Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BDG 1979 §91;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die außerordentliche Revision des X Y in Z, vertreten durch Prutsch & Partner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Joanneumring 6/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 2018, W136 2193938-1/6E, betreffend Entlassung nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres wurde der 1984 geborene Revisionswerber, ein Polizeibeamter im Dienstrang eines Bezirksinspektors, gemäß § 126 Abs. 2 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) schuldig erkannt,
1. trotz seiner Funktion als Vorgesetzter im Zeitraum von etwa März 2015 bis Frühjahr 2017 im und außer Dienst einen namentlich genannten Mitarbeiter a) gegen dessen Willen und trotz mehrfacher Aufforderungen dies zu unterlassen, geschlechtlich belästigt,
b) in fünf näher dargestellten Fällen zur Vornahme von gemeinsamen sexuellen/geschlechtlichen Handlungen zu bewegen versucht zu haben;
2. im Zeitraum von ca. Sommer 2015 bis Herbst 2016 während mehrerer gemeinsamer Nachtdienste mit diesem Mitarbeiter etwa fünfmal zu unterschiedlichen Privatadressen außerhalb des zugewiesenen Rayons gefahren zu sein, um dort Sex zu haben, während sein Mitarbeiter - der seiner Aufforderung sich am Sex zu beteiligen nicht nachgekommen sei - im Dienstauto habe warten müssen;
3. insbesondere durch die an sechs Beamte der gleichen Dienstgruppe versendeten E-Mails vom 10. April 2017 und an zwei Beamte der Einsatzeinheit versendeten E-Mails vom 13. Juli 2017,
a) diesen Mitarbeiter im Hinblick auf die Qualität seiner dienstlichen Leistungen vor Kollegen schlecht gemacht sowie seine Verlässlichkeit in Frage gestellt zu haben;
b) seinen Mitarbeiter, ohne Vorliegen eines wichtigen dienstlichen Interesses, sondern aus privaten Gründen, aus einer von ihm geleiteten Ermittlungsgruppe ausgeschlossen und aufgefordert zu haben, aus allen Einheiten auszutreten, in denen es zu einer gemeinsamen Dienstverrichtung kommen könnte, bzw. mit E-Mail vom 13. Juli 2017 dessen Versetzung in eine andere Gruppe der Einsatzeinheit beantragt zu haben;
c) im E-Mail vom 13. Juli 2017 wörtlich ausgeführt zu haben:
"Ich fahre auch auf der (Polizeiinspektion) nicht mehr mit ihm aus" und somit angekündigt zu haben, keinen gemeinsamen Außendienst mit ihm versehen zu wollen;
4. im Zeitraum von Jänner bis Mai 2017 mit einer namentlich genannten Mitarbeiterin eine sexuelle Beziehung gehabt zu haben, wobei es viermal zu sexuellen Handlungen während der Dienstzeit (in der Dienststelle, oder während des gemeinsamen Außendienstes) gekommen sei;
5. eine andere namentlich genannte Mitarbeiterin ab Frühjahr 2017 in fünf konkreter ausgeführten Vorfällen im Dienst in der Dienststelle - trotz der Aufforderung dies zu unterlassen - geschlechtlich belästigt zu haben und ihr als Vorgesetzter nicht mit Achtung begegnet zu sein;
6. am 24. Juni 2017 bei der Verfolgung eines flüchtigen Verdächtigen, gesetzwidrig von seiner Schusswaffe Gebrauch gemacht und einen Schreckschuss in den Boden abgegeben zu haben;
7. als Vorgesetzter es unterlassen zu haben, Mitarbeitern mit Achtung zu begegnen und zu einem guten Funktionieren der Zusammenarbeit beizutragen, indem er
a) Ende Februar 2017 einen namentlich genannten Kollegen wegen mangelhafter Erledigung eines Akts in Anwesenheit weiterer Beamter lautstark angeschrien und
b) im Frühjahr/Frühsommer 2016 einen anderen Kollegen wegen nicht sogleich weggeräumten Geschirrs im Aufenthaltsraum der Polizeiinspektion tätlich angegriffen, ihn im Bereich des Halses erfasst und ca. einen halben bis einen Meter zurück gegen einen Kasten gedrückt zu haben, wodurch der stellvertretende Inspektionskommandant gezwungen gewesen sei einzuschreiten und ihn vom Opfer wegzureißen;
8. vom 16. Oktober 2015 bis zu seiner vorläufigen Suspendierung am 25. August 2017, 38 Stück private Munition für Faustfeuerwaffen rechtswidrig besessen und unbefugt in seinem Waffenspind der Polizeiinspektion verwahrt zu haben;
9. zwischen dem 16. Oktober 2015 und ca. Ende 2015 - im Zuge des polizeilichen Einsatztrainings - zum Nachteil seines Dienstgebers, insgesamt 18 Stück neun Millimeter Dienstmunition über den zulässigen Stand von 32 Schuss in seinen Besitz gebracht und bis 25. August 2017 im Waffenspind der Polizeiinspektion verwahrt zu haben.
2 Der Revisionswerber habe dadurch seine Dienstpflichten nach § 43 Abs. 1 BDG 1979, nämlich seine dienstlichen Aufgaben gewissenhaft, treu und unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung zu erfüllen, nach § 43 Abs. 2 BDG 1979 - teilweise in Verbindung mit den §§ 8 bzw. 8a Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GlBG) - nämlich in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seines Amtes erhalten bleibe, nach § 43a BDG 1979, nämlich Mitarbeitern mit Achtung zu begegnen, sowie diskriminierende und die menschliche Würde verletzende Verhaltensweisen zu unterlassen und nach § 45 BDG 1979, nämlich darauf zu achten, dass seine Mitarbeiter ihre dienstlichen Aufgaben gesetzmäßig und zweckmäßig erfüllen, nach § 91 BDG 1979 schuldhaft verletzt, weshalb über ihn gemäß § 92 Abs. 1 Z 4 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt wurde.
3 Von einem weiteren Vorwurf wurde er freigesprochen. 4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Revisionswerber von dem wider ihn in Spruchpunkt 6. erhobenen Vorwurf gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in Verbindung mit § 126 Abs. 2 BDG 1979 frei. Im Übrigen wies es die vom Revisionswerber erhobene Beschwerde ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.
5 Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber zunächst geltend, im konkreten Fall sei die erhebliche und in ihrer Relevanz über den konkreten Fall hinausgehende Rechtsfrage zu lösen, ob die ihm zur Last gelegten Dienstverfehlungen eine Entlassung rechtfertigten.
8 Diesem Vorbringen ist vorweg zu antworten, dass der bloße Umstand, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu einem (der Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Grunde liegenden) vergleichbaren Sachverhalt (zu einer bestimmten Rechtsnorm) fehlt, noch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung begründet. Genügte nämlich für die Zulässigkeit einer Revision bereits das Fehlen einer höchstgerichtlichen Entscheidung zu einem vergleichbaren Sachverhalt, wäre der Verwaltungsgerichtshof in vielen Fällen zur Entscheidung berufen, obgleich in Wahrheit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern nur die Einzelfallgerechtigkeit berührende Wertungsfragen aufgeworfen werden (siehe in diesem Sinn VwGH 18.2.2015, Ra 2014/12/0017; 23.9.2014, Ro 2014/01/0033, VwSlg. 18928 A/2014, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs).
9 Die Zulässigkeitsbegründung in der Revision richtet sich im Übrigen vorwiegend gegen die Strafbemessung. Bei der Entscheidung über die disziplinarrechtliche Schuld und Strafe (§§ 91ff BDG 1979) handelt es sich um eine aus gebundenen Entscheidungen und einer Ermessensentscheidung zusammengesetzte Entscheidung. Bei der Beurteilung der Schuld und deren Schwere ist kein Ermessen zu üben, erst die Auswahl der Strafmittel (§ 92 Abs. 1 leg. cit.) und gegebenenfalls (im Fall einer Geldbuße oder Geldstrafe) die Festlegung von deren Höhe stellen Ermessensentscheidungen dar. Hiebei sind Beurteilungen betreffend die Persönlichkeit des Beschuldigten, sein vergangenes und zukünftiges Verhalten zu treffen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zur Rechtslage vor Einführung der Verwaltungsgerichte wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass bei Erstellung einer Prognose über das zukünftige Verhalten einer natürlichen Person der Verschaffung eines - im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gewonnenen - persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt. Bei der Entscheidung über eine disziplinarrechtliche Schuld und Strafe, bei welcher es gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 ua darauf ankommt, inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten, ist eine solche Prognoseentscheidung zu treffen.
10 Die Strafbemessung unterliegt als Ermessensentscheidung nur insofern der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof im Rahmen von dessen Befugnissen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG, als dieser gegebenenfalls zu prüfen hat, ob von dem im Gesetz eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, in der Begründung seines Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG die für die Überprüfung der Ermessensübung maßgeblichen Gründe insoweit offen zu legen als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien und die Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf ihre Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes durch den Verwaltungsgerichtshof erforderlich sein kann. Soweit daher weder Ermessensmissbrauch noch Ermessensüberschreitung vorliegt, geht die Ausübung des Ermessens über die Bedeutung des Einzelfalls nicht hinaus und stellt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG dar (siehe zum Ganzen VwGH 24.5.2017, Ra 2017/09/0017, mwN; vgl. auch VwGH 20.2.2014, 2013/09/0163).
11 Wie der Verwaltungsgerichtshof ferner bereits ausgesprochen hat, handelt es sich bei der Entscheidung über ein Disziplinarerkenntnis nicht um eine Verwaltungsstrafsache im Sinn des Art. 130 Abs. 3 B-VG. Kommt das Verwaltungsgericht zur selben sachverhaltsmäßigen und rechtlichen Beurteilung, darf es vor dem Hintergrund des Art. 130 Abs. 3 B-VG nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle der Ermessensübung durch die Disziplinarkommission setzen. Jedoch ist das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung über die Bemessung einer Disziplinarstrafe nicht von der Verpflichtung zur Beurteilung entbunden, ob die Ermessensübung durch die Disziplinarkommission auf gesetzmäßige Weise erfolgte. Das Verwaltungsgericht hat im Fall einer gesetzwidrigen Entscheidung der Verwaltungsbehörde im Fall des § 28 Abs. 2 VwGVG (Art. 130 Abs. 4 B-VG) in der Sache selbst zu entscheiden und dabei auch eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. VwGH 13.12.2016, Ra 2016/09/0038, mwN).
12 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht die von der belangten Behörde angenommenen Erschwerungs- und Milderungsgründe in seinem Erkenntnis dargelegt und die Abwägung nachvollzogen. Zwar hat es - wie der Revisionswerber insoweit zutreffend darlegt - allein die in Punkt 2. vorgeworfene Verfehlung als so schwerwiegend erachtet, dass sie für sich allein genommen eine Entlassung zu tragen geeignet sei. Es kann daraus jedoch nicht der in der Revision nahegelegte Umkehrschluss gezogen werden, dass die weiteren, etwas weniger schwerwiegenden Anlastungen in ihrer Gesamtheit und in Zusammenschau mit dem als am schwersten wiegenden Vorwurf nicht geeignet wären, die ausgesprochene Disziplinarstrafe zu tragen.
13 Soweit der Revisionswerber die seit den Taten verstrichene Zeit zu seinen Gunsten ins Treffen führt, übersieht er, dass er seit August 2017 vom Dienst suspendiert war. Ein Wohlverhalten seit der Tat während aufrechter Suspendierung und während eines anhängigen Disziplinarverfahrens stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch keinen Milderungsgrund dar (VwGH 23.2.2017, Ro 2015/09/0013, ua).
14 Im Revisionsfall hat das Bundesverwaltungsgericht in Entsprechung der wiedergegebenen Rechtsprechung und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft hat, eine nachvollziehbare Abwägung der Strafbemessungsgründe vorgenommen und ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen es eine Entlassung für erforderlich erachtete. Eine krasse Fehlbeurteilung im Sinn eines Ermessensmissbrauchs bzw. eine Ausübung des Ermessens auf gesetzwidrige Weise vermag der Revisionswerber mit seinem Vorbringen aus diesen Gründen nicht aufzuzeigen.
15 Soweit sich die Revision schließlich mit ihrem Vorbringen gegen die Beurteilung der Zukunftsprognose hinsichtlich des Revisionswerbers und damit gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, ist darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung nur dahingehend der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes unterworfen ist, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen bzw. ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden (siehe etwa VwGH 8.11.2016, Ra 2016/09/0097).
16 Wenn das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der im angefochtenen Erkenntnis dargelegten relativierenden Verantwortung des Revisionswerbers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, mit der er vor der Disziplinarkommision bereits zugestandene Umstände wieder zurücknahm, zu einer negativen Zukunftsprognose kam, ist dies unter dem dargestellten Prüfkalkül nicht zu beanstanden. Auch das Bestehen einer Versetzungsmöglichkeit wurde bereits von der belangten Behörde mit einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Begründung verneint. Weshalb das Verwaltungsgericht von einer solchen hätte ausgehen müssen, vermag der Revisionswerber nicht ausreichend konkret darzulegen.
17 Da im Zulässigkeitsvorbringen der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 24. Jänner 2019
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018090208.L00Im RIS seit
15.02.2019Zuletzt aktualisiert am
19.02.2019