TE OGH 2018/11/20 6R134/18w

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Veröffentlicht am 20.11.2018
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Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht hat durch Senatspräsident Dr. Ewald Greslehner als Vorsitzenden sowie die Richter Mag. Bernhard Telfser und Dr. Sabine Plöckinger in der Rechtssache der Kläger 1. ***** P*****, ***** 2. ***** S*****, ***** und 3. ***** D*****, ***** alle vertreten durch die Gesswein-Spiessberger Traxler Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Altmünster, gegen die Beklagte L***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Reinhard Gsöllpointner und Dr. Robert Pirker, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 78.421,80 s.A. (Erstkläger), EUR 96.058,47 s.A. (Zweitklägerin) und EUR 39.130,00 s.A. (Drittkläger) und Feststellung (alle Kläger) über die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 13. August 2018, 1 Cg 108/17z-26, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt pro Kläger EUR 30.000,00.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig.

Text

Begründung:

Die Beklagte hat als Bauträger auf der Liegenschaft ***** mit der Liegenschaftsadresse ***** eine Wohnhausanlage mit sechs Wohneinheiten (W1 bis W6), bestehend aus Keller, Erdgeschoß, Obergeschoß und Dachgeschoß, sowie 14 KFZ-Abstellplätzen errichtet. Sie hat die Wohnhausanlage anschließend vermarktet und die einzelnen Wohnungen verkauft. Der Erstkläger erwarb die Wohnung W1, die Zweitklägerin die Wohnungen W2 und W3 und der Drittkläger die Wohnungen W4 und W5, jeweils samt dazugehörigem Kellerabteil und dazugehörigen KFZ-Abstellplätzen.

Die Kläger begehren Preisminderung bzw. Schadenersatz sowie Feststellung und stützen ihr Begehren darauf, dass Mitarbeiter der Beklagten im Zuge der Verkaufsgespräche jedem der drei Kläger ausdrücklich zugesichert hätten, dass ein freier uneingeschränkter Blick auf den *****see und das Schloss ***** von den kaufgegenständlichen Wohnungen aus bestehe und fortdauernd gewährleistet sei. Dies habe die Beklagte auch in ihrem Verkaufsexposé beworben. Der Erstkläger habe sogar abweichend vom ursprünglichen Bauplan im Obergeschoß seiner Wohnung einen zusätzlichen Balkon errichten lassen, um den zugesicherten uneingeschränkten Blick genießen zu können. Das Nachbargrundstück sei jedoch in der Folge derart bebaut worden, dass der uneingeschränkte Seeblick bzw. Blick auf das Schloss ***** nicht mehr gegeben sei. Da die Beklagte auch die Nachbarliegenschaft vermarktet habe, bestehe der Verdacht, dass sie die Kläger über deren zukünftige Bebauung arglistig getäuscht habe. Das Feststellungsinteresse sei mit den nicht auszuschließenden Folgeschäden (zu viel bezahlte Grunderwerbsteuer und Vertragserrichtungskosten) zu begründen. Die geltend gemachten Preisminderungsansprüche aufgrund der Entwertung der Wohnungen würden sich aus dem Gutachten des auch gerichtlich zertifizierten Sachverständigen ***** ergeben und seien im Sinn der relativen Berechnungsmethode berechnet.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wendete ein, dass ihre Mitarbeiter den Klägern gegenüber keine derartigen Zusagen gemacht hätten, sie wären auch firmenintern nicht dazu berechtigt gewesen. Die Bebauung des Nachbargrundstückes sei von der Beklagten nicht beeinflussbar gewesen. Auch die Höhe der geltend gemachten Ansprüche werde bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im Wesentlichen (§ 500a ZPO) Folgendes fest:

Der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Kaufverträge vom 19. August 2014, 9. Juli 2014 und 23. November 2014 gegeben gewesene Blick auf den *****see und das Schloss ***** wurde durch nachträgliche Bebauung der Nachbargrundparzelle ***** derart eingeschränkt, dass ein uneingeschränkter freier Seeblick bzw. ein völlig freier Blick auf das Schloss ***** nicht mehr gegeben, jedoch weiterhin in eingeschränktem Umfang vorhanden ist. Trotz dieser Beeinträchtigung der Aussicht auf das Schloss ***** und den *****see selbst ist kein Verlust des Verkehrswertes dieser Wohneinheiten eingetreten. Für die objektive Wertbestimmung entsprechend dem Vergleichswertverfahren, wie von der Gerichtssachverständigen vorgenommen, ist in Bezug auf die konkrete Marktsituation für Vergleichswohnungen in ***** maßgeblich, dass es in ***** keine Neubauprojekte, darunter auch nicht in der qualitativen Ausführung wie die streitgegenständlichen Wohneinheiten gibt und dieser Umstand zur Folge hat, dass ein völlig freier Schloss- oder Seeblick für die konkrete Kaufentscheidung der Kläger zum Erwerb der Wohneinheiten W1 bis W6 nicht maßgeblich gewesen sein kann.

In rechtlicher Hinsicht argumentierte das Erstgericht, dass ein Preisminderungsanspruch im Sinne des § 932 ABGB ausscheide, da durch den nunmehr eingeschränkten See- und Schlossblick keine Wertminderung eingetreten sei und der uneingeschränkte Blick auf die Kaufentscheidung der Kläger keinen Einfluss haben konnte.

Die Kläger bekämpfen dieses Urteil mit Berufung aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung. Sie begehren eine vollständige Klagsstattgabe, hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete eine Berufungsbeantwortung und beantragte, der Berufung keine Folge zu geben.

Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden war, ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

1.) Zunächst ist den Berufungswerbern darin Recht zu geben, dass die Lage einer Immobilie, und zwar insbesondere der Ausblick auf einen See oder ein Schloss, nach allgemeiner Lebenserfahrung in der Regel DAS wertbestimmende und preisbestimmende Kriterium darstellt. Aus diesem Grund ist das Sachverständigengutachten genauer zu hinterfragen.

Das Gutachten erscheint aus folgenden Erwägungen als ungenügend im Sinne des § 362 Abs 2 ZPO:

Die Sachverständige hat das Vergleichswertverfahren angewendet und als Vergleichsobjekt nur die in Bau befindliche Wohnhausanlage ***** herangezogen. Dort haben die unteren Wohnungen keinen Schloss- und Seeblick, während die oberen Wohnungen Schloss- und Seeblick aufweisen. Die Sachverständige ermittelte, dass der aktuelle Preisdurchschnitt bei diesen Vergleichsobjekten bei rund EUR 5.000,00 pro m² Nutzfläche liege, unabhängig davon, ob mit oder ohne Ausblick auf den See oder das Schloss. Daraus schloss sie, dass in der Marktgemeinde ***** das Kriterium der Lage (Aussicht bzw Blick auf See oder Schloss) bei Wohnungseigentumsobjekten nicht preisbestimmend zu sein scheine. Die Vergleichsobjekte würden keine preisliche Differenz aufzeigen. Da die gegenständlichen Wohnungen Top 2 und Top 3 zum Bewertungsstichtag vermietet gewesen seien, sei eine Überprüfung dieser Schlussfolgerung anhand der Mieteinnahmen erfolgt: Die Wohnung Top 2 sei zwischen 1. August 2016 und 31. August 2017 zu EUR 11,69 pro m² Nutzfläche vermietet gewesen; seit 13. Oktober 2017 sei sie zu EUR 11,34 pro m² Nutzfläche vermietet. Die Wohnung Top 3 sei seit 1. August 2016 zu EUR 11,55 pro m² Nutzfläche vermietet. Da die Wohnung Top 3 keinerlei Mietzinsrückgänge aufweise, lasse sich die geringfügige Abweichung der Miethöhe bei der Zweitvermietung der Wohnung Top 2 eher mit der kurzen Zeit des Leerstandes als mit einer Beeinträchtigung des Ausblicks begründen.

Auf die Frage, warum im konkreten Fall die Lage nicht preisbestimmend gewesen sei, verwies die Sachverständige darauf, dass sie die Kaufpreisentscheidungen, die den Vergleichsobjekten zugrunde lagen, nicht kenne.

Anknüpfend an den letzten Satz ist auszuführen, dass es nach allgemeiner Lebenserfahrung einen Unterschied macht, ob der Verkäufer dem Käufer eine bestimmte Eigenschaft des Kaufobjektes zugesichert hat oder nicht: Ein Käufer, dem an einem uneingeschränkten Blick auf See/Schloss sehr viel liegt und der sich diese Eigenschaft deshalb zusichern lässt, wird auch bereit sein, für diese Zusicherung einen höheren Kaufpreis zu zahlen. Umgekehrt wird sich ein wirtschaftlich denkender Verkäufer für die Zusicherung eines fortdauernden uneingeschränkten Blickes einen höheren Kaufpreis ausbedingen, da eine solche Zusicherung eine rechtliche und wirtschaftliche Belastung für den Verkäufer darstellt, der, falls das Nachbargrundstück ihm gehört, dieses nicht bebauen darf, oder ansonsten Verträge mit dem Eigentümer über die Nichtbebauung abschließen muss, um seinem Kaufvertragspartner nicht ersatzpflichtig zu werden. Gemäß § 4 Abs 1 Satz 2 LBG sind vergleichbare Sachen nur solche, die hinsichtlich der den Wert beeinflussenden Umstände weitgehend mit der zu bewertenden Sache übereinstimmen. Zu vergleichen sind daher in hinreichender Anzahl solche Liegenschaften, bei denen den Käufern eine uneingeschränkte Aussicht fortdauernd zugesichert worden ist oder Liegenschaften in der ersten Reihe, deren Aussicht von vornherein unverbaubar ist, mit Liegenschaften, bei denen das nicht der Fall war. Selbst wenn es zutrifft, dass eine nicht garantierte, bloß temporär vorhandene Aussicht, die unter Umständen nur kurze Zeit währt, nicht preisbestimmend ist, so muss dies doch nicht auf einen garantierten fortdauernden Ausblick zutreffen. Sollte es in ***** keine geeigneten Vergleichsobjekte geben, so wäre darzulegen, weshalb nicht Objekte in ähnlich strukturierten Gemeinden zum Vergleich herangezogen werden können.

Eine vereinfachtes Vergleichswertverfahrens in dem Sinne, dass mit Vergleichsobjekten das Auslangen gefunden werden könnte, die nach Art und Zahl wenig aussagekräftig sind, sieht das LBG (insbesondere in den §§ 4 bis 6) nicht vor.

Da die Sachverständige in ihrer mündlichen Gutachtenserörterung trotz der von den Klägern geäußerten und - wie oben erläutert - teils berechtigten Zweifel am Gutachten bei diesem blieb und ihre Schlussfolgerungen nicht ausreichend begründete, hätte das Erstgericht dem Antrag der Kläger auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch eine(n) andere(n) Sachverständige(n) stattgeben müssen. Die Berufungswerber haben damit erfolgreich einen Verfahrensmangel geltend gemacht, der die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO verhinderte und zumindest abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen.

2.) Unabhängig von der dargelegten Gutachtensthematik werden die Kläger vor allem zur Konkretisierung ihres Vorbringens in einer dem Bestimmtheitsgebot des § 178 ZPO genügenden Weise dahingehend anzuhalten sein, wer wem was wann wo mit welchen Worten versprochen haben soll und wann die Nachbarliegenschaft sichtbehindernd bebaut wurde. Sodann werden Feststellungen zu treffen sein, ob die von den Klägern vorgebrachten Zusicherungen tatsächlich abgegeben wurden und dafür – unter Berücksichtigung des § 10 KSchG und der Kaufverträge (jeweils Pkt. XXI. 1.)) – auch entsprechende Bevollmächtigungen der Mitarbeiter der Beklagten bestanden und ob mündliche Zusicherungen überhaupt wirksam sein konnten. Schließlich wird in rechtlicher Hinsicht noch zu berücksichtigen sein, ob die Beklagte den Klägern überhaupt den angeblich dauernd zugesicherten Seeblick hätte verschaffen können, zumal unerfüllbare Wünsche auch nicht im Wege des Schadenersatzes erfüllt werden können (Reischauer in Rummel3 Rz 18b am Ende zu § 920 ABGB; 1 Ob 41/03s = SZ 2003/31; 3 Ob 188/99i: kein Schadenersatzanspruch, wenn es einen Messestand, der in der versprochenen kurzen Zeit aufgebaut werden kann, gar nicht gibt).

Für eine allfällige Preisminderung ist das konkrete vertragliche Austauschverhältnis maßgeblich, da die subjektive Äquivalenz der konkreten Leistungen wiederhergestellt werden soll (RIS-Justiz RS0018764 [T4]). Letztlich ist auch die Anwendung des § 273 ZPO zur Festsetzung der Preisminderung nicht ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0018735).

Da die Weiterungen des Verfahrens nicht absehbar sind und der Schwerpunkt des Prozesses schon aus Kostengründen nicht in die zweite Instanz verlagert werden soll, zumal sich die Prozessbeteiligten und der Ort der Befundaufnahme im Sprengel des ***** befinden, kam eine Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht nach § 496 Abs 3 ZPO nicht in Betracht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist – zumal bei dem aus der Aufhebung resultierenden großen Verfahrensaufwand - zulässig, weil keine oberstgerichtliche Judikatur zu einer Wertminderung einer Liegenschaft durch entgegen einer ausdrücklichen Zusicherung eingeschränkten Seeblick aufgefunden werden konnte.

Textnummer

EL0000274

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0459:2018:00600R00134.18W.1120.000

Im RIS seit

18.02.2019

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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