TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/19 W124 2193963-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.12.2018
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Entscheidungsdatum

19.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W124 2193963-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III., IV. und V. gemäß §§ 3, 8, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VI. stattgegeben und gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 2 FPG festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In der mit dem BF vor einem Sicherheitsorgan der Polizeiinspektion XXXX am XXXX aufgenommenen Niederschrift gab dieser zu seiner Person im Wesentlichen an, er gehöre der Volksgruppe der Jat sowie der Religionsgemeinschaft der Sikhs an und spreche neben seiner Erstsprache Punjabi auch Hindi und Englisch. Zu seinen Fluchtgründen brachte er zusammengefasst vor, dass sein Onkel mit dessen Söhnen seine Landwirtschaft in Besitz genommen hätte. Als der BF sie daraufhin bei der Polizei angezeigt habe, sei er von ihnen immer wieder mit dem Umbringen bedroht und schikaniert worden. Einmal sei er auch geschlagen worden. Der Fall sei beim Bezirksgericht in XXXX anhängig.

3. Am XXXX wurde das Verfahren gem. § 24 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG eingestellt, da der Aufenthaltsort des BF weder bekannt noch sonst leicht feststellbar gewesen ist und eine Entscheidung ohne weitere Einvernahme nicht erfolgen konnte.

4. Am XXXX wurde dem BF von der Landespolizeidirektion Wien eine Ladung zur Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) am XXXX ausgefolgt.

Im Zuge dieser Einvernahme gab der BF an, er sei gesund und befinde sich weder in ärztlicher Behandlung, noch nehme er Medikamente. Zu seiner Person führte er aus, er sei in der Stadt XXXX , Distrikt XXXX im indischen Bundesstaat Punjab geboren, habe auch in XXXX gelebt und zwölf Jahre die Grundschule besucht. Berufstätig sei er nicht gewesen, habe aber seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. In XXXX würden seine Mutter, seine Schwestern sowie seine Tanten und Onkel leben. Zu seiner Mutter habe er nach wie vor Kontakt. Sein Vater, der beim Militär gearbeitet habe, sei bereits verstorben. Nunmehr beziehe seine Mutter die Pension des Vaters und bestreite dadurch ihren Lebensunterhalt. Die beiden Schwestern seien verheiratet.

Der BF habe bereits einmal einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt und sei Anfang XXXX zurück nach Indien gegangen. Seit seiner Antragstellung im Jahr XXXX habe er das Bundesgebiet nicht mehr verlassen.

Zu seinen Fluchtgründen führte er zusammengefasst aus, seine Probleme hätten im Jahr XXXX oder XXXX bzw. im Juni XXXX begonnen und würden noch andauern. Sein Onkel väterlicherseits und dessen drei Söhne seien wegen eines Grundstücksstreits hinter ihm her. Da gegen ihn ein Verfahren laufen würde, habe er das Land verlassen müssen. Im Fall seiner Rückkehr könnten sie ihn umbringen.

Das Grundstück gehöre seiner Mutter, der BF würde es aber später erben, weshalb er von dem Konflikt betroffen sei. Da seine Verwandten das Grundstück haben wollten, hätten sie beim Bezirksgericht XXXX ein Verfahren eingeleitet. Das auslösende Fluchtmoment im Jahr XXXX sei gewesen, dass sie ihn täglich geschlagen hätten und seine Mutter ihm gesagt habe, er solle erneut ausreisen. Im Jahr XXXX habe er denselben Fluchtgrund angegeben. Damals sei er nach Indien zurückgekehrt, da sein Vater nicht mehr dagewesen und seine Mutter stark erkrankt sei. Sie habe ihn zu sich gerufen. Als sie wieder gesund gewesen sei, habe sie ihm gesagt, er solle ausreisen, weil er andauernd belästigt werde.

Auf Vorhalt, es sei nicht glaubhaft, dass er im Zeitraum XXXX bis XXXX täglich geschlagen worden sei, erklärte er, er sei nicht zuhause gewesen, sondern habe sich bei Freunden aufgehalten. Seine Mutter sei im Spital gewesen und dort wären seine Verfolger nicht hingekommen. Auf weitere Nachfrage gab er an, er sei nicht täglich geschlagen worden. Vielmehr habe man ihn, als er im Dorf gewesen sei, zehn bis fünfzehn Tage geschlagen. Daraufhin habe er das Dorf verlassen und habe sich bei Freunden und Verwandten aufgehalten, wo er nicht gefunden worden sei. Als er nachhause gegangen sei, hätten sie ihn erneut geschlagen und nach ihm gesucht. Im September XXXX sei er zur Polizei gegangen. Seine Mutter habe einen Bericht aufnehmen lassen und sein Feind sei für zwei Tage in Haft gewesen. Danach sei er öfters geschlagen worden und sei daher geflüchtet.

Nach Aufforderung sein Vorbringen zu präzisieren, brachte der BF vor, das Grundstück bestehe aus zwei Teilen, wobei ein Teil seiner Mutter und der andere Teil seinem verstorbenen Großvater gehöre. Sein Onkel fordere dieses Erbe, weshalb es zum Grundstücksstreit gekommen sei. Trotz des anhängigen Gerichtsverfahrens schlage ihn sein Onkel ständig und unabhängig davon, wo er ihn finde. Er habe den BF in XXXX in XXXX gefunden, wo er ihn mit Eisenstangen geschlagen habe.

In Österreich habe der BF keine Familienangehörigen und lebe weder in einer Familiengemeinschaft noch einer familienähnlichen Gemeinschaft. Er lebe mit einigen Freunden ab und zu da und dort. In seiner Freizeit spiele er Fußball. Kurse oder Ausbildungen habe er in Österreich nicht absolviert. In Vereinen oder Organisationen im Bundesgebiet engagiere er sich nicht und nehme auch nicht auf andere Weise am sozialen bzw. kulturellen Leben in Österreich teil. Seinen Lebensunterhalt bestreite er durch seine Tätigkeit als Zeitungszusteller, wofür er monatlich € 300, -- erhalte.

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Einvernahme die Möglichkeit eingeräumt, in den vom Bundesamt zur Beurteilung herangezogenen Länderinformationsblatt Einsicht zu nehmen und Stellung zu beziehen.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstatt Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gem. § 57 nicht erteilt. (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gem. § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. und VII. wurde der Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG, die aufschiebende Wirkung aberkannt und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde.

Beweiswürdigend führte das Bundesamt im Hinblick auf die Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates zusammengefasst aus, der BF habe angegeben, er werde in Indien nach wie vor aus jenen Gründen verfolgt, die er im Zuge des Verfahrens über seinen Antrag auf internationalen Schutz im Jahr XXXX angegeben habe. Allerdings habe er behauptet, im Jahr XXXX nach Indien zurückgekehrt und dort bis zum Jahr XXXX gelebt zu haben. Im Fall einer tatsächlich andauernden Verfolgung wäre jedoch zumindest davon auszugehen gewesen, dass der BF das Land bereits früher verlassen hätte.

Zudem wies das Bundesamt darauf hin, dass der BF in der Erstbefragung vorgebracht habe, er werde von seinen Verwandten bedroht, da er sie infolge eines Grundstücksstreit angezeigt habe. In der Einvernahme am XXXX habe er zwar erklärt, ein Grundstücksstreit sei bei Gericht anhängig, allerdings würden seine weiteren Ausführungen vor dem Bundesamt seinen Angaben in der Erstbefragung widersprechen.

Ferner habe er angegeben, ein Teil des Grundstücks gehöre seiner Mutter, während der andere Teil seinem verstorbenen Großvater gehört habe, der kein Testament hinterlassen habe. Folglich sei sein Onkel vor Gericht gegangen. Bei Wahrunterstellung dieser Angaben sei nicht nachvollziehbar, weshalb er nunmehr von seinem Onkel verfolgt werde, da dem BF das Grundstück nicht gehöre. Abgesehen davon versuche seinen Angaben nach sein Onkel auf legalem Wege das Eigentum am Grundstück zu erlangen , indem er eine Klage bei Gericht eingebracht habe. Daher sei nicht nachvollziehbar, dass er den BF zusätzlich verfolge. Unverständlich sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Mutter des BF weiterhin unbehelligt in Indien leben könne.

Hinzu trete, dass der BF zunächst behauptet habe, ein Verfahren gegen ihn sei anhängig, während er dies auf Nachfrage verneint habe. Auch die Frage, ob er behördlichen Schutz in Anspruch genommen habe, habe der BF nur widersprüchlich beantwortet. Während er in der Erstbefragung behauptet habe, den Onkel angezeigt zu haben, habe er dies vor dem Bundesamt zunächst verneint. Auf weiteres Nachfragen habe er wiederum ausgeführt, er sei bei der Polizei gewesen. Daraufhin sei sein "Feind" für die Dauer von zwei Tagen inhaftiert worden. Auch die Zeitangaben hinsichtlich des Beginns der Verfolgungshandlungen seien unschlüssig, zumal der BF vorerst angab, die Verfolgung habe im Jahr 2013 bis 2014 begonnen, während er anschließend den Beginn mit Juni 2013 datiert habe.

Darüber hinaus seien seine Schilderungen auch äußerst vage gewesen. Konkrete Angaben zu den vermeintlichen Angriffen habe er nicht machen können. Zunächst habe er zum fluchtauslösenden Moment lediglich angegeben, geschlagen worden zu sein. Auf Aufforderung, sein Vorbringen zu konkretisieren, habe er nur angeben können, er sei nicht zuhause, sondern bei Freunden und Verwandten untergekommen. Der BF sei den Fragen ausgewichen und habe auf weiteres Nachfragen bloß angegeben, im Dorf sei er geschlagen worden und sei er daraufhin nach fünf oder zehn Tagen zu Freunden und Verwandten gegangen. Später habe er sein Vorbringen dahingehend ergänzt, dass er mit Eisenstangen geschlagen worden sei. Zudem habe er vorgebracht, dass er bei Freunden nicht aufgefunden werden habe können und gehe auch aus dem Länderinformationsblatt hervor, dass er über eine innerstaatliche Fluchtalternative verfüge. Weiters habe er selbst dargelegt, dass er sich im Herkunftsstaat an die Behörden habe wenden können.

Da es dem BF in Österreich ohne Sprachkenntnisse oder soziale Integration möglich gewesen sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, so sei es ihm auch zumutbar, sich in Indien in einem anderen Landesteil niederzulassen.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine Verfolgung i.S.d. GFK glaubhaft gemacht habe und eine solche auch nicht festgestellt werden hätte können. Zu Spruchpunkt II. wurde angegeben, dass auf Grund der Länderfeststellungen jedenfalls anzunehmen sei, dass der BF sich im Heimatland eine Existenz aufbauen könne und über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte in Indien verfüge. Darüber hinaus sei im Verfahren nichts hervorgetreten, was dazu Anlass gegeben habe, eine besondere Integration seiner Person in Österreich anzunehmen. Die Abschiebung des BF sei gemäß § 50 Abs. 1 FPG zulässig, als dadurch Art. 2 oder 3 EMRK bzw. das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe nicht verletzt werden würde.

6. Mit fristgerechter Beschwerde vom XXXX wurde der verfahrensgegenständliche Bescheid vollinhaltlich wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten und unter anderem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des BF der Wahrheit entspreche und ihm sohin im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe. Zudem habe es die belangte Behörde verabsäumt, sich mit der konkreten Situation des BF sowie der aktuellen Situation in Indien auseinanderzusetzen. Folglich sei eine rechtliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des BF nicht möglich gewesen.

7. Am XXXX langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VII. stattgegeben und dieser gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG iVm § 55 Abs. 4 FPG ersatzlos behoben.

9. Mit Schreiben vom XXXX ergänzte der BF seine Beschwerde im Wege seiner ausgewiesenen Vertreterin nach Zusammenfassung des Verfahrensgangs und des wesentlichen Vorbringens dahingehend, dass sich der BF bereits auf Deutsch verständigen könne, und sich nie etwas zu Schulden kommen habe lassen. Ferner hätten die generellen Länderfeststellungen keinen besonderen Bezug zur Situation und zum Vorbringen des BF, sondern seien wahllos zusammengestellt worden. Es bedürfe einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des BF, da seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich seien. Länderfeststellungen zum Thema Grundstücksstreitigkeiten würden fehlen. Mit der persönlichen Situation des BF habe sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Der BF sei ein arbeitsamer, freundlicher, integrationswilliger Mensch, der seine Chancen in Österreich nützen wolle. Er habe sich bemüht, den Gepflogenheiten anzupassen, arbeite als Zeitungszusteller und teile sich eine ortsübliche Unterkunft mit Freunden. Aufgrund der Aufenthaltsdauer von fünf Jahren, konkret seit dem XXXX , habe die belangte Behörde einen günstigeren Maßstab anzulegen.

10. Mit Schreiben vom XXXX wurde der Akt des Bundesasylamtes betreffend den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom XXXX , Zl. XXXX , dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt übermittelt. Aus dem Akt geht im Wesentlichen hervor, dass der BF im Zuge der Erstbefragung am XXXX angab, er habe seinen Herkunftsstaat aufgrund einer finanziellen Notlage verlassen, zumal es dort keine Arbeit gebe und er daher in Österreich arbeiten wolle. Andere Fluchtgründe habe er nicht. Mit Bescheid vom XXXX , zugestellt am XXXX durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch gemäß §§ 8 Abs. 2 iVm 23 ZustellG, wurde der Antrag des BF abgewiesen und wurde er nach Indien ausgewiesen.

11. Mit Schreiben vom XXXX wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Meldung der LPD XXXX übermittelt, woraus hervorgeht, dass der BF am

XXXX beim Grenzübergang XXXX betreten worden sei. Der BF habe einen gültigen indischen Reisepass, einen italienischen Personalausweis (Carta d'identita) und eine Aufenthaltskarte (permesso di soggiorno) mit Gültigkeit von XXXX bis XXXX mit sich geführt. Eine Auskunft der italienischen Datenbank habe ergeben, dass der BF seine Aufenthaltskarte bereits verlängert habe und diese am XXXX im Fremdenbüro zur Abholung bereitstehe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der 30-jährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien, stammt aus der Stadt XXXX im Distrikt XXXX im indischen Bundesstaat Punjab und ist Religionsangehöriger des Sikhismus sowie Angehöriger der Volksgruppe der Jat. Er ist ledig und hat keine Kinder. In XXXX besuchte er zwölf Jahre die Schule. Neben seiner Erstsprache Punjabi spricht er auch Hindi und Englisch. In Indien bestritt er seinen Lebensunterhalt, indem er seinen Vater bei der Arbeit in der Landwirtschaft unterstützte. Nach dem Tod seines Vaters erhielt die Familie dessen Pension, von welcher seine Mutter nach wie vor ihren Lebensunterhalt bestreitet. Seine Mutter lebt ebenso wie seine beiden verheirateten Schwestern, seine Onkel und seine Tanten in Indien. Zu seiner Mutter pflegt der BF nach wie vor Kontakt.

Am XXXX stellte der BF nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus einem der von ihm genannten Gründen - konkret wegen von seinem Onkel und seinen drei Cousins ausgehenden Angriffen infolge eines Grundstücksstreites - seinen Herkunftsstaat verlassen hat oder ihm aus diesen Gründen im Fall seiner Rückkehr eine Gefahr oder Verfolgung drohen würde.

Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

1.3. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. In Österreich lebt er weder in einer Familiengemeinschaft noch in einer familienähnlichen Gemeinschaft. Leistungen aus der Grundversorgung bezieht er nicht. Da er jedoch als Zeitungszusteller € 300,-- monatlich verdient, ist er nicht selbsterhaltungsfähig. Über einen festen Wohnsitz in Österreich verfügt er nicht. Er verfügt weder über nennenswerte Deutschkenntnisse, noch nahm er an Integrationskursen teil. In Vereinen oder Organisationen engagiert er sich nicht und nimmt auch nicht in anderer Weise am kulturellen Leben in Österreich teil. Der BF ist unbescholten.

1.4. Zur allgemeinen Situation in Indien werden folgende Feststellungen getroffen:

a) Politische Lage

Indien ist mit über 1,2 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 12.12.2016; vgl. auch: AA 16.8.2016, BBC 27.9.2016). Die - auch sprachliche - Vielfalt Indiens wird auch in seinem föderalen politischen System reflektiert, in welchem die Macht von der Zentralregierung und den Bundesstaaten geteilt wird (BBC 27.9.2016). Die Zentralregierung hat deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten (AA 9.2016a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 13.4.2016). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 9.2016a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 16.8.2016), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 9.2016a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 16.8.2016). Das oberste Gericht in New Delhi steht an der Spitze der Judikative (GIZ 11.2016). Die Entscheidungen der staatlichen Verwaltung (Bürokratie, Militär, Polizei) unterliegen überdies der Kontrolle durch die freie Presse des Landes, die nicht nur in den landesweiten Amtssprachen Hindi und Englisch, sondern auch in vielen der Regionalsprachen publiziert wird. Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2016a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 13.4.2016). Die Legislative besteht aus einer Volkskammer (Lok Sabha) und einer Staatenkammer (Rajya Sabha). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 16.8.2016).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 13.4.2016). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2012 ist Präsident Pranab Kumar Mukherjee indisches Staatsoberhaupt (AA 9.2016a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 11.2016).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 16.8.2016). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 16.8.2016).

Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis NDA (AA 16.8.2016), mit der hindu-nationalistischen BJP (AA 9.2016a) als stärkster Partei (282 Sitze), den Kongress an der Regierung ab (AA 16.8.2016). Die seit 2004 regierende Kongress-geführte Koalition unter Manmohan Singh erlitt hingegen große Verluste, womit Sonia Gandhi und Sohn Rahul nun auf die Oppositionsbank rücken (Eurasisches Magazin 24.5.2014; vgl. auch:

FAZ 16.5.2014, GIZ 11.2016). Die AAP, die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang landesweit nun nur vier Sitze (GIZ 11.2016; vgl. auch: FAZ 16.5.2014). Der BJP Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt (AA 16.8.2016) und steht seit 16.5.2014 (GIZ 11.2016) einem 65-köpfigen Kabinett vor (AA 16.8.2016).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 12.2016).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die Profilierung als aufstrebende Großmacht (AA 9.2016b). Ein ständiger Sitz im VN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 12.2016). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an. Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft (Association of Southeast Asian Nations - ASEAN) und Mitglied im "ASEAN Regional Forum" (ARF). Auch bilateral hat Indien in den letzten Monaten seine Initiativen in den Nachbarländern verstärkt. Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. In der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) hat Indien im Februar 2016 von Russland den diesjährigen Vorsitz übernommen. Bei ihrem Treffen in Ufa im Juli 2015 beschloss die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Indien und Pakistan nach Abschluss der Beitrittsprozeduren als Vollmitglieder aufzunehmen (AA 9.2016b).

Die Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich jüngst erneut zugespitzt. In den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit haben sich wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zur kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst.

Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmirproblem (AA 9.2016b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 12.2016).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze, kontrolliert Indien die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs, und war Indien maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016a): Indien, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_AC539C62A8F3AE6159C84F7909652AC5/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien, Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_F210BC76845F7B2BE813A33858992D23/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 29.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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CIA - Central Intelligence Agency (15.11.2016): The World Factbook

-

India,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 9.1.2017

-

Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 4.1.2017

-

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde,

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 4.1.2017

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (12.2016): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (11.2016): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, http://liportal.giz.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.12.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

b) Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven. Widersprüche, Gegensätze oder Konflikte entladen sich in den gesellschaftlichen Arenen und werden von der Politik aufgegriffen, verarbeitet und teilweise instrumentalisiert (GIZ 11.2016). Blutige Terroranschläge haben in den vergangenen Jahren in Indiens Millionen-Metropolen wiederholt Todesopfer gefordert (Eurasisches Magazin 24.5.2014). Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 11.2016). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 16.8.2016).

Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011

Mumbai, September 2011 New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 Chennai und Dezember 2014 Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2011 1.073 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt, für das Jahr 2012 803, für das Jahr 2013 885, für das Jahr 2014 976 für das Jahr 2015 722 und für das Jahr 2016 835 [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 9.1.2017).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2016).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 16.8.2016).

Pakistan und Indien

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 9.2016b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege, davon zwei aufgrund des umstrittenen Kaschmirgebiets. Friedensgespräche, die 2004 begannen, wurden trotz Spannungen wegen der Kaschmirregion und sich immer wieder ereignenden schweren Bombenaschlägen bis zu den von Islamisten durchgeführten Anschlägen in Mumbai 2008, fortgesetzt (BBC 27.9.2016).

Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und der jüngste terroristische Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Indien reagierte auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. In der Folge kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 9.2016b). Bei einem Treffen in New York Ende September 2013 vereinbarten die Premierminister Singh und Sharif lediglich, den Waffenstillstand künftig besser einhalten zu wollen (GIZ 11.2016a). Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist über die aktuellen Entwicklungen zum Stillstand gekommen. Noch am Weihnachtstag 2015 hatte Premierminister Modi seinem pakistanischen Amtskollegen einen Überraschungsbesuch abgestattet und damit kurzzeitig Hoffnungen auf eine Entspannung aufkeimen lassen (AA 9.2016b).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (16.8.2016): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016b): Indien - Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_09493FC61FD08185D486477F8D93E1EE/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Indien/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 5.12.2016

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BBC - British Broadcasting Corporation (27.9.2016): India country profile - Overview,

http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 5.12.2016

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Eurasisches Magazin (24.5.2014): Wohin geht die größte Demokratie der Erde?,

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Indien-nach-den-Wahlen-eine-Analyse/14017, Zugriff 5.12.2016

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2016a): Indien,

http://liportal.giz.de/indien/geschichte-staat.html, Zugriff 5.12.2016

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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SATP - South Asia Terrorism Portal (9.1.2017): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2016,

http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 9.1.2017

b.1. Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Millionen. im Punjab (MoHA o.D.) und bilden dort die Mehrheit (USDOS 10.8.2016).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren aus anderen Unionsstaaten oder Pakistan. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2016). Nichtstaatliche Kräfte, darunter organisierte Aufständische und Terroristen, begehen jedoch zahlreiche Morde und Bombenanschläge im Punjab und Konfliktregionen wie etwa Jammu und Kaschmir (USDOS 13.4.2016). Im Juli 2015 griffen Mitglieder einer bewaffneten Gruppe eine Polizeiwache und einen Busbahnhof in Gurdaspur im Bundesstaat Punjab an und töteten drei Zivilpersonen und vier Polizisten. 15 Personen wurden verletzt (USDOS 2.7.2016; vgl. auch: AI 24.2.2016). Es handelte sich dabei um den ersten größeren Anschlag seit den Aktivitäten militanter Sikhs in 1980er und 1990er Jahren (USDOS 2.7.2016).

Im Oktober 2015 gab es in fünf Distrikten des Punjab weitverbreitete und gewalttätige Proteste der Sikhs gegen die Regierung in Punjab. Dabei hat die Polizei auf Protestanten geschossen und zwei Personen getötet sowie 80 Personen verletzt. Grund der Proteste waren Berichte, laut denen unbekannte Täter das heilige Buch der Sikhs entweiht hätten. Die Polizei hat ein Duzend Protestanten wegen versuchten Mordes, Beschädigung öffentlichen Eigentums und des Tragens von illegalen Waffen festgenommen. Was die Aufarbeitung der Gewaltausbrüche im Jahr 1984, bei denen 3.000 Menschen, darunter hauptsächlich Sikhs, ums Leben gekommen seien betrifft, so kommen Gerichtsverfahren nur langsam voran. Zivilgesellschaftliche Aktivisten und Interessensverbände der Sikhs zeigen sich weiterhin besorgt, dass die Regierung die Verantwortlichen noch nicht zur Rechenschaft ziehen konnte (USDOS 10.8.2016).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne der ISI bekannt, die gemeinsam mit BKI und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2016). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 13.4.2016; vgl. auch:

BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2016). Ehrenmorde stellen vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 10% aller Tötungen in diesen Staaten sogenannte Ehrenmorde sind (USDOS 13.4.2016).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte (Folter, Folter mit Todesfolge, extra-legale Tötungen etc.) interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2016).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte Die Sikhs, 60% der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 12.2016).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 12.2016).

Quellen:

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - India, http://www.ecoi.net/local_link/319831/466697_de.html, Zugriff 5.1.2017

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BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?,

http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 5.1.2017

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MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 5.1.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2016):

Asylländerbericht Indien

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, http://www.ecoi.net/local_link/322482/461959_de.html, Zugriff 5.12.2016

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USDOS - US Department of State (2.7.2016): Country Report on Terrorism 2015 - Chapter 2 - India, http://www.ecoi.net/local_link/324726/464424_de.html, Zugriff 5.1.2017

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USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - India, http://www.ecoi.net/local_link/328426/469205_de.html, Zugriff 21.12.2016

c) Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig lange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 16.8.2016; vgl. auch:

USDOS 13.4.2016). Eine generell diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 24.4.2015).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2016). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht ist in jedem Unionsstaat. Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen. Er führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2016).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums ergab mit 1.8.2015 eine Vakanz von 34% der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 13.4.2016). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 16.8.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Richter zeigten einen beträchtlichen Einsatz in der Bearbeitung von sogenannten "Public Interest Litigation" (Klagen im öffentlichen Interesse). Insbesondere in unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2016). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70% aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 16.8.2016).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 16.8.2016).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu eine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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