TE Vwgh Erkenntnis 2019/1/23 Ra 2018/19/0219

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Veröffentlicht am 23.01.2019
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler sowie Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des K B in W, vertreten durch Mag. Alexander Heihs, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Herrengasse 3-5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. März 2018, W103 1432688-2/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 14. Jänner 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Zu seinen Fluchtgründen gab der Revisionswerber an, er habe in Grozny - der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien - für eine russische Behörde, die mit Angelegenheiten der Immigration bzw. des Fremdenwesen befasst gewesen sei, gearbeitet. Einen "Ausländer", der offensichtliche Spuren von Folterungen getragen habe, habe er freigelassen. Durch seine "Kollegen" sei ihm das vorgeworfen und behauptet worden, dass es sich bei der freigelassenen Person um einen "Verbrecher und Widerstandskämpfer" gehandelt habe. In Einem sei ihm eine Zusammenarbeit mit Widerstandskämpfern unterstellt worden. Er sei deshalb bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen, mehrere Tage festgehalten und bedroht worden. Nach einer Behandlung in einem Krankenhaus sei er zunächst untergetaucht und schließlich geflüchtet. Er habe in der Folge erfahren, dass nach ihm gesucht worden sei.

3 Mit Bescheid vom 30. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im zweiten Verfahrensgang den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

4 Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers erachtete das BFA als "frei erfunden" und führte dazu aus, aus einer durch die Staatendokumentation durchgeführten Erhebung ergebe sich, dass sich an der vom Revisionswerber angegebenen Anschrift in Grozny keine Behörde befinde. In der Nähe des angegebenen Ortes sei jedoch die "Reisepassausgabebehörde" situiert. Es sei aber nicht nachvollziehbar, warum eine derartige Behörde "Ausländer" festhalten sollte bzw. warum dem Revisionswerber aufgrund einer Freilassung einer festgehaltenen Person ein Vorwurf gemacht worden wäre.

5 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde und stellte Beweisanträge. Er brachte insbesondere vor, die Erhebung der Staatendokumentation zu seiner Dienststelle, die sich auf eine bloße Recherche in Google Maps beschränkt habe, sei mangelhaft gewesen. An der von ihm angegebenen Anschrift befinde sich - wie sich aus beiliegenden Unterlagen ergebe - das Migrationsbüro der Russischen Föderation in Grozny. Die Aufgaben dieser Behörde seien am ehesten mit einer Fremdenpolizei vergleichbar und erstreckten sich insbesondere auch auf die Führung von Strafverfahren sowie auf die Erteilung von Niederlassungs- und Arbeitsgenehmigungen. Seine Kollegen seien von Bauherrn, auf deren Baustellen Fremde unter "nahezu sklavenähnlichen Verhältnissen" beschäftigt worden seien, bestochen worden. Die Person, die er freigelassen habe, sei von seinen Kollegen in den Arresträumen der Behörde eingesperrt und misshandelt worden. Dazu legte der Revisionswerber diverse Unterlagen - insbesondere einen Internetausdruck zu seiner angegebenen Dienststelle und eine "Dienstpostenbeschreibung" hinsichtlich seiner Tätigkeit jeweils samt Übersetzungen - vor.

6 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

7 Es schloss sich der Beweiswürdigung des BFA an und erachtete das Vorbringen des Revisionswerbers nicht als glaubhaft. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt durch die belangte Behörde vollständig erhoben worden sei und nach wie vor die gebotene Aktualität aufweise.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit - unter anderem und auf das Wesentlichste zusammengefasst - geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei, indem es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG abgewichen. Im Beschwerdeverfahren seien in Konkretisierung bzw. Ergänzung der Ausführungen im Verfahren des BFA vom Revisionswerber weiteres Vorbringen erstattet und dazu weitere Beweismittel vorgelegt worden. Die Feststellungen des BFA seien daher nicht bloß unsubstantiiert bestritten worden.

10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

11 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 15.11.2018, Ra 2018/19/0302, mwN).

13 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren sein Fluchtvorbringen ergänzt und ist den tragenden Erwägungen der Beweiswürdigung des BFA unter Vorlage neuer Beweismittel, denen der Beweiswert nicht von vornherein abgesprochen werden kann und die einer Beweiswürdigung durch das Bundesverwaltungsgericht zu unterziehen gewesen wären, entgegen getreten. Ausgehend davon lagen die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Verhandlung nicht vor.

14 Das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

15 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. Jänner 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018190219.L00

Im RIS seit

19.02.2019

Zuletzt aktualisiert am

20.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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