Entscheidungsdatum
28.12.2018Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z1Spruch
W112 2115747-1/23E
W112 2115741-1/19E
W112 2115744-1/19E
Gekürzte Ausfertigung des am 27.09.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX (auch XXXX ) XXXX , geb. XXXX , StA SYRIEN alias staatenlos, 2. XXXX (auch XXXX ) XXXX , geb. XXXX , StA SYRIEN alias staatenlos, und 3. mj. XXXX , geb. XXXX , StA SYRIEN alias staatenlos, die Minderjährigen vertreten durch den Vater XXXX (auch XXXX ) XXXX , alle vertreten durch die XXXX , gegen die Festnahme am 29.08.2015, 15.00 Uhr, und die Anhaltung im Rahmen der Festnahme von 29.08.2015, 15:00 Uhr, bis 31.08.2015, 21:00 Uhr, zu Recht erkannt:
A)
I.1. Der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gegen die Anhaltung im Rahmen der Festnahme von 31.08.2015, 11:58 Uhr bis 21:00 Uhr, wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 iVm § 40 Abs. 2 Z 1 BFA-VG stattgegeben und festgestellt, dass die Anhaltung im Rahmen der Festnahme rechtswidrig war.
I.2. Im Übrigen wird die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gegen die Festnahme und Anhaltung gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 iVm § 40 Abs. 2 Z 1 BFA-VG abgewiesen.
I.3. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
I.4. Der Antrag des Erstbeschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
II.1. Der Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 BFA-VG stattgegeben und festgestellt, dass die Anhaltung rechtswidrig war.
II.2. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schriftsatz vom 19.08.2015 erhoben die Beschwerdeführer, die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch ihren Vater, Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-V iVm Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gegen die Festnahme der Beschwerdeführer am 29.08.2015, 15:00 Uhr, und die Anhaltung im Rahmen der Festnahme gemäß BFA-VG vom 29.08.2015, 15:00 Uhr, bis 31.08.2015, ca. 19:00 Uhr gegen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt).
Die Beschwerdeführer beantragten, das Bundesverwaltungsgericht möge feststellen, dass die Festnahme der Beschwerdeführer gemäß dem BFA-VG in rechtswidriger bzw. unionsrechtswidriger Weise erfolgt sei, dass die Anhaltung der Beschwerdeführer gemäß dem BFA-VG von 29.08.2015, 15:00 Uhr, bis 31.08.2015, ca. 19:00 Uhr, in rechtswidriger Weise erfolgt sei, eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Einvernahme der Beschwerdeführer und eines informierten Vertreters des Bundesministeriums für Inneres als Zeugen durchführen, den Beschwerdeführern die Aufwendungen gemäß § 35 VwGVG iVm Art. 1 VwG-AufwandersatzVO im Umfang von Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand ersetzen, den Beschwerdeführern etwaige Dolmetschkosten ersetzen und im Falle des Obsiegens der Behörde den Beschwerdeführer vom Ersatz des Aufwandersatzes iSd VwG-AufwErsV befreien.
Die Beschwerde gegen die Umstände der Anhaltung wurde zZlen. W112 2115747-2, W112 2115741-2 und W112 2115744-2 protokolliert, die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zZlen. W112 2115747-3, W112 2115741-3 und W112 2115744-3.
2. Am 15.10.2015 legte das Bundespolizeikommando XXXX seinen Akt vor.
Mit Schriftsatz vom 11.12.2015 erstattete das Bundesamt eine Beschwerdebeantwortung. Es beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge die Beschwerden des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers mangels Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als unzulässig zurückweisen, die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers betreffend die Anhaltung am 31.08.2015 ab 12:15 Uhr mangels Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als unzulässig zurückweisen, die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers im Übrigen als unbegründet abweisen und dem Bund den Schriftsatzaufwand gemäß § 35 VwGVG iVm VwG-AufwErsV zusprechen.
Der Verwaltungsakt der Landespolizeidirektion XXXX langte am 16.08.2018 hg. ein.
Die Beschwerdeführer replizierten am 30.08.2018 auf die Beschwerdebeantwortung des Bundesamtes.
Am 27.09.2018 fand die hg. mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt nicht teilnahm.
Keine der Parteien stellte einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 27.09.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
Die Verfahren wurden mit mündlich verkündetem Beschluss vom 27.09.2018 gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer stellten am 29.08.2015 um 15:00 Uhr aus dem Stande der Festnahme gemäß § 39 FPG Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Der Erstbeschwerdeführer wurde im Anschluss daran von Angehörigen des Wachkörpers Bundespolizei des XXXX gemäß § 40 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aus Eigenem zur Vorführung vor das Bundesamt festgenommen und angehalten. Er wurde in seinem Verfahren und dem seiner Kinder am 31.08.2015 um 09:25 Uhr polizeilich erstbefragt. Um 11:58 Uhr langte die Prognoseentscheidung samt Auftrag zur Überstellung in das Notquartier XXXX bei der Landespolizeidirektion XXXX ein. Die Anhaltung dauerte bis zur Abfahrt ins Notquartier XXXX am 31.08.2018 um 21:00 Uhr an; eine faktische Aufhebung der Freiheitsentziehung davor erfolgte nicht.
Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer wurden faktisch bis 31.08.2015, 21:00 Uhr, mit ihrem Vater angehalten. Eine formelle Festnahme des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers erfolgte nicht.
In dieser Woche wurde im XXXX eine Vielzahl an Anträgen auf internationalen Schutz gestellt, es gab zudem eine hohe Zahl an "Transitflüchtlingen", die XXXX durchquerten; zudem kam es auf Grund des Todes von XXXX in einem Schlepperfahrzeug auf der XXXX im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieser LPD trotz dem, dass zur der Bewältigung dieser Umstände auch eine Vielzahl von Beamten aus anderen Dienststellen beigezogen wurden, zu Personalengpässen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergaben sich aus der hg. mündlichen Verhandlung und den beigeschafften Verwaltungsakten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Der Erstbeschwerdeführer wurde im Anschluss an die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz für sich und seine Kinder von Angehörigen des Wachkörpers Bundespolizei des XXXX gemäß § 40 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aus Eigenem zur Vorführung vor das Bundesamt festgenommen und angehalten (VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0025). Ungeachtet dessen, ob ihn die handelnden Organe des Wachkörpers oder das Bundesamt nach dem Einlangen der Prognoseentscheidung die Beschwerdeführer weiter im Rahmen der Festnahme anhalten wollten oder nicht, endete die Anhaltung der Beschwerdeführer erst am 31.08.2015 mit der Abfahrt ins Notquartier XXXX um 21:00 Uhr, weil eine faktische Aufhebung der Freiheitsentziehung davor nicht erfolgte.
Während die Anhaltung des Erstbeschwerdeführers bis Einlangen der Prognoseentscheidung ob der Vielzahl an Asylanträgen im XXXX in dieser Woche, der hohen Zahl an "Transitflüchtlingen" und des Todes von XXXX in einem Schlepperfahrzeug auf XXXX im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieser Landespolizeidirektion vor dem Hintergrund, dass zur der Bewältigung dieser Umstände auch eine Vielzahl von Beamten aus anderen Dienststellen beigezogen wurden, verhältnismäßig war, fiel mit der Anordnung der Überstellung der Beschwerdeführer in das Notquartier XXXX der Festnahmegrund weg und die weitere Anhaltung bis 31.08.2015, 21:00 Uhr, war unrechtmäßig.
2. Eine formelle Festnahme des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers erfolgte nicht, die faktische Freiheitsentziehung betreffend die minderjährigen Beschwerdeführer war aber iSd Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes einer Festnahme gleichzuhalten (vgl. u.a. VfSlg. 11.656/1988); diese faktische Anhaltung war sohin rechtswidrig.
3. Auf Grund des teilweisen Obsiegens (VwGH 25.05.2016 Ra 2016/11/0042) gebührte gemäß § 35 VwGVG weder dem Erstbeschwerdeführer noch der belangten Behörde im Verfahren des Erstbeschwerdeführers Kostenersatz.
Der belangten Behörde gebührte gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG als unterlegener Partei betreffend den Zweitbeschwerdeführer und den Drittbeschwerdeführer kein Kostenersatz. Die Entscheidung über die Anträge des Zweit- und Drittbeschwerdeführers auf Kostenersatz wurde einer separaten Entscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über den Barauslagenersatz wurde einer separaten Entscheidung vorbehalten.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision war gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhing, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Weder wich die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlte es an einer Rechtsprechung; weiters war die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch lagen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor: Die Rechtslage zu § 40 Abs. 2 BFA-VG ist auf Grund des Erkenntnisses VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0025, bzw. des Erkenntnisses VfSlg. 11.656/1988 geklärt, die Rechtslage zu § 35 VwGVG durch das Erkenntnis VwGH 25.05.2016, Ra 2016/11/0042.
Begründung der gekürzten Ausfertigung
Gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn von den Parteien auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt wird. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.
Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 27.09.2018 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG, da ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch die hiezu Berechtigten innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht gestellt wurde.
Schlagworte
Festnahme, gekürzte Ausfertigung, RechtswidrigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W112.2115747.1.00Zuletzt aktualisiert am
19.02.2019