Entscheidungsdatum
20.12.2018Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W112 2193993-1/20E
Gekürzte Ausfertigung des am 04.05.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2018, 234371202/180383729, und die Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.04.2018 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft von 24.04.2018 bis 04.05.2018 für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
III. Gemäß § 35 VwGVG iVm Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesministerin für Inneres) dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 1659,6 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Gegen den Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom 13.07.2001 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die dagegen erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion XXXX mit Bescheid vom 24.06.2002 ab.
Der Beschwerdeführer wurde am 22.04.2018 auf Grund eines Festnahmeauftrages vom selben Tag in XXXX gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum XXXX eingeliefert.
Mit Mandatsbescheid vom 24.04.2018, dem Beschwerdeführer zugestellt durch persönliche Übergabe am selben Tag, verhängte das Bundesamt über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie zur Sicherung der Abschiebung. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag, die dem Beschwerdeführer unter einem mit dem Bescheid zugestellt wurde, wurde dem Beschwerdeführer XXXX als Rechtsberater beigegeben.
Mit Schriftsatz vom 30.04.2018, hg. eingelangt am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater, dem er am 26.04.2018 Vollmacht erteilt hatte, Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 24.04.2016 sowie die Anhaltung in Schubhaft und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgt sei, im Rahmen einer "Habeas Corpus Prüfung" aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen sowie der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen des Beschwerdeführers gemäß der VwG-Aufwandersatz-VO sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen habe, auferlegen.
Das Bundesamt legte am 30.04.2018 den Verwaltungsakt vor und beantragte die Bestätigung des Bescheides und die Feststellung, dass gemäß § 22a BFA-VG zum Zeitpunkt der Erlassung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen. Kostenersatz wurde nicht beantragt.
Am 04.05.2018 fand die hg. mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt nicht teilnahm.
Keine der Parteien stellte einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 04.05.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige Beschwerdeführer war nicht österreichischer Staatsbürger. Er verfügte über kein Aufenthaltsrecht in Österreich oder anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Identität des Beschwerdeführers stand nicht fest. Es konnte weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die RUSSISCHE Staatsangehörigkeit zurückgelegt, noch, dass er jemals um Dokumente zum Beleg seiner Identität oder zur Effektuierung seiner Ausreise angesucht hatte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer staatenlos war.
Er reiste 1995 in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.07.1995 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.09.1995 abgewiesen wurde. Der dagegen erhobenen Berufung gab das Bundesministerium für Inneres mit Bescheid vom 04.03.1995 statt und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zu. Am 18.06.1996 wurde ihm antragsgemäß ein Konventionsreisepass ausgestellt.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 31.01.1997 wegen qualifizierten Diebstahls und Wucher zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit verurteilt. Mit Urteil des Jugendgerichtshofes XXXX vom 05.10.1999 wurde der Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahles zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 19.01.2000 wurde der Beschwerdeführer wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von SECHS Jahren verurteilt.
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 08.11.2000 der Flüchtlingsstatus aberkannt und festgestellt, dass seine Abschiebung nach RUSSLAND zulässig war. Die dagegen erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 05.06.2002 als unbegründet ab.
Gegen den Beschwerdeführer wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom 13.07.2001 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die dagegen erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion XXXX mit Bescheid vom 24.06.2002 ab.
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX aus der Strafhaft entlassen und unter der Auflage, seinen Wohnsitz zu melden, nach Durchführung der Einvernahme aus der im Anschluss verhängten Schubhaft entlassen. Am selben Tag suchte die Behörde um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer an.
Am 06.06.2005 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Abschiebeaufschubes. Am 15.12.2005 teilte die RUSSISCHE Botschaft mit, dass sie das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer nicht fortführen konnte, weil der Beschwerdeführer das Antragsformular nicht vollständig ausgefüllt hatte.
Der Beschwerdeführer stellte am 25.04.2005 schriftlich einen Asylfolgeantrag. Dieser wurde am 12.07.2005 als gegenstandslos abgelegt, weil der Beschwerdeführer der Aufforderung, diesen persönlich einzubringen, nicht nachkam.
Der Beschwerdeführer wurde am 25.08.2006 in Schubhaft genommen. Er weigerte sich, das Formular zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates auszufüllen. Österreich ersuchte am 08.09.2006 dennoch um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer bei der RUSSISCHEN Botschaft. Der Beschwerdeführer wurde am 14.09.2006 wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen. Am 21.10.2006 teilte die RUSSISCHE Botschaft mit, dass ohne ausgefülltes Antragsformular das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht gestartet werden konnte.
Der Beschwerdeführer wurde am 08.12.2006 festgenommen. Er versuchte drei Mal sich der Festnahme durch Flucht zu entziehen. Er gab im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag an, von seiner Verpflichtung zur Ausreise zu wissen, aber bisher nicht ausgereist zu sein. Der Beschwerdeführer wurde am 27.12.2016 aus der Schubhaft entlassen, nachdem er seine Haftunfähigkeit durch Hungerstreik herbeigeführt hatte.
Der Beschwerdeführer wurde am 12.04.2007 aus dem Stande der Untersuchungshaft von der Bundespolizeidirektion XXXX niederschriftlich einvernommen und die Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft über den Beschwerdeführer verhängt. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen vom 06.06.2007 wegen qualifizierten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Am 19.08.2008 wurde erneut um ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer angesucht. Am 27.02.2009 wurde der Beschwerdeführer aufgrund der durch Hungerstreik herbei geführten Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen.
Der Beschwerdeführer wurde am 05.10.2009 im Stande der Untersuchungshaft von der Bundespolizeidirektion XXXX niederschriftlich einvernommen. Mit Urteil vom 30.10.2009 wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde am 24.03.2010 der Delegation der RUSSISCHEN Botschaft zum Interview vorgeführt, wobei die Identität nicht festgestellt werden konnte. Aus diesem Grund wurde die Identitätsfeststellung in der RUSSISCHEN Föderation eingeleitet. Mit Bescheid vom 21.04.2010 wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft verhängt. Er wurde am 10.05.2010 aus der Schubhaft entlassen, nachdem er seine Haftunfähigkeit durch Hungerstreik herbeigeführt hatte.
Der RUSSISCHE Migrationsdienst teilte am 01.06.2010 mit, dass auf Grund des durchgeführten Interviews nicht bestätigt werden konnte, dass der Beschwerdeführer RUSSISCHER Staatsbürger war, weshalb die RUSSISCHE Föderation seiner Wiederaufnahme nicht zustimmen konnte. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 03.02.2011 wurde der Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Von der Verhängung der Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft wurde abgesehen, da mit der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer nicht zu rechnen war. Am 04.10.2011 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Karte für Geduldete. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 23.12.2011 abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde von der Sicherheitsdirektion XXXX mit Bescheid vom 28.03.2012 als unbegründet abgewiesen. Darin stellte die Sicherheitsdirektion fest, dass es die vom Beschwerdeführer verwendeten Identität erwiesenermaßen falsch und die Unmöglichkeit der Abschiebung vom Beschwerdeführer zu vertreten war.
Österreich suchte am 10.01.2012 um ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer durch die UKRAINE an. Die UKRAINE teilte am 13.01.2012 mit, dass für die Überprüfung das Ausfüllen eines Formulars durch den Beschwerdeführer notwendig war. Der Beschwerdeführer wurde am 07.06.2012 festgenommen und am 16.06.2012 im Stande der Untersuchungshaft niederschriftlich einvernommen. Am 27.07.2012 verweigerte er das Ausfüllen des Heimreisezertifikatsantragsformulars und die Beantwortung des Fragebogens für die UKRAINE. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 01.10.2012 wurde der Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls und Fälschung besonders geschützter Urkunden zu einer Freiheitsstrafe von DREI Jahren verurteilt, da er den verfälschten POLNISCHEN Personalausweis lautend auf XXXX im Rechtsverkehr zum Nachweis einer falschen Identität gegenüber Exekutivbeamten verwendet hatte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) ersuchte am 15.12.2014 den Sozialdienst der Justizanstalt um die Beantwortung der für die Ausstellung des Heimreisezertifikates durch die Russische Föderation nötigen Fragen mit dem Beschwerdeführer. Das ausgefüllte Formular wurde am 17.12.2014 an das Bundesamt rückübermittelt. Von der Verhängung der Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft wurde abgesehen, da die Erlangung eines Heimreisezertifikates aussichtslos erschien.
Am 03.05.2015 teilte die Russische Föderation mit, dass nicht nachgewiesen werden konnte, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger der Russische Föderation war, weil eine Person mit den von ihm angegebenen Daten im Melderegister der Russischen Föderation in der XXXX nicht verzeichnet war und auf diese Angaben kein Inlandsreisepass ausgestellt wurde. Der Beschwerdeführer wurde am 23.05.2015 festgenommen und niederschriftlich vor dem Bundesamt einvernommen. Von der Inschubhaftnahme wurde mangels Erlangung eines Heimreisezertifikates Abstand genommen.
Versuche zur Erlangung eines Heimreisezertifikates gab es - auch während der Strafhaften des Beschwerdeführers - seit 03.05.2015 nicht mehr. Das Verfahren zur Abklärung der Identität des Beschwerdeführers in der UKRAINE war seit 2012 von der belangten Behörde und ihrer Rechtsvorgängerin nicht mehr betrieben worden.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 16.11.2015 wurde der Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von ZWEI Jahren verurteilt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 27.01.2016 wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten Diebstahls verurteil. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 06.03.2017 wurde er wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde am 02.03.2018 aus der Strafhaft entlassen.
Der Beschwerdeführer hatte das Bundesgebiet seit der Asylaberkennung nicht verlassen. Er verfügte seit der Asylaberkennung im Bundesgebiet weder über einen festen Wohnsitz noch über einen Arbeitsplatz oder familiäre Bezugspunkte.
Der Beschwerdeführer wurde am 22.04.2018 aufgrund eines am selben Tag erlassenen Festnahmeauftrages in XXXX festgenommen. Der Beschwerdeführer war haftfähig und befand sich seit 24.04.2018 in Schubhaft, die im Polizeianhaltezentrum XXXX vollzogen wurde. Ein neuer Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates an die Russische Botschaft wurde erst am 27.04.2018 gestellt. Im Vergleich zu den vergangenen Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates verwendeten die russischen Behörden nun neue Technologien bei der Identifizierung von Antragstellern, auf Grund welcher mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer zu rechnen war.
Der Beschwerdeführer war im Hungerstreik, aber haftfähig.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergaben sich aus der hg. mündlichen Verhandlung, den beigeschafften Verwaltungsakten des Asyl- und des Schubhaftverfahrens, Auskünften aus dem ZMR, IZR, Strafregister und der Anhaltedatei sowie den vorgelegten medizinischen Unterlagen, insbesondere der Mitteilung des Amtsarztes vom 04.05.2018.
Dass es die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner in Österreich geführten Identität nicht zutrafen, ergab sich zum einen aus dem Bescheid der Sicherheitsdirektion XXXX vom 28.03.2012, zum anderen aus der Mitteilung des RUSSISCHEN Föderalen Migrationsdienstes vom 03.05.2015.
Dass der Beschwerdeführer nicht staatenlos war, ergab sich aus dem Umstand, dass die Zurücklegung der RUSSISCHEN Staatsangehörigkeit die Verleihung einer anderen Staatsangehörigkeit voraussetzt (Art 20 lit. c russ. Gesetz über die Staatsangehörigkeit v. 31.05.2002) und der Beschwerdeführer auch nie behauptete, eine andere Staatsangehörigkeit angenommen zu haben; dies konnte auch von amtswegen nicht festgestellt werden oder Doppelstaatsangehöriger gewesen zu sein. Sein Vorbringen zur Zurücklegung der russischen Staatsangehörigkeit war mangels Zusicherungsbescheides und der russ. Rechtslage nicht glaubhaft.
Die Angaben zum Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer gründeten sich auf die vorliegenden Akten und die Stellungnahme der Direktion des Bundesamtes vom 03.05.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A.I.) Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.04.2018 und Anhaltung in Schubhaft von 24.04.2018 bis 04.05.2018
Der Beschwerdeführer wurde zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft angehalten (§76 Abs. 1, 2 Z 1 FPG).
Die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1, 2 Z 1 FPG lagen vor: Der volljährige Beschwerdeführer war Drittstaatsangehöriger und nicht österreichischer Staatsbürger. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 05.06.2002 wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten aberkannt. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion vom 24.06.2002, dem Beschwerdeführer zugestellt am 02.07.2002, wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Beschwerdeführer hat das Bundesgebiet seither nicht verlassen. Mit Bescheid vom 28.03.2012 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Duldungskarte abgewiesen.
Das Bundesamt ging zutreffend davon aus, dass im Falle des Beschwerdeführers Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 und 9 FPG vorlag: Er vereitelt seine Abschiebung durch Nichtvorlage von Dokumenten, Angabe der falschen Identität und mehrere Male durch die Weigerung, ein Formular zur Beantragung eines Heimreisezertifikates auszufüllen oder zu unterschreiben und presste sich mehrfach durch Hungerstreik aus der Schubhaft frei (§ 76 Abs. 3 Z 1 FPG). Er verfügt weder über einen festen Wohnsitz, noch über einen Arbeitsplatz oder Familie im Bundesgebiet (§ 76 Abs. 3 Z 9 FPG). Es lag sohin erheblicher Sicherungsbedarf vor.
Die Verhängung der Schubhaft war aber nicht verhältnismäßig: Die belangte Behörde traf die Verpflichtung darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauerte, bzw. ihre Vorgangsweise so einzurichten, dass die Schubhaft überhaupt unterbleiben konnte.
Dieser Verpflichtung entsprach die belangte Behörde nicht: Der Beschwerdeführer wurde am 25.04.2018 zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und am 26.04.2018 zur Erlangung eines Heimreisezertifikates einvernommen. Versuche zur Erlangung eines Heimreisezertifikates gab es aber - auch während der Strafhaften des Beschwerdeführers - seit 03.05.2015 nicht mehr. Das Verfahren zur Abklärung der Identität des Beschwerdeführers in der UKRAINE wurde seit 2012 von der belangten Behörde und Ihrer Rechtsvorgängerin nicht mehr betrieben.
Die Verhängung von Schubhaft und Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft war daher ungeachtet des erheblichen Sicherungsbedarfs vor dem Hintergrund der langjährigen Untätigkeit der belangten Behörde, obwohl der Beschwerdeführer in Strafhaft für sie greifbar war und der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens zur Erlangung des Heimreisezertifikates entsprechend der Mitteilung des RUSSISCHEN Föderalen Migrationsdienstes vom 03.05.2015 und auch des Umstandes, dass die belangte Behörde die Abklärung der Identität des Beschwerdeführers mit der UKRAINE seit 2012 nicht weiter betrieben hat, im Entscheidungszeitpunkt unverhältnismäßig. Es hätte mit der Anwendung gelinderer Mittel das Auslangen gefunden werden müssen.
Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.04.2018 war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben. Gleichzeitung war die Anhaltung in Schubhaft von 24.04.2018 bis 04.05.2018 für rechtswidrig zu erklären.
Zu A.II.) Fortsetzungsausspruch
Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vor:
Die Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft in Folge der Untätigkeit der Behörde bei der Erlangung eines Heimreisezertifikates auch zum absehbaren Ende einer Strafhaft hin muss auch auf den Fortsetzungsausspruch durchschlagen. Eine sich aus den Umständen des Einzelfalles ergebende andere Sicht wäre nachvollziehbar zu begründen (VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026; 19.05.2015, Ro 2015/21/0008; 25.04.2014, 2013/21/0209). Dafür ergaben sich in der hg. mündlichen Verhandlung aber keine Anhaltspunkte.
Die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft war daher trotz Vorliegens eines erheblichen Sicherungsbedarfes angesichts der voraussichtlichen Dauer des Verfahrens zur Erlangung eines Heimreisezertifikates, insbesondere vor dem Hintergrund der langjährigen Untätigkeit der belangten Behörde, sowie des Nichtweiterbetreibens der Abklärung der Identität des Beschwerdeführers mit den UKRAINISCHEN Behörden, weiterhin unverhältnismäßig.
Es war daher auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft nicht vorlagen.
Zu A.III. und A.IV.) Anträge auf Kostenersatz
Der belangten Behörde gebührte als unterlegene Partei kein Kostenersatz, der Beschwerdeführer war auf Grund der Beschwerdestattgabe obsiegende Partei und hatte Anspruch auf Kostenersatz.
Der Beschwerdeführer beantragte in seiner Beschwerde den Ersatz von Schriftsatzaufwand und Verhandlungsaufwand. § 1 VwG-AufwErsV bestimmt die Höhe des zu ersetzenden Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei mit € 737,60 und die Höhe des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei mit € 922. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer daher Kosten iHv € 1659,60 zu ersetzen.
Die Entscheidung über den Barauslagenersatz wurde einer separaten Entscheidung vorbehalten.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision war gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhing, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Weder wich die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlte es an einer Rechtsprechung; weiters war die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch lagen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor: Die Rechtslage zu § 76 Abs. 3 FPG ist auf Grund des Erkenntnisses VwGH 11.05.2017, Ro 2016/21/0021, die Rechtslage zu § 35 VwGVG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG auf Grund des Erkenntnisses VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0144, geklärt.
Begründung der gekürzten Ausfertigung
Gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn von den Parteien auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt wird. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.
Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 04.05.2018 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG, da ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch die hiezu Berechtigten innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht gestellt wurde.
Schlagworte
gekürzte Ausfertigung, gelinderes Mittel, Schubhaft,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W112.2193993.1.00Zuletzt aktualisiert am
19.02.2019