Index
L83008 Wohnbauförderung Vorarlberg;Norm
ASVG §293;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching und Mag. Brandl sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des H P in G, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 9. November 2016, Zl. LVwG-451-3/2016-R4, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 3. August 2016 wies die Vorarlberger Landesregierung (belangte Behörde) den Antrag des Revisionswerbers vom 2. April 2015 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sowie den Antrag auf Erstreckung der Verleihung auf die Ehegattin des Revisionswerbers und seine drei minderjährigen Kinder gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab.
2 Der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Folge und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
3 Das LVwG legte seiner Entscheidung nachfolgende wesentliche Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:
Der Revisionswerber habe vom 13. April 2011 bis 31. März 2016, sohin in einem Zeitraum von 1.815 Tagen - an insgesamt 947 Tagen Arbeitslosengeld/Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe sowie von April 2009 bis April 2016 laufend Wohnbeihilfe bezogen. Vom 1. April 2016 bis einschließlich Juni 2016 habe er bei der Fa. G GmbH und ab 1. Juli 2016 bei der Fa. S gearbeitet. Sein monatliches Nettoeinkommen betrage derzeit EUR 1.499,31.
4 Rechtlich führte das LVwG aus, bei der vom Revisionswerber von April 2009 bis April 2016 laufend bezogenen Wohnbeihilfe handle es sich um eine Sozialhilfeleistung. Deren Bezug habe zur Folge, dass nicht von einem hinreichend gesicherten Lebensunterhalt des Revisionswerbers im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt iSd § 10 Abs. 1 Z 7 StbG gesprochen werden könne und daher die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht gegeben seien.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Die Revision ist zu der im Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Rechtsfrage, ob es sich bei der vom Revisionswerber gemäß der Wohnbeihilferichtlinie 2016 des Landes Vorarlberg bezogenen Wohnbeihilfe um eine Sozialhilfeleistung einer Gebietskörperschaft handle, deren Bezug der Annahme eines hinreichend gesicherten Lebensunterhalts des Fremden gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG als Voraussetzung für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft entgegensteht, zulässig und berechtigt.
7 Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG idF BGBl. I Nr. 136/2013 darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann.
8 Gemäß § 10 Abs. 5 StbG idF BGBl. I Nr. 136/2013 ist der Lebensunterhalt (Abs. 1 Z 7) dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt vom Fremden nachgewiesen werden, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen. Im geltend gemachten Zeitraum müssen die eigenen Einkünfte des Fremden ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen.
9 § 10 Abs. 1 Z 7 und Abs. 5 StbG müssen unter dem Blickwinkel des damit verfolgten Zwecks gesehen werden, nämlich die Staatsbürgerschaft nur an Fremde zu verleihen, die ihren Lebensunterhalt in Österreich durch entsprechendes Einkommen (oder gleichzusetzende Leistungen) ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften hinreichend gesichert haben (vgl. VwGH 30.4.2018, Ro 2017/01/0003, Ra 2017/01/0065, Rn. 24, mwN). Diese gesetzlichen Voraussetzungen müssen objektiv erfüllt sein (vgl. VwGH 20.9.2011, 2010/01/0046 mwN). Zur Vermeidung einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 5 StbG die Höhe der nachzuweisenden Einkünfte an die Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre vor dem Antragszeitpunkt angeknüpft (vgl. VwGH 3.9.2018, Ro 2017/01/0004, Rn. 15; sowie VwGH 15.3.2016, Ro 2015/01/0014, Rn. 16, betreffend das Abstellen auf den Antragszeitpunkt als entscheidenden Zeitpunkt für den Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts).
10 Mit der Adaptierung des Durchrechnungszeitraums durch die Novelle BGBl. I Nr. 136/2013 für den Nachweis eines gesicherten Lebensunterhalts auf den Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antragszeitpunkt wird - ausweislich der Gesetzesmaterialien - klargestellt, dass die geltend gemachten Monate aus den letzten sechs Jahren beliebig vom Fremden in diesem Durchrechnungszeitraum gewählt werden können, wobei die letzten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt jedenfalls vom Fremden geltend zu machen sind. Darüber hinaus wird verdeutlicht, dass die eigenen Einkünfte des Fremden ihm lediglich in den 36 geltend gemachten Monaten eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu ermöglichen haben. Ein vorübergehender Sozialhilfebezug in der nicht geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre steht somit der Erfüllung der Voraussetzung des hinreichend gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG nicht entgegen (vgl. VwGH 20.6.2017, Ra 2017/01/0127, Rn. 9, sowie RV 2303 BglNr 24. GP, 8). Vielmehr ist der Lebensunterhalt des Fremden dann gemäß § 10 Abs. 5 StbG hinreichend gesichert, wenn in der geltend gemachten Zeit der letzten sechs Jahre vor Antragstellung sein Einkommen durchgehend dem Durchschnitt der Richtsätze des § 293 ASVG der letzten drei Jahre vor Antragstellung erreicht hat, ohne dass dabei Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften in Anspruch genommen wurden.
11 Das LVwG verneinte die Verleihungsvoraussetzung eines hinreichend gesicherten Lebensunterhaltes gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG gestützt auf den vom Revisionswerber nicht bestrittenen, während der letzten sechs Jahre vor Antragstellung durchgehenden Bezug der vom LVwG als Sozialhilfeleistung qualifizierten Wohnbeihilfe.
12 Die Gewährung von Wohnbeihilfe gemäß der Wohnbaurichtlinie des Landes Vorarlberg zum Zeitpunkt der Antragstellung (2. April 2015) gründet sich auf das Vorarlberger Wohnbauförderungsgesetz, LGBl. Nr. 31/1989 in der Fassung LBGl. Nr. 17/2015. Dessen hier wesentliche Bestimmungen §§ 15, 16 und auszugsweise § 18 Abs. 1 lauten wie folgt:
"4. Abschnitt
Wohnbeihilfe
§ 15
Förderungswerber
Wird der Eigentümer oder Mieter von gefördertem Wohnraum, den er zur Deckung seines ständigen, dringenden Wohnbedarfs benötigt, durch den Wohnungsaufwand unzumutbar belastet, hat ihm das Land Wohnbeihilfe zu gewähren, sofern er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder nach dem Recht der Europäischen Union oder aufgrund eines Staatsvertrages gleichzustellen ist.
§ 16
Höhe der Wohnbeihilfe
(1) Die Wohnbeihilfe hat dem Unterschiedsbetrag zwischen dem anrechenbaren und dem zumutbaren Wohnungsaufwand zu entsprechen.
(2) Bei der Ermittlung des anrechenbaren Wohnungsaufwandes ist die tatsächliche, höchstens jedoch die festgelegte anrechenbare Nutzfläche zu berücksichtigen (§ 18 Abs. 1 lit. i).
(3) Der zumutbare Wohnungsaufwand ist in einem Hundertsatz des Haushaltseinkommens festzusetzen, wobei die Zahl der im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen und sonstige besonders berücksichtigungswürdige Umstände angemessen zu berücksichtigen sind (§ 18 Abs. 1 lit. j).
...
5. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen
§ 18
Richtlinien, Ausnahmen
(1) Die Landesregierung hat Richtlinien zu erlassen, in denen das Nähere über die Förderungen festzulegen ist. Die Richtlinien haben jedenfalls Bestimmungen über die Art, den Gegenstand, die Höhe und die Bedingungen der Förderungen und die Verpflichtungen des Förderungswerbers zu enthalten, insbesondere auch über:
...
i) die Ermittlung und die Obergrenze des anrechenbaren
Wohnungsaufwandes und der anrechenbaren Nutzfläche (§ 16 Abs. 2),
j) das Ausmaß des zumutbaren Wohnungsaufwandes und
sonstiger besonders berücksichtigungswürdiger Umstände (§ 16 Abs. 3)."
13 Nach den (gemäß § 10 Abs. 5 StbG bezogen auf den Antragszeitpunkt) für den maßgeblichen Zeitraum 2009 bis 2015 hier wesentlichen von der Vorarlberger Landesregierung gemäß § 18 Vbg. Wohnbauförderungsgesetz beschlossenen Wohnbeihilfenrichtlinien 2009 bis 2015 bestand für die Gewährung einer Wohnbeihilfe kein Rechtsanspruch. Die Gewährung von Wohnbeihilfe unterlag unter anderem einkommensbezogenen Förderungsvoraussetzungen, wie etwa dem Vorliegen von Einkommen aus einer vollberuflichen Tätigkeit oder einem daraus resultierenden Folgeeinkommen (z.B. Rente, Arbeitslosenbezug). Eine Teilzeitbeschäftigung konnte nur in bestimmten näher definierten Fällen anerkannt werden. Als für die Gewährung von Wohnbeihilfe und deren Höhe wesentliches Haushalteinkommen galt die Summe aller im gemeinsamen Haushalt lebender Personen, wobei frei verfügbares Vermögen bis zu einer Höhe von EUR 10.000,-- nicht zu berücksichtigen war. Der übersteigende Teil war für die Wohnkosten zu verwenden, bevor eine Wohnbeihilfe bewilligt werden konnte. Ab der Wohnbeihilferichtlinie 2014 wurde in einer Präambel festgehalten, dass die Wohnbeihilfe die Wohnkosten mit dem Ziel unterstütze, den Wohnungsaufwand, welcher durch die Errichtung, den Ankauf, die Anmietung oder Sanierung von Eigenheimen oder Wohnungen für den Eigenbedarf entstanden sei, zu lindern, und die Wohnbeihilfe ergänzend zur Wohnbauförderung eine weitere soziale Leistung sei.
14 Sozialhilfe hat grundsätzlich jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Gemeinschaft bedürfen. Sozialhilfeleistungen haben demnach lediglich existenzielle Grundbedürfnisse zu befriedigen (vgl. VwGH 30.9.2015, Ra 2015/10/0103, mwN, zu den Mindestsicherungsgesetzen der Länder).
15 Die Wohnbeihilfe gemäß §§ 15 ff Vbg.
Wohnbauförderungsgesetz iVm mit der Wohnbeihilferichtlinie des jeweiligen Jahres wird - zusätzlich zur Wohnbauförderung - als weitere Transferleistung ("soziale Leistung") zur Linderung des Aufwands, der durch die Errichtung, den Ankauf, die Anmietung oder Sanierung von Eigenheimen oder Wohnungen für den Eigenbedarf entstanden ist, gewährt, wobei die Gewährung aber von einkommensbezogenen Fördervoraussetzungen abhängig ist (vgl. Wohnbeihilferichtlinien 2009-2015). Bei der Wohnbeihilfe handelt es sich demnach um keine Sozialhilfeleistung, zumal sie - anders als die Leistungen zur Sicherung des Wohnbedarfs im Sinne des § 4 Abs. 1 lit b iVm § 5 Abs. 2 Vbg. Mindestsicherungsgesetz - nicht der Befriedigung des existenziellen Wohnbedarfs Hilfsbedürftiger dient (vgl. auch VwGH 3.7.2012, 2011/10/0133, wonach die Wohnbeihilfe gemäß dem Stmk. Wohnbauförderungsgesetz als relevantes Einkommen bei der Gewährung von Leistungen für den Wohnbedarf nach der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu berücksichtigen ist).
16 Indem das Verwaltungsgericht die Wohnbeihilfe zu Unrecht als Sozialhilfeleistung qualifiziert und diesbezüglich das Vorliegen des Verleihungshindernisses des § 10 Abs. 1 Z 7 iVm Abs. 5 StbG angenommen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
17 Soweit der Revisionswerber überdies moniert, das LVwG hätte seine Angaben in der mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2016, wonach sein (volljähriger) Sohn seit ca. einem halben Jahr mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebe und die Familie finanziell unterstütze, berücksichtigen müssen, ist darauf hinzuweisen, dass durch die Novelle BGBl. I Nr. 136/2013 der Durchrechnungszeitraum für den Nachweis eines hinreichend gesicherten Lebensunterhalts in § 10 Abs. 5 StbG nicht mehr auf den Entscheidungszeitpunkt, sondern auf den Antragszeitpunkt abstellt.
18 Das angefochtene Erkenntnis war sohin infolge Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das abgewiesene Mehrbegehren (Umsatzsteuer) findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 6. November 2018
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017010013.L00Im RIS seit
18.02.2019Zuletzt aktualisiert am
23.04.2019