Entscheidungsdatum
14.11.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W201 2117398-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, XXXX vom 25.10.2015, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Der Antrag, dem Beschwerdeführer unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben, wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 8a VwGVG iVm § 52 Abs. 1 BFA-VG als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Herr XXXX (in der Folge Beschwerdeführer), StA Afghanistan, stellte am 19.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei seiner niederschriftlichen Ersteinvernahme durch die Polizei am 20.07.2014 gab der Beschwerdeführer an, dass er mit seinen Eltern im Iran gewohnt habe. Aus wirtschaftlichen Gründen seien diese mit der gesamten Familie im Jahr 2013 nach Afghanistan zurückgekehrt. Dort habe er ein paschtunisches Mädchen kennengelernt. Dass das Mädchen Paschtunin gewwesen sei, habe er nicht gewusst. Er habe mit diesem Mädchen eine sexuelle Beziehung gehabt. Hazare und Paschtunen seien jedoch verfeindet, daher habe sein Vater gemeint, dass der Beschwerdeführer Afghanistan sofort verlassen müsse. Er sei in den Iran gereist, seine Eltern seien ihm 2 Wochen später gefolgt. Er fürchte sich vor der Rache der Paschtunen.
Am 22.12.2014 wurde der Beschwerdeführer von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Er sei Hazara und schiitischer Moslem. Er sei in XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz XXXX geboren. Als er zwei Jahre alt gewesen sei, hätten seine Eltern mit ihm Afghanistan verlassen. Er habe im Iran 7 Jahre lang eine Schule besucht und auf einer Baustelle gearbeitet. Dann gab der Beschwerdeführer sinngemäß dieselbe Fluchtgeschichte wider, die er schon bei seiner Erstbefragung angab.
Er habe nicht in einen andere Teil Afghanistans fliehen können, weil ihn die Familie des Mädchens überall finden würde. Er gab weiters an, nie wegen des Vorfalls in Afghanistan selbst bedroht worden zu sein. Auch aus anderen Gründen sei er nicht bedroht oder verfolgt worden und habe auch nie Schwierigkeiten mit den Behörden gehabt.
2. Mit Bescheid vom 25.10.2015, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten (in der Folge die belangte Behörde) unter Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, BGBl I Nr. 100/2005 idgF ab.
Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Unter Spruchpunkt III. wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.10.2016 erteilt.
Spruchpunkt I. wurde dahingehend begründet, dass seine Angaben zum Fluchtgrund nicht nachvollziehbar und unglaubwürdig gewesen seien. Auch wenn im Herkunftsstaat schlechte Verhältnisse herrschten, so liege in diesem Umstand noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK.
3. Mit Verfahrensanordnung vom 28.10.2015 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG die ARGE Rechtsberatung als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.
4. Mit Beschwerde vom 10.11.2015 bekämpfte der Beschwerdeführer den Spruchpunkt I. des Bescheides. Die belangte Behörde habe dem Fluchtvorbringen unzulässigerweise die Glaubwürdigkeit abgesprochen, ohne das Vorbringen einer weiteren Ermittlung zu unterziehen. Das Vorbringen sei sehr lebensnah. Auch sei in den Länderberichten nicht ausreichend auf das Thema "Zina" eingegangen worden. Der Beschwerdeführer habe auch keine Möglichkeiten gehabt, der Beweiswürdigung entgegenzutreten und sei daher in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt. Auch ein drohender Ehrenmord sei in den Länderberichten bestätigt.
Es werde der Antrag gestellt, dem Beschwerdeführer einen Verfahrenshelfer beizustellen und den angefochtenen Bescheid in Bezug auf Spruchpunkt I. zu beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
5. Am 02.10.2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Mit der Ladung wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29.06.2018 übermittelt. Die Rechtsberatung des Beschwerdeführers erschien trotz ausgewiesener Ladung nicht zur Verhandlung. Unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi gab der Beschwerdeführer sinngemäß an, er habe vor der Polizei und dem BFA die Wahrheit gesagt. Er besitze keine Identitätsdokumente. Er habe in Afghanistan in einem Dorf mit ca 500 bis 700 Einwohner gelebt. In der Umgebung hätten auch andere Ethnien gelebt, diese seien aber 1 bis 2 Stunden zu Fuß entfernt gewesen.
Zu seinem Fluchtgrund befragt führte er aus, er habe sich eines Tages eine Stelle zum Gitarrespielen außerhalb des Dorfes gesucht. Da sei eine junge Frau - ca 19 bis 20 Jahre alt - gekommen, habe ihn angesprochen und sie hätten einander kennengelernt. Sie habe ihn manchmal Gitarrespielen gehört und habe diese Stimme gesucht. Sie wohne in der Gegend. Das Mädchen sei alleine unterwegs gewesen. In weiterer Folge hätten sie Telefonnummern ausgetauscht. Die Frau hätte ein heimliches Handy gehabt und manchmal habe sie ihn und manchmal er sie angerufen. Nach ca 2 Monaten sei es zum ersten Geschlechtsverkehr gekommen. Insgesamt hätten sie sich dreimal in einer Hütte getroffen. Er habe dann seinem Vater von der Frau erzählt und dieser habe dann recherchiert, ob der Beschwerdeführer diese Frau vielleicht heiraten könnte. Sein Vater sei sehr aufgeregt gewesen, als er erfahren habe, dass die Frau Paschtunin sei. und beschlossen, dass die Familie das Haus verkaufen und fliehen müsse. Der Beschwerdeführer sei sodann in den Iran gegangen und seine Eltern seien 2 Wochen später nachgekommen. Der Beschwerdeführer sei dann von dort nach Österreich gereist. Im Iran hätte er nicht bleiben können, weil die Polizei ihn festnehmen hätte können. Der Beschwerdeführer selbst sei nicht bedroht worden, jedoch sein Onkel, der im Heimatdorf des Beschwerdeführers lebe, sei von der Familie des Mädchens bedroht worden. Er wisse nicht, was mit der Frau passiert sei. Eine Heirat sei nicht möglich gewesen, weil Paschtunen niemals Hazara heiraten. Der Beschwerdeführer fürchte, dass er in Afghanistan getötet werde. Zu den Länderinformationen wollte er keine Stellungnahme abgeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger und stammt aus der Provinz XXXX , dem Distrikt XXXX , Dorf XXXX . Im Alter von ca 2 Jahren ist er in den Iran gezogen. 2013 ist seine Familie wieder zurück nach Afghanistan.
Er ist Moslem, Shiit und Hazara und volljährig. Der Beschwerdeführer hat am 19.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Beschwerdeführer besitzt keine Tazkira, seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer verfügt über eine 7-jährige Schulbildung und hat im Iran verschiedene Saisonarbeiten verrichtet. In Afghanistan betrieb seine Familie eine Landwirtschaft.
Der BF hat in Österreich weder Familie noch Verwandte und ist nicht erwerbstätig. Er hat Deutschkurse absolviert und besucht seit zwei Jahren ein Abendgymnasium. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
Gesundheitliche Probleme liegen beim Beschwerdeführer nicht vor.
In seinem Heimatdorf leben noch sein Onkel und Familienangehörige, die er nicht kennt. Seine Eltern wohnen im Iran, der Beschwerdeführer hat keine Geschwister.
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan nicht politisch tätig, hatte keine Probleme mit den staatlichen Behörden.
Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat kann nicht festgestellt werden.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat wird auf die aktuellen Länderfeststellungen der Staatendokumentation verwiesen, vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 verwiesen:
1. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o.D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
Quellen:
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2. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-p