TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/20 W256 2146396-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.12.2018
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Entscheidungsdatum

20.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W256 2146396-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX alias XXXX, StA Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12. Jänner 2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 18. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben) folgendes an: "Die Taliban haben in unserem Gebiet die Macht übernommen. Sie waren sehr grausam und haben viele Menschen getötet. Es war unsicher und da wir Hazara und Schiiten sind, waren wir in großer Gefahr. Aus diesem Grund flüchtete meine Familie."

Der Beschwerdeführer wurde am 28. Juni 2016 durch die belangte Behörde einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und brachte er ua. ergänzend vor, dass die Taliban seinen Vater wegen dessen Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen zur Mitarbeit aufgefordert und bedroht hätten. Daraufhin seien er und seine Familie nach Pakistan geflüchtet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft habe machen können. Aber auch unabhängig davon, handle es sich bei der behaupteten Bedrohung durch die Taliban um keine asylrelevante Verfolgung. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, kann daraus keine Verfolgungsgefahr abgeleitet werden. Entsprechend einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass die Sicherheitslage in Kabul im afghanischen Vergleich verhältnismäßig gut sei und kein reales Risiko einer Verletzung nach Art. 3 EMRK für den Fall einer Rückführung gegeben sei. Kabul sei per Flug gut zu erreichen und sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz auch nicht zwingend. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan werde der Beschwerdeführer in der Lage sein, entweder durch familiäre Unterstützung oder durch Arbeitsaufnahme eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden und sein Existenzminimum zu sichern. Mangels familiärer und berücksichtigungswürdiger sozialer Kontakte in Österreich könne nicht von einer nachhaltigen Integration ausgegangen werden, womit insgesamt gesehen, eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er werde aufgrund der Arbeit seines Vaters durch die Taliban asylrelevant verfolgt und sei die Schutzfähigkeit bzw. die Schutzwilligkeit des afghanischen Staates diesbezüglich nicht gewährleistet. Darüber hinaus drohe ihm

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wie diverse wiedergegebene Berichte über Anschläge belegen würden

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als Angehöriger der Volksgruppe der schiitischen Hazara Verfolgung. Außerdem könne "eine Zwangsrekrutierung und damit eine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung betroffenen Jugendlichen sowie aufgrund seiner politischen Gesinnung und westlichen Orientierung" nicht ausgeschlossen werden. Unter einem legte der Beschwerdeführer u. a. in Bezug auf eine aufgrund seiner Hüftdysplasie erfolgte Operation einen ärztlichen Entlassungsbrief des Landeskrankenhauses

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Universitätsklinikum XXXX vom 20. Dezember 2016 vor.

Mit Schreiben vom 29. Jänner 2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 9. Jänner 2018 betreffend des Verdachtes der Begehung einer Straftat gemäß § 91 StGB durch den Beschwerdeführer übermittelt.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde den Parteien, ua. der EASO Informationsbericht zu Rekrutierungsstrategien der Taliban, eine ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen die mit den US-Truppen zusammenarbeiten durch die Taliban (insbesondere in Provinz Laghman) vom 7. März 2013 sowie das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2. März 2017, zuletzt aktualisiert am 30. Jänner 2018, durch das Bundesverwaltungsgericht zum Parteiengehör übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 23. April 2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Darin wurde durch die erkennende Richterin die ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 1. Juni 2017, zur Situation für Rückkehrer aus Europa, in das Verfahren eingebracht. Weiters brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, dass die Onkel mütterlicherseits seines Vaters aufgrund ihrer Angehörigkeit zur lokalen Polizei zwischenzeitig von den Taliban ermordet worden seien und ihm auch insofern Verfolgung in Afghanistan drohe. Unter einem legte der Beschwerdeführer Befunde des Landeskrankenhauses - Universitätsklinikum XXXX vom 21. September 2017, vom 22. März 2018 und vom 5. April 2018 sowie einen Krankenhausbericht der XXXX Krankenanstalten Ges.m.b.H. vom 16. August 2016 vor.

In seiner Stellungnahme vom 27. April 2018 führte der Beschwerdeführer u.a. aus, aus den EASO Berichten vom August und vom Dezember 2017 gehe hervor, dass sich die Sicherheitslage in ganz Afghanistan einschließlich Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif verschlechtere und sei laut den UNHCR Richtlinien das gesamte Staatsgebiet von einem innerstaatlichen Konflikt betroffen. Neben der schlechten Sicherheitslage verfüge der Beschwerdeführer in den genannten Städten auch nicht über tragfähige soziale Netze, weshalb ihm auch im Hinblick auf seine bisher fehlende Berufstätigkeit der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit zu lebensnotwendigen Nahrungsmitteln und zu Wohnraum verwehrt werde. Aufgrund seiner langen Abwesenheit aus Afghanistan werde er sich dort nicht mehr zurechtfinden. Auch sei zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund einer vorgenommenen Operation wegen einer Hüftdysplasie regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zu unterziehen habe und auch an einer Gastritis leide. Der Zugang zu den nötigen Medikamenten bzw. Behandlung sei in Afghanistan nicht gewährleistet. Insofern wäre der Beschwerdeführer im Fall einer Neuansiedlung in den genannten Städten von unzumutbaren Härten betroffen und verwies der Beschwerdeführer diesbezüglich auszugsweise auf einen Artikel von XXXX, wonach u.a. die Annahme, dass zumindest alleinstehende, junge, gesunde Männer und kinderlose Paare ihr Überleben in Afghanistan sichern können, durch die derzeitige humanitäre Lage grundlegend in Frage gestellt sei. Unter einem legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung seines Hausarztes vom 26. April 2018 vor.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29. Juni 2018, zuletzt aktualisiert am 23. November 2018 (im Folgenden: LIB) zum Parteiengehör übermittelt.

Über telefonische Nachfrage teilte die Staatsanwaltschaft XXXX dem Bundesverwaltungsgericht am 10. Dezember 2018 mit, dass das gegen den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren zwischenzeitig eingestellt worden sei.

In seiner Stellungnahme vom 11. Dezember 2018 brachte der Beschwerdeführer vor, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan - wie aus dem übermittelten LIB hervorgehe - zunehmend verschlechtere. Dies stimme auch mit der vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (BmEIA) verhängten Reisewarnung für Afghanistan (Sicherheitsstufe 6) überein. Darin werde zum einen vor Reisen nach Afghanistan gewarnt und werde zum anderen den in Afghanistan lebenden Österreichern dringend empfohlen, Afghanistan zu verlassen. Konkret heiße es auf der Homepage, dass im ganzen Land das Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen, einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle bestehe. Auch finde sich dort der Hinweis, dass Reisewarnungen im Regelfall nur in besonderen Krisensituationen ausgesprochen werden würden. Diese generelle Gefährdung für Leib und Leben müsse für rückkehrende Afghanen gleichermaßen gelten, finden diese doch dieselbe Sicherheitssituation vor, wie reisende Österreicher bzw. Auslandsösterreicher. Auch habe sich - wie einer Stellungnahme eines ausgewiesenen Afghanistanexperten vom 13. November 2018 zu entnehmen sei - die Situation für Hazara erneut verschlechtert. Auch aus den UNHCR Richtlinien vom 30. August 2018 gehe hervor, dass gerade Zivilist/innen im Rahmen ihrer alltäglichen jobbezogenen und sozialen Aktivitäten im urbanen Raum dem Risiko von Gewalt ausgesetzt seien und werde darin auch darauf hingewiesen, dass aufgrund der hohen Anzahl von Binnenvertriebenen sowie der Rekorddürre u.a. in Balkh die Landwirtschaft zusammenbrechen würde. Dies und der Umstand der besonderen Vulnerabilität des Beschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Krankheit, seiner fehlenden beruflichen Qualifikation und dem Umstand, dass er niemanden in Afghanistan habe, bewirke, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr mit unzumutbaren Härten konfrontiert wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person

Der - im Spruch genannte - Beschwerdeführer besitzt die afghanische Staatsangehörigkeit, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem (OZ 1 AS 1, AS 95, Verhandlungsschrift Seite 6).

Er wurde in Afghanistan, in der Provinz Uruzgan, im Distrikt XXXX, im Dorf XXXX geboren und ist er dort auch aufgewachsen. Der Beschwerdeführer ist Ende 2014 ungefähr für 8 Monate gemeinsam mit seiner Familie nach Pakistan und anschließend alleine nach Europa ausgereist (OZ 1 AS 95, Verhandlungsschrift Seite 6 f).

Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, seinen vier Schwestern und seinen zwei Brüdern (Verhandlungsschrift Seite 7). Bis auf seinen Vater ist seine Familie derzeit in Pakistan aufhältig (Verhandlungsschrift Seite 10). Sein Vater lebt im Iran, um dort zu arbeiten (Verhandlungsschrift Seite 10). Die Großmutter des Vaters mütterlicherseits ist nach der Ausreise des Beschwerdeführers und seiner Familie in Afghanistan verblieben und ungefähr im Jahr 2017 dort verstorben (Verhandlungsschrift Seite 11 ff und Seite 22).

Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Familie. Es geht ihnen (auch finanziell) gut. Die Familie lebt von den Arbeitseinkünften des Vaters und den Zuwendungen des in Australien lebenden Onkels (Verhandlungsschrift Seite 10 f). Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan wäre seine Familie in der Lage, diesen finanziell zu unterstützen (siehe dazu die Beweiswürdigung).

Der Beschwerdeführer spricht Dari, Farsi, Paschtu und ein wenig Deutsch (OZ 1 AS 1, AS 109, Verhandlungsschrift Seite 9 und 15 f).

Er hat in Afghanistan von seinem 7. Lebensjahr bis zu seinem 12. Lebensjahr - mit Unterbrechungen - die Schule besucht (OZ 1 AS 109, Verhandlungsschrift Seite 8 f).

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig (Verhandlungsschrift Seite 8) und arbeitsfähig.

Er ist seit seiner Antragsstellung am 18. September 2015 im Bundesgebiet aufhältig (OZ 1 AS 3). Zudem ist er strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 6. Dezember 2018).

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über zwei Cousins seiner Mutter, wobei mit diesen Verwandten keine - über einen allgemeinen und derzeit nicht aufrechten Kontakt hinausgehende - Bindung besteht (Verhandlungsschrift Seite 14).

Der Beschwerdeführer verbringt seinen Alltag in Österreich damit, die XXXX in XXXX zu besuchen (Verhandlungsschrift Seite 15 und Beilage ./E). Im Zeitraum vom 17. Oktober 2016 bis Ende Jänner 2017 hat der Beschwerdeführer einen Pflichtschulabschlusslehrgang besucht, welchen er ohne Ablegung von Prüfungen beendet hat (Urkundenvorlage vom 18. Mai 2018). Er verfügt über freundschaftliche Kontakte (Verhandlungsschrift Seite 17). Mit seinen Mitbewohnern, seinen Freunden und auch Schulkameraden verbringt er seine Freizeit, indem er mit ihnen spazieren geht sowie ausgeht (Verhandlungsschrift Seite 15 f). Der Beschwerdeführer hat sich in seiner Heimatgemeinde zwar für gemeinnützige Arbeiten angemeldet, bislang aber noch keine Arbeit verrichtet (Verhandlungsschrift Seite 16).

Der Beschwerdeführer ist aufgrund einer Hüftdysplasie operiert worden (OZ 1 AS 275 ff) und diesbezüglich derzeit voll belastbar und auch beschwerdefrei. Er befindet sich diesbezüglich nicht in Behandlung, allerdings wurden ihm vom behandelnden Krankenhaus Kontrolltermine alle 6 Monate nahegelegt (Verhandlungsschrift Seite 4 f und Beilagen ./A, ./B und ./C).

Der Beschwerdeführer leidet an einer Gastritis, weshalb er (lediglich) bei Bedarf in medikamentöser und ärztlicher Behandlung steht (Verhandlungsschrift Seite 4 ff, Bestätigung des Hausarztes vom 26. April 2018 und Krankenhausbericht der XXXX Krankenanstalten Ges.m.b.H. vom 16. August 2016).

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt (Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 6. Dezember 2018).

zur Lage in Afghanistan

zur Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB, Seite 42).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB, Seite 42).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB, Seite 45).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB, Seite 53).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB, Seite 46).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB, Seite 45).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB, Seite 46).

Zu Uruzgan

Der Provinz Uruzgan - lange Zeit eine der umstrittensten Provinzen im Süden des Landes - wird nachgesagt, der Geburtsort des Talibangründers Mullah Omar zu sein. Im Jahr 2001 war sie Ort einer Guerillaoperation - geführt vom ehemaligen Präsident Karzai - um die Taliban zu vertreiben. Die Provinz hat somit für beide Seiten des Konfliktes symbolischen Wert (LIB, Seite 222 ff).

Uruzgan zählt zu den volatilen Provinzen im Süden Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen sind in einer Anzahl von Distrikten aktiv. Auch zählt Urzugan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (LIB, Seite 222 ff).

Die afghanischen Sichrheitskräfte sowie die afghanische Armee führen hartnäckig Antiterror-Operationen in der Provinz durch, um Aktivitäten von Aufständischen und Terroristen zu verringern. Insbesondere in den unruhigen Distrikten der Provinz werden regierungsfeindliche bewaffnete Kräfte bekämpft (LIB, Seite 222 ff).

Uruzgan gehört zu den Provinzen des Landes, in denen die Opium-Produktion und dadurch die Präsenz der Taliban im Laufe des Jahres 2017 gestiegen ist. Berichten zuflge sind in einigen Distrikten die Taliban aktiv. So wurde beispielsweise das Hauptkrankenhaus der Provinz im September aufgrund von Drohungen der Taliban vorübergehend geschlossen (LIB, Seite 222 ff).

Zu Mazar-e Sharif

Mazar-e-Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e-Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri. Sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich auch an und auch der Dienstleistungsbetrieb wächst. In Mazar-e-Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB, Seite 85 ff).

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten (LIB, Seite 85 ff).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, das darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz zu reduzieren (LIB, Seite 85 ff).

Die Provinz Balkh ist nach wir vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistan, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen Nordafghanistans. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (LIB, Seite 85 ff).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB, Seite 85 ff).

zur Situation der Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-15% geschätzt (LIB, Seite 290).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB; Seite 290).

Im Ulema Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote schiitischer Muslime va. 30 %. Auch tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern sunnitischer und schiitischer Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Seite 290).

Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (LIB, Seite 290).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB, Seite 291).

zu den ethnischen Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken (LIB, Seite 297).

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB, Seite 298).

zur Situation der Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden (LIB, Seite 300).

Doe Hazara-Gemeinschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammeskulturen bezeichnet, dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammeskulturen. Das traditionelle Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB, Seite 300).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage verbessert. Sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischen und politischen Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war, diese Möglichkeit zu nutzen, so haben sie dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemeinen wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist (LIB, Seite 300).

Gesellschaftliche Spannungen bzw. Diskriminierungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (LIB, Seite 301).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10 % in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (LIB, Seite 301).

Zur Versorgungslage:

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB, S. 336).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB, S. 336 ff).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben (LIB, Seite 338).

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB, Seite 340).

In den letzten 10 Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (LIB, Seite 340).

Das afghanische Gesundheitsministerium bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten, diese Kosten müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (LIB, Seite 341 ff).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Während in den Städten ein aureichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (LIB, Seite 342 ff).

zur Situation im Falle einer Rückkehr

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB; Seite 349).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB, Seite 351).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. AMASO bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa Beratung und Unterstützung. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB, Seite 351 ff).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB, Seite 352 ff).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB, S. 353 ff).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, S. 353 ff).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Seite 354).

Zur Zwangsrekrutierung durch die Taliban

Zwang oder die sogenannte Zwangsrekrutierung zählen zu den Mechanismen bzw. Faktoren, die bei der Anwerbung zum Einsatz kommen. Allerdings sollte bei einer Definition zwischen den unterschiedlichen Akteuren, die daran beteiligt sein können, unterschieden werden.

Familienmitglieder oder nahe Verwandte können Zwang gegenüber einem Angehörigen ausüben, damit er sich den Kämpfern anschließt. Wirtschaftliche, religiöse und weitere Faktoren können eine Familie dazu bringen, eines ihrer jungen männlichen Familienmitglieder für die Taliban-Truppen zur Verfügung zu stellen oder in eine Madrassa zu schicken, wo sie ebenfalls rekrutiert werden können. Aber auch Stammes- oder Gemeinschaftsvorstehen könnten im Falle einer Gruppenmobilisierung zur Unterstützung der Taliban Zwangsmaßnahmen gegen Familien oder Einzelpersonen ergreifen. Als Gründe, warum sich Teile der Bevölkerung den Aufständischen anschließen, werden Loyalität gegenüber dem alten Taliban-Regime, wirtschaftliche Anreize, Machtkämpfe mit Staatsbediensteten, Fehden mit anderen Gemeinschaften sowie Rachegefühle aufgrund willkürlicher Tötungen durch ausländische Soldaten, genannt.

Zwangsrekrutierungen durch Militärkommandeure, Führungspersönlichkeiten oder Kämpfer der Taliban (d. h. Fälle, in denen Einzelpersonen oder ihre Familien direkt angesprochen und zur Teilnahme gezwungen werden, weil ihnen im Falle der Weigerung Vergeltung oder Gewaltanwendung angedroht werden) sind als Ausnahmen zu betrachten. Beispiele für diese Ausnahmefälle gibt es nach vorliegenden Informationen in Helmand, Kunduz, Kunar, Regionen in Pakistan und in Urusgan. Häufig werden auch die Gebiete genannt, in denen diese Ausnahmefälle auftreten: in Regionen unter ausgeprägtem Einfluss oder vollständiger Kontrolle der Taliban und in Bereichen, in denen soziale und staatliche Schutzstrukturen nicht funktionieren, wie in Flüchtlingslagern und Lagern für Binnenvertriebene.

In einigen Quellen werden Argumente aufgeführt, die gegen eine Zwangsrekrutierung sprechen: Die Taliban wollen die Bevölkerung nicht gegen sich aufbringen und verfügen über eine ausreichende Zahl von Freiwilligen, so dass Zwang nicht notwendig ist (EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban vom Juli 2012, Seite 43 ff).

Zur Zwangsrekrutierung von Minderjährigen

Unicef ist besorgt über die Rekrutierung von Kindern für den bewaffneten Konflikt in Afghanistan. Im Jahr 2010 erklärte die Organisation, dass Kinder als Spione und Informanten, zum Transport von Sprengstoff oder zur Durchführung von Selbstmordanschlägen rekrutiert würden. Von der Anwerbung Minderjähriger durch verschiedene bewaffnete Gruppen in Afghanistan und Pakistan berichten mehrere Quellen. Gruppen von Aufständischen rekrutieren Minderjährige als Kämpfer, Informanten, Wächter oder sogar als Selbstmordattentäter. Fälle von Zwangsrekrutierungen werden überwiegend aus dem Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan gemeldet. Kinder können von Aufständischen am leichtesten in Gebieten rekrutiert werden, in denen zurückgekehrte Flüchtlinge und Binnenvertriebene leben und keine schützenden sozialen Strukturen bestehen.

Das Islamische Emirat Afghanistan (Quetta Shura der Taliban) gab eine Erklärung zu der Behauptung ab, dass die Quetta Shura die Rekrutierung von Kindern zulasse. Dabei wird auf Artikel 69 des Verhaltenskodexes verwiesen: "Es besteht ein Verbot für die Unterbringung von Jugendlichen an Orten, an denen sich Mudschaheddin aufhalten, und in militärischen Zentren." Weiter heißt es, dass kein Bedarf an der Rekrutierung von Kindern bestehe, da es mehr als genug erwachsene Kämpfer gebe. Die Rekrutierung von Kindern würde überdies gegen die Scharia verstoßen, und Kinder seien nicht fähig, ernsthafte Militärschläge auszuführen. Das Kriterium zur Bestimmung des Minderjährigenstatus ist der Bartwuchs. Dieses Kriterium ist offenbar bei den Taliban allgemein anerkannt, entspricht aber natürlich nicht dem Maßstab der Vollendung des 18. Lebensjahres.

Ein Kommandeur der Taliban in den pakistanischen Stammesgebieten unter Bundesverwaltung äußerte sich zu seinen Rekruten wie folgt:

"Die Jungen wollen bei uns mitmachen, weil ihnen unsere Waffen gefallen. Am Anfang benutzen sie keine Waffen. Sie tragen sie nur für uns. (...) Die Kinder bei uns sind fünf, sechs und sieben Jahre alt." In der Tat gibt es Berichte über die Rekrutierung von erst fünf Jahre alten Kindern. Es kommt häufig vor, dass Kinder bereits in sehr jungen Jahren an Kampfhandlungen beteiligt sind.

Laut Auskunft eines kanadischen Kommandeurs wurde (2010) von einem Einheimischen im Bezirk Panjwai in der Provinz Kandahar in Erfahrung gebracht, dass er sogar acht Jahre alte Jungen für das Auslegen von Sprengfallen auf Straßen und in der Nähe von kanadischen Stellungen rekrutierte (EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban vom Juli 2012, Seite 35).

Zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen die mit den US-Truppen zusammenarbeiten durch die Taliban

Laut Angaben der AIHRC [Afghan Independent Human Rights Commission] seien Personen, die für die internationalen Streitkräfte arbeiten würden, ein Ziel der Taliban. Ihre Familienmitglieder würden ebenfalls von den Taliban eingeschüchtert, jedoch bestehe ein tatsächliches Risiko für die Person, die für die Streitkräfte arbeite ACCORD Anfragebeantwortung vom 7. März 2013).

Zur Situation für Rückkehrer:

Afghanen, die längere Zeit in Europa gelebt und kulturell verändert (mit anderer Kleidung, anderen Verhaltensweisen und anderem Akzent) zurückkommen, werden bei einer Rückkehr nach Afghanistan sozial stigmatisiert und besteht auch unter bestimmten Umständen ein Risiko, dem Vorwurf der Kollaboration mit dem Feind oder des Abfalls vom Glauben ausgesetzt zu werden (ACCORD Anfragebeantwortung vom 1. Juni 2017).

2. Beweiswürdigung:

Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln.

1. zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen und seinen Aufenthalten in Afghanistan und in Pakistan ergeben sich aus seinen diesbezüglich weitestgehend gleichbleibenden und glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem schulischen Werdegang stützen sich auf seine glaubhaften Aussagen im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Zusammenhalt mit seinen Angaben in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde (OZ 1 AS 109 ff, Verhandlungsschrift Seite 8 f).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung sowie den diesbezüglich vorgelegten medizinischen Unterlagen (OZ 1 AS 275 ff, Verhandlungsschrift Seite 4 ff, Beilagen ./A, ./B, ./C, und ./D, Bestätigung des Hausarztes vom 26. April 2018 und Urkundenvorlage vom 18. Mai 2018). Insbesondere aus dem Befund des Landeskrankenhauses-Universitätsklinikum XXXX vom 5. April 2018 geht hervor, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Hüftdysplasie voll belastungsfähig und beschwerdefrei ist und lediglich Kontrolltermine vorgeschrieben wurden (Beilage ./C). In Bezug auf seine Magenbeschwerden war der Beschwerdeführer laut den vorgelegten Unterlagen zuletzt im August 2016 in stationärer Behandlung (Beilage ./D) und ist er derzeit lediglich im Bedarfsfall bei Beschwerden in ärztlicher und medikamentöser Behandlung (Verhandlungsschrift Seite 4 ff und Urkundenvorlage vom 18. Mai 2018).

Die Feststellungen zu seiner Familie ergeben sich aus den eigenen im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Angaben zu zweifeln (OZ 1 AS 5, 97 und Verhandlungsschrift Seite 7). Dass er mit diesen in laufendem Kontakt steht und es ihnen gut geht, führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung selbst aus (Verhandlungsschrift Seite 10) und deckt sich dies im Übrigen auch mit seinem Vorbringen im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde (OZ 1 AS 113), wonach er mit seiner Familie - bis auf seinen Vater - in Kontakt stehe. Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten seiner Kernfamilie und seines Onkels in Australien ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im behördlichen und gerichtlichen Verfahren (OZ 1 AS 111 und 113, Verhandlungsschrift Seite 8 und 10 f). Die Feststellungen zu seinen in Österreich lebenden Verwandten ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsschrift Seite 14).

Die Feststellung, dass die Familie den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr finanziell unterstützen kann, ergibt sich aus einer Zusammenschau der eigenen Angaben des Beschwerdeführers im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren zur finanziellen Situation seiner Familie. In Bezug auf die finanzielle Lage seiner Familie führte der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme vor der belangten Behörde aus, dass sein Vater die Familie in Afghanistan durch seine Arbeit in der Landwirtschaft ernährt habe und seine Familie in Pakistan über Ersparnisse verfüge und von seinem Onkel finanziell unterstützt werde (OZ 1 AS 113). Auch in der mündlichen Verhandlung führte der Beschwerdeführer aus, dass er die finanzielle Situation seiner Familie als gut einschätze (Verhandlungsschrift Seite 11). So sei es seiner Familie möglich, durch die Arbeit seines Vaters und den Zuwendungen des Onkels den Lebensunterhalt zu sichern (Verhandlungsschrift Seite 10). Gründe, die dafürsprechen würden, dass seine Familie über diese Zuwendungen nicht mehr verfügen würde, liegen nicht vor und wurden solche vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Auch hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, dass seine Familie ihn in einer Notsituation unterstützen können wird (Verhandlungsschrift Seite 13). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Familie des Beschwerdeführers diesen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan unterstützen kann und auch wird.

Die Feststellung seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellungen zu seinem Leben und seiner Integration in Österreich ergeben sich aus seinem diesbezüglichen Vorbringen in Zusammenhalt mit den vorgelegten Bestätigungen.

2. zu den Nichtfeststellungen in Bezug auf individuelle gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohungen in Afghanistan:

Die vom Beschwerdeführer im Verfahren behauptete Verfolgung durch die Taliban aufgrund der Person seines Vaters und dessen vermeintlicher Arbeitstätigkeit für die Ausländer konnte nicht plausibel und damit auch nicht glaubhaft gemacht werden. Gleiches gilt auch für die erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund einer Tätigkeit der Onkel seines Vaters für die Polizei.

Nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers habe sein Vater im Jahr 2013 für acht Monate als Maurer für die Ausländer gearbeitet und wurde dieser aus diesem Grund von den Taliban bedroht und darüber hinaus zur Zusammenarbeit aufgefordert. Obwohl der Vater daraufhin Ende 2013 seine Arbeitstätigkeit für die Ausländer eingestellt habe, seien die an den Vater gerichteten Aufforderungen der Taliban zur Zusammenarbeit nicht beendet gewesen und habe der Vater insofern letztendlich zwei Monate nach der letzten Bedrohung Ende 2014 den Entschluss zur Ausreise gefasst (Verhandlungsschrift Seite 17ff). Die Onkel des Vaters seien nach der Ausreise 2014 wegen ihrer Tätigkeit für die Polizei von den Taliban getötet worden (Verhandlungsschrift Seite 11).

Zunächst ist vorauszuschicken, dass der Beschwerdeführer laut seinem eigenen Vorbringen selbst nie einer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sein soll, weshalb eine direkte den Beschwerdeführer treffende Gefahr aufgrund der Tätigkeit seines Vaters, aber auch jener der Onkel seines Vaters zur damaligen Zeit und damit auch heute schon allein aus diesem Grund nicht angenommen werden kann (Verhandlungsschrift Seite 19: "R: Wurden Sie jemals von den Taliban bedroht bzw. zur Zusammenarbeit aufgefordert? BF: Wenn ich die Taliban gesehen habe, bin ich immer davongelaufen. Ich hatte nie einen direkten Kontakt. R wiederholt die Frage. BF: Von mir haben sie keine Zusammenarbeit verlangt, aber von meinem Vater."). Dies deckt sich im Übrigen auch mit den vorliegenden Länderberichten, welche Personen, die mit den Ausländern oder der Regierung zusammenarbeiten, nicht aber deren Familienangehörigen ein tatsächliches Gefährdungsrisiko attestieren.

Anders betrachtet wäre auch nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer im Zeitraum der vorgebrachten erstmaligen Bedrohung des Vaters im Jahr 2013 und der Ausreise Ende 2014 (OZ 1 AS 113) bzw. die Mutter der Onkel des Vaters und damit die Großmutter des Vaters sogar darüber hinaus in Afghanistan verbleiben konnte.

Dass - wie vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung bloß behauptet - ausschließlich männliche erwachsene Familienmitglieder von einer diesbezüglichen allfälligen Gefährdung betroffen sein sollen, kann den vorliegenden Länderberichten jedenfalls nicht entnommen werden. Ebenso wenig überzeugt das in diesem Zusammenhang weiters erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei aufgrund seines Alters von 16/17 Jahren und seiner damaligen Größe - im Unterschied zu seinem Vater - nicht zu einer Zusammenarbeit mit den Taliban aufgefordert worden, weil - wie den Länderfeststellungen demgegenüber zu entnehmen ist - teilweise sogar 5, 6 oder 7-jährige Kinder, von (Rekrutierungs)Maßnahmen der Taliban betroffen sein können (Verhandlungsschrift Seite 19ff: "R: Wurden Sie jemals von den Taliban bedroht bzw. zur Zusammenarbeit aufgefordert? BF: Wenn ich die Taliban gesehen habe, bin ich immer davongelaufen. Ich hatte nie einen direkten Kontakt. R wiederholt die Frage. BF: Von mir haben sie keine Zusammenarbeit verlangt, aber von meinem Vater schon. R: Wie erklären Sie sich, dass die Taliban Sie nicht zu einer Zusammenarbeit aufgefordert haben? BF: Ich war sehr jung und sehr klein, ich konnte auch die Waffen, die sie trugen, überhaupt nicht tragen. R: Sie waren zum Zeitpunkt der Flucht 16/17 Jahre alt, so jung waren Sie auch nicht. BF: Ich war zwar in diesem Alter, aber körperlich gesehen, war ich sehr klein.").

Letztlich ist aber auch auszuführen, dass es dem Beschwerdeführer nicht einmal gelungen ist, eine Bedrohungssituation (selbst) des Vaters konkret darzustellen (Verhandlungsschrift Seite 17ff: "R:

Bitte schildern, weshalb Sie Ihr Heimatland verlassen haben? BF:

Mein Vater hat den Amerikanern geholfen, mit ihnen mitgearbeitet. Er bekam eine Drohung seitens der Taliban, entweder soll er sich auf die Seite der Taliban schlagen, ansonsten wird er umgebracht. Und aus diesem Grund hat mein Vater seine Stelle bei den Amerikanern eingestellt und aufgehört und ist Richtung Pakistan aufgebrochen. Mein Vater hat ein paar Warnungen von den Taliban erhalten. Einmal war ich selber Zeuge, als ein vermummter Taliban zu uns nach Hause gekommen ist. Ich bin in das Haus hineingegangen, er sprach mit meinem Vater und daraufhin hat mein Vater den Entschluss gefasst, das Land zu verlassen"; "R: Sie haben vorher angegeben, dass Ihr Vater wegen seiner Tätigkeit bedroht worden sei, können Sie das bitte näher schildern. BF: Mein Vater wurde von den Taliban bedroht. Zwei andere Leute, die mit der Regierung gearbeitet haben, die beim Bau einer Polizeistation mitgeholfen haben, wurden von den Taliban verwarnt und getötet. Mein Vater wollte nicht gegen die Regierung arbeiten und wollte sich nicht auf die Seite der Taliban schlagen. Aus diesem Grund hat er sich für das Verlassen des Landes entschieden. Wenn jemand von den Taliban verwarnt wird, und dieser dem Wunsch der Taliban nicht nachkommt, ist nicht nur diese Person in Gefahr, sondern auch seine Familie."; OZ 1 AS 115: "F: Wie haben die von Ihnen zuvor genannten Bedrohungen ausgesehen? A: Sie sind persönlich zu meinem Vater und haben ihn bedroht. F: In wie weit haben die Taliban die Familie bedroht? A: Ja. Hätte mein Vater die Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert, hätten sie ihn getötet.

F: Ist Ihr Vater mit den Taliban mitgegangen? A: Nein, weil wir dann nach Pakistan gefahren sind.") und ist eine solche vor dem Hintergrund, dass sogar der Vater im Zeitraum der vorgebrachten erstmaligen Bedrohung im Jahr 2013 und der Ausreise Ende 2014 im Heimatort verbleiben konnte, auch nicht anzunehmen.

Der Vollständigkeit halber ist abschließend anzumerken, dass der Beschwerdeführer von einer Verfolgung in Afghanistan aufgrund der Tätigkeit seines Vaters und dessen Onkel nicht einmal selbst zweifelsfrei ausgeht (Verhandlungsschrift Seite 21: "R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Heimatort zurückkehren müssten? BF: Genau das, was gestern in Kabul passiert ist. Unbekannte Leute wurden von Unbekannten umgebracht. Das gleiche Schicksal wird mich auch erwarten. R: Wären Sie auch aufgrund der Tätigkeit Ihres Vaters oder Ihrer Onkel in Afghanistan bedroht? BF:

Wenn sie mich wiedererkennen und darauf kämen, dass ich der Sohn von dieser Person bin, der damals mit den Amerikanern gearbeitet hat bzw. mit mir eine Verwandtschaft mit den Onkeln besteht, werde ich sicherlich zur Rechenschaft gezogen.").

Es kann daher aufgrund der obigen Erwägungen das geschilderte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers insgesamt als nicht schlüssig und damit glaubhaft bewertet werden.

Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe in Bezug auf Afghanistan im Rahmen der Erstbefragung alleine auf seine Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und damit auf seine Eigenschaft als schiitischer Hazara beschränkte. Die von ihm in weiterer Folge bei der Einvernahme vor der belangten Behörde - und letztlich auch vor dem Bundesverwaltungsgericht - geäußerten Probleme zumindest aufgrund der oben geschilderten Tätigkeit seines Vaters nannte der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung hingegen nicht. Dabei wird von der erkennenden Richterin zwar nicht verkannt, dass sich - wie vom Beschwerdeführer auch moniert - die Erstbefragung nicht in erster Linie auf die Fluchtgründe bezieht und diese daher nur in aller Kürze angegeben und protokolliert wurden. Dass der Beschwerdeführer allerdings die in weiterer Folge geäußerte Bedrohung aufgrund der Tätigkeit seines Vaters - und somit seinen eigentlichen Fluchtgrund - zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnte, sondern sich auf die Situation als schiitischer Hazara beschränkte, ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar.

Dabei wird auch nicht übersehen, dass - aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des fluchtauslösenden Ereignisses - Unstimmigkeiten im Aussageverhalten bzw. Lücken und Unschärfen des Erinnerungsvermögens vorliegen können und auch hinzunehmen sind (siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 2014, Zl. 2014/19/0020.). Diesem Umstand Rechnung tragend wurde in der vorliegenden Beweiswürdigung auf bestehende Widersprüchlichkeiten in der Erzählung in Bezug auf Detailfragen des Beschwerdeführers nicht eingegangen, sondern alleine die Plausibilität und Glaubhaftigkeit des Kerninhaltes seiner Erzählung herangezogen.

Es konnten daher insgesamt keine Feststellungen in Bezug auf diese vom Beschwerdeführer behauptete konkret ihn treffende Verfolgung getroffen werden. Sonstige Anhaltspunkte für eine konkret die Person des Beschwerdeführers treffende Verfolgung sind nicht hervorgekommen und wurden solche im Übrigen vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet.

zu den Feststellungen zur Lage in Afghanistan

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer dazu auch gar nichts Gegenteiliges zumindest substantiiert vorgebracht hat. Dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage insgesamt in Afghanistan - wie vom Beschwerdeführer in seinen Stellungnahmen vom 27. April 2018 und vom 11. Dezember 2018 unter Verweis auf (im Übrigen im Vergleich zum LIB ältere) Länderberichte aufgezeigt - verschlechtere und teilweise auch angespannt ist, kann - ebenso wie das laut Reisewarnung des BmEIA in Afghanistan dargestellte Risiko von "gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle" mit den oben getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht in Widerspruch gebracht werden. Der Ordnung halber ist auch anzumerken, dass auszugsweise wiedergegebenen Artikeln oder Stellungnahmen nicht derselbe Beweiswert wie länderkundlichen Informationen (LIB, UNHCR-Richtlinien, etc.), die einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat durchliefen, zukommen kann.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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