TE Vwgh Erkenntnis 1999/6/24 98/20/0409

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Veröffentlicht am 24.06.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG 1991 Art2 Abs2 Z43a idF 1998/I/028;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des DD in Wien, geboren am 10. Oktober 1962, vertreten durch Dr. Manuela Maurer-Kollenz, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Grillparzerstraße 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Mai 1998, Zl. 200.567/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo. Er reiste am 27. Juni 1997 von Südafrika kommend nach Wien ein und beantragte am 30. Juni 1997 Asyl.

Bei seiner Befragung am 2. Juli 1997 gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen Folgendes an:

"Die Soldaten des Kabila kamen am 20.5.1997 nach Kinshasa. Sie haben die Soldaten des Mobutu angegriffen und entwaffnet. Die Soldaten begannen in der Stadt mit Plünderungen. Bei diesen Plünderungen wurden auch wahllos Anhänger des Mobutu ermordet. Im Zuge dieser Plünderungen und Ermordungen kamen die Soldaten des Kabila auch in mein Haus in Kinshasa (...). Im Zuge dessen wurde meine Lebensgefährtin ermordet. Ich war zu diesem Zeitpunkt bei der Mutter meiner Lebensgefährtin. Als ich mich nach Hause begeben wollte, hörte ich auf der Straße schon von anderen Leuten, dass meine Lebensgefährtin ermordet worden sei. Ich ging deshalb nicht nach Hause, sondern wieder zurück zu meiner Schwiegermutter. Ich bat sie, statt mir zu mir nach Hause zu gehen, um zu überprüfen, ob meine Lebensgefährtin wirklich ermordet wurde. Sie ging dann zu mir nach Hause und sah, dass meine Lebensgefährtin wirklich ermordet war. Die Mutter meiner Lebensgefährtin kam dann weinend mit meinen Kindern nach Hause. Sie hat mir gesagt, dass jetzt alle Leute getötet werden, die der Partei des Mobutu angehörten. Ich war Angehöriger der MPR, der Partei des Mobutu. Aus Angst, von den Leuten des Kabila ermordet zu werden, bin ich noch am 23.5.1997 in das Dorf meiner Eltern geflüchtet. (...) Ich wäre in ganz Zaire nicht in Sicherheit gewesen. Wenn Kabila seine Macht festigt, kommen seine Leute überall hin. Sogar das Gemeindeamt der Region, wo sich das Dorf meiner Eltern befindet, ist schon in der Hand von Kabila."

Mit dem Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. Juli 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl abgewiesen.

Die Behörde traf folgende Feststellungen:

"Sie haben ihr Heimatland verlassen, da Sie befürchteten, nach dem Machtwechsel in Ihrem Heimatland von den Soldaten des Kabila umgebracht zu werden.

(...)

Nach Ansicht der erkennenden Behörde liegt jedoch in Ihrem Fall weder eine zielgerichtete Verfolgung gegen Sie noch eine Verfolgung vor, die dem Heimatstaat zuzurechnen ist. Ein zielgerichtetes Handeln gegen Ihre Person konnte insofern nicht festgestellt werden, als Sie angegeben haben, dass die Anhänger des Mobutu wahllos - und eben nicht zielgerichtet - ermordet wurden. Sie gaben auch an, dass die Ermordung Ihrer Lebensgefährtin im Zuge dieser Plünderungen und Ermordungen auch nicht zielgerichtet erfolgte. Sie gaben weiters an, dass Kabila seine Soldaten deshalb nach Kinshasa geschickt hat, um seine Sicherheit zu gewährleisten und diese Soldaten jedoch von sich aus begonnen haben, die Leute der MPR zu töten. Es ist daher diese Ermordungswelle nicht als Maßnahme der Behörden ihres Heimatstaates anzusehen, da der nunmehrige Präsident diese Vorgangsweise nicht angeordnet hat, sondern seine Soldaten eigenmächtig gehandelt haben. Es handelte sich somit nicht um eine von Behörden ihres Heimatlandes angeordnete Vorgangsweise, sondern um einzelne Übergriffe durch Soldaten, somit um eine Eskalation der bürgerkriegsähnlichen Ereignisse. Auf Grund Ihrer durchaus untergeordneten Rolle in der Partei des Mobutu kann auch nicht von einer drohenden Verfolgung ausgegangen werden."

In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung vom 14. Juli 1997 brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor:

"Die Behörde macht im angefochtenen Bescheid geltend, dass ich in meinem Heimatland keiner gegen mich gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre sondern die Tötung von Anhängern des ehemaligen Staatspräsidenten Mobutu Sese Seko ein eigenmächtiges Handeln von Soldaten des nunmehrigen Staatspräsidenten Laurent Kabila wäre.

Dem gegenüber mache ich geltend, dass ich in meinem Heimatland unter der Herrschaft Mobutu Sese Sekos in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stand und für die Genehmigung von Audienzen bei dem damaligen Ministerpräsidenten Leon Kengo wa Dondo zuständig war. Nach der Machtübernahme Kabilas am 20.5.1997 wurden sowohl Anhänger Mobutus als auch Personen, die unter dessen Herrschaft in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis standen, von Soldaten Kabilas vorsätzlich getötet. Da meine Tätigkeit jedenfalls dem höheren Dienst zuzuordnen war, befand ich mich in einer vergleichbaren Lage wie die von Soldaten Kabilas vorsätzlich getöteten Personen, weshalb meine Furcht vor Verfolgung und Ermordung entgegen der Rechtsauffassung der Behörde objektiv gegeben ist.

Der Umstand, dass die Behörde im angefochtenen Bescheid meine Flucht auf "bürgerkriegsähnliche Ereignisse" und "einzelne Übergriffe durch Soldaten" zurückführt, beweist hinreichend, dass die im Verfahren entscheidungsrelevanten Tatsachen nicht entsprechend gewürdigt wurden."

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diese Berufung abgewiesen und hiezu folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Im Rahmen des Einmarsches der Truppen des Laurent Kabila in Kinshasa kam es zu Plünderungen und Morden, wobei auch die Lebensgefährtin des Antragstellers getötet wurde. Der Antragsteller stand in Diensten Mobutus und begab sich dieser daher am 23.5.1997 in das Dorf seiner Eltern in der Region Bas-Zaire. Der Antragsteller war Mitglied der Partei MPR. Konkreten gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlungen war der Antragsteller vor der Ausreise aus seinem Heimatland nicht ausgesetzt.

(...)

Der Berufungswerber hat es anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme trotz nachhaltiger Befragung unterlassen, eine massive, konkret gegen ihn gerichtete staatliche Verfolgungshandlung glaubhaft zu machen. Die begründete Furcht vor einer derartigen Verfolgungshandlung stellt aber ein wesentliches Merkmal des Flüchtlingsbegriffes dar. Das Vorbringen des Berufungswerbers erschöpft sich im Wesentlichen in einer Schilderung der Auswirkungen der Bürgerkriegsereignisse bzw. des politischen Machtwechsels.

Der vom Antragsteller ins Treffen geführte Welle von Plünderungen und Morden in der Stadt Kinshasa unmittelbar nach dem Einmarsch der Truppen des Laurent Kabila kann keine sich unmittelbar gegen den Antragsteller richtende Verfolgungsintention entnommen werden. Vielmehr stellen sich diese - bedauerlichen - Umstände als geradezu typische Auswirkung der im Heimatstaat des Antragstellers vormals herrschenden Bürgerkriegssituation und des politischen Machtwechsels dar. Hervorgehoben wird, dass den geschilderten Ereignissen insbesondere keine Zielgerichtetheit gegen die Person des Antragstellers entnommen werden kann. Des Weiteren konnte auch nicht erkannt werden, dass sich der Antragsteller auf Grund seiner - doch wohl als untergeordnet zu bezeichneten - Tätigkeit im Regime Mobutus dergestalt exponiert hätte, dass er nach Festigung der Herrschaft Kabilas mit massiven gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlungen etwa auf Grund seiner politischen Überzeugung bzw. Parteimitgliedschaft zu rechnen hätte.

Hervorgehoben wird, dass unmittelbar nach dem Einzug Laurent Kabilas in Kinshasa die Plünderungen ein Ende fanden und sofort proklamiert wurde, dass nunmehr mit strenger Handhabe gegenüber marodierenden Plünderern vorgegangen würde."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung, in eventu deren Abweisung als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die vorliegende Beschwerde ist rechtzeitig. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 5. Mai 1998 gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz durch Hinterlegung bei der Behörde zugestellt. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde am 16. Juni 1998 zur Post gegeben und langte am 17. Juni 1998 beim Verwaltungsgerichtshof ein. Die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 26 Abs. 1 VwGG ist durch den innerhalb dieser Frist eingebrachten Verfahrenshilfeantrag daher gewahrt (§ 26 Abs. 3 VwGG).

Nach § 7 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997), BGBl. I Nr. 76/1997, ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F der Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Flüchtlingskonvention (in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung setzt nicht voraus, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Eine derartige Befürchtung wäre nämlich auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers dergestalt wären, dass von einer Verfolgung sämtlicher Anhänger des früheren "Mobutu-Regimes" gesprochen werden könnte.

Während die Asylbehörde erster Instanz (freilich ohne Beweisgrundlage) davon ausging, dass der nunmehrige Präsident Kabila die Verfolgung der Anhänger Mobutus nicht angeordnet habe und auch die Lebensgefährtin des Antragstellers nicht "zielgerichtet" ermordet worden wäre, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon Abstand genommen, zur Glaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer behaupteten Motive der Ermordung seiner in seinem Haus angetroffenen Lebensgefährtin Stellung zu nehmen und darüber Feststellungen zu treffen. Es wird überhaupt kein Zusammenhang zwischen den Plünderungen und Morden und dem Naheverhältnis der von diesen Gewalttaten betroffenen Personen zum ehemaligen Machthaber Mobutu mehr hergestellt. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers für das Regime Mobutus findet lediglich bei der Prognose über künftige Verfolgungshandlungen Erwähnung. Zugleich wurden Feststellungen über die Dauer und die künftige Unterbindung von Plünderungen getroffen, ohne anzugeben, auf welchen Grundlagen diese Feststellungen beruhen und ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit eingeräumt zu haben, zu solchen Beweisergebnissen Stellung zu nehmen.

Dies und das Unterlassen einer in Anbetracht der Umwürdigung der Beweisergebnisse notwendigen mündlichen Verhandlung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339) belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der in der Beschwerde aufgezeigten Verletzung von Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gekommen wäre. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Zur zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Juni 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998200409.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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