TE Bvwg Beschluss 2019/1/15 I419 2205169-1

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Veröffentlicht am 15.01.2019
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Entscheidungsdatum

15.01.2019

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

I419 2205169-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Erich Nagel und Stefan Frieß als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des AMS XXXX vom XXXX, Zl. XXXX, beschlossen:

A) Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit

zur Erlassung eines neuen Bescheides an das AMS zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin bezog aufgrund eines Antrags vom 05.10.2017 Notstandshilfe. Mit dem bekämpften Bescheid sprach das AMS aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG für 21.06. bis 01.08.2018 verloren habe und ihr keine Nachsicht erteilt werde. Sie habe die Arbeitsaufnahme als Abwäscherin in einem näher bezeichneten Hotelbetrieb vereitelt, Gründe für eine Nachsicht seien nicht zu berücksichtigen gewesen.

2. Beschwerdehalber brachte die Beschwerdeführerin vor, wegen ihrer schlechten Erfahrungen im Gastronomiebereich habe sie beim potenziellen Arbeitgeber angegeben, dass sie Angst habe, wieder im Gastgewerbe zu arbeiten. Sie habe sich auf alle zugewiesenen Stellen beworben, sei wegen der genannten schlechten Erfahrungen neuerlich beim Psychotherapeuten und ersuche um Fortsetzung der Leistungsauszahlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Die Beschwerdeführerin leidet seit Jahren an chronisch gewordenen Schmerzen der Hände und - starken - der Arme, womit mit Letzteren seit einer Operation insofern Kraftlosigkeit einhergeht als ihr das Öffnen von Flaschen, Tragen von Tabletts, Heben von Bierkisten und andere Tätigkeiten nicht möglich sind, die erhöhte Kraftleistung erfordern. Am 10.08.2018 hat sie einen Antrag auf Invaliditätspension gestellt.

1.2 In der Betreuungsvereinbarung mit dem AMS vom 25.10.2017 ist festgehalten, dass die Beschwerdeführerin "gesundheitliche Einschränkungen hat", die bei der Stellensuche berücksichtigt werden müssen, und das AMS sie bei der Suche einer Stelle als Reinigungskraft unterstützt. Dieser Berufswunsch ist auch noch im Stelleninserat vermerkt, welches das AMS am 24.04.2018 vorschlug. In einem weiteren Inseratenentwurf ist weiters "Küchenreinigung" angeführt.

1.3 Die Beschwerdeführerin besuchte neun Jahre die Sonder- und anschließend eine Haushaltungsschule. Sie war mehrmals in ambulanter psychiatrischer Behandlung, erstmals spätestens 2011 und jedenfalls auch 2018. Das AMS wusste spätestens seit 16.08.2012 davon.

Sie war erstmalig 1992/93 als Küchenhilfskraft im XXXX beschäftigt, 1994/95 als Küchenmitarbeiterin in einem anderen Bezirk. Weiters war sie als Arbeiterin in einem Industriebetrieb, als Reinigungskraft und als Arbeiterin in einem sozialökonomischen Betrieb tätig, wo sie zuletzt 2014 vollversichert beschäftigt war.

1.4 Der Beschwerdeführerin wurde im beruflichen Umfeld wiederholt vorgeworfen, sie sei zu langsam und für die Arbeit nicht geeignet. Sie musste sich im November 2017 einer XXXX unterziehen. Ihre gesundheitlichen Leiden sowie ihre berufliche und private Situation haben ihr Selbstvertrauen beeinträchtigt und lassen sie fürchten, unter normalen Arbeitsbedingungen überfordert oder überlastet zu werden. Diese Befürchtung teilt auch ihr Psychotherapeut. Sie war von 06.04. bis 23.12.2018 geringfügig beschäftigt in einem Gastgewerbebetrieb am Wohnort und dabei sehr zufrieden.

1.5 Die Beschwerdeführerin ist verheiratet und hat mit ihrem Gatten zwei Kinder, die 15 und 19 Jahre alt sind und zuhause wohnen. Das jüngere absolviert eine Lehre, das ältere arbeitete in den Sommerferien. Das Ehepaar weist aus Wohnbaudarlehen Bankschulden von rund € 130.000,-- auf. Der Ehegatte ist Arbeiter in einem Industriebetrieb.

1.6 Die Beschwerdeführerin hat sich unter anderem im April 2018 für eine Stelle in einem Braugasthof beworben, wobei kein Beschäftigungsverhältnis zustande kam, weil sie zu wenig Praxis aufwies und zu Dienstbeginn morgens keine Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich war.

1.7 Ihr wurde am 08.06.2018 eine Saisonstelle als Abwäscherin im Abenddienst zum Kollektivvertragslohn zuzüglich Verpflegung in einem Hotel in der Bezirkshauptstadt zugewiesen. An Ort und Stelle erklärte sie am 21.06.2018, dass sie Angst habe, wieder im Gastgewerbe zu arbeiten.

Es kam deshalb in der Folge zu keiner Anstellung der Beschwerdeführerin bei dem Unternehmen. Dieses teilte dem AMS mit, die Beschwerdeführerin habe die Annahme der Stelle verweigert. Diese habe Angst und wolle nicht.

Vor der Erlassung des bekämpften Bescheids hat die Beschwerdeführerin niederschriftlich befragt erklärt, betreffend die Stelle unter dem Aspekt ihrer körperlichen Fähigkeiten, Gesundheit und Sittlichkeit (und auch sonst) keine Einwendungen zu haben. Sie hat weiters angegeben, sie habe Angst, dass sie "es im Gastgewerbe nicht schaffe". Sie habe in einem näher genannten Wirtshaus ein Dienstverhältnis gehabt zu haben, wo der Chef mit ihr "nur gebrüllt" habe. Seither habe sie Angst, im Gastgewerbe zu arbeiten.

1.8 Der Arbeitsort der zugewiesenen Beschäftigung wäre rund 5 km vom Wohnsitz entfern gewesen, die Wegzeit hätte pro Richtung unter einer Stunde betragen.

1.9 Es kann nicht festgestellt werden, ob die angebotene Stelle den körperlichen Fähigkeiten der Beschwerdeführerin entsprach und deren Gesundheit nicht gefährdete.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Der Umstand des Bezuges der Notstandshilfe und der Rest des festgestellten objektiven Sachverhalts ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt des Akts der belangten Behörde, ausgenommen Punkte 1.8 und 1.9.

2.2 Die Entfernung und die Wegzeit zwischen Wohn- und Arbeitsadresse ergaben sich durch die Eingabe der Anschriften in den Routenplaner des Verkehrsverbunds (fahrplan.vvt.at).

2.3 Als Anforderungen seitens des potenziellen Arbeitgebers waren - neben einer Saison Vorpraxis - Besteck-, Geschirr- und Gläser- sowie Reinigung der Küche angeführt. Die Arbeitszeiten waren mit 17 oder 18 Uhr bis 22 Uhr angegeben.

Die Beschwerdeführerin hat vom AMS befragt unter dem Aspekt ihrer körperlichen Fähigkeiten, Gesundheit und Sittlichkeit keine Einwendungen erhoben. Sie hat aber hinreichend deutlich gemacht, dass sie daran zweifelt, den Aufgaben gewachsen zu sein.

Aus der erstgenannten Erklärung lässt sich zwar folgern, dass sich die Beschwerdeführerin eingedenk ihrer bereits vorhandenen Kenntnisse des Küchendiensts grundsätzlich fähig sah, Arbeit der angebotenen Art zu verrichten. Darauf deuten auch die gleichzeitige geringfügige Beschäftigung und ihre Bewerbung beim Baugasthof hin.

Die im Folgenden unter "berücksichtigungswürdige Gründe" erwähnte Angst, es im Gastgewerbe nicht zu schaffen, weist allerdings in die gegenteilige Richtung, zumal mit Rücksicht auf das Bildungsniveau und die bisherige Laufbahn der Beschwerdeführerin von dieser keine mit eigenen Worten formulierte, ausführliche und schlüssige Darlegung ihrer Bedenken (schon gar nicht deren rechtliche Klassifizierung) erwartet werden durfte.

Auch wenn die konkreten, unter 1.1 festgestellten physischen Einschränkungen sich erst nachträglich aus der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bestätigung eines Neurologen vom 17.07.2018 ergaben (die auch die Aussage enthält, dass die Beschwerdeführerin "bis auf weiteres" als nicht arbeitsfähig gelte), lässt dieser Bestätigung doch entnehmen, dass die Beschwerdeführerin seit längerem die angegebenen Leiden hat.

Das Gericht geht unter diesen Umständen nicht davon aus, es wäre feststellbar, dass die angebotene Stelle erwiesener Maßen objektiv gesehen den körperlichen Fähigkeiten der Beschwerdeführerin entsprach und nicht deren Gesundheit oder Sittlichkeit gefährdete.

2.4 Daran vermag auch die Feststellung nichts zu ändern, dass die Beschwerdeführerin zur gleichen Zeit - und sehr zufrieden - bereits in einem anderen Gastgewerbe-Betrieb tätig war, zumal diese Beschäftigung nur geringfügig, also zeitlich kürzer war, und zudem ungeklärt blieb, ob sie auch Tätigkeiten umfasste, für die eine "erhöhte" Kraftleistung angeführten Sinn nötig ist. Letzteres bleibt auch für die schließlich vereitelte Beschäftigung unklar, weil eben z. B. das maschinelle Spülen von Geschirr je nach Arbeitsablauf durchaus auch das Anheben von Geschirr- bzw. Gläserkörben umfassen kann, deren Gewicht jenes von Bierkisten erreicht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

3.1 § 10 Abs. 1 AlVG legt fest, dass eine Person, die sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle des AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die auf diese Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Das gilt nach § 38 AlVG auch für die Notstandshilfe.

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit dieser im angefochtenen Bescheid verhängten Sanktion ist, dass die zugewiesene Beschäftigung als zumutbar und auch sonst geeignet in Betracht kommt, der Arbeitslose ein Verhalten gesetzt hat, das geeignet war, das Zustandekommen der Beschäftigung zu vereiteln, und dass dieses Verhalten kausal für das Nichtzustandekommen sowie vorsätzlich darauf gerichtet war.

3.2 Die Beschwerdeführerin bringt sinngemäß vor, der Ausspruch des Verlusts oder jedenfalls die Nichtgewährung der Nachsicht seien nicht rechtens, da sie zurecht ihre Angst vor Tätigkeiten im Gastgewerbe geltend gemacht und sich auf alle Stellen beworben habe.

Vor dem AMS hat sie konkret davon gesprochen, dass sie fürchte, es im Gastgewerbe nicht zu schaffen. Insgesamt ergibt sich damit das Vorbringen einer drohenden Überforderung in der angebotenen beruflichen Position.

3.3 Es ist fallbezogen hervorzuheben, dass eine zumutbare angebotene Beschäftigung den körperlichen Fähigkeiten zu entsprechen hat ("angemessen ist", § 9 Abs. 2 AlVG). Dabei kommt es neben den physischen bzw. manuellen auch auf geistige bzw. psychische an, generell auf "die psychische Eignung der betreffenden Person" (Julcher in Pfeil, Der AlV-Komm, Rz. 30 zu § 9; Pfeil, Arbeitslosenversicherungsrecht3 §§ 9 - 11 Anm. 3.1; vgl. VwGH 12.09.2012, 2011/08/0018).

3.4 Die beschriebene Einschränkung der oberen Extremitäten (keine manuellen Tätigkeiten, die "eine erhöhte Kraftleistung erfordern" etc.) vermag zwar die von Neurologen gezogene Schlussfolgerung genereller Arbeitsunfähigkeit nicht zu tragen, schon deshalb, weil es notorisch eine Vielzahl von bezahlten Tätigkeiten (auch einfacher Art) gibt, bei denen keine solche Kraftleistung erforderlich ist, z. B. das Sortieren und Polieren von Gläsern und Besteck, sodass (würde die Beschwerdeführerin arbeiten) nicht zwingend "mit wiederholten wochenlangen bis monatelangen Krankenständen gerechnet werden" muss, zumindest nicht, solange der Neurologe nicht weitere Argumente angibt.

Bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz konnte allerdings umgekehrt auch nicht festgestellt werden, dass er in dem unter 3.3 angeführten Sinn den körperlichen Voraussetzungen entsprach, welche die Beschwerdeführerin aufweist. Die Beschwerdeführerin hat zwar nicht ausdrücklich vorgebracht, sie könne die konkrete angebotene Arbeit nicht verrichten, jedoch ist die Frage der Zumutbarkeit der Beschäftigung vor Erlassung eines Bescheids nach § 10 Abs. 1 AlVG von Amts wegen zu prüfen.

3.5 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass dem AMS bereits vor der Einvernahme der Beschwerdeführerin nicht nur deren vorangegangene Operation, sondern auch die ambulante Psychotherapie bekannt war. Auch wenn die Beschwerdeführerin seit 2016 nur einmal krankgemeldet war, nämlich nach ihrer XXXX, wäre es daher geboten gewesen, nach den Ausführungen betreffend die branchenspezifische subjektive Unsicherheit, "Angst" es zu schaffen, vor einer Entscheidung (auch) zu erheben, wie es um die psychische Vereinbarkeit der Tätigkeit - samt ihrem Umfang - mit den Voraussetzungen der Beschwerdeführerin bestellt ist, um sicher zu sein, dass eine Gesundheitsgefährdung auch insoweit ausscheidet.

3.6 Aus diesem Grund hätte das AMS seine Entscheidung jedenfalls auf Basis der ihm bekannten Beeinträchtigungen und Therapien und daran anknüpfender arbeitsmedizinscher oder anderer ärztlicher Gutachten sowie auf diese bezogen mit eine überprüfbaren Begründung zu erlassen oder - je nach Ergebnis - von einer solchen abzusehen gehabt. Der angefochtene Bescheid erging ohne diese erforderlichen Ermittlungen zu den körperlichen Fähigkeiten im Sinn des § 9 AlVG, und damit zu Unrecht.

Zur Zurückverweisung zur Erlassung eines neuen Bescheids:

3.7 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z. 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z. 2).

Nach § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Beschwerdevorlage unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.8 Im vorliegenden Fall hat das AMS verkannt, dass einer Entscheidung über den Anspruchsverlust angesichts der bekannten medizinischen Umstände die fachlich fundierte Feststellung der Angemessenheit der Beschäftigung bezogen auf das Vorbringen voranzugehen gehabt hätte, wonach sie fürchte, dass diese Ihre Fähigkeiten übersteigen werde.

Die Feststellung wäre anhand des Vergleichs von Fähigkeiten und Erfordernissen zu treffen gewesen, nachdem auch beim konkreten Arbeitgeber erhoben worden wäre, welche Arbeiten genau von der Beschwerdeführerin verlangt worden wären. Zur beabsichtigten Feststellung wäre dieser sodann Parteiengehör zu gewähren gewesen, und zwar unter Verweis auf die Ergebnisse der Beweisaufnahmen.

3.9 Das AMS hat demgegenüber lediglich eine Niederschrift aufgenommen, in der auf zwei unvollständige und einen vollständigen Satz reduziert die Angabe berücksichtigungswürdiger Gründe protokolliert wurde. Eine Manuduktion der Beschwerdeführerin ist ebenso wenig vermerkt wie die Dauer der Amtshandlung.

Anschließend erging der angefochtene Bescheid. Der Sachverhalt war bis dahin bloß ansatzweise ermittelt. Das AMS hat somit im Bescheid keine hinreichende Sachverhaltsfeststellung und deswegen keine auf eine solche aufbauende rechtliche Würdigung vorgenommen.

3.10 Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell dem des § 66 Abs. 2 AVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 f AVG sind auch die Bedeutung und die Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen. Die Einräumung eines Instanzenzugs darf nicht mangels sachgerechten Eingehens und brauchbarer Ermittlungsergebnisse [in erster Instanz] "zur bloßen Formsache degradiert" werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. Als Sachverhalt hat sie daher alle Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 28.07.1994, 90/07/0029 mwH).

Dennoch kommt eine Aufhebung des Bescheids nach § 28 Abs. 2 Z. 1 f VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen, besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden" (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Wie erwähnt, hat das AMS nur ansatzweise ermittelt. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind auch deshalb nicht gegeben, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung weder im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, zumal sich Arbeitgeber, Fachärzte und AMS-Dienststelle in derselben Stadt befinden und die Beschwerdeführerin in einem rund 5 km entfernten Vorort wohnt, während deren Entfernung zum Gerichtsstandort rund 3 Stunden pro Richtung mit PKW bzw. 4 Stunden pro Richtung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausmacht.

Da somit die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Zurückverweisung aus verwaltungsökonomischen und Gründen des Rechtsschutzes nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Fall der mangelhaften Sachverhaltsermittlung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, körperliche Eignung, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I419.2205169.1.00

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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