TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/20 W216 2166158-1

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Veröffentlicht am 20.12.2018
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Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W216 2166166-1/8E

W216 2166164-1/7E

W216 2166161-1/7E

W216 2166158-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX , 3) XXXX , geboren am XXXX und 4) XXXX , geboren am XXXX , 3) und 4) vertreten durch 2), alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 21.06.2017, Zahlen 1) XXXX , 2) XXXX , 3) XXXX , 4) XXXX , wegen § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.10.2018, zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF, sowie XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den genannten Personen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind traditionell islamisch verheiratet und die Eltern der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers. Sie reisten getrennt voneinander (Erstbeschwerdeführer bzw. Zweit- und Vierbeschwerdeführer) nach Österreich ein. Der Erstbeschwerdeführer stellte am 19.07.2015 für sich einen Antrag auf internationalen Schutz und die Zweitbeschwerdeführerin für sich und den minderjährigen Viertbeschwerdeführer am 04.10.2015. Für die nachgeborene Drittbeschwerdeführerin wurde der Antrag am 28.02.2017 gestellt.

Der Erstbeschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, welcher der Volksgruppe der Hazara und der Konfession der Schiiten angehört, gab anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung im Asylverfahren am 21.07.2015 im Beisein eines Dolmetschers zu seinem Fluchtgrund an, er habe den Iran verlassen, weil er von den dortigen Behörden gezwungen worden sei, in den Krieg nach Syrien zu gehen, widrigenfalls würde er nach Afghanistan abgeschoben werden. In Afghanistan herrsche ebenfalls Krieg und der Erstbeschwerdeführer habe dort niemanden. Deshalb habe er fliehen müssen.

Die Zweitbeschwerdeführerin, eine volljährige Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, welche der Volksgruppe der Hazara und der Konfession der Schiiten angehört, gab bei der Erstbefragung am 05.10.2015 zu ihren Fluchtgründen an, dass die Familie im Iran sehr schlecht behandelt worden sei und keine Papiere bekommen habe. Da der Erstbeschwerdeführer auch in Österreich sei, habe die Zweitbeschwerdeführerin mit dem Viertbeschwerdeführer in Österreich bei ihm sein wollen.

Für den minderjährigen Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern auf jene der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen.

Die Erstbefragung im Asylverfahren für die nachgeborene Drittbeschwerdeführerin fand am 28.02.2017 statt. Es wurde dabei auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers verwiesen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, im Folgenden: belangte Behörde) am 01.04.2016 gab der Erstbeschwerdeführer unter anderem an, dass er im Iran in Teheran geboren und aufgewachsen sei. Seine Eltern hätten Afghanistan wohl wegen der mangelnden Sicherheit in diesem Land verlassen. Der Erstbeschwerdeführer sei afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und schiitischer Moslem. Seine Eltern sind verstorben, ein jüngerer Bruder lebe bei den Schwiegereltern im Iran. In Afghanistan selbst habe er keine Verwandten. Ein Cousin väterlicherseits würde in Österreich leben. Der Beschwerdeführer habe keine Schule besucht, habe aber als Schneider oder auf Baustellen gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Erstbeschwerdeführer, soweit sie Afghanistan betreffen, an, dass es dort keine Sicherheit für ihn und seine Familie gebe.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde es keine Sicherheit geben.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 01.04.2016 unter anderem an, sie sei in Afghanistan in der Provinz XXXX , Distrikt/Stadt XXXX , geboren. Mit elf Jahren habe sie Afghanistan mit ihren Eltern verlassen und lebe seitdem im Iran. Sie sei afghanische Staatsangehörige, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zum schiitischen Islam. Die Zweitbeschwerdeführerin sei traditionell verheiratet. Ihre Eltern, sowie eine Schwester und ein Bruder würden, ebenso wie einige Onkel, im Iran leben. In Afghanistan gebe es keine Verwandten mehr. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt, jedoch von zu Hause aus als Schneiderin gearbeitet.

Zu ihren Fluchtgründen führte die Zweitbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde aus, ihre Eltern hätten Afghanistan wegen des Krieges und der fehlenden Sicherheit verlassen. Die gegenständliche Flucht sei erfolgt, um ihrem Mann nachzufolgen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde es keine Sicherheit für die Zweitbeschwerdeführerin geben.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 100/2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) - sowie gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21.06.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide wurde von den Beschwerdeführern durch die amtswegig zur Seite gestellte Rechtsvertretung, ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, mit Schriftsatz vom 17.07.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Als Beschwerdepunkte wurden mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelhafte Länderfeststellungen, mangelhafte Beweiswürdigung sowie unrichtige rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Nichtzuerkennung von Asyl geltend gemacht. Insbesondere wurde die besondere Gefährdung von Hazara, Frauen und Rückkehrern vorgebracht, weiters sei die westliche Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin nicht ausreichend ermittelt worden. Die Anträge lauteten auf Behebung des angefochtenen Bescheides und Zuerkennung von Asyl, sowie Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Schreiben vom 28.02.2018 wurde von der Rechtsvertretung eine Adressänderung der Beschwerdeführer bekannt gegeben

Am 31.10.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an welcher der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und ein Rechtsvertreter anwesend waren. Die belangte Behörde hat auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet.

In der Verhandlung wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nochmals umfassend zu ihren Fluchtgründen sowie zu jenen ihrer Kinder befragt und es wurde ihnen die Möglichkeit gegeben, zu den eingebrachten Länderberichten Stellung zu nehmen. Diese Möglichkeit wurde mündlich wahrgenommen, wobei auch hier besonders auf die westliche Orientierung der Zweitbeschwerdeführerin hingewiesen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einvernahmen der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide, der im Verfahren vorgelegten Dokumente und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten steht folgender entscheidungswesentlicher

Sachverhalt fest:

Zu den Personalien der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch angeführten Namen und Geburtsdaten. Sie sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander traditionell verheiratet und die Eltern der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers.

Die Identität des Erst- und des Viertbeschwerdeführers, sowie der Zweitbeschwerdeführerin steht nicht fest, jene der Drittbeschwerdeführerin konnte festgestellt werden.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Teheran, Iran, geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat keine Schule besucht und als Schneider und unter anderem als Hilfsarbeiter auf Baustellen gearbeitet. Die Eltern des Erstbeschwerdeführers sind verstorben, ein jüngerer Bruder des Erstbeschwerdeführers lebt im Iran bei den Eltern der Zweitbeschwerdeführerin. Weiters leben noch zwei Onkel väterlicherseits und der Großvater väterlicherseits im Iran. Ein Cousin des Erstbeschwerdeführers lebt in Österreich, in Afghanistan leben keine Verwandten des Erstbeschwerdeführers. Der Erstbeschwerdeführer hat Afghanistan noch nie besucht.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan, Provinz XXXX , Distrikt/Stadt XXXX , geboren. Bis zu ihrem elften Lebensjahr hat sie dort gelebt, danach ist ihre Familie in den Iran gegangen, wo sie bis zu ihrer Flucht nach Österreich gelebt hat. Die Zweitbeschwerdeführerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt, sie hat aber von zu Hause aus acht Jahre lang als Schneiderin gearbeitet. Ihre Eltern, ein Bruder, eine Schwester sowie einige Onkel leben im Iran. Die Zweitbeschwerdeführerin hat keine Verwandten in Afghanistan. Seit ihrer Ausreise in den Iran hat die Zweitbeschwerdeführerin Afghanistan nicht mehr besucht.

Der Viertbeschwerdeführer wurde im Iran, die Drittbeschwerdeführerin in Österreich geboren. Der Viertbeschwerdeführer besucht einen Kindergarten in XXXX , die Drittbeschwerdeführerin ist im Kleinkindalter. Sie leben im Familienverband mit den Eltern.

Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Vorweg ist festzuhalten, dass für den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden, es wird sich jeweils auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin berufen. Weiters ist vorweg festzustellen, dass sich alle aktuellen Fluchtgründe der Beschwerdeführer auf den Iran beziehen. Sowohl der Erstbeschwerdeführer, als auch die Zweitbeschwerdeführerin haben ursprünglich keine individuellen, auf Afghanistan bezogenen Fluchtgründe vorgebracht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie droht.

Keiner der Beschwerdeführer war in Afghanistan Mitglied einer politischen Partei oder hat sich anderweitig politisch betätigt. Die Beschwerdeführer waren in Afghanistan auch niemals inhaftiert.

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin kann festgestellt werden, dass sie eine westliche Orientierung bzw. Lebensweise derart verinnerlicht hat, dass ihr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan deswegen Verfolgung in asylrelevanter Intensität drohen würde.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Die persönliche Haltung der Zweitbeschwerdeführerin zur grundsätzlichen Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft steht in maßgeblichem Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind. Die Zweitbeschwerdeführerin kleidet sich modern, färbt ihre Haare, trägt Schmuck und schminkt sich. Sie beabsichtigt, in Österreich wieder als Schneiderin zu arbeiten und hat bereits eine Einstellungszusage einer Schneiderei für Frauen. Auch wünscht sie sich für ihre Kinder, dass diese in Österreich eine Ausbildung absolvieren können. Besonders für die Drittbeschwerdeführerin wünscht sie sich, dass diese, im Gegensatz zu Afghanistan, ein selbstbestimmte Leben mit eigenen Entscheidungen führen kann. Die Zweitbeschwerdeführerin verwaltet auch das Einkommen der Familie, das Familienkonto lautet auf ihren Namen. Weiters treibt sie alleine Sport (Laufen).

Hinsichtlich der Drittbeschwerdeführerin ist aufgrund ihres jungen und anpassungsfähigen Alters noch keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung abzusehen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westlichen Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden könnte. Aufgrund der westlichen Einstellung der Zweitbeschwerdeführerin ist eine solche aber als wahrscheinlich anzusehen. Dasselbe gilt für den Viertbeschwerdeführer. Bei der Drittbeschwerdeführerin und dem Viertbeschwerdeführer handelt es sich um unmündige Minderjährige, die im Familienverband mit ihren Eltern leben und weder über eigenes Vermögen noch über eine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen.

Zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:

Festgestellt wird, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Deutschkurse besucht haben. Der Erstbeschwerdeführer hat Prüfungen bis Niveau A2 absolviert, die Prüfung zu Niveau B1 wurde versucht, aber nicht bestanden. Weiters hat der Erstbeschwerdeführer einen Werte- und Integrationskurs absolviert.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Rahmen der Integrationsprüfung des ÖIF ein Zeugnis für Niveau A1 erreicht und den Werte- und Orientierungskurs absolviert.

Sowohl der Erstbeschwerdeführer, als auch die Zweitbeschwerdeführerin haben in Österreich gemeinnützige Tätigkeiten ausgeübt, für welche sie jeweils € 4,40 pro Stunde erhielten. Ansonsten gehen sie keiner Erwerbstätigkeit nach und die Familie lebt von der Grundversorgung. Allerdings hat die Zweitbeschwerdeführerin bereits eine Einstellungszusage einer Schneiderei für Frauen.

Der Tagesablauf des Erstbeschwerdeführers in Österreich gestaltet sich folgendermaßen: Morgens bringt der Erstbeschwerdeführer den Viertbeschwerdeführer in den Kindergarten, danach wird gefrühstückt. Zwei bis drei Stunden lernt er zuhause Deutsch, dann geht er zum Deutschkurs. Danach, geht der Erstbeschwerdeführer nach Hause und wenn nötig geht er mit der Zweitbeschwerdeführerin einkaufen. Wenn die Einkäufe erledigt sind und das Wetter schön ist, geht der Erstbeschwerdeführer Fußball spielen oder ins Fitnessstudio. Am Wochenende trifft sich die Familie oft mit österreichischen Freunden oder mit anderen Personen aus der früheren Unterkunft.

Der Tagesablauf der Zweitbeschwerdeführerin gestaltet sich folgendermaßen: Am Morgen bereitet die Zweitbeschwerdeführerin den Viertbeschwerdeführer für den Kindergarten vor, der Erstbeschwerdeführer bringt ihn dann in den Kindergarten. Danach geht die Zweitbeschwerdeführerin in den Park spazieren oder treibt Sport, insbesondere geht sie Laufen, um eventuell abzunehmen. Dann frühstückt sie zusammen mit der Drittbeschwerdeführerin. Am späten Vormittag holen oftmals beide Beschwerdeführer den Viertbeschwerdeführer vom Kindergarten ab. Sollte dort eine Freundin der Familie angetroffen werden, gehen sie meist noch einen Kaffee trinken. Wenn nötig gehen sie auch einkaufen. Wenn die Familie dann zurück nach Hause kommt, kocht die Zweitbeschwerdeführerin das Mittagessen. Bei Schönwetter geht die Zweitbeschwerdeführerin oftmals mit den Kindern und Freunden am Nachmittag in einen Park.

Weder der Erstbeschwerdeführer, noch die Zweitbeschwerdeführerin sind Mitglied in einem Verein, einer politischen Partei noch sonst einer Organisation in Österreich.

Die Drittbeschwerdeführerin ist im Kleinkindalter, der Viertbeschwerdeführer besucht einen Kindergarten in XXXX . Sie leben bei den Eltern im Familienverband und werden von diesen versorgt.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten (die Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer sind noch nicht strafmündig).

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, ergänzt um mehrere Kurzinformationen, die letzte vom 23.11. 2018 [Schreibfehler teilweise korrigiert]:

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefägnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

Quellen:

1TV (31.10.2018): Suicide attack kills seven outside Kabul prison, http://www.1tvnews.af/en/news/

afghanistan/36271-suicide-attack-kills-seven-outside-kabul-prison? fbclid=IwAR2WADPVHTuF8LZMwm0-LYci05vz1p06BygjhELlFr-wLKNDNo8XQRLXnuQ, Zugriff 22.11.2018

AJ - Al Jazeera (21.11.2018): 'Brutal and barbaric': Victims recount horror of Kabul attack, https:// www.aljazeera.com/news/2018/11/barbaric-victims-recount-horror-kabul-attack- 181121162807917.html, Zugriff 22.11.2018

AJ - Al Jazeera (12.11.2018): Kabul: Suicide bomber targets protesters demanding security,

https://www.aljazeera.com/news/2018/11/afghanistan-suicide-bomber-targets-protesters-kabul- 181112094659291.html, Zugriff 22.11.2018

ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (12.11.2018): Afghanistan:

67 morti in 24 ore, http://

www.ansa.it/sito/notizie/topnews/2018/11/12/afghanistan-67-morti-in-24-ore_71bfd73c-c68f-4182- a798-34b9ace3ae65.html, Zugriff 22.11.2018

Dawn (1.11.2018): Seven killed in suicide attack near Kabul prison, https://www.dawn.com/news/1442782/seven-killed-in-suicide-attack-near-kabul-prison, Zugriff 22.11.2018

DZ - Die Zeit (20.11.2018): Mehr als 50 Tote bei Anschlag in Kabul, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-11/afghanistan-kabul-explosion-anschlagattentat-ulema-rat-versammlung-tote, Zugriff 22.11.2018

DZ - Die Zeit (12.11.2018): Mehrere Tote bei Anschlag nahe Anti-Taliban-Demo,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-11/kabul-anschlag-explosion-demonstration-talibanregierungstruppen-ghasni, Zugriff 12.11.2018

IFQ - Il Fatto Quotidiano (20.11.2018): Afghanistan, attacco kamikaze a Kabul durante incontro religioso: almeno 50 morti e 80 feriti gravi,

https://www.ilfattoquotidiano.it/2018/11/20/afghanistanattacco-kamikaze-a-kabul-durante-incontro-religioso-almeno-40-morti-e-80-feriti/4779194/, Zugriff 22.11.2018

KP - Khaama Press (12.11.2018): Protesters gather near Presidential Palace in Kabul over recent wave of violence, https://www.khaama.com/protesters-gather-near-presidential-palace-in-kabulover-recent-wave-of-violence-02722/?

fbclid=IwAR2cNyRcLjWNmzaEoWNieBq37J1eVAKL2aT_4yCqbU9HdYKpr30O1NoXe-g, Zugriff 22.11.2018

LE - L'Express (21.11.2018): Attentat à Kaboul : la lecture de verset du Coran soudain interrompue, raconte un blessé, https://www.lexpress.fr/actualites/1/monde/attentat-a-kaboul-lalecture-de-versets-du-coran-soudain-interrompue-raconte-un-blesse_2049660.html, Zugriff 22.11.2018

NYT - New York Times (20.11.2018): At Leas 55 Killed in Bombing of Afghan Religious Gathering,

https://www.nytimes.com/2018/11/20/world/asia/afghanistan-wedding-hall-bombing.html, Zugriff 22.11.2018

Pajhwok Afghan News (31.10.2018): Suicide blast in front of Pul-i-Charhi prison leave 6 people dead, https://www.pajhwok.com/en/2018/10/31/suicide-blast-front-pul-i-charkhi-prison-leave-6- people-dead, Zugriff 22.11.2018

SS - Stars and Stripes (20.11.2018): Suicide bomb attack in Kabul kills at least 43, wounds 83,

https://www.stripes.com/news/suicide-bomb-attack-in-kabul-kills-at-least-43-wounds-83-1.557397, Zugriff 22.11.2018

TNAE - The National (21.11.2018): Kabul reels in grief after wedding hall attack,

https://www.thenational.ae/world/asia/kabul-reels-in-grief-after-wedding-hall-attack-1.794365, Zugriff 22.11.2018

Tolonews (20.11.2018): Death Toll Rises To 50 In Kabul Wedding Hall Explosion,

https://www.tolonews.com/afghanistan/40-killed-80-wounded-kabul-wedding-hall-blast, Zugriff 22.11.2018

Tolonews (12.11.2018): MoI Confirms 6 Death In Kabul Explosion, https://www.tolonews.com/afghanistan/casualties-feared-explosion-rocks-kabul, Zugriff 22.11.2018

TS - Tagesschau (21.11.2018): Deutschland verurteilt Anschlag in Kabul, https://www.tagesschau.de/ausland/anschlag-kabul-135.html, Zugriff 22.11.2018

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a). Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert, davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018). Regierungfreundliche Gruppierungen waren für

1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

Quellen:

AAN - Afghanistan Analysts Network (26.10.2018): Before Election Day

Three: Looking at

Kandahar's upcoming vote,

https://www.afghanistan-analysts.org/before-election-day-threelooking-

at-kandahars-upcoming-vote/, Zugriff 29.10.2018

AAN - Afghanistan Analysts Network (21.10.2018a): Election Day One (Evening Update): Voter determination and technical shambles, https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-oneevening-update-voter-determination-and-technical-shambles/ Zugriff 22.10.2018

AAN - Afghanistan Analysts Network (21.10.2018b): Election Day Two:

A triumph of administrative

chaos,

https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-two-a-triumph-of-administrative-chaos/, Zugriff 22.10.2018

AAN - Afghanistan Analysts Network (20.10.2018): Election Day One: A rural-urban divide emerging,

https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-one-a-rural-urban-divide-emerging/, Zugriff 22.10.2018

AFP - Agence France Presse (20.10.2018): Nearly 170 casualties as violence rocks chaotic

Afghan elections,

https://www.afp.com/en/news/15/nearly-170-casualties-violence-rocks-chaoticafghan-elections-doc-1a599v9, Zugriff 22.10.2018

AJ - Al Jazeera (19.10.2018): Afghanistan: Kandahar elections delayed by a week after killings,

https://www.aljazeera.com/news/2018/10/afghan-election-polls-kandahar-delayed-week-181019082632025.html Zugriff 22.10.2018

CNN - Cable News Network (27.10.2018): Kandahar goes to the polls in Afghan parliamentary vote delayed by violence, https://edition.cnn.com/2018/10/27/asia/afghan-elections-kandahar-intl/index.html, Zugriff 29.10.2018

LS - La Stampa (21.10.2018): Ancora sangue sul secondo giorno di voto in Afghanistan,

http://www.lastampa.it/2018/10/21/esteri/ancora-sangue-sul-secondo-giorno-di-voto-inafghanistanquhK2AP00HBuCKGBEHU8TN/pagina.html, Zugriff 22.10.2018

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

Quellen:

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AAN - Afghanistan Analysts Network (9.10.2018): Afghanistan Election Conundrum (16): Basic facts about the parliamentary elections,

https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-16-basic-factsabout-the-parliamentary-elections/, Zugriff 19.10.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (26.9.2018): Afghanistan Election Conundrum (14): District council and Ghazni parliamentary elections quietly dropped,

https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-14district-counciland-ghazni-parliamentary-elections-quietly-dropped/, Zugriff 2.10.2018

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (4.8.2018): Qari Hekmat's Islan Overrun: Taleban defeat 'ISKP' in Jawzjan, https://www.afghanistan-analysts.org/qari-hekmats-islandoverrun-taleban-defeat-iskp-in-jawzjan/, Zugriff 31.8.2018

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AJ - Al Jazeera (19.8.2018): Afghanistan's Ghani declares Eid ceasefire with Taliban,

https://www.aljazeera.com/news/2018/08/afghanistan-ghani-declares-eid-ceasefire-taliban- 180819143135061.html, Zugriff 31.8.2018

-

ANSA - Agenzia Nationale Stampa Associata (13.8.2018):

Afghanistan: a Ghazni 120 morti, http://www.ansa.it/sito/notizie/mondo/asia/2018/08/13/afghanistan-a-ghazni-120- morti_695579f5-407b-4e4f-8814-afcd60397435.html, Zugriff 31.8.2018

-

BFA Staatendokumentation (15.10.2018a): kartografische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Mai-September 2018, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

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BFA Staatendokumentation (15.10.2018b): grafische Darstellung der sicherheitsrelevanten Vorfälle Q2 und Q3, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

-

CBS News (14.8.2018): Taliban overruns Afghan base, killing 17 soldiers,

https://www.cbsnews.com/news/afghanistan-base-overrun-taliban-faryab-afghan-troopskilled-ghazni-fight/, Zugriff 31.8.2018

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GT - Gulf Today (12.9.2018): Scores killed in Afghan suicide attack,

http://gulftoday.ae/portal/efd26c1a-5e54-42e8-a810-7e18341d14e4.aspx, Zugriff 2.10.2018

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IEC - Independent Election Commission of Afghanistan (o.D.), http://www.iec.org.af/pdf/vr- 2018/vr-statistics.pdf, Zugriff 19.10.2018

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NYT - The New York Times (21.9.2018): The Death Toll for Afghan Forces Is Secret. Here's Why,

https://www.nytimes.com/2018/09/21/world/asia/afghanistan-securitycasualties-taliban.html, Zugriff 3.10.2018

-

SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.7.2018): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2018-07- 30qr.pdf, Zugriff 31.8.2018

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TG - The Guardian (19.8.2018): Afghan president announces conditional ceasefire with Taliban, https://www.theguardian.com/world/2018/aug/19/afghan-ashraf-ghani-conditionalceasefire-taliban-eid-al-adha, Zugriff 31.8.2018

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Tolonews (28.9.2018): Candidates Begin Campaign For Parliamentary Elections,

https://www.tolonews.com/elections-2018/candidates-begin-campaign- %C2%A0parliamentary-elections, Zugriff 19.10.2018

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Tolonews (23.9.2018): Alarm Bells Ring Over High ANA Casualty Rate,

https://www.tolonews.com/afghanistan/alarm-bells-ring%C2%A0over%C2%A0high%C2%A0ana%C2%A0casualty-rate, Zugriff 3.10.2018

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Tolonews (19.8.2018): Ghani Announces Conditional Ceasefire, https://www.tolonews.com/

afghanistan/ghani-announces-conditional-ceasefire, Zugriff 31.8.2018

-

UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan (25.9.2018a):

Preliminary findings indicate airstrike killed 12 civilians in Maidan Wardak province,

https://unama.unmissions.org/preliminary-findings-indicate-airstrike-killed-12-civiliansmaidan-wardak-province, Zugriff 2.10.2018

-

UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan (25.9.2018b): Concern about rising number of civilian casualties from airstrikes, https://unama.unmissions.org/concern-aboutrising-number-civilian-casualties-airstrikes, Zugriff 2.10.2018

-

UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan (17.9.2018): Briefing to the United Nations Security Council by the Secretary-General's Special Representative for Afghanistan, Mr. Tadamichi Yamamoto,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/17_september_2018_srsg_briefing_security_council_english.pdf, Zugriff 19.10.2018

-

UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan (15.7.2018): Midyear Update on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 30 June 2018,

https://unama.unmissions.org/si

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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