TE Bvwg Beschluss 2018/11/13 W217 2206653-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.11.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W217 2206653-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, vertreten durch Dr. Friedrich J. Reif-Breitwieser, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 10.08.2018, OB: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:

I.

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

II.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Herr XXXX (in der Folge: BF) beantragte am 15.03.2018 die Ausstellung eines Behindertenpasses. Dem Antrag wurde ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln, insbesondere ein Entlassungsbericht der XXXX vom 09.10.2017 samt zugehörigen Laborbefund und ein Befund des XXXX vom 25.03.2015 betreffend eine Routinevorstellung bei Diab. mell. beigelegt.

2. In weiterer Folge wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten auf Grundlage der durch den BF vorgelegten Befunde sowie einer am 11.04.2018 durchgeführten Begutachtung durch einen Facharzt für Lungenheilkunde erstellt. Darin wurde Folgendes ausgeführt:

"(..) Derzeitige Beschwerden:

Atemnot vor allem bei körperlichen Anstrengungen, er sei kurzatmig, Husten und schleimiger Auswurf nahezu täglich, Schulterschmerz rechts nach Belastung, Rückenschmerz, fallweise Schwindel nächtliche Atemstillstände, die zuletzt Schlaflaboruntersuchungen ergaben keine Beatmungspflichtigkeit, tagsüber sei er schon seit Jahren müde. Im XXXX sei 2x eine Schlaflaboruntersuchung durchgeführt worden und das Ergebnis war grenzwertig gewesen, keine Maskenbeatmung. Die Kraft des linken Armes sei nach Riss der Bizepssehne etwas herabgesetzt, die Beweglichkeit jedoch unauffällig.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Sevikar, Bisoprolol, Marcoumar, Ultibro, Pantoprazol, Atorvastatin, Jentadueto, Tamsulosin

Sozialanamnese:

Der Kunde war stets als Fleischhauer tätig, erhebliche körperliche Belastungen, derzeit in Pension.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

wie oben angeführt, weiters Rehabefund XXXX 10.09.2017: COPD II, Vorhofflimmern, chronische Hepatitis, Diabetes II. In der Belastungsuntersuchung wurden 85 Watt erreicht, Abbruch wegen Knieschmerzen, die anaerobe Schwelle nicht erreicht, normale Atemgase in Ruhe und bei Belastung. Keine Sauerstoff-Diffusionsstörung, keine pulmonale Leistungslimitierung, Konditionsmangel.

Im Lungenröntgen vom 21.09.2017 werden leichtgradige degenerative Veränderungen beschrieben.

Lungenärztlicher Befund XXXX mit Lungenfunktion: COPD II, Verdacht auf Schlafapnoe

Gebietskrankenkasse Ambulatorium XXXX vom 25.03.2015: COPD II, Vorhofflimmern unter Marcoumar

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

67 jähriger Mann im altersentsprechenden normalen Allgemeinzustand, keine Ruhedyspnoe, keine Lippenzyanose, keine mobile Sauerstoffversorgung

Ernährungszustand:

übergewichtiger Ernährungszustand

Größe: 183,00 cm Gewicht: 103,00 kg Blutdruck: 130/80

Klinischer Status - Fachstatus:

Kopf, Hals: keine obere Einflussstauung, keine Struma, keine Lippenzyanose, die Hirnnerven frei

Herz: reine arrhythmische Herztöne, Frequenz: 82 pro Minute

Lunge: hypersonorer Klopfschall, abgeschwächtes Atemgeräusch wie bei Emphysem ohne spastische Nebengeräusche

Leib: weich, adipös, über Brustkorbniveau, kein Druckschmerz, Leber und Milz nicht tastbar, die Nierenlage frei

Gliedmaßen: der rechte Arm in der Beweglichkeit des Schultergelenkes leichtgradig eingeschränkt, kann bis 170 Grad gehoben werden, die übrigen großen Gelenke frei beweglich, die Handkraft seitengleich, in der linken Ellenbeuge reizlose Narbe nach Sehnenriss-Operation, 3 kleine reizlose Narben im Bereich des rechten Schultergelenkes, keine Krampfadern, keine Beinödeme

Gesamtmobilität - Gangbild:

altersentsprechende unauffällige Gesamtmobilität, welche vorwiegend durch das Übergewicht leichtgradig eingeschränkt wird, es wird keine Gehhilfe verwendet, freier Stand und freies Sitzen möglich

Status Psychicus:

unauffällig, zeitlich- und örtlich orientiert, keine fassbaren kognitiven Defizite, ausgeglichene, freundliche Stimmungslage

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung (COPD II) Oberer Rahmensatz, da langjähriger chronischer Krankheitsverlauf mit laufender Beschwerdesymptomatik und ständiger mittelgradiger Einschränkung der respiratorischen Leistungsreserven.

06.06.02

40

2

Flimmernde Cardiomyopathie Unterer Rahmensatz, da kompensiert und ohne wesentliche Beschwerden.

05.02.01

30

3

Diabetes mellitus Typ II Mittlerer Rahmensatz, da unter medikamentöser Maßnahmen noch ausreichende, stabile Stoffwechsellage ohne Insulinbehandlung.

09.02.01

20

4

Chronische Hepatitis B 1 Stufe oberhalb des unteren Rahmensatzes, da mäßige Erhöhung der Leberwerte ohne Komplikationen.

07.05.01

20

5

Leichtgradige degenerative Veränderungen der Schultergelenke beidseits Fixer Rahmensatz, da nur leichtgradige Funktionsstörung und erfolgreiche operative Sanierung rechts.

02.06.02

20

6

Schlafapnoe-Syndrom Unterer Rahmensatz, da mehrfache Untersuchungen keinen Hinweis auf Beatmungspflichtigkeit ergeben haben.

06.11.02

20

Gesamtgrad der Behinderung 40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden Nr. 1 wird durch die übrigen Leiden nicht weiter erhöht, da keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

keine

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Keines vorliegend

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

keines vorliegend."

Der Sachverständige stellte einen Dauerzustand fest.

3. Mit Schreiben vom 06.06.2018 wurde dem BF das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnisnahme und allfälliger Stellungnahme binnen 3 Wochen übermittelt.

4. Aufgrund der Nachreichung weiterer Befunde durch den BF, erstattete der bereits befasste Sachverständige am 09.08.2018 folgende Stellungnahme:

"Antwort(en):

Es wurde Einspruch gegen das Parteiengehör eingelegt und auch neue Befunde vorgelegt.

Lungenfunktion Dr. XXXX ohne Datumsangabe: mittelschwere Obstruktion. COPD II. Inhalative Behandlung. Eine Schlaflaboruntersuchung wird vereinbart, das Ergebnis ist nicht enthalten.

Laborbefund aus dem Zeitraum 02.09. - 02.10.2017: es sind keine neuen Erkenntnisse enthalten, welche die Feststellungen im vorliegenden Gutachten verändern würde.

Laborbefund vom 04.01.2018: auch hier keine relevanten Veränderungen, welche das vorliegenden Verfahrensergebnis verändern würde oder den Grad der Behinderung beeinflussen könnten.

Festgehalten wird, dass eine nicht beatmungspflichtige Schlafapnoe bereits in der Vorgeschichte bekannt ist und in meinem Gutachten berücksichtigt wurde.

Zusammenfassend ergibt sich aus den neu vorgelegten Unterlagen keine Änderung hinsichtlich Diagnosen oder Einschätzung zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gegenüber dem Vorgutachten. Sämtliche in den neuen Unterlagen enthaltenen Angaben sind vorbekannt. Eine für den Gesamtgrad der Behinderung relevante Verschlechterung über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten ist nicht abzuleiten."

5. Mit Bescheid vom 10.08.2018 wurde festgestellt, dass der BF mit einem Grad der Behinderung von 40 % nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle. Begründend wurde auf das eingeholte ärztliche Gutachten und auf die Stellungnahme vom 09.08.2018 verwiesen.

6. Gegen diesen Bescheid wurde vom BF fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage neuer Befunde führte der BF aus, dass die Ausmittlung des Gesamtgrades der Behinderung mit nur 40% sachlich und rechtlich unrichtig sei. Das Sachverständigengutachten enthalte insgesamt sechs Diagnosestellungen, wobei der begutachtende Facharzt aufgrund seines Fachgebiets jedoch nur zwei zu beurteilen vermöge. Für die in den Laufnummern 2, 3, 4 und 5 wiedergegebenen Erkrankungen wären Fachärzte aus den Gebieten der Inneren Medizin und der Orthopädie heranzuziehen. Der Sachverständige aus dem Gebiet der Lungenheilkunde habe zudem bloß das Leiden COPD II zur Grundlage seiner Gesamtbeurteilung gemacht und alle anderen Diagnosestellungen völlig missachtet, weshalb der im Ergebnis festgestellte Gesamtgrad der Behinderung von 40% nicht korrekt wäre.

7. Die Beschwerde wurde samt dem Bezug habenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht am 28.09.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gesetzliche Bestimmungen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF, ergänzt durch die VO BGBl. II Nr. 59/2014, lauten:

"§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt."

Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim BF vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.

Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.

In dem von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Lungenheilkunde wurde nach Durchführung einer persönlichen Untersuchung des BF am 11.04.2018 der Gesamtgrad der Behinderung unter Anführung der Leiden "Chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung (COPD II)", "Flimmernde Cardiomyopathie", "Diabetes mellitus Typ II", "Chronische Hepatitis B", "Leichtgradige degenerative Veränderungen der Schultergelenke beidseits" sowie "Schlafapnoe-Syndrom" mit 40 v.H. eingeschätzt.

Trotz vorgelegter neuer Laborbefunde, sowie zahlreicher Leiden, die sich sowohl aus den bereits dem Antrag beigelegten Unterlagen ergeben, als auch im gegenständlichen Sachverständigengutachten festgestellt wurden (Flimmernde Cardiomyopathie, diabetes mellitus Typ II, Hepatitis B, Schulterschmerzen etc.), wurde lediglich ein medizinisches Gutachten durch einen Facharzt für Lungenheilkunde eingeholt.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit des eingeholten Gutachtens an. Gegenständlich ist die Begutachtung lediglich durch einen Facharzt für Lungenheilkunde erfolgt. Die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung jedenfalls eines weiteren Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Innere Medizin erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung hinsichtlich der Erkrankungen des BF an "Flimmernder Cardiomyopathie", "Diabetes mellitus Typ II", "Chronische Hepatitis B" zu gewährleisten. Ferner wird betreffend die festgestellten Leiden des Bewegungsapparats auch ein Gutachten aus dem Fachbereich Orthopädie einzuholen sein, da vom BF diverse orthopädische Leiden vorgebracht wurden (Schulter-, Rücken- und Knieschmerzen). Auf die bereits im Entlassungsbericht des SKA-RZ XXXX diagnostizierte Varusgonarthrose rechts, wurde in dem medizinischen Sachverständigengutachten nämlich überhaupt nicht eingegangen.

Das eingeholte pulmologische Sachverständigengutachten ist im Hinblick darauf, dass der BF bereits im Antrag orthopädische Leidenszustände durch Vorlage von medizinischen Beweismitteln vorgebracht hat, mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung des Gesamtleidenszustandes.

Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, jedenfalls weitere Gutachten der Fachrichtungen Innere Medizin und Orthopädie einzuholen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde medizinische Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Innere Medizin sowie Orthopädie einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der BF mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu Spruchpunkt II:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In den rechtlichen Ausführungen zu Punkt I.) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor der belangten Behörde gravierende Ermittlungslücken bestehen sowie die Judikatur zu den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten für die behördliche Beurteilung der Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Lichte von § 42 Abs. 1 BBG dargestellt. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wurde auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) Bezug genommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W217.2206653.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten