TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/2 W192 2201858-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.11.2018
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Entscheidungsdatum

02.11.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W192 2201858-1/11E

W192 2201859-1/10E

W192 2206899-1/3E

W192 2206901-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2018, Zl. 1178102302-180013492, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2018, Zl. 1178102106-180013468, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2018, Zl. 1195678006-180572254, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2018, Zl. 1195677804-180572246, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehegatte, der Zweitbeschwerdeführer, reisten illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 04.01.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie bekenne sich zum orthodoxen Christentum, habe sich Mitte Dezember gemeinsam mit ihrem Ehegatten entschlossen, den Herkunftsstaat Richtung Deutschland oder Österreich zu verlassen, da ihr diese Länder aufgrund des hohen medizinischen Niveaus empfohlen worden wären. Sie seien auf dem Luftweg nach Ungarn gelangt und von dort aus mit dem Zug nach Österreich weitergereist. Ihr Reisepass sei unterwegs verloren gegangen. Zu ihrem Fluchtgrund gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei in Georgien zweimal aufgrund von Magenbeschwerden operiert worden. Im Zuge der ersten Operation sei ihr aufgrund einer falschen Diagnose irrtümlich die Gallenblase entfernt worden; die Ärzte hätten erst später entdeckt, dass sie an einem bösartigen Magen-Tumor leide und hätten im Zuge einer zweiten Operation einen Teil ihres Magens amputiert. In weiterer Folge hätten die Ärzte ihr eine Chemotherapie empfohlen, ohne Garantie, ob dies zu einem Ergebnis führen werde. Außerdem seien sie der Meinung gewesen, dass eine weitere Operation notwendig wäre, ebenfalls ohne Garantie einer Genesung. Für den Fall einer Rückkehr nach Georgien befürchte sie, nochmals irrtümlich operiert und medizinisch falsch behandelt zu werden, was zu ihrem Tode führen könnte. Sie habe keinen anderen Ausweg gesehen als die Flucht nach Österreich.

Der Zweitbeschwerdeführer führte anlässlich seiner am gleichen Tag abgehaltenen Erstbefragung aus, er bekenne sich zum orthodoxen Christentum, sei ausgebildeter Fahrzeugtechniker und zuletzt als Landwirt tätig gewesen. Seine Reisebewegung schilderte er in Übereinstimmung mit der Erstbeschwerdeführerin; sein Reisepass sei unterwegs gestohlen worden oder verloren gegangen. Er habe Georgien aufgrund der Erkrankung seiner Gattin gemeinsam mit dieser verlassen, welche in Georgien von unkundigen Ärzten behandelt worden wäre und eine Chemotherapie benötigen würde. Er wolle seine Gattin nicht im Stich lassen. Er befürchte, dass seine Gattin im Falle einer Rückkehr nach Georgien nicht mehr lange leben werde.

Sichergestellt wurden der georgische Personalausweis sowie der georgische Führerschein der Erstbeschwerdeführerin sowie der georgische Führerschein und der Veteranenausweis des Zweitbeschwerdeführers. Weiters wurde seitens der Erstbeschwerdeführerin ein Konvolut an georgischen ärztlichen Unterlagen aus der zweiten Jahreshälfte 2017 inklusive Übersetzung ins Deutsche in Vorlage gebracht.

Nach Zulassung ihrer Verfahren erfolgten am 27.04.2018 niederschriftliche Einvernahmen der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Die Erstbeschwerdeführerin gab zusammengefasst an, sie fühle sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage und habe in ihrem Verfahren bislang wahrheitsgemäße Angaben erstattet. Im Herkunftsstaat sei sie zuletzt in einem näher bezeichneten Dorf in der Nähe der Stadt Kutasi ansässig gewesen, wo sie gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter, der Schwester ihres Mannes, ihrem Mann und ihren beiden Kindern ein kleines Haus bewohnt hätte. Die Erstbeschwerdeführerin sei Georgiern, christlich-orthodox und habe im Herkunftsstaat vom Betrieb einer Landwirtschaft gelebt. Im Herkunftsstaat hielten sich neben den zuvor erwähnten Angehörigen die Eltern, ein Bruder und eine verheiratete Schwester der Erstbeschwerdeführerin auf. Die Erstbeschwerdeführerin verfüge über eine elfjährige Schuldbildung und würde ihre Lebensumstände in der Heimat als mittel bezeichnen; für Essen und Versorgung hätte es gereicht, für die Operation habe sie allerdings Geld ausborgen müssen.

Zu den Beweggründen für das Verlassen ihrer Heimat führte die Erstbeschwerdeführerin aus, im August Symptome bekommen zu haben, aufgrund derer sie einen Arzt aufgesucht hätte, welcher ihr mitgeteilt hätte, dass sie eine Gallenblasenoperation benötigen würde. Als die Symptome nach der operativen Entfernung der Gallenblase weiter bestanden hätten, sei eine Gastroskopie des Magens durchgeführt worden und hätte eine Biopsie gezeigt, dass sie Magenkrebs im zweiten Stadium habe. Sie hätte sich dann einer weiteren Operation zur Entfernung des Tumors unterziehen müssen. Im Anschluss sei ihr mitgeteilt worden, dass sie zur Nachbehandlung eine kostenintensive Chemotherapie benötigen würde. Als ein in Österreich lebender Freund davon erfahren hätte, habe dieser ihnen empfohlen, hierher zu kommen, da die medizinische Versorgung in Österreich sehr gut wäre. Sie hätten einen Kredit bei einer georgischen Bank aufgenommen, womit sie die Kosten der beiden Operationen in Georgien beglichen und die Reise nach Österreich finanziert hätten. In Österreich erhalte sie derzeit Chemotherapie und habe fünf von insgesamt zwölf hinter sich. Erst danach werde sie sagen können, ob und welche weitere Behandlung sie benötige. Grund dafür, dass sie die Chemotherapie nicht in Georgien durchgeführt hätte, wäre neben dem finanziellen Aspekt die Unsicherheit gewesen, ob die Behandlung dort richtig sei, zumal die erste Operation unnötig gewesen wäre. Die in Georgien gestellte Diagnose sei schlussendlich die selbe gewesen wie jene in Österreich; die Behandlungsmethode sei jedoch eine andere. Dies wurde von der Erstbeschwerdeführerin dahingehend präzisiert, dass die Behandlung in Österreich besser und erfolgreicher wäre; die Medikamente würden sich von jenen in Georgien unterscheiden. Auch die Kosten seien ein Punkt. Von den hiesigen Ärzten sei ihr mitgeteilt worden, dass sie hier mit einer besseren Methode behandeln würden.

Darüber hinaus sei die Erstbeschwerdeführerin in Georgien von keinen Problemen betroffen gewesen; sie habe sich nie politisch betätigt und habe keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen gehabt.

In Österreich lebe sie von der Bundesbetreuung, ginge keiner Beschäftigung nach und unterhalte private Kontakte zu den anderen Bewohnern ihrer Unterkunft.

Der Erstbeschwerdeführerin legte umfangreiche Unterlagen zu ihrem Behandlungsverlauf in Österreich vor.

Der Zweitbeschwerdeführer gab zusammengefasst zu Protokoll, er fühle sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme ein der Lage, habe bis dato wahrheitsgemäße Angaben erstattet und habe im Herkunftsstaat gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester, seiner Frau und seinen zwei Kindern in seinem Elternhaus gelebt. Er gehöre der georgischen Volksgruppe an, bekenne sich zum christlich-orthodoxen Glauben, habe elf Jahre die Schule besucht, im Anschluss eine Technische Universität absolviert und seinen Lebensunterhalt durch den Betrieb einer Landwirtschaft bestritten. Seine Lebensumstände in Georgien würde er als leicht unter dem Durchschnitt liegend einstufen, sie hätten das gehabt, was die Landwirtschaft hergegeben hätte. Der Beweggrund für das Verlassen seiner Heimat sei die Krankheit seiner Frau gewesen. Diese sei Anfang Dezember 2017 aufgrund eines bösartigen Tumors am Magen operiert worden. Sie hätten ihnen keine Hoffnung gegeben, weshalb sie sich entschlossen hätten, hierher zu kommen, da die Medizin auf einem höheren Niveau wäre. Eine Weiterbehandlung seiner Frau in Georgien sei ihnen zwar vorgeschlagen worden, doch wäre die Durchführung einer Chemotherapie mit hohen Ausgaben verbunden gewesen. Da sie diese Möglichkeit nicht mehr gehabt hätten, hätten sie den Entschluss zur Ausreise gefasst. Die Kosten für die Chemotherapie hätten sich auf ca. 30.000 bis 35.000 Dollar belaufen. Der behandelnde Arzt in Österreich hätte ihnen mitgeteilt, dass die hier durchgeführte Behandlung erfolgreich sein werde. Die Behandlung unterscheide sich insofern von jener in Georgien, als die Spezialisten sowie die Medikamente hier besser wären. Welche Medikamente im Fall der Durchführung der Chemotherapie in Georgien verschrieben worden wären, sei dem Zweitbeschwerdeführer nicht bekannt; dies wäre eventuell aus den in Vorlage gebrachten Unterlagen ersichtlich. Der Zweitbeschwerdeführer habe darüber hinaus keine eigenen Fluchtgründe, er sei nur wegen seiner Frau hier, welche nicht alleine reisen hätte können und auch psychisch angeschlagen gewesen wäre. Der Zweitbeschwerdeführer habe sich im Heimatland nie politisch betätigt und sei von keinen Problemen mit staatlichen Einrichtungen betroffen gewesen.

In Österreich lebe er von der Bundesbetreuung, er ginge keiner Beschäftigung nach und habe mit Ausnahme eines Freundes keine sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.06.2018 wurden die Anträge der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie festgestellt, dass deren Abschiebung gem. § 46 FPG nach Georgien zulässig ist (Spruchpunkte V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkte VI.) und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkte VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien keinerlei konventionsrelevanten Sachverhalt vorgebracht hätten, sondern das Verlassen ihres Heimatlandes ausschließlich mit dem Wunsch nach Erhalt einer kostenlosen, besseren medizinischen Betreuung begründet hätten. Es habe daher nicht festgestellt werden können, dass die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wären oder solche für die Zukunft zu befürchten hätten. Die Erstbeschwerdeführerin leide an einem Adenokarzinom des Magens (ohne festgestellte Fernmetastasen) und damit an einer schweren Krankheit, welche jedoch in Georgien einer Behandlung zugänglich wäre. Der Erstbeschwerdeführerin stünde nach einer Rückkehr die Möglichkeit offen, sich, wie bereits vor ihrer Ausreise, innerhalb des georgischen Gesundheitssystems behandeln zu lassen. Den aktuellen Länderfeststellungen in Zusammenschau mit den in Vorlage gebrachten Unterlagen sei zu entnehmen, dass im Heimatland dem Krankheitsbild der Erstbeschwerdeführerin entsprechende Behandlungsmethoden und medizinische Einrichtungen gegeben seien. Neben der Operation seien in Georgien auch Chemotherapie und die dafür benötigten Medikamente verfügbar, wobei den vorliegenden Länderinformationen zu entnehmen sei, dass notwendige Operationen zu 70% und Chemotherapie zu 80% bis zu Gesamtkosten von 12.000 GEL staatlich finanziert würden. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich im Vorfeld ihrer Ausreise in Behandlung befunden, sei jedoch vor Durchführung einer Chemotherapie und einer möglichen weiteren Operation nach Österreich ausgereist. Medizinische Behandlung sei in Georgien auch für Rückkehrer sofort zugänglich, als georgische Staatsbürgerin sei die Erstbeschwerdeführerin automatisch versichert. Die Genannte verfüge im Herkunftsland über Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten und leide an keiner akut lebensbedrohlichen Erkrankung, welche einer Rückkehr nach Georgien entgegenstünde. Aus näher dargestellter Rechtsprechung ergebe sich, dass sich vor dem Hintergrund der Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin kein Recht ableiten ließe, in Österreich zu verbleiben, einzig um hier medizinisch behandelt zu werden. Dass die Erstbeschwerdeführerin durch eine Abschiebung nach Georgien dem realen Risiko ausgesetzt wäre, unter qualvollen Umständen zu sterben, könne schon alleine anhand der Länderfeststellungen und der bisherigen Lebenssituation der Genannten in Georgien ausgeschlossen werden. Aufgrund der Arbeitsfähigkeit des Zweitbeschwerdeführers sowie der Unterstützung durch Verwandte und Bekannte sei der Lebensunterhalt der beschwerdeführenden Parteien im Herkunftsstaat gewährleistet. Wenn auch in Georgien eine wirtschaftlich schwierigere Situation als in Österreich bestünde, so sei in Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der individuellen Situation der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien festzuhalten, dass eine lebensbedrohliche Notlage im Herkunftsstaat, welche bei einer Rückkehr die reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK indizieren würde, nicht vorliege.

Die unbescholtenen erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien würden in Österreich über keine Verwandten oder einen anderen familienähnlichen Bezug verfügen, diese gingen keiner Beschäftigung nach und würden ihren Lebensunterhalt aus Mitteln der Grundversorgung bestreiten. Das Vorliegen einer schützenswerten Integration im Bundesgebiet sei nicht ersichtlich, ebensowenig seien Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG hervorgekommen. Da die beschwerdeführenden Parteien aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG stammen würden und diesen keine reale menschenrechtsrelevante Gefahr im Herkunftsstaat drohe, sei es diesen zumutbar, den Ausgang ihres Asylverfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten, weshalb einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen und damit einhergehend keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen wäre.

3. Die beiden minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, der nunmehrige Drittbeschwerdeführer und die nunmehrige Viertbeschwerdeführerin, reisten am 16.06.2018 unter Mitführung (durch das Bundesamt sichergestellter) georgischer Reisedokumente in das Bundesgebiet ein und stellten am 19.06.2018 durch den Zweitbeschwerdeführer als ihren gesetzlichen Vertreter die diesem Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz. Anlässlich der am gleichen Tag abgehaltenen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Zweitbeschwerdeführer als gesetzlicher Vertreter der minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen zu Protokoll, die Kinder seien durch ihre Tante nach Österreich gebracht worden, da ihre Mutter krebskrank sei und gemeinsam mit dem Kindesvater seit rund sechs Monaten in Österreich aufhältig wäre.

4. Gegen die in den Verfahren der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ergangenen Bescheide richtet sich die am 11.07.2018 durch die nunmehrige Rechtsvertretung fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde. Begründend wurde nach zusammenfassender Wiedergabe des Verfahrensverlaufs und des Vorbringens der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien im Wesentlichen ausgeführt, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die gesetzlichen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren verletzt und das Verfahren dadurch mit Mangelhaftigkeit belastet. So seien den erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien anlässlich ihrer Einvernahmen lediglich oberflächliche Fragen zur medizinischen Behandlung der Erstbeschwerdeführerin in Georgien gestellt worden. Andernfalls hätten die beschwerdeführenden Parteien darlegen können, dass sie sich die Kosten für die für die Erstbeschwerdeführerin lebensnotwendige Chemotherapie und die dafür benötigten Medikamente kaum hätten leisten können. Weiters hätten sie die bedrohlichen Mängel im georgischen Gesundheitssystem und das damit einhergehende lebensgefährliche Risiko darlegen können. Es seien bereits zwei kostenintensive Operationen durchgeführt worden, bezüglich derer der Staat bzw. die Versicherung absolut keine Kosten übernommen hätte, weshalb die Familie zur Aufnahme eines Kredits veranlasst gewesen wäre. Hinzugekommen sei, dass die beschwerdeführenden Parteien weit entfernt am Land gelebt und in der Stadt, in der sich das Krankenhaus befunden hätte, keine Verwandten und Bekannten gehabt hätten, weshalb sich auch die Reise- und Aufenthaltskosten für die Operationstermine und die Nachbehandlungen als kostenintensiv erwiesen hätten. Für eine Chemotherapie in Georgien hätten sie weitere 30.000 - 35.000 USD bezahlen müssen, von welchen die notwendigen Begleitmedikamente noch nicht umfasst wären. Die Landwirtschaft diene der Selbstversorgung und bringe einen Ertrag von lediglich rund 70 EUR im Jahr ein. Die drei noch lebenden Elternteile der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien würden eine Pension von rund 63 EUR monatlich beziehen und hätten aufgrund ihrer individuellen Lebensumstände keine Möglichkeit, diese Summe zu teilen. Auch den Geschwistern der erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien sei die Leistung finanzieller Unterstützung nicht möglich. Die Behörde hätte zudem genauere Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin und den aktuell notwendigen weiteren Behandlungen vornehmen müssen. Weiters hätte die Behörde ermitteln müssen, ob auch bei regelmäßiger Behandlung der Erstbeschwerdeführerin ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten könnte, ob aufgrund deren gesundheitlichen Zustandes eine Überstellung überhaupt zumutbar sei und ob eine Überstellung aus ärztlicher Sicht eine unzumutbare Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würde, sowie ob sich eine Abschiebemaßnahme selbst aufgrund des gesundheitlichen Zustands als zulässig erweise. Die Behörde hätte genauer ermitteln müssen, welche Kosten auf die Erstbeschwerdeführerin aufgrund des bei ihr bestehenden Krankheitsbildes im Falle einer Rückkehr zukommen würden. Die Krebsbehandlung in Georgien weise eine geringere Qualität auf, neuere und in der Regel wirksamere Medikamente seine in Georgien wegen ihres hohen Preises nicht erhältlich und es gebe dort keine wirksame Nachbehandlung nach einer Chemotherapie. Es lasse sich daher nicht ausschließen, dass bei Berücksichtigung aktueller Berichte und des individuellen Zugangs der Erstbeschwerdeführerin ein anderes Ergebnis insbesondere in Bezug auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes möglich wäre. Im Sinne von EGMR, 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili/Belgien, wäre im Einzelfall festzustellen gewesen, ob die generell im Zielstaat vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten ausreichend, tatsächlich zugänglich und für die Behandlung der Erkrankung des Abzuschiebenden in dem Sinn angemessen seien, um ihn vor einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK zu bewahren. Die von der Erstbeschwerdeführerin benötigten Behandlungen seien im Herkunftsstaat zwar grundsätzlich erhältlich, aufgrund der finanziellen Situation der beschwerdeführenden Parteien jedoch nicht erschwinglich und würden die beschwerdeführenden Parteien Gefahr laufen, im Falle einer Rückkehr nach Georgien in eine ausweglose und lebensbedrohliche Situation zu geraten.

Der Beschwerde beiliegend wurde ein Konvolut an Unterlagen zum Behandlungsverlauf der Erstbeschwerdeführerin übermittelt.

5. Mit hg. Beschlüssen der damals zuständigen Gerichtsabteilung L518 vom 02.08.2018 wurde den Beschwerden der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

6. Am 14.08.2018 wurde der Zweitbeschwerdeführer in den Verfahren der von ihm vertretenen minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Der Zweitbeschwerdeführer gab zusammengefasst zu Protokoll, seine beiden Kinder seien Angehörige der georgischen Volksgruppe und des christlich-orthodoxen Glaubens, sie seien gesund und hätten in Georgien Schule bzw. Kindergarten besucht. Die erst- und zweitbeschwerdeführenden Parteien hätten Mitte Mai beschlossen, die Kinder nach Österreich zu holen, als sie gemerkt hätten, dass sich die beiden Minderjährigen durch die Situation zusehends belastet gezeigt hätten. Die Situation habe sich nunmehr gebessert, die Kinder würden sich nicht von ihrer Mutter entfernen. Abgesehen von der Erkrankung der Mutter hätten die Kinder keine darüberhinausgehenden eigenen Fluchtgründe, sie seien von keinen Problemen im Heimatland betroffen gewesen. Allerdings habe die Familie des Zweitbeschwerdeführers Probleme gehabt, die Minderjährigen zu versorgen, da die Mutter des Zweitbeschwerdeführers krank und seine Schwester arbeitslos sei. In Österreich hätten ihre Kinder bereits eine Deutschlehrerin, damit sie Deutsch lernen und zur Schule bzw. in den Kindergarten gehen könnten. Die restliche Zeit würden die dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien mit anderen Kindern im Hof spielen.

Zum aktuellen Stand der Behandlung seiner Gattin führte der Zweitbeschwerdeführer aus, die Chemotherapie sei bereits abgeschlossen, seine Frau befinde sich derzeit in einer Kontrollphase und warte auf das Ergebnis einer Blutanalyse. Am 20.08.2018 hätten sie einen Arzttermin, um die weitere Vorgehensweise zu besprechen. Normalerweise müssten sie jeden dritten Monat eine Kontrolle durchlaufen. Sie würden die Behandlung gerne beenden. Würden sie jetzt nach Georgien geschickt werden, wäre die gesamte Vorbehandlung umsonst, da die Behandlung dort nicht durchgeführt werden könne und sie über keine finanziellen Mittel verfügen würden. Dann wären alle Mühen umsonst und seine Frau würde versterben. Seine Gattin sei fest davon überzeugt, dass sie in Georgien sofort wieder erkranken würde.

7. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 30.08.2018 wurden die Anträge des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien (Spruchpunkte II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie festgestellt, dass deren Abschiebung gem. § 46 FPG nach Georgien zulässig ist (Spruchpunkte V.) und die Frist für deren freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte VI.).

In den Verfahren der minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien seien seitens ihres gesetzlichen Vertreters keine individuellen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen vorgebracht worden und es habe nicht festgestellt werden können, dass diese im Herkunftsstaat einer Gefährdung oder von staatlicher Seite ausgehenden Verfolgung ausgesetzt sein würden. Im Falle einer gemeinsamen Rückkehr mit ihren Eltern - welche im Rahmen ihrer Verfahren auf internationalen Schutz keine Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes vorgebracht hätten, weshalb auch die Ableitung eines Titels im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht käme - würden die minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien keiner Bedrohung unterliegen, sondern weiterhin im Familienband leben und in keine existenzbedrohende Notlage geraten.

Jene Bescheide wurde dem gesetzlichen Vertreter der minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien am 11.09.2018 durch Hinterlegung zugestellt.

8. Gegen die in den Verfahren des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin ergangenen Bescheide richtet sich die am 27.09.2018 durch deren nunmehrige Rechtsvertretung fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde. Begründend wurde zunächst auf die in den Verfahren der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers eingebrachten Beschwerden verwiesen und weiters festgehalten, dass die minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien entgegen der von der Behörde vertretenen Ansicht im Falle einer Rückkehr nach Georgien in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Die Behörde habe sich zudem in keiner Weise mit Aspekten des Kindeswohls auseinandergesetzt. Die Länderberichte würden eine Gefährdung des Wohls der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien in Georgien nahelegen, zumal sie als Kinder einer schwerkranken Mutter keine ausreichende Unterstützung in Form von Sozialleistungen erhalten würden und Kinderarmut sowie Fehl- oder Unterentwicklung aufgrund von Mangelernährung ein großes Problem in Georgien darstelle.

9. Mit Eingabe vom 02.10.2018 wurde im Verfahren der Erstbeschwerdeführerin ein Konvolut an aktuellen medizinischen Unterlagen übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Georgien und Angehörige der georgischen Volksgruppe sowie der christlich-orthodoxen Religionsgemeinschaft. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet, der minderjährige Drittbeschwerdeführer und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin sind deren gemeinsame Kinder. Die beschwerdeführenden Parteien haben zuletzt im Elternhaus des Zweitbeschwerdeführers gemeinsam mit der Mutter und einer Schwester des Zweitbeschwerdeführers gelebt. Außerdem halten sich im Herkunftsstaat nach wie vor die Eltern, ein Bruder und eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin auf. Die Familie hat ihren Lebensunterhalt zuletzt durch Betrieb einer kleinen Landwirtschaft, welche im Wesentlichen der Selbstversorgung diente, bestritten. Sowohl die Erstbeschwerdeführerin, als auch der Zweitbeschwerdeführer haben eine Allgemeinbildende höhere Schule absolviert, der Zweitbeschwerdeführer hat zudem eine Technische Hochschule besucht und den Beruf des Fahrzeugtechnikers erlernt. Die minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien haben in Georgien Schule bzw. Kindergarten besucht.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin sind gemeinsam illegal in das Bundesgebiet eingereist und haben am 04.10.2018 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Der minderjährige Viertbeschwerdeführer und die minderjährige Drittbeschwerdeführerin sind Mitte Juni 2018 unter Mitführung von georgischen Reisedokumenten in Begleitung einer Tante zu ihren Eltern nach Österreich nachgereist und haben durch ihren gesetzlichen Vertreter jeweils am 19.06.2018 um internationalen Schutz angesucht.

1.1.2. Bei der Erstbeschwerdeführerin wurde im Jahr 2017 ein diffuses Adenokarzinom des Magens mit perineuraler Invasion mit einem Befall der Lymphknoten ohne Hinweis auf Fernmetastasen diagnostiziert. Die Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin war bereits in Georgien diagnostiziert und eine diesbezügliche Behandlung aufgenommen worden. Die Erstbeschwerdeführerin wurde im Herkunftsstaat zuletzt Anfang Dezember 2017 einer Teilgastrektomie und Lymphadenektomie unterzogen. Aufgrund mangelnden Vertrauens in das georgische Gesundheitswesen sowie der teils privat zu tragenden Behandlungs- und Medikamentenkosten hat die Erstbeschwerdeführerin in der Folge den Entschluss gefasst, Georgien zu verlassen und die indizierte Nachbehandlung mittels Chemotherapie in Österreich aufgenommen. Zuletzt wurde bekanntgegeben, dass die Chemotherapie im Sommer 2018 abgeschlossen wurde und die Erstbeschwerdeführerin sich derzeit in einer Kontrollphase befindet. Aus einem zuletzt übermittelten Arztbrief vom 20.08.2018 ergibt sich im Wesentlichen, dass im CT derzeit kein Hinweis auf einen Tumor im Sinne einer kompletten Remission ersichtlich wurde und die Erstbeschwerdeführerin subjektiv beschwerdefrei ist; die adjuvante Therapie ist abgeschlossen und die nächste klinische, radiologische und laborchemische Kontrolle für Ende November 2018 geplant. Es wurde nicht vorgebracht, dass bis zum Entscheidungszeitpunkt eine neuerliche Behandlung aufgenommen wurde. In Georgien bestehen zugängliche Behandlungsmöglichkeiten für das bei der Erstbeschwerdeführerin vorgelegene Krankheitsbild, sodass dieser auch in Georgien die Möglichkeit einer Nachbehandlung bzw. einer Wahrnehmung von Kontrollterminen offen stehen wird. Dass bei dieser aktuell eine medizinische Behandlung indiziert ist, welche im Falle einer Rückkehr allenfalls mit unerschwinglichen Kosten verbunden wäre, konnte nicht festgestellt werden.

Der Zweitbeschwerdeführer und die minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien sind gesund.

Die beschwerdeführenden Parteien haben vorgebracht, ihren Herkunftsstaat ausschließlich aufgrund des Wunsches nach einer qualitativ hochwertigen Behandlung für die Erstbeschwerdeführerin verlassen zu haben und keine darüberhinausgehenden Rückkehrbefürchtungen aufzuweisen. Die beschwerdeführenden Parteien haben keine Furcht vor individueller Verfolgung behauptet.

Es kann auch von Amts wegen nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr nach Georgien aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

1.1.3. Es besteht für die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien jeweils keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Die beschwerdeführenden Parteien liefen jeweils nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die wirtschaftliche Situation der Familie - auch unter Berücksichtigung allenfalls künftig für die Erstbeschwerdeführerin notwendig werdender Behandlungs- und Medikamentenkosten - als derart desolat erwiesen hätte, als dass die beschwerdeführenden Parteien, welche im Herkunftsstaat zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte haben, im Falle einer Rückkehr Gefahr liefen, in eine Existenz bedrohende Notlage zu geraten. Der Zweitbeschwerdeführer ist zu einer uneingeschränkten Teilnahme am Erwerbsleben fähig, es wäre den beschwerdeführenden Parteien zudem möglich, wieder an ihrer früheren Anschrift Wohnsitz zu nehmen, wo sie durch ihre im gleichen Haushalt lebenden Angehörigen auch auf Unterstützung im Alltag zurückgreifen könnten.

Aus dem konkreten Umfeld, in das die minderjährigen dritt- und viertbeschwerdeführenden Parteien zurückkehren, ergibt sich keine aus ihrer Minderjährigkeit resultierende erhöhte Gefahr, Opfer eines Eingriffs in ihre körperliche Unversehrtheit zu werden oder in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.1.4. Die beschwerdeführenden Parteien leben in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt und bestreiten ihren Lebensunterhalt aus Mitteln der Grundversorgung. Die beschwerdeführenden Parteien verfügen außerhalb ihrer Kernfamilie über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, sie haben Kontakte zu anderen Bewohnern ihrer Grundversorgungsunterkunft geknüpft, zudem lebt ein Freund des Zweitbeschwerdeführers in Österreich. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben sich keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, sind keiner Erwerbstätigkeit oder ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen und in keinem Verein Mitglied. Der vierjährige Drittbeschwerdeführer und die achtjährige Viertbeschwerdeführerin, welche sich seit knapp fünf Monaten im Bundesgebiet aufhalten, haben zuletzt mit dem Erlernen der deutschen Sprache begonnen, darüber hinaus verfügen sie über keine Bindungen im Bundesgebiet.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1. POLITISCHE LAGE

Im Jahr 2017 begann Georgien mit einer grundlegenden Reform der Verfassung, mit welcher der Übergang von einem gemischten zu einem parlamentarischen System abgeschlossen wurde. Die Reform, die insgesamt positiv von der Venediger-Kommission des Europarates bewertet wurde, zielt darauf ab, die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu festigen, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Grundrechte beruht. Der vom Parlament angenommene Entwurf wurde von der Opposition nicht unterstützt, weil vor allem das rein-proportionale Wahlsystem erst bis 2024 eingeführt werden soll. NGOs und Oppositionsparteien sahen den Entscheidungsprozess als nicht inklusiv und zu voreilig (EC 9.11.2017).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wird durch Direktwahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Präsident ernennt den Premierminister, der vom Parlament ernannt wird. Nach den im Jahr 2017 beschlossenen Verfassungsänderungen wird der Präsident indirekt von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt, wobei diese Änderungen erst nach der Wahl 2018 wirksam werden (FH 1.2018). Nach der geänderten Verfassung wird Georgien ab 2024 auf ein Verhältniswahlsystem mit einer Fünf-Prozent-Hürde umstellen. Ab 2025 wird der Präsident nicht mehr vom Wahlvolk, sondern von einem speziellen Gesetzgebungsrat gewählt (RFE/RL 20.10.2017).

Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 gewann Giorgi Margvelashvili, ein von der Partei "Georgischer Traum" unterstützter unabhängiger Kandidat, 62% der Stimmen, vor dem Kandidaten der Vereinigten Nationalen Bewegung (UNM), David Bakradze, der 22% gewann. Während Beobachter über einige Verstöße berichteten, bezeichneten sie den Wahlgang als kompetitiv und und vertrauenswürdig und lobten dabei die Zentrale Wahlkommission für ihre Professionalität. Giorgi Kvirikashvili von der Partei Georgischer Traum kehrte nach den Parlamentswahlen 2016 als Premierminister zurück; er war seit Ende 2015 in dieser Funktion tätig (FH 1.2018).

Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei "Georgischer Traum" sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).

Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR 30.10.2016).

Am 21.10. und 12.11.2017 fanden Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen statt. In der ersten Runde am 21.10.2017 gewann die Regierungspartei, Georgischer Traum, in allen Wahlkreisen und sicherte sich 63 von 64 Bürgermeisterämter, darunter in der Hauptstadt Tiflis (RFE/RL 12.11.2017). Bei der Bügermeisterstichwahl am 12.11.2017 gewannen in fünf der sechs ausstehenden Städte ebenfalls die Kandidaten des Georgischen Traums. Nur in Ozurgeti siegte ein unabhängiger Kandidat (Civil.ge 13.11.2017). Die Wahl verlief reibungslos und professionell, wobei die Stimmabgabe, die Auszählung und das Wahlermittlungsverfahren von Beobachtern positiv beurteilt wurden, obwohl Hinweise auf mögliche Einschüchterungen und Druck auf die Wähler Anlass zur Besorgnis gaben (OSCE 13.11.2017).

Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Die Menschen sind in der Regel in der Lage, politische Parteien zu gründen und ihre eigenen Kandidaturen mit wenig Einmischung durch Dritte umzusetzen. Allerdings hat ein Muster der Einparteiendominanz in den letzten zehn Jahren die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt. Die Partei Georgischer Traum dominiert den politischen Raum. Entscheidend dafür ist die Rolle von Ivanishvili, dem Schöpfer und Finanzgaranten der Partei, der maßgeblichen Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung in Georgien hat. Die finanziellen und geschäftlichen Interessen von Ivanishvili sind auch im politischen Bereich von großer Bedeutung (FH 1.2018).

Quellen:

? Civil.ge (13.11.2017): GDDG Wins Most Mayoral Runoff Races, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30622, Zugriff 26.3.2018

? EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 26.3.2018

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Parliamentary Elections, Second Round - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions,

http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 26.3.2018

? OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-Operation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights (13.11.2017):

Election Observation Mission Georgia, Local Elections, Second Round, 12 November 2017,

http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/356146?download=true, Zugriff 26.3.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (20.10.2017): Georgia's President Reluctantly Signs Constitutional Amendments, 26.3.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 26.3.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (12.11.2017): Georgians

In Six Municipalities Vote In Local Election Runoffs, https://www.rferl.org/a/georgia-local-elections-second-round/28849358.html, Zugriff 26.3.2018

? Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren,

http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 26.3.2018

? Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50,

http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 26.3.2018

2. SICHERHEITSLAGE

Die Sicherheitslage in Georgien hat sich seit der militärischen Auseinandersetzung zwischen georgischen und russischen Truppen vom August 2008 weitgehend normalisiert. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. Im Gali-Distrikt Abchasiens kommt es immer wieder zu Schusswechseln, Entführungen und anderen Verbrechen mit teilweise kriminellem Hintergrund. Trotz vordergründiger Beruhigung der Lage kann ein erneutes Aufflammen des Konfliktes zwischen Abchasien und Georgien nicht ausgeschlossen werden. Gleiches gilt im Falle Südossetiens. In den städtischen Zentren kann es gelegentlich zu Demonstrationen und Protestaktionen kommen, vor allem im Zusammenhang mit Wahlen. Straßenblockaden und Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften sind nicht ausgeschlossen. Das Risiko von terroristischen Anschlägen kann auch in Georgien nicht ausgeschlossen werden (EDA 6.6.2018).

Die Kriminalitätsrate ist in Georgien in den letzten Jahren deutlich gesunken. Auto- und andere Diebstähle sowie Einbrüche kommen vor, und sind gelegentlich von Gewalt begleitet. Übergriffe gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit als homosexuell zu erkennen geben, können vorkommen (AA 6.6.2018a, vgl. EDA 6.6.2018).

Bei einem Anti-Terroreinsatz in Tiflis sind am 22.11.2017 ein Polizist und drei mutmaßliche Terroristen getötet worden. Mehrere mutmaßliche Anhänger einer terroristischen Gruppe hatten sich der Festnahme widersetzt, indem sie das Feuer mit automatischen Waffen eröffneten und Handgranaten auf die Anti-Terror-Einheit warfen (Standard 23.11.2017). Einer der getöteten Terroristen war offenbar Achmed Tschatajew, ein tschetschenischer Befehlshaber des sog. Islamischen Staates (IS), der den georgischen Behörden bekannt war. Tschatajew stand seit 2015 auf der Terroristenliste der Vereinigten Staaten von Amerika und wurde auch von Russland und der Türkei wegen der Organisation des tödlichen Bombenanschlags auf den Flughafen von Istanbul im Juli 2016 gesucht. Die Prognose, dass sich die terroristische Bedrohung in Georgien auf die einheimischen und zurückkehrenden Kämpfer verlagert hat, wurde durch die Operation in Tiflis drastisch bestätigt (Jamestown 29.11.2017, GA 1.12.2017):

Die EU unterstützt aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die Krise in Georgien und die EU-Beobachtermission (EUMM), die zu Stabilität und Frieden beitragen. Georgien hat sich weiterhin den internationalen Gesprächen in Genf verschrieben. Der sog. "Incident Prevention Mechanisms (IPRM)", der 2009 geschaffen wurden, um Risiko- und Sicherheitsfragen zu erörtern, die die Gemeinden in Abchasiens bzw. Südossetiens betreffen, und die EUMM-Hotline arbeiten weiterhin effizient als wesentliche Instrumente, um lokale Sicherheitsfragen anzugehen und, um die weitere Vertrauensbildung zwischen den Sicherheitsakteuren zu fördern (EC 9.11.2017).

Anfang März 2018 wiederholte Premierminister Giorgi Kvirikashvili Georgiens Interesse, bei den internationalen Gesprächen in Genf konkrete Fortschritte zu erzielen. Hierzu erklärte er sich auch bereit, in einen direkten Dialog mit Vertretern der separatistischen Regionen Abchasien und Südssetien zu treten (Jamestown 26.3.2018, vgl. Civil.ge 9.3.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (6.6.2018a): Landesspezifische Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/georgien-node/georgiensicherheit/201918#content_0, Zugriff 6.6.2018

? Civil.ge (9.3.2018): Prime Minister Appeals to Russian Authorities, Offers Direct Dialogue with Sokhumi, Tskhinvali, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=30935&search, Zugriff 12.4.2018

? EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

? EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (6.6.2018): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 6.6.2018

? GA - Georgien aktuell (1.12.2017): Anti-Terror-Einsatz: getötete Terroristen offenbar illegal ins Land gekommen, http://georgien-aktuell.info/de/politik/innenpolitik/article/13430-illegal, Zugriff 9.4.2018

? Jamestown (26.3.2018): Georgian Government Insists on Direct Talk With Moscow-Backed Separatists, https://jamestown.org/program/georgian-government-insists-direct-talk-moscow-backed-separatists/, Zugriff 12.4.2018

? Jamestown (29.11.2017): Special Operation in Tbilisi Highlights Risk of Terrorism by Returning Fighters in Georgia, https://jamestown.org/program/special-operation-tbilisi-highlights-risk-terrorism-returning-fighters-georgia/, Zugriff 9.4.2018

? Der Standard (23.11.2017): Vier Tote bei Anti-Terror-Einsatz in Tiflis,

https://derstandard.at/2000068329714/Vier-Tote-bei-Anti-Terror-Einsatz-in-Tiflis, Zugriff 9.4.2018

3. RECHTSSCHUTZ / JUSTIZWESEN

Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung, die in der Vergangenheit systemisch vorhanden war, in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Der Aufbau eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der aktuellen Regierung. Die dritte Reformwelle vom Dezember 2016 garantiert vor allem die unparteiische Zuteilung von Rechtsfällen an Richter. NGOs, die den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch begleiten, mahnen weiterhin die Ernennung von Richtern aufgrund von Qualifikation und Eignung in einem transparenten Verfahren an. Demgegenüber neigen Politiker und andere prominente Interessenvertreter aus Wirtschaft und Medien dazu, Richtern bei Gerichtsentscheidungen in brisanten Fällen pauschal politische Motive bzw. Korruption zu unterstellen. In einigen Fällen wurde der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg angerufen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und deutliche Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess. Die Praxis lang andauernder Untersuchungshaft wurde im Fall Ugulava, des ehemaligen Bürgermeisters von Tiflis vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig beurteilt und verfassungskonform beschränkt (AA 11.12.2017).

Im Dezember 2016 wurde ein Paket von Gesetzesänderungen zur Justizreform verabschiedet. Die Änderungen betrafen insbesondere die Veröffentlichung aller Entscheidungen, die schrittweise Einführung der elektronischen Zufallszuweisung von Fällen sowie das Auswahlverfahren der Richterkandidaten und das Disziplinarverfahren (Schaffung der Institution des Untersuchungsinspektors). Die Änderungen betrafen jedoch nicht andere, seit langem bestehende Punkte, einschließlich der Anwendung der Probezeit. Eine erste umfassende Justizstrategie und ihr fünfjähriger Aktionsplan wurden vom Hohen Rat der Justiz im Mai 2017 angenommen. Dieser sieht spezifische Maßnahmen und Indikatoren in den Kapiteln Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht, Qualität und Effizienz sowie Zugang zur Justiz vor. In Bezug auf den Zugang zur Justiz sind die vom Hohen Rat der Justiz (HCoJ) eingeführten Verfahren zur Ernennung von Richtern und Gerichtspräsidenten sowie die Disziplinarverfahren allerdings nicht vollständig transparent und rechenschaftspflichtig. Die neue Verfassung führte die Ernennung von Richtern des Obersten Gerichtshofs durch das Parlament auf Vorschlag des Obersten Gerichtshofs sowie die Ernennung von Richtern auf Lebenszeit ein. Im Januar 2017 wurden die Geschworenenprozesse, die 2010 beim Stadtgericht von Tiflis eingeführt wurden, auf andere Regionen Georgiens und auf weitere Arten von Vergehen ausgeweitet. Anfang 2017 wurden die Strafverfolgungsstrategie, der neue Ethikkodex und ein Beurteilungssystem für Staatsanwälte verabschiedet (EC 9.11.2018).

Die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Justiz ist nach wie vor ein erhebliches Problem, ebenso wie der Mangel an Transparenz und Professionalität bei den Verfahren. Im Jahr 2017 äußerten sich Oppositionelle und andere besorgt darüber, dass die politische Einmischung ein wesentlicher Faktor in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gewesen sei, so die Rückgabe des TV Senders "Rustavi 2" an seinen ehemaligen Miteigentümer, der mit der Regierungspartei Georgischen Traum verbunden ist. Das Urteil wurde allerdings später vom Europäischen Gericht für Menschenrechte aufgehoben (FH 1.2018, vgl. AI 22.2.2018).

Ende Mai 2018 musste der Generalstaatsanwalt Georgiens vor dem Hintergrund von Protesten zurückgetreten, in denen tausende Demonstranten ihre Empörung über ein, ihrer Meinung nach, unfaires Gerichtsurteil im Mordfall von zwei Schülern in Tiflis zum Ausdruck brachten (CK 5.6.2018). Die Demonstranten glaubten, dass andere als die beiden Beschuldigten für den Tod verantwortlich waren und der Strafe entkamen, weil ihre Verwandten in der Generalstaatsanwaltschaft arbeiteten (RFE/RL 4.6.2018). Führende NGOs des Landes haben sich geweigert, sich an der Ernennung eines neuen Generalstaatsanwaltes unter der Leitung von Justizministerin Teya Tsulukiani zu beteiligen, sondern haben im Gegenteil deren Rücktritt gefordert (CK 5.6.2018, vgl. JAMnews 6.6.2018). Das Parlament hat am 31.5.2018 als Reaktion auf die Entlassung der Beschuldigten durch das Gericht in Tiflis eine Untersuchungskommission zum Mordfall eingerichtet (civil.ge 6.6.2018). Die Demonstrationen haben die Ansicht mancher Georgier über Korruption und eine Atmosphäre der Straflosigkeit in der herrschenden Elite des Landes widergespiegelt (RFE/RL 4.6.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 17.4.2018

? Caucasian Knot (5.6.2018): Activists demand resignation of Georgia's MoJ head, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43375/, Zugriff 7.6.2018

? Civil.ge (6.6.2018): Parliament Approves Teen Murder Probe Commission, https://civil.ge/archives/243789, Zugriff 7.6.2018

? EC - European Commission (9.11.2017): Association Implementation Report on Georgia [SWD(2017) 371 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/1419205/1226_1512477382_171109-association-implementation-report-on-georgia.pdf, Zugriff 9.4.2018

? FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Georgia, https://www.ecoi.net/en/document/1426297.html, 17.4.2018

? JAMnews (6.6.2018): Georgian NGOs demand resignation of Minister of Justice, https://jam-news.net/?p=106350, Zugriff 7.6.2018

? RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.6.2018): Georgian Protest Leader Gives Authorities Progress Ultimatum, https://www.rferl.org/a/tbilisi-subway-workers-strike-as-new-antigovernment-protests-expected/29270264.html, Zugriff 7.6.2018

4. SICHERHEITSBEHÖRDEN

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen, was zu einem Verlust an Respekt geführt hat. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. Eine von NGOs angemahnte organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium ist bisher aber nicht durchgeführt worden (AA 11.12.2017).

Meinungsumfragen zeigen einen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Strafverfolgungssystem. Umfragen zufolge waren 2013 noch 60% der Georgier und Georgierinnen mit der Leistung der Polizei zufrieden. Dieser Wert fiel jedoch im April 2017 Jahres auf 38%. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Unzufriedenen mit der Polizei von einem einstelligen Prozentwert auf 14% (NDI/CRRC 4.2017).

Hochrangige Zivilbehörden üben nicht immer eine wirksame Kontrolle über das Innenministerium und den Staatssicherheitsdienst aus. Die zivilen Behörden behielten jedoch die effektive Kontrolle über das Verteidigungsministerium bei. Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungs- und Sicherheitskräfte ist begrenzt, und die nationale und internationale Aufmerksamkeit für Straflosigkeit hat zugenommen (USDOS 20.4.2018).

Georgien verfügt nicht über einen wirksamen unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden. Wenn Ermittlungen eingeleitet werden, führen sie häufig zu Anklagen, die geringere, unangemessene Sanktionen wie Amtsmissbrauch nach sich ziehen und selten zu Verurteilungen führen. Die Behörden weigern sich oft, denen, die Missbrauch vorwerfen, einen Opferstatus zu gewähren, und nehmen ihnen die Möglichkeit, die Ermittlungsakten einzusehen (HRW 18.1.2018).

Die Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Strafverfolgungsbeamte blieb bestehen, während die Regierung weiterhin einen unabhängigen Ermittlungsmechanismus versprach, aber nicht einführte. Im Juni 2017 schlug die Regierung statt eines unabhängigen Ermittlungsmechanismus eine neue Abteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft vor, die den mutmaßlichen Missbrauch durch Strafverfolgungsbeamte untersuchen sollte (AI 22.2.2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (11.12.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

? AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Georgia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425371.html, Zugriff 18.4.2018

? Eurasianet (5.7.2017): Georgia: Are the Police Backsliding? https://eurasianet.org/s/georgia-are-the-police-backsliding, Zugri

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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