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L92003 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Niederösterreich;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, BSc, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung in 3109 St. Pölten, Landhausplatz 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 9. Mai 2018, Zl. LVwG-AV-59/001-2018, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn; mitbeteiligte Partei: M L in H, vertreten durch den Erwachsenenvertreter K L in H), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben, als darin über Geldleistungen für den 16. Oktober 2017 abgesprochen und die Mitbeteiligte am 16. Oktober 2017 bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse krankenversichert wird.
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1 1. Mit Antrag vom 16. Oktober 2017, eingelangt bei der belangten Behörde am 17. Oktober 2017, begehrte die Mitbeteiligte Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung.
2 2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19. Dezember 2017 wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag der Mitbeteiligten auf Leistungen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag auf Leistungen bei Krankheit abgewiesen.
3 3. Mit dem infolge einer Beschwerde der Mitbeteiligten ergangenen angefochtenen Erkenntnis vom 9. Mai 2018 wurden der Mitbeteiligten - in Abänderung des erwähnten Bescheides - (unter Punkt 1.I.) Geldleistungen nach dem Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) vom 16. Oktober 2017 bis 15. April 2018 in jeweils bestimmter Höhe zuerkannt und (unter Punkt 1.II.) ausgesprochen, dass die Mitbeteiligte "ab dem 16.10.2018 längstens bis zum 15.4.2018" bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse krankenversichert werde.
4 Das Verwaltungsgericht stellte im Wesentlichen fest, dass die volljährige, nicht selbsterhaltungsfähige Mitbeteiligte mit ihrem Vater und ihrer Schwester in einer gemeinsamen Wohnung lebe. Der Vater beziehe von der Pensionsversicherungsanstalt einen monatlichen Betrag von EUR 1.409,80 (im Jahr 2017) bzw. EUR 1.432,50 (im Jahr 2018). Für die Mietkosten von EUR 361,44 komme der Vater alleine auf. Die Mutter lebe von der Familie getrennt und beziehe ein monatliches Einkommen von EUR 600.
5 Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - damit, dass der vom Vater der Mitbeteiligten und ihrer Schwester "in Form von Wohnen" geleistete Naturalunterhalt (in der Höhe von jeweils EUR 120,48) von dem nach § 8 Abs. 2 NÖ MSG errechneten Überschuss seines Einkommens abzuziehen sei, weil andernfalls jener Teil des Einkommens des Vaters, mit welchem der Wohnbedarf der Mitbeteiligten durch Zahlung der Mietkosten gedeckt werde, gleichzeitig auch zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts herangezogen würde.
6 Da der Mitbeteiligten für den gegenständlichen Zeitraum Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gewährt würden, seien gemäß § 12 Abs. 3 NÖ MSG auch die Leistungen bei Krankheit entsprechend zu gewähren.
7 Die Revision ließ das Verwaltungsgericht nicht zu. 8 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende
außerordentliche Revision gemäß § 34 NÖ MSG, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat.
9 Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 1. Die Zulässigkeitsausführungen der außerordentlichen Revision wenden sich mit näherer Begründung gegen die Berücksichtigung von Ausgaben bzw. Zahlungsverpflichtungen einer unterhaltsverpflichteten Person bei der Einkommensanrechnung gemäß § 8 Abs. 2 NÖ MSG sowie gegen die ausgesprochene Krankenversicherung der Mitbeteiligten bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse. Darüber hinaus wird - näher begründet - geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe seine Kognitionsbefugnis überschritten, indem es der Mitbeteiligten bereits ab dem 16. Oktober 2017 Leistungen zuerkannt habe.
11 2. Die Revision ist zulässig und begründet. 12 3. Die - zeitraumbezogen - maßgeblichen Bestimmungen des Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetzes lauten wie folgt:
"§ 8
Berücksichtigung von Leistungen Dritter
(...)
(2) Das Einkommen eines mit der Hilfe suchenden Person im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten bzw. einer Ehegattin, eines eingetragenen Partners bzw. einer eingetragenen Partnerin oder einer sonst unterhaltsverpflichteten Person sowie eines Lebensgefährten bzw. einer Lebensgefährtin ist bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit zu berücksichtigen, als es den für diese Personen nach § 11 Abs. 1 maßgebenden Mindeststandard übersteigt.
(...)
(3) Kann die Hilfe suchende Person glaubhaft machen, von den in Abs. 2 genannten Personen keine Leistungen oder nur in einem geringeren Ausmaß zu erhalten und kommt auch eine Rechtsverfolgung nach Abs. 5 nicht in Betracht, ist ihr der entsprechende Mindeststandard für eine volljährige Person in Haushaltsgemeinschaft (§ 11 Abs. 1) bzw. der entsprechende Differenzbetrag auf diesen Mindeststandard zu gewähren.
(...)
Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung
§ 9
Allgemeines
(...)
(2) Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes (Abs. 1 Z 1) oder zur Deckung des Wohnbedarfes (Abs. 1 Z 2) werden grundsätzlich durch einmalige oder laufende Geldleistungen (Mindeststandards) erbracht. Laufende Geldleistungen werden jeweils am Monatsletzten im Nachhinein fällig. Zur Vermeidung von Härtefällen kann bei der erstmaligen Auszahlung ein Vorschuss gewährt werden.
(2a) Geldleistungen nach Abs. 2 gebühren aliquot ab Antragstellung, wobei der Kalendermonat einheitlich mit 30 Tagen anzunehmen ist.
(...)
§ 12
Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung
(1) Leistungen zum Schutz bei Krankheit (einschließlich Zahnbehandlung und Zahnersatz), Schwangerschaft und Entbindung umfassen jene Sachleistungen und Vergünstigungen, wie sie Bezieherinnen oder Bezieher einer Ausgleichszulage aus der Pensionsversicherung von der NÖ Gebietskrankenkasse beanspruchen können.
(2) Das Land stellt die Leistungen nach Abs. 1 durch Übernahme der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung für die nach § 9 ASVG in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogenen Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sicher. (...)
(3) Das Land hat die Krankenversicherungsbeiträge für die Dauer des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach diesem Gesetz zu entrichten.
(...)"
13 4. Zur Gewährung von Leistungen für den 16. Oktober 2017:
14 Gemäß § 9 Abs. 2a NÖ MSG gebühren Geldleistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes oder zur Deckung des Wohnbedarfes ab Antragstellung.
15 Der mit 16. Oktober 2017 datierte Antrag der Mitbeteiligten auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung langte unstrittig am 17. Oktober 2017 bei der belangten Behörde ein. Erst an diesem Tag kann daher von einer Antragstellung durch die Mitbeteiligte die Rede sein. Demgemäß ging auch der vor dem Verwaltungsgericht bekämpfte Bescheid der belangten Behörde vom 19. Dezember 2017 von einer Antragstellung am 17. Oktober 2017 aus und sprach über Leistungen der Mindestsicherung ab diesem Zeitpunkt ab.
16 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannt hat und erstmals über einen Leistungszeitraum - sowohl die Geldleistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung als auch die darauf aufbauend zuerkannten Leistungen bei Krankheit betreffend - beginnend mit dem 16. Oktober 2017 abgesprochen hat, hat es die Sache des von ihm zu überprüfenden Verwaltungsverfahrens überschritten (vgl. VwGH 2.7. 2018, Ro 2017/12/0011, sowie 26.1.2017, Ra 2016/21/0186).
17 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher hinsichtlich der für den 16. Oktober 2017 zuerkannten Leistungen als rechtswidrig infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts (vgl. dazu nochmals VwGH Ro 2017/12/0011 und Ra 2016/21/0186 sowie etwa auch VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0028), weshalb es insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben war.
18 5. Zur Berücksichtigung von Ausgaben einer unterhaltsverpflichteten Person im Rahmen der Einkommensanrechnung gemäß § 8 Abs. 2 NÖ MSG:
19 5.1. Das Verwaltungsgericht hat vor dem Hintergrund, dass der Vater der Mitbeteiligten die Mietkosten in Höhe von EUR 361,44 (wovon jeweils EUR 120,48 auf die Mitbeteiligte und ihre Schwester entfielen) aus seinem Einkommen bestreitet, von dem nach § 8 Abs. 2 NÖ MSG errechneten Überschuss des Einkommens des Vaters diesen von ihm "in Form von Wohnen" geleisteten Naturalunterhalt in Abzug gebracht.
20 5.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 4. Juli 2018, Ra 2017/10/0215, 0216, ausgesprochen hat, stellt § 8 Abs. 2 NÖ MSG nur auf das den maßgeblichen Mindeststandard überschreitende Einkommen des in dieser Bestimmung genannten Personenkreises ab. Vom konkreten Einkommen zu leistende Zahlungen werden nach dieser Bestimmung nicht berücksichtigt.
21 § 8 Abs. 2 NÖ MSG bietet daher keine Grundlage für die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Berücksichtigung der vom Vater der Mitbeteiligten tatsächlich geleisteten Wohnkosten.
22 Eine Berücksichtigung dieser Wohnkosten nach § 8 Abs. 3 NÖ MSG käme wiederum nur bei Vorliegen der in dieser Bestimmung normierten Voraussetzungen in Betracht; also im Falle der Glaubhaftmachung durch die Mitbeteiligte, dass sie ihr zustehende Leistungen nur in geringerem Ausmaß erhalte, und bei Ausscheiden einer Rechtsverfolgungsobliegenheit gemäß § 8 Abs. 5 NÖ MSG. Anhaltspunkte für diese Voraussetzungen fehlen allerdings.
23 5.3. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich derart, soweit darin der Mitbeteiligten Geldleistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ab dem 17. Oktober 2017 zugesprochen wurden, als mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet und war somit insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
24 6. Zur Krankenversicherung der Mitbeteiligten bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse:
25 6.1. Gemäß § 12 Abs. 3 NÖ MSG hat das Land die Krankenversicherungsbeiträge für die Dauer des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu entrichten.
26 Mit der gemäß § 42 Abs. 3 VwGG ex tunc wirkenden Aufhebung (vgl. dazu etwa VwGH 17.12.2015, 2013/05/0142, mwN) des angefochtenen Erkenntnisses, soweit darin der Mitbeteiligten Geldleistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ab 17. Oktober 2017 zuerkannt wurden, ist diesem auch, soweit darin über Leistungen bei Krankheit (§ 12 NÖ MSG) ab dem 17. Oktober 2017 abgesprochen wurde, die Grundlage entzogen, weil die Entrichtung von Krankenversicherungsbeiträgen durch das Land nach § 12 Abs. 3 NÖ MSG an den Bezug von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gekoppelt ist.
27 6.2. Aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis auch insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
28 Ein Eingehen auf die in der Revision aufgeworfene Frage, ob ein Antrag auf Leistungen bei Krankheit von der Mitbeteiligten überhaupt gestellt worden bzw. von ihrem Antrag mitumfasst gewesen ist, konnte bei diesem Ergebnis unterbleiben.
Wien, am 30. Jänner 2019
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltBesondere RechtsgebieteBeschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018100098.L00Im RIS seit
20.02.2019Zuletzt aktualisiert am
04.03.2019