichtige anderer Nationalitäten getötet worden seien. Um die Ableistung eines Zivildienstes habe er nicht angesucht, weil er nicht habe für "die Serben" arbeiten wollen. Über Vorhalt, ob dies seine einzigen Fluchtgründe seien, führte er aus, dass er am 5. und 10. Juni von der Polizei auch wegen einer angeblich illegal in seinem Besitz befindlichen Waffe gesucht worden sei. Er habe dies nicht gleich angegeben, weil er "vermutlich" nicht daran gedacht habe.
Tatsächlich habe er keine Waffe besessen.
Mit Bescheid vom 9. Juli 1997 hat das Bundesasylamt den
Asylantrag abgewiesen.
In seiner dagegen gerichteten Berufung wiederholte der
Beschwerdeführer im Wesentlichen seine niederschriftlichen Angaben und führte zusätzlich aus, dass ein staatliches Programm zur Vertreibung aller Albaner aus dem Kosovo existiere. Unter der albanischen Bevölkerung werde u.a. dadurch Angst verbreitet, dass albanische Wehrpflichtige in den Kasernen von Angehörigen der serbischen Volksgruppe misshandelt würden. Aufgrund des Vertreibungsprogrammes habe jeder Albaner in Jugoslawien mit asylrelevanter Verfolgung zu rechnen.
Die Berufungsbehörde brachte dem Beschwerdeführer einen Bericht der österreichischen Botschaft in Belgrad vom 23. Juni 1997 zur Kenntnis, wonach Albaner aus dem Kosovo in Jugoslawien kaum mehr zum Wehrdienst einberufen würden. Derzeit befänden sich nur etwa 100 ethnische Albaner in der jugoslawischen Armee. Es würden zwar noch Einberufungsbefehle versendet, diese jedoch in den allermeisten Fällen nicht zwangsweise vollzogen. Ethnische Albaner würden wegen Wehrdienstverweigerung nicht strenger, sondern statistisch sogar weniger streng bestraft als Wehrpflichtige anderer Nationalitäten. In den meisten Fällen komme es jedoch zu keiner Verurteilung wegen Wehrdienstverweigerung.
Weiters wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass eine "Gruppenverfolgung" aller Kosovo-Albaner nicht bekannt sei. Im Jahr 1994 seien nur 0,6 %, im Jahr 1995 0,58 % und im Jahr 1996 nur 0,33 % der albanischen Bevölkerung des Kosovo von Repressionsmaßnahmen der serbischen Behörden betroffen gewesen.
Der Beschwerdeführer unterließ es, zu diesen Vorhalten Stellung zu nehmen.
Mit Bescheid vom 20. April 1998 hat der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, abgewiesen.
Die belangte Behörde stellte fest, dass nach dem Beschwerdeführer am 5. und 10. Juni 1997 von der Polizei gesucht worden sei. Grund dafür sei einerseits die Ableistung des Militärdienstes und andererseits die Abgabe einer illegalen Waffe gewesen. Der Beschwerdeführer habe sich in dieser Zeit jedoch nicht zu Hause, sondern bei Verwandten aufgehalten. Zur allgemeinen Situation von ethnischen Albanern im Kosovo, insbesondere hinsichtlich der Militärdienstleistung, stellte die belangte Behörde den ihren oben wiedergegebenen Vorhalten entsprechenden Sachverhalt fest.
Aufgrund dieses Sachverhaltes sei nicht feststellbar, dass die Einberufung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Motiven erfolgt wäre. Auch eine "Gruppenverfolgung" aller Albaner im Kosovo liege nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor.
Darüberhinaus enthält die Begründung des angefochtenen Bescheides folgende Passage:
"Weiters ist hiebei anzuführen, dass auch die Entwicklungen im Kosovo in den letzten Wochen, wonach es in Teilen dieses Gebietes nach terroristischen Anschlägen radikaler albanischer Gruppen zu Kampfhandlungen unter Einsatz der jugoslawischen Sicherheitskräfte gekommen ist, die Annahme einer Gruppenverfolgung der ethnischen Albaner nicht zu tragen vermögen, da diese gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen radikaler, bewaffneter Gruppen und der staatlichen Ordnungsmacht zum einen keine politisch, rassisch, religiös oder ethnisch motivierten und sohin keine asylrechtlich relevanten Repressionsmaßnahmen darstellen - auch in jedem anderen Staat würde dem massiven Ansammeln und dem Einsatz von Kampfmitteln durch radikale Private seitens der Sicherheitsbehörden entgegengetreten werden - und zum anderen auch keine Handlungen darstellen, die seitens der Behörden gegen jeden (einzelnen) ethnischen Albaner im Kosovo zielgerichtet sind, zumal wie bereits oben angeführt sich die staatlichen Maßnahmen auf jene Gebiete beschränken, in welchen die Angehörigen der radikalen Gruppen verstärkt aufhältig sind. Die gegenwärtige Situation stellt sich nicht so dar, das jeder Kosovo-Albaner Gefahr läuft, von den in Rede stehenden Auseinandersetzungen betroffen zu sein.
Dies gilt auch für den Asylwerber selbst, der von den aktuellen Vorfällen jedenfalls nicht betroffen ist und mit diesen auch in keinem Zusammenhang steht, sodass diese Geschehnisse eine wohlbegründete Furcht des Asylwerbers nicht rechtfertigen."
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde wendet sich zwar gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass die Einberufung zum Militärdienst keine asylrelevante Verfolgung darstelle, setzt den auf einem Ermittlungsverfahren beruhenden, detaillierten diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid jedoch kein konkretes Vorbringen entgegen.
Die Beschwerde wendet sich jedoch auch gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe nicht bereits aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegen den Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287).
Insbesondere aus Medienberichten ist allgemein bekannt, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begann. Diese Auseinandersetzungen gehen mit vermehrten Übergriffen insbesondere von serbischen Einheiten auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde, die im angefochtenen Bescheid durch den Hinweis auf die "Entwicklung im Kosovo in den letzten Wochen" auf diese Situation eingegangen ist, handelt es sich bei diesen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung - auch wenn sie durch "radikale bewaffnete Gruppen" der albanischen Bevölkerungsgruppe provoziert wurden - um eine Verfolgung, die auf die Volkszugehörigkeit der betreffenden Personen abstellt (vgl. aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa das bereits zitierte Erkenntnis vom 9. März 1999).
Zu Recht verweist die belangte Behörde darauf, dass sich die Kampfhandlungen - und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung - nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstrecken. Die allgemein bekannten Aktionen erstrecken sich vielmehr im Wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck") sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decane und Djakovica. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Die belangte Behörde ist daher im angefochtenen Bescheid zu Recht auf diese Vorfälle eingegangen. Anders als sie meint, kann jedoch bei einem ethnischen Albaner, der aus der betreffenden Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Eine mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu erwartende asylrelevante Verfolgung ist vielmehr bereits dann zu bejahen, wenn der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit entsprechender Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte (vgl. auch dazu das mehrfach zitierte hg. Erkenntnis vom 9. März 1999).
Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben und nach der beim Akt erliegenden Kopie seines Führerscheines aus einem Dorf im Bezirk Suva Reka. Sein Heimatdorf liegt südlich des von den genannten Vorgängen Ende Februar und Anfang März 1998 betroffenen Gebietes. Es ist davon jedenfalls nicht soweit entfernt, dass ein Übergreifen der Kampfhandlungen - und der damit verbundenen Aktionen gegen die albanische Zivilbevölkerung - schon wegen der großen Entfernung sehr unwahrscheinlich wäre. Eine mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende, asylrelevante Verfolgung hätte der Beschwerdeführer nach den obigen Ausführungen somit nur dann nicht zu befürchten, wenn eine derartige Verfolgung bei ihm aufgrund besonderer Umstände ausgeschlossen werden könnte.
Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. Juni 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010378.X00Im RIS seit
03.04.2001