TE Lvwg Beschluss 2019/2/4 LVwG-S-2546/001-2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.02.2019
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Entscheidungsdatum

04.02.2019

Norm

12010E267AEUV Art 267
32014R0165 KontrollgeräteV Art34 Abs3
32014R0165 KontrollgeräteV Art36 Abs2
KFG 1967 §102a Abs4

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Dr. Flendrovsky als Einzelrichter in der Beschwerdesache des A in ***, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 10. Oktober 2018, Zl. ***, betreffend Bestrafungen nach dem KFG 1967, hinsichtlich des Spruchpunktes 6. dieses Straferkenntnisses, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 3. Jänner 2019 den

BESCHLUSS:

1.       Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 zweiter Satz AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

I.       Ist die Verordnung (EU) Nr. 165/2014, insbesondere deren Art. 34 Abs. 3 letzter Satz sowie deren Art. 36 Abs. 2, so auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die verlangt, dass Lenker von Kraftfahrzeugen, die mit einem digitalen Fahrtenschreiber iSd Art. 2 Abs. 2 lit. h der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 ausgerüstet sind, im Falle des Fehlens einzelner Arbeitstage auf der Fahrerkarte (Art. 2 Abs. 2 lit. f leg.cit.), für welche auch keine Schaublätter mitgeführt werden, für diese Tage entsprechende Bestätigungen des Arbeitgebers, die den Mindestanforderungen des von der Kommission gemäß Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/33/EG erstellten Formblattes entsprechen müssen, mitzuführen und bei Kontrollen auszuhändigen haben?

II.      Für den Fall, dass Frage I. verneint wird:

Ist das von der Kommission mit ihrem Beschluss 2009/959/EU festgelegte Formblatt gänzlich oder teilweise ungültig?

2.       Das Beschwerdeverfahren gegen Spruchpunkt 6. des angefochtenen Straferkenntnisses wird nach Vorliegen einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union fortgesetzt werden.

Begründung:

I.       Zum Ausgangsverfahren

1.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat im Ausgangsverfahren über eine vollumfängliche, offenbar rechtzeitige und zulässige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen das im Kopf angeführte (Verwaltungs-)Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln (im Folgenden: belangte Behörde) zu entscheiden. Bei Erlassung dieser Entscheidung stützte sich die belangte Behörde auf Vorschriften des Kraftfahrgesetztes 1967 (KFG 1967).

2.       Das Landesverwaltungsgericht hat am 3. Jänner 2019 in dieser Rechtssache eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Auf Grund dieser Verhandlung sowie des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsaktes steht für das Landesverwaltungsgericht der folgende Sachverhalt bzw. Verfahrensgang fest:

2.1.    Das angefochtene Straferkenntnis geht darauf zurück, dass der Beschwerdeführer am 27. März 2018 von einem Polizeibeamten (Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und Organ der Straßenaufsicht) an einem näher bezeichneten Ort in *** (Niederösterreich) angehalten wurde, als er einen Lastkraftwagen (LKW) seines damaligen Arbeitgebers lenkte, der mit einem digitalen Fahrtenschreiber ausgestattet war. Im Fahrtenschreiber befand sich die Fahrerkarte des Beschwerdeführers. Beim Auslesen der auf der Fahrerkarte bzw. dem Fahrtenschreiber gespeicherten Daten stellte der Polizeibeamte fest, dass der Beschwerdeführer den Fahrtenschreiber offenbar fehlerhaft bzw. gar nicht bedient hatte:

2.2.    Zunächst dürfte das Gerät so eingestellt gewesen sein, dass es bei jeglicher Unterbrechung der Lenkzeit, während der sich die Fahrerkarte im Gerät befand, auf dieser automatisch Arbeitszeit aufzeichnete. Der Beschwerdeführer hatte diese automatischen Aufzeichnungen nicht korrigiert, also Ruhezeiten nicht auf seiner Fahrerkarte nachgetragen. Dies führte dazu, dass auf dieser im gesamten ausgelesenen Zeitraum von 27. Februar bis 27. März 2018 nur zwei Sekunden Ruhezeit elektronisch vermerkt waren. Deshalb wurden über den Beschwerdeführer Strafen wegen Nichteinhalten verschiedener Ruhezeiten verhängt (Spruchpunkte 1. bis 5. des angefochtenen Straferkenntnisses). Insoweit wurde das Straferkenntnis vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit Erkenntnis vom heutigen Tag (dieses ist angeschlossen) aufgehoben und das Verfahren eingestellt, weil im Hinblick auf die unzureichende Bedienung des Kontrollgeräts die Vorwürfe nicht erwiesen werden konnten. Die fehlerhafte Bedienung selbst wurde dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Straferkenntnis nicht angelastet und kann daher nicht zu einer Bestrafung durch das Verwaltungsgericht führen.

2.3.    Der für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen relevante Spruchpunkt 6. des angefochtenen Straferkenntnisses ist darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer als Lenker eines Kraftfahrzeuges mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 t auf Verlangen eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. der Straßenaufsicht diesem keine Bestätigungen über lenkfreie Tage im Zeitraum von 28. Februar 2018, 16:39 Uhr, bis 5. März 2018, 07:20 Uhr, sowie im Zeitraum von 5. März 2018, 11:49 Uhr, bis 6. März 2018, 05:35 Uhr, ausgefolgt habe, obwohl der Lenker auf Verlangen eines solchen Organs diesem das Schaublatt des Fahrtenschreibers oder des Kontrollgerätes gemäß der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 sowie die mitgeführten Schaublätter, handschriftlichen Aufzeichnungen, die in dieser Verordnung vorgesehen Ausdrucke aus dem digitalen Kontrollgerät für Zeiträume, in denen ein Fahrzeug mit digitalem Kontrollgerät gelenkt worden ist, und die Fahrerkarte sowie allfällige Bestätigungen über lenkfreie Tage auszuhändigen habe. Hintergrund dieses Tatvorwurfs dürfte sein, dass sich in diesen Zeiträumen die Fahrerkarte des Beschwerdeführers nicht im digitalen Kontrollgerät (Fahrtenschreiber) des am 27. März 2018 kontrollierten LKW befand, sodass sich dafür gar keine Aufzeichnungen auf der Fahrerkarte befanden. Auch für diese Zeiträume erfolgten nämlich auf der Fahrerkarte keine Nachträge.

Dafür wurde über den Beschwerdeführer gemäß Art. 134 Abs. 1 KFG 1967 eine Strafe in der Höhe von € 50,– (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Stunden) verhängt.

Als Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zu Aushändigung von Bestätigungen über lenkfreie Tage wendete die belangte Behörde § 102 Abs. 1a KFG 1967 an. Dieser normiert, dass für einzelne Tage entsprechende Bestätigungen des Arbeitgebers, die den Mindestanforderungen des von der Kommission gemäß Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/22/EG erstellten Formblattes entsprechen müssen, mitzuführen sind, wenn für diese Tage keine Schaublätter mitgeführt werden.

II.      Zur maßgeblichen innerstaatlichen Rechtslage

1.       Die innerstaatliche Überprüfungsbefugnis des Landesverwaltungsgerichts im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 130 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), der durch die §§ 27 und 50 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) einfachgesetzlich ausgeführt wird. Demnach hat das Landesverwaltungsgericht in Verwaltungsstrafsachen immer in der Sache selbst zu entscheiden. § 27 VwGVG beschränkt die Entscheidungskompetenz des Landesverwaltungsgerichts auf den Inhalt der Beschwerde. Da diese sich gegen das gesamte angefochtene Straferkenntnis richtet, hat das Landesverwaltungs-gericht dieses vollumfänglich zu überprüfen, dh insbesondere über die Strafbarkeit des dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltens zu entscheiden. Dazu gehört im Falle eines Schuldspruches auch die durch § 44a Z 2 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) gebotene Anführung der (richtigen) Verwaltungsvorschrift, die der Beschuldigte durch die ihm angelastete Tat verletzt hat.

2.       Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erachtet die rechtliche Qualifikation der Tat durch die belangte Behörde aus Sicht des nationalen Rechts jedenfalls als unrichtig: § 102 Abs. 1a KFG 1967 ist nämlich nur auf Fahrzeuge anwendbar, welche mit einem analogen Fahrtenschreiber ausgestattet sind. Da das vom Beschwerdeführer gelenkte Fahrzeug mit einem digitalen Fahrtenschreiber ausgestattet war, hätte dieser stattdessen § 102a Abs. 4 KFG 1967, konkret dessen letzten Satz, verletzt, welcher sich auf derartige Fahrzeuge bezieht.

Die verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z 2 VStG wäre daher § 102a Abs. 4 letzter Satz KFG 1967. Infolge seiner umfassenden Überprüfungskompetenz hätte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich dies im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses richtigzustellen und die Strafzumessung auf dieser Grundlage neu vorzunehmen. Dies entspräche der ständigen Rechtsprechung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu aus dem Bereich des KFG 1967 VwGH 10.10.2014, 2013/02/0265, abrufbar unter https://www.ris.bka.gv.at/Vwgh/).

3.       § 102a Abs. 4 KFG 1967 wurde infolge des Inkrafttretens der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Fahrtenschreiber im Straßenverkehr, zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über das Kontrollgerät im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr [in der Folge: VO (EU) 165/2014] dahingehend novelliert, dass der Verweis auf die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 durch einen Verweis auf die VO (EU) 165/2014 ersetzt wurde und lautet nunmehr in der Fassung BGBl. I 9/2017:

„Lenker von Kraftfahrzeugen, die mit einem digitalen Kontrollgerät im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 ausgerüstet sind, haben sich bei der Bedienung des Kontrollgerätes an die Bedienungsanleitung des Kontrollgerätes zu halten. Sie haben dafür zu sorgen, dass das Kontrollgerät auf Fahrten in Betrieb ist und dass ihre Fahrerkarte im Kontrollgerät verwendet wird. Die Lenker haben auf Verlangen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder der Straßenaufsicht die in der Verordnung (EU) Nr. 165/2014 vorgesehenen Ausdrucke, die Fahrerkarte und die mitgeführten Schaublätter des laufenden Tages und der vorausgehenden 28 Tage, falls sie in dieser Zeit ein Fahrzeug gelenkt haben, das mit einem analogen Kontrollgerät ausgerüstet ist, auszuhändigen. Hierüber ist dem Lenker eine Bestätigung auszustellen. Fehlen auf der Fahrerkarte einzelne Arbeitstage und werden dafür auch keine Schaublätter mitgeführt, so sind für diese Tage entsprechende Bestätigungen des Arbeitgebers, die den Mindestanforderungen des von der Kommission gemäß Artikel 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/22/EG erstellten Formblattes entsprechen müssen, mitzuführen und bei Kontrollen auszuhändigen.“

III.     Vorlageberechtigung

Die Berechtigung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens ergibt sich aus Art. 267 zweiter Satz des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sind nämlich in mehrfacher Hinsicht Zweifel entstanden, ob § 102a Abs. 4 KFG 1967 mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Zur Klärung dieser Zweifel stellen sich nicht eindeutig zu beantwortende Fragen der Auslegung des Unionsrechts.

IV.      Zur I. Frage

1.       Die VO (EU) 165/2014 normiert in ihrem Art. 34 Abs. 3 letzter Satz, dass die Mitgliedstaaten von Fahrern nicht die Vorlage von Formularen, mit denen die Tätigkeit der Fahrer während sie sich nicht im Fahrzeug aufhalten, bescheinigt wird, verlangen dürfen. Diese Bestimmung erscheint ihrem Wortlaut nach absolut formuliert und sieht insbesondere keine Möglichkeit eines Mitgliedstaates zur Schaffung von Ausnahmen vor. In der durch die vorgenannte Verordnung aufgehobenen Vorgängerverordnung (EWG) Nr. 3821/85 war eine derartige Bestimmung nicht enthalten.

Das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (in der Folge: BMVIT) vertritt allerdings in einem am 1. April 2015 herausgegebenen Erlass die Ansicht, dass unter den Begriff „Tätigkeit“ in Art. 34 Abs. 3 letzter Satz der VO (EU) 165/2014 nur andere Arbeiten, Bereitschaftszeiten, Arbeitsunterbrechungen oder Ruhezeiten, wie sie in Art. 34 Abs. 3 bzw. Abs. 5 der VO (EU) 165/2014 genannt sind, fallen. Das BMVIT führte weiter aus, dass Art. 34 Abs. 3 letzter Satz im Kontext des Art. 34 zu lesen sei, daher beziehe sich diese Regelung ausschließlich auf die in Art. 34 Abs. 3 genannten Zeiträume oder Tätigkeiten. Nur für diese dürften keine speziellen Formulare verlangt werden, weil sie auf den Schaublättern bzw. mit dem Kontrollgerät auf der Fahrerkarte nachträglich einzutragen seien. Zur Dokumentation von lenkfreien Tagen, wie beispielsweise Urlaub oder Krankenstand, sei hingegen weiterhin das „EU-Formblatt“ (gemeint das in § 102a Abs. 4 letzter Satz KFG 1967 genannte Formular, das durch den Beschluss der Kommission 2009/959/EU zur Änderung der Entscheidung 2007/230/EG über ein Formblatt betreffend die Sozialvorschriften für Tätigkeiten im Kraftverkehr festgelegt ist) zu verwenden. Für eine derartige Interpretation spreche auch, dass das derzeit verwendete „EU-Formblatt“ auf Art. 11 Abs. 3 der Richtlinie 2006/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über Mindestbedingungen für die Durchführung der Verordnungen (EWG) Nr. 3820/85 und (EWG) Nr. 3821/85 des Rates über Sozialvorschriften für Tätigkeiten im Kraftverkehr sowie zur Aufhebung der Richtlinie 88/599/EWG des Rates (in der Folge: RL 2006/22/EG) basiere und diese Richtlinie unverändert gelte.

Es stellt sich somit zunächst die Frage, ob lenkfreie Tage unter den Begriff der „Tätigkeit“ in Art. 34 Abs. 3 letzter Satz der VO (EU) 165/2014 fallen und es daher seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung untersagt ist, vom Lenker die Vorlage einer Bestätigung über lenkfreie Tage zu verlangen, wie dies nach wie vor in § 102a Abs. 4 KFG 1967 vorgesehen ist.

Für ein solches Verbot spricht neben der absoluten Formulierung des Art. 34 Abs. 3 letzter Satz der VO (EU) 165/2014 die Argumentation des BMVIT in einem anderen Teil des angeführten Erlasses: Dort führt das BMVIT zur Frage der Dokumentation von Urlaub und Krankenstand, insbesondere dazu, ob diese durch manuellen Eintrag im Kontrollgerät zu dokumentieren sind beziehungsweise ob diese Zeiträume unter die in Art. 34 Abs. 3 bzw. Abs. 5 lit b Ziffer ii, iii, iv VO (EU) 165/2014 genannten Zeiträume fallen, aus, dass bei Kontrollgeräten ab der zweiten Generation kein Formblatt mehr notwendig sei, da der Fahrer diese Zeit unter dem „Bettsymbol“ als Arbeitsunterbrechungen oder Ruhezeiten selbst manuell nachtragen könne. Würde der Fahrer diese Tätigkeit nicht nachtragen, dann müsse das „EU- Formblatt“ verwendet werden.

Das BMVIT widerspricht sich im Erlass somit selbst, weil es einerseits ausführt, dass lenkfreie Zeiten nicht unter die in Art. 34 Abs. 3 bzw. Abs. 5 Buchstabe b Ziffer ii, iii, iv VO (EU) 165/2014 genannten Zeiträume fallen würden, andererseits aber ausführt, dass bei Fahrzeugen mit digitalen Kontrollgeräten ab der zweiten Generation [damit dürften die der VO (EU) 165/2014 entsprechenden digitalen Fahrtenschreiber gemeint sein] kein Formblatt mehr notwendig sei und Krankenstand und Urlaub unter dem „Bettsymbol“ als Zeitraum gemäß Art. 34 Abs. 5 lit. b Z iv VO (EU) 165/2014 im Kontrollgerät nachträglich zu erfassen seien. Die letztgenannte Argumentationslinie scheint durchaus der Intention der VO (EU) 165/2014 zu entsprechen, dass sämtliche Lenk- und Ruhezeiten eines Lenkers, der ein Fahrzeit mit einem digitalen Kontrollgerät benutzt, auf der Fahrerkarte dokumentiert sein müssen und daher die Vorlage manueller Aufzeichnungen (Schaublätter, aber auch sonstige Aufzeichnungen wie das „EU-Formblatt“) bei einer Kontrolle nicht mehr erforderlich sind. Art. 4 Abs. 3 lit. e VO (EU) 165/2014 sieht dies ausdrücklich vor.

2.       Für diese Auslegung spricht außerdem auch Art. 36 Abs. 2 VO (EU) 165/2014. In dessen Unterabsatz ii) wird der Lenker zwar zur Vorlage der nach der Verordnung (EG) 561/2006 vorgeschriebenen Unterlagen an einen Kontrolleur verpflichtet, nicht aber zur Vorlage von Unterlagen, die durch die RL 2006/22/EG vorgeschrieben sind, also insbesondere nicht des „EU-Formblattes“.

3.       Sollten auf Grund der VO (EU) 165/2014 vom Kontrolleur keine Bestätigungen über lenkfreie Tage mehr verlangt werden dürfen, insbesondere weil diese Tage unter den Begriff der „Tätigkeit“ gemäß Art. 34 Abs. 3 letzter Satz dieser Verordnung fallen, würde § 102a Abs. 4 letzter Satz KFG 1967 dem Unionsrecht widersprechen und müsste unangewendet bleiben. In weiterer Folge dürfte der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens nicht wegen Verletzung dieser Bestimmung bestraft werden. Das vorlegende Gericht erachtet somit die Frage, ob solche Bestätigungen nach wie vor verlangt werden dürfen, als klärungsbedürftig.

V.       Zur II. Frage

1.       Art. 11 Abs. 3 der RL 2006/22/EG normiert, dass die Kommission nach dem in Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Verfahren ein elektronisches und druckfähiges Formblatt erstellt, das verwendet wird, wenn sich der Fahrer innerhalb des in Art. 15 Abs. 7 Untersatz 1 erster Gedankenstrich der VO (EWG) Nr. 3821/85 genannten Zeitraums im Krankheits- oder Erholungsurlaub befunden hat oder wenn der Fahrer innerhalb dieses Zeitraums ein anderes aus dem Anwendungsbereich der VO (EWG) Nr. 3820/85 ausgenommenes Fahrzeug gelenkt hat. Der Verweis auf die außerkraftgetretene VO (EWG) Nr. 3821/85 gilt gemäß Art. 47 VO (EU) 165/2014 als Verweis auf die VO (EU) 165/2014.

Das von der Kommission mit dem Beschluss 2009/959/EU am 14. Dezember 2009 erstellte Formblatt beinhaltet – anders als das zuvor auf Grund der Entscheidung der Kommission 2007/230/EG geltende Formular, das mit dem Beschluss 2009/959/EU außer Kraft gesetzt wurde – neben den drei in Art. 11 Abs. 3 RL 2006/22/EG angeführten Zeiträumen auch noch Zeiträume in welchen sich der Fahrer im Urlaub oder in Ruhezeit befand (Punkt 16 des Formblattes), andere Tätigkeiten als Lenktätigkeiten ausgeführt hat (Punkt 18 des Formblattes) oder zur Verfügung stand (Punkt 19 des Formblattes). Damit scheint die Kommission die ihr durch Art. 11 Abs. 3 RL 2006/22/EG eingeräumte Ermächtigung überschritten zu haben. Der Grund dafür dürften nach den Erwägungsgründen zum Beschluss 2009/959/EU in Zweckmäßigkeitsüberlegungen liegen, die aber vom Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 RL 2006/22/EG entgegenstehen.

Darüber hinaus sind diese drei Zeiträume gemäß Art. 34 Abs. 3 lit. b VO (EU) 165/2014 bei Fahrzeugen, welche mit einem digitalen Fahrtenschreiber ausgerüstet sind, mittels manueller Eingabevorrichtung des Fahrtenschreibers auf der Fahrerkarte einzutragen. Gemäß Art. 34 Abs. 3 letzter Satz VO (EU) 165/2014 dürfen die Mitgliedstaaten von den Fahrern nicht die Vorlage von Formularen verlangen, mit denen die Tätigkeit der Fahrer, während sie sich nicht im Fahrzeug aufhalten, bescheinigt wird. Somit scheint das von der Kommission mit dem Beschluss 2009/959/EU erstellte Formular auch Art 34 Abs. 3 VO (EU) 165/2014 zu widersprechen und ein verpflichtend zu verwendendes Formular, das dem Nachweis der Tätigkeit während der in den Punkten 16, 18 und 19 des Formulars genannten Zeiträume dient, seit Inkrafttreten der VO (EU) 165/2014 nicht mehr zulässig zu sein.

2.       Wenn die Punkte 16, 18 und 19 des mit dem Beschluss 2009/959/EU erlassenen Formblattes den genannten Bestimmungen widersprechen, so muss dies nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich zur – allenfalls auch nur teilweisen – Ungültigkeit des Formulars führen.

Im Fall der (teilweisen) Ungültigkeit des durch den Beschluss 2009/959/EU erstellten „EU-Formblattes“ dürfte der Beschwerdeführer nicht nach § 102a Abs. 4 letzter Satz KFG 1967 bestraft werden. Das vorlegende Gericht erachtet daher die Frage nach der (teilweisen) Ungültigkeit dieses Formulars wegen des möglichen Widerspruchs zur Art. 11 Abs. 3 RL 2006/22/EG und zu Art. 34 Abs. 3 VO (EU) 165/2014 als klärungsbedürftig.

VI.      Zu Spruchpunkt 2.

Gemäß § 34 Abs. 2 Z 2 VwGVG wird die Zeit eines Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht in die Entscheidungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG eingerechnet. Gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG und § 38a Abs. 1 AVG dürfen bis zum Einlangen der Vorabentscheidung nur solche Handlungen vorgenommen oder Entscheidungen und Verfügungen getroffen werden, die durch die Vorabentscheidung nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten, wenn dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgelegt wurde.

Das Beschwerdeverfahren wird daher – abgesehen vom Vorliegen einer in § 38a AVG genannten Ausnahme – hinsichtlich des (alleine offenen) Spruchpunktes 6. des angefochtenen Straferkenntnisses erst nach Vorliegen der Antwort des Gerichtshofes der Europäischen Union fortgesetzt werden.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Kraftfahrrecht; Vorabentscheidungsersuchen; Fahrerkarte; Formblatt; Gültigkeit;

Anmerkung

Der Beschluss vom 4. Februar 2019 wird dahingehend berichtigt, dass es in der
Vorlagefrage I. anstatt „Richtlinie 2006/33/EG“ „Richtlinie 2006/22/EG“
zu lauten hat.
Urteil des EuGH vom 7.5.2020, Rechtssache C-96/19

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2019:LVwG.S.2546.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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