TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/15 G314 2207296-1

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Veröffentlicht am 15.10.2018
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Entscheidungsdatum

15.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

G314 2207296-1/4E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, albanische Staatsangehörige, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid vom 30.08.2018, Zl. XXXX, betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids) beschlossen und zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids

wird Folge gegeben. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) beantragte am 24.10.2017 in Österreich internationalen Schutz. Als Fluchtgründe gab sie zusammengefasst an, dass sie von Familienmitgliedern wegen ihrer Konversion vom Islam zum katholischen Glauben geschlagen und bedroht worden sei; außerdem sollte sie in ihrer Heimat gegen ihren Willen mit einem ihr unbekannten Mann verheiratet werden.

Nach der Erstbefragung und ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde der Antrag der BF mit dem oben angeführten Bescheid hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ihr kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen sie gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Albanien zulässig sei (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Spruchpunkt VI. wurde damit begründet, dass die BF aus einem sicheren Herkunftsstaat stamme. Im angefochtenen Bescheid wird dazu weiter ausgeführt:

"Für die Behörde steht fest, dass für Sie bei Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung gegeben ist. Sie bedürfen daher nicht des Schutzes Österreichs. Es ist in Ihrem Fall davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesens geboten ist. Da Ihrem Antrag auf internationalen Schutz keine Aussicht auf Erfolg beschieden ist und Ihnen auch keine sonstige reale und menschenrechtsrelevante Gefahr im Herkunftsstaat droht, ist es Ihnen zumutbar, den Ausgang Ihres Asylverfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten. Ihr Interesse auf einen Verbleib in Österreich während des gesamten Asylverfahrens tritt hinter das Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurück (sic)."

Eine weitere Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte nicht. Der Ausspruch, wonach keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, wurde überhaupt nicht begründet.

Gegen sämtliche Spruchpunkte dieses Bescheids richtet sich die Beschwerde der BF mit den Anträgen, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ihr der Status einer Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer bzw. die Abschiebung nach Albanien für unzulässig erklärt werde. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt.

Das BFA legte dem BVwG die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, wo sie am 11.10.2018 (und am folgenden Tag in der zuständigen Gerichtsabteilung) einlangten, und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF ist in Österreich straf- und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Ihr anzulastende Verstöße gegen die öffentliche Ordnung sind nicht aktenkundig. Ihr Lebensunterhalt wird durch Leistungen der Grundversorgung finanziert. Sie ist als Asylwerberin krankenversichert und hält sich in dem ihr zugewiesenen Grundversorgungsquartier auf, wo sie mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. In Österreich befinden sich auch ihre minderjährigen Brüder, die albanischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, und XXXX, geboren am XXXX, die mit ihr zusammen im selben Grundversorgungsquartier wohnen. In Österreich gibt weder Bezugspersonen noch nahe Angehörige der drei Geschwister.

Die Anträge der Brüder der BF auf internationalen Schutz wurden jeweils mit Bescheid vom 02.10.2018 abgewiesen. Gleichzeitig wurden auch gegen sie Rückkehrentscheidungen erlassen und die Abschiebung für zulässig erklärt.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus dem Strafregister. Es bestehen keine aktenkundigen Anhaltspunkte für gegen sie erlassene Verwaltungsstrafen oder andere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung. Der Bezug von Grundversorgungsleistungen und die Krankenversicherung ergeben sich aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem. Die BF ist laut dem Zentralen Melderegister in ihrem Grundversorgungsquartier mit Hauptwohnsitz gemeldet.

Die Feststellungen zu den Brüdern der BF ergeben sich aus ihren Angaben gegenüber dem BFA, die mit den Informationen aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem übereinstimmen, aus dem auch die Entscheidungen über deren Anträge auf internationalen Schutz hervorgehen.

Da die BF gegenüber dem BFA angab, dass in Österreich nur ein Onkel und Cousins lebten, zu denen kein Kontakt bestünde, ist vom Fehlen von nahen Verwandten oder anderen Bezugspersonen der Geschwister im Inland auszugehen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag der BF, ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen (vgl VwGH 13.09.2016, Fr 2016/01/0014, 19.06.2017, Fr 2017/19/0023 und 0024, und 27.07.2017, Fr 2017/18/0022).

Zu Spruchteil B):

Das BVwG hat über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 BFA-VG (oder gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids) gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu entscheiden (vgl VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).

Gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG kann das BFA einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil die BF aus Albanien, einem sicheren Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 BFA-VG iVm § 1 Z 7 HStV, stammt.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG ist nicht zwingend, sondern setzt eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraus. Dabei ist das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen, den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen gegenüberzustellen (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).

Gemäß § 58 Abs 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dem gesetzlichen Gebot, Bescheide zu begründen, ist als Ausdruck eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens besondere Bedeutung beizumessen. Ein Begründungsmangel kann eine wesentliche Mangelhaftigkeit darstellen (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 417 ff).

Eine pauschale Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bei allen Asylwerbern, die aus sicheren Herkunftsstaaten stammen, ist nicht zulässig. Die Aberkennung bedarf vielmehr - auch angesichts der weitreichenden damit verbundenen Konsequenzen, insbesondere der Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen vor Rechtskraft der Entscheidung über Anträge auf internationalen Schutz - einer entsprechend sorgfältigen, einzelfallbezogenen Begründung, zumal die Zulässigkeit der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in solchen Fällen gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gnandi vs. Belgien (C-181/16 vom 19.06.2018) generell in Zweifel gezogen wird (vgl z.B. das Teilerkenntnis des BVwG in der Rechtssache W237 2201985-1 ua).

Das BFA begründete die im Rahmen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung vorzunehmende Interessenabwägung hier nicht, sondern begnügte sich mit allgemein gehaltenen Textbausteinen, ohne auf den vorliegenden Einzelfall Bezug zu nehmen und insbesondere auf die konkreten Interessen der BF, von der keine Störungen der öffentlichen Ordnung ausgehen und die sich als einzige Bezugsperson ihrer minderjährigen Brüder im Inland aufhält, einzugehen. Durch die Einschätzung, ihrem Antrag auf internationalen Schutz sei keine Aussicht auf Erfolg beschieden, wird überdies das Ergebnis des Beschwerdeverfahrens in unzulässiger Weise vorweggenommen.

Das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise wurde vom BFA auf § 55 Abs 1a FPG gestützt, aber nicht weiter begründet.

Gemäß § 55 Abs 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise unter anderem dann nicht, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. Diese Voraussetzung konnte bei der Erlassung des angefochtenen Bescheids jedenfalls noch nicht erfüllt sein, zumal die Entscheidung über die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz erst nach dem Verstreichen der Beschwerdefrist oder (wenn eine Beschwerde erhoben wird) bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG innerhalb von sieben Tagen ab Einlangen der Beschwerdevorlage durchführbar wird (vgl § 16 Abs 4 BFA-VG). Allenfalls wäre hier der (vom BFA nicht herangezogene) § 55 Abs 4 FPG eine passende Rechtsgrundlage für das Absehen von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 55 FPG K25 und 26).

Da die Begründung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung keine nachvollziehbare Interessenabwägung enthält und das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise auf eine unzutreffende Bestimmung gestützt und nicht weiter begründet wurde, ist Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids insoweit rechtswidrig und daher ersatzlos aufzuheben.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheids aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C):

Die Revision war nicht zu zulassen, weil das BVwG keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte und sich an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Interessenabwägung, mangelnder
Anknüpfungspunkt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2207296.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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