TE Bvwg Beschluss 2018/11/12 L511 2207292-1

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Veröffentlicht am 12.11.2018
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Entscheidungsdatum

12.11.2018

Norm

AlVG §49
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §8a

Spruch

L511 2207292-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Vorsitzende über den Antrag von XXXXauf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur weiteren Führung des Verfahrens im Rahmen seines Vorlageantrages zur Beschwerdevorentscheidung des Arbeitsmarktservice XXXX vom 16.08.2018 XXXX beschlossen:

A)

Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), stattgegeben und die Verfahrenshilfe in vollem Umfang bewilligt. Von der Verfahrenshilfe sind die Beigebung einer Rechtsanwältin/eines Rechtsanwaltes, die notwendigen Barauslagen der/des beigegebenen Rechtsanwältin/Rechtsanwaltes sowie die Kosten und Gebühren des Verfahrens umfasst.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Antragsteller brachte mit 25.07.2018 eine Beschwerde zu einem Bescheid des AMS vom 13.06.2018 ein, welche mit Beschwerdevorentscheidung vom 16.08.2018 gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurückgewiesen wurde (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [im Folgenden: AZ] 2, 3; OZ 3).

1.2. Mit Schreiben vom 01.10.2018 beantragte der Antragsteller die Vorlage der Beschwerde vom 25.07.2018 und stellte einen Antrag auf Verfahrenshilfe (AZ 5).

2. Die belangte Behörde legte am 10.10.2018 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] den Antrag auf Bewilligung einer Verfahrenshilfe samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (OZ 1 [=AZ 1-9]).

2.1. Dem Verbesserungsauftrag des BVwG vom 11.10.2018 kam der Antragsteller fristgerecht nach (OZ 2, 5).

II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1. Der Antragsteller bezieht seit mehreren Jahren Notstandshilfe. Er wohnt mit seiner Familie in einer Mietwohnung, verfügt, mit Ausnahme eines 18 Jahre alten PKW, über keinerlei Vermögenswerte und hat keine Schulden. Vom AMS wurden vier Familienzuschläge für zu versorgende Angehörige zuerkannt (Oz 5).

1.2. Im Verfahren das dem gegenständlichen Antrag zugrunde liegt, ist inhaltlich strittig, ob der Antragsteller einen Kontrolltermin beim AMS versäumte. Verfahrensrechtlich ist strittig, ob die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid vom 13.06.2018 verspätet erhoben und ob der Vorlageantrag rechtzeitig gestellt wurde. Darüber hinaus sind noch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie ein Wiederaufnahmeantrag offen (AZ 5). Sollten die Rechtsmittel des Antragstellers erfolgreich sein, verliert er die Notstandshilfe für den fraglichen Zeitraum 25.05.2018 bis 04.06.2018 nicht.

2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt, aus dem sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt (OZ 1-5).

2.2. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Aktenteilen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus §§ 6, 7 und 9 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081).

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG). Soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, ist auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl Nr 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl Nr 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl Nr 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG), wobei entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des VwGVG bereits kundgemacht wurden, in Kraft bleiben (§ 58 Abs. 2 VwGVG).

3.2. Zur Gewährung der Verfahrenshilfe

3.2.1. Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

3.2.2. Als Gründe für die Bewilligung der Verfahrenshilfe verweist § 8a Abs. 1 VwGVG zunächst auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [EMRK] und auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union [GRC].

Der Gerichtshof der Europäischen Union [EuGH] hat darauf verwiesen, dass Art. 47 Abs. 2 GRC Art. 6 Abs. 1 EMRK entspricht und gemäß Art. 52 Abs. 3 GRC jenen Rechten der GRC, die jenen durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite zukommt, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden (EuGH 22.12.2010, DEB, C-279/09 Rz 31, 35), weshalb der EuGH in seiner Beurteilung des Art. 47 GRC auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [EGMR] zurückgreift. Demnach ist es nicht erforderlich, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist (EGMR 26.02.2002 Del Sol, Appl. 46.800/99 Rz20). Die unentgeltliche Beigebung eines Verfahrenshelfers ist aber etwa dann geboten, wenn im konkreten Verfahren Anwaltszwang besteht, das Verfahrensrecht kompliziert ist oder eine schwierig zu entscheidende Rechtsfrage vorliegt. Zudem muss der Anschein eines fairen Verfahrens gewahrt werden, wobei es auch auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Partei ankomme (EGMR 13.3.2007, Laskowska, Appl. 77.765/01, Rz51, 54). Die Beigebung eines unentgeltlichen Verfahrenshelfers kann aber etwa von der finanziellen Situation der Partei, den (mangelnden) Erfolgsaussichten im Verfahren, den begrenzten Mitteln der öffentlichen Hand sowie von Rechten Dritter oder auch der Beschleunigung des Verfahrens abhängig gemacht werden (EGMR 13.3.2007, Laskowska, Appl. 77.765/01, Rz52). Sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof verweisen in ständiger Judikatur zur Verfahrenshilfe auf die Judikatur des EuGH und des EGMR (für viele: VfGH 25.06.2015, VfSlg 19989; VwGH 20.12.2016, Ro 2015/03/0037; 03.09.2015, Ro 2015/21/0032).

Der Verwaltungsgerichthof verweist in ständiger Rechtsprechung darauf, dass bei der Beurteilung der Interessen der Rechtspflege vor allem auf die zweckentsprechende Verteidigung Bedacht zu nehmen ist. Als Gründe für die Beigebung eines Verteidigers sind besondere Schwierigkeiten der Sachlage oder Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei (wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohenden Strafe) zu berücksichtigen wobei die Beigabe eines Verfahrenshelfers nur dann vorgesehen ist, wenn beide genannten Voraussetzungen (Mittellosigkeit und Interessen der Rechtspflege) kumulativ vorliegen (VwGH 25.09.2018, Ra2018/05/0227; VwGH 18.05.2016, Ra2016/04/0041 mwN).

3.2.3. Im dem gegenständlichen Antrag zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahren wies das AMS die Beschwerde des Beschwerdeführers mit Beschwerdevorentscheidung als verspätet zurück. Im (prima vista verspäteten) Vorlageantrag stellte der Antragsteller neben dem verfahrensgegenständlichen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Begründend brachte der Beschwerdeführer vor, er habe die Beschwerde hinsichtlich des Bescheides vom 13.06.2018 nicht früher verfassen können, da dies aufgrund seines Gesundheitszustandes, er leide an MS, nicht möglich gewesen sei (OZ 3).

3.2.3.1. Die Stellung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zusammenhang mit der vom Antragsteller vorgebrachten Erkrankung, stellt eine komplexe Sach- und Rechtslage dar. Darüber hinaus ergibt sich aus dem ebenfalls gestellten Antrag auf Wiederaufnahme sowie den im Vermögensbekenntnis zunächst ausgefüllten und später unleserlich gemachten Unterhaltspflichten für die Ehefrau und drei Kinder (OZ 5 S8), dass der Antragsteller selber nicht über die erforderlichen rechtlichen Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden und Gerichten verfügt.

3.2.4. Wenngleich über die Erfolgsaussichten derzeit keine Aussage getätigt werden kann, da diese vom Ergebnis der zu führenden Verfahren abhängen, so erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zumal das AMS dem Vorbringen des Antragstellers, er leide an MS, nicht entgegengetreten ist, weder offenbar mutwillig, noch völlig aussichtslos. Das Verfahren hat für den Antragsteller auch eine erhebliche Bedeutung, da ihm im Falle einer zu seinen Gunsten ausgehenden Entscheidung, die nicht ausbezahlte Notstandshilfe nachzuzahlen sein wird.

3.2.5. Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG 2014 ist weitere Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe, dass die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten. Für die Frage, ob die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens zu bestreiten, sind die Bestimmungen der ZPO maßgeblich, namentlich § 63 Abs. 1 ZPO zur Definition des notwendigen Unterhalts (1255 BlgNR 25. GP 3). Nach dieser Bestimmung ist als notwendiger Unterhalt derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist als notwendiger Unterhalt ein zwischen dem "notdürftigen" und dem "standesgemäßen" Unterhalt liegender anzusehen, der abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbständig Erwerbstätigen und dem "Existenzminimum" liegt und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet (VwGH 25.01.2018, Ra2017/21/0205; 18.05.2016, Ra2016/04/0041).

3.2.5.1. Das allgemeine Existenzminimum beträgt ab 01.01.2018 monatlich EUR 909,00 bzw. EUR 1.060,00 für Personen, die keine Sonderzahlungen erhalten. Diese Beträge erhöhen sich um monatlich EUR 181,00 für jede Person, der gesetzlicher Unterhalt gewährt wird (Quelle: Existenzminimum-Tabelle des Bundesministeriums für Justiz, Stand 01.01.2018). Im Falle des Antragstellers, dessen tägliche Notstandshilfe mit EUR 32,67, somit monatlich etwa EUR 1.000, bemessen ist, und der darüber hinaus über kein für den gegenständlichen Antrag relevantes Vermögen verfügt, ist davon auszugehen, dass er außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung einer bescheidenen Lebensführung zu bestreiten.

3.2.6. Da somit die kumulativ erforderlichen Voraussetzungen der Mittellosigkeit des Antragstellers und die Interessen der Verwaltungsrechtspflege beide gegeben sind, ist dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe spruchgemäß gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG stattzugeben.

3.2.7. Die Bestellung eines Rechtsanwaltes/einer Rechtsanwältin als Verfahrenshelfer/in erfolgt gesondert durch die Rechtsanwaltskammer.

III. ad B) Unzulässigkeit der Revision

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG). Die Revision ist (mit einer hier nicht zum Tragen kommenden Ausnahme) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Es liegt gegenständlich keine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, vor, weil die Rechtslage zur Beigebung von Verfahrenshilfe durch den Verwaltungsgerichtshof gelöst ist. Zum notwendigen Unterhalt etwa VwGH 25.01.2018, Ra2017/21/0205; 18.05.2016, Ra2016/04/0041. Die gegenständliche Entscheidung weicht von dieser Rechtspreechung auch nicht ab, sondern stützt sich maßgeblich auf die darin entwickelten Kriterien. Es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Mittellosigkeit, Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L511.2207292.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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