TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/10 W253 2134510-1

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Veröffentlicht am 10.12.2018
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Entscheidungsdatum

10.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W253 2134510-1/29E

W253 2134513-1/23E

W253 2134516-1/22E

W253 2134506-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Ronald FRÜHWIRTH, Rechtsanwalt in 8020 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 3.) Zl. XXXX nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 11.07.2017 und 14.07.2017 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch Mag. Ronald FRÜHWIRTH, Rechtsanwalt in 8020 Graz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 1.) Zl. XXXX , 2.) Zl. XXXX und 4.) XXXX nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 11.07.2017 und 14.07.2017 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der volljährigen Drittbeschwerdeführerin und des volljährigen Viertbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehöriger und stellten am 28.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.08.2015 gaben die Beschwerdeführer im Wesentlichen übereinstimmend an, sie seien in Herat geboren, schiitische Muslime, und würden der Volksgruppe der Tadschiken angehören. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer seien die Kinder der Erst- und Zweitbeschwerdeführer. In Afghanistan sei der Erstbeschwerdeführer als Verkäufer und die Drittbeschwerdeführerin als Friseurgehilfin tätig gewesen. Die Beschwerdeführer hätten Afghanistan verlassen, weil Mädchen in Afghanistan entführt und vergewaltigt werden würden. Daher hätten sie Sorge, dass der Drittbeschwerdeführerin dasselbe passieren könne. Die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer gaben dazu näher an, dass die Nachbarstochter entführt und vergewaltigt worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin führte als weiteren Fluchtgrund an, die Taliban würden junge Leute entführen und die Eltern würden anschließend bezahlen müssen.

3. Die Drittbeschwerdeführerin gab in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.06.2016 im Wesentlichen ergänzend an, sie habe in Herat gelebt und ihr Leben sei gut gewesen. Es würden insgesamt noch sechs Onkel und drei Tanten der Drittbeschwerdeführerin in Herat leben. Ihre Mutter rufe die Verwandten in Afghanistan gelegentlich an. Die Drittbeschwerdeführerin sei nicht verheiratet und kinderlos. Sie habe in Afghanistan ein Jahr die Ausbildung zur Kosmetikerin besucht, anschließend allerdings nicht gearbeitet. Ihr persönliches Problem in Afghanistan sei gewesen, dass die Familie eines 50-jährigen sunnitischen Muslims namens XXXX (in Folge kurz "A.") um ihre Hand angehalten habe. Die Drittbeschwerdeführerin habe A. allerdings nicht heiraten wollen. Die Familie dieses Mannes habe nicht lockergelassen und sogar einen Brief geschrieben, mit welchem sie den Beschwerdeführern gedroht und ihnen eine Frist von einem Monat gegeben habe. Der Erstbeschwerdeführer habe die Drittbeschwerdeführerin noch einmal gefragt, ob sie eine Verheiratung nicht akzeptieren würde. Dies habe die Drittbeschwerdeführerin verneint und vermeint, sie würde lieber sterben. Die Monatsfrist hätten die Beschwerdeführer nicht abgewartet, sondern sie seien gleich geflüchtet. Der besagte Brief sei den Beschwerdeführern vom Schlepper unterwegs abgenommen worden. Eine bestimmte Summe sei den Eltern nicht geboten worden, vielmehr wäre die Familie des A. bereit gewesen, jede Forderung zu akzeptieren. Auch ihr Bruder sei einmal auf dem Weg nach Hause mit einem Messer bedroht worden. Als Schiiten seien sie immer benachteiligt worden und seien den anderen schutzlos ausgesetzt gewesen. Die Beschwerdeführer würden nicht nach Afghanistan zurückkehren können, da A. sie töten würde. Als Frau sei man in Afghanistan sowieso benachteiligt und habe keine Rechte.

Der Viertbeschwerdeführer führte in seiner Einvernahme am selben Tag zusammenfassend aus, er habe in Afghanistan als Schneider gearbeitet. Die Beschwerdeführer hätten Afghanistan unter anderem wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Ihr persönliches Problem sei gewesen, dass eine Familie um die Hand seiner Schwester angehalten habe. Diese Familie habe die Beschwerdeführer eine Woche lang besucht. Sein Vater und sein Onkel hätten herausgefunden, dass der Mann, den seine Schwester heiraten habe sollen, bereits zwei Ehefrauen habe und über 50 Jahre alt sei. Die Drittbeschwerdeführerin sei mit der Verehelichung nicht einverstanden gewesen, weshalb sie der Familie abgesagt hätten. Ungefähr zehn Tage später hätten die Beschwerdeführer einen Brief, mit welchem die Familie des A. den Beschwerdeführern gedroht habe, erhalten. Abschließend fügte der Viertbeschwerdeführer noch hinzu, dass der Erstbeschwerdeführer der Verehelichung zugestimmt hätte, weil er nach Erhalt des Briefes Angst bekommen habe. Der Viertbeschwerdeführer sei auch selbst einmal attackiert und verletzt worden. Dabei zeigte er auf eine Narbe an seiner linken Schulter.

4. Die Zweitbeschwerdeführerin gab in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26.07.2016 im Wesentlichen an, der Mann, den ihre Tochter heiraten habe sollen, sei Sunnit gewesen, weshalb sie der Hochzeit nicht zugestimmt hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe auf die Drittbeschwerdeführerin eingeredet, da er Angst gehabt habe, dass die Familie des A. den Beschwerdeführern ansonsten etwas Schlimmes antun würde. Zumal die Drittbeschwerdeführerin gedroht habe, sich das Leben zu nehmen, hätten die Beschwerdeführer keine andere Wahl gehabt und seien geflüchtet.

Am selben Tag wurde der Erstbeschwerdeführer einvernommen und führte ergänzend aus, er sei Verkäufer gewesen und habe seine Familie damit gut ernähren können. Er habe zwei Töchter und zwei Söhne. Als sie der Familie des A. abgesagt hätten, sei diese nach zwei Wochen wieder zu den Beschwerdeführern gekommen und habe ihnen Geld angeboten. Nach dem Vorfall mit dem Nachbarsmädchen habe der Erstbeschwerdeführer große Angst gehabt, dass die Familie des A. der Drittbeschwerdeführerin etwas antun könnte. Durch den Brief sei auch der Erstbeschwerdeführer persönlich bedroht worden.

Die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin sowie der Erstbeschwerdeführer brachten übereinstimmend vor, bei der Erstbefragung sei ihnen gesagt worden, dass sie ihre persönlichen Probleme in einer weiteren ausführlicheren Befragung erzählen könnten.

Die Beschwerdeführer legten zudem ein Empfehlungsschreiben und diverse Kursbestätigungen vor.

5. Mit den im Spruch bezeichneten Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde ihr Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihnen wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist zusammenfassend zu entnehmen, dass die Angaben der Beschwerdeführer in Bezug auf A. nicht glaubhaft seien, da sie in ihrer Einvernahme im Wesentlichen eine völlig andere Fluchtgeschichte erzählt hätten als in ihrer Erstbefragung. Der Vorfall betreffend den Viertbeschwerdeführer sei zwar glaubhaft, allerdings nicht asylrelevant, zumal in Hinblick auf die hohe Kriminalitätsrate davon auszugehen sei, dass er Opfer einer kriminellen Handlung geworden sei, die ihm auch in jedem anderen Staat der Welt widerfahren könnte. Die Drittbeschwerdeführerin sei nicht westlich orientiert, zumal sie bei ihrer Einvernahme ein Kopftuch getragen habe.

Gleichzeitig wurden den Beschwerdeführern mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der "Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

6. Mit am 25.08.2016 eingelangtem Schreiben erhoben die Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Ronald FRÜHWIRTH, fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte der gegenständlichen Bescheide und machten unrichtige rechtliche Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die Beschwerdeführer monierten unter anderem, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei nicht darauf eingegangen, dass die Beschwerdeführer bei ihrer Erstbefragung unterbrochen worden seien, als sie ihre Fluchtgründe geschildert hätten. Zudem habe die belangte Behörde es unterlassen, den entscheidungserheblichen Sachverhalt ausreichend zu erheben. So hätten Nachforschungen in Afghanistan unter anderem ergeben, dass das Geschäft für Autoersatzteile des A. wie von den Beschwerdeführern ausgesagt im Bazar von XXXX , was als XXXX protokolliert worden sei, in Herat residiere. In diesem Zusammenhang stellten die Beschwerdeführer einen Antrag auf Durchführung von Erhebungen in Afghanistan. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Überlegungen die belangte Behörde davon ausgehe, die Drittbeschwerdeführerin sei nicht westlich orientiert. Das Tragen eines Kopftuches habe keine Aussagekraft hinsichtlich ihrer Werte- und Moraleinstellung.

7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 09.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 20.10.2016 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W119 abgenommen und der Gerichtsabteilung W253 neu zugewiesen.

8. Mit Urkundenvorlage vom 25.07.2017 übermittelten die Beschwerdeführer Urkunden betreffend die Schallempfindlichkeitsschwerhörigkeit der Drittbeschwerdeführerin.

9. Am 11.07.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der Beschwerdeführer, ihrer Vertreterin, einer Vertrauensperson und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welcher die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Die öffentliche mündliche Verhandlung wurde am 14.07.2017 fortgesetzt.

10. Mit Schreiben vom 24.11.2017 teilten die Beschwerdeführer mit, dass der Erstbeschwerdeführer nicht voll kognitionsfähig sei, weshalb ein psychiatrisches Sachverständigengutachten beantragt werde. Als Beweis wurden eine Bestätigung und eine Stellungnahme vorgelegt.

11. Mit Beschluss vom 06.12.2017 wurde Univ. Prof. Dr. med. Georg PAKESCH, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstattung eines Gutachtens betreffend

Kognitionsfähigkeit/Aussagetüchtigkeit/Vernehmungsfähigkeit des Erstbeschwerdeführers beauftragt.

12. In seinem psychiatrisch-neurologischem Gutachten vom 24.01.2018 führte der Sachverständige im Wesentlichen zusammengefasst aus, beim Erstbeschwerdeführer finde sich aus psychiatrischer Sicht eine leichtgradige Hirnleistungsschwäche im Sinne eines Mild cognitive impairments (ICD-10: F06.7). Es habe sich eine leichtgradige Verminderung der Konzentrationsfähigkeit nach längerdauernder Exploration gefunden. Die Symptomatik der Hirnleistungsschwäche sei noch als milde ausgeprägt zu bezeichnen und vermutlich im Rahmen eines beginnenden dementiellen Geschehens zu sehen. Der Erstbeschwerdeführer sei grundsätzlich in der Lage Erlebtes wiederzugeben; die leichtgradige Hirnleistungsschwäche beinhalte keine beschränkte Wiedergabefähigkeit. Störungen der Erinnerungsfähigkeit und der Gedächtnisleistungen betreffend Langzeitgedächtnis und mittleres Gedächtnis seien noch nicht fassbar gewesen. Der Erstbeschwerdeführer sei zeitlich, örtlich wie situativ und persönlich bei der Untersuchung voll orientiert gewesen und daher auch in der Lage schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen. Er sei in der Lage an einer neuerlichen Verhandlung teilzunehmen und es sei auch keine psychische Störung in einem Ausmaß fassbar, dass dadurch die Einnahmefähigkeit beeinträchtigt wäre. Die Symptomatik des Mild cognitive impairments habe keine Auswirkungen auf die Angelegenheiten des Alltagslebens des Erstbeschwerdeführers.

13. In ihrer Stellungnahme zum Sachverständigengutachten vom 23.02.2018 fassten die Beschwerdeführer die wesentlichen Ergebnisse des Gutachtens zusammen und verwiesen auf das Verhandlungsprotokoll, aus welchem sich die Einschränkung des Erstbeschwerdeführers ergebe, da er während seiner Einvernahme mehrmals unterbrochen worden sei, auf die ihm gestellten Fragen konkret zu antworten. Es werde ersucht, den zweitweise umständlichen und abschweifenden Gedankengang des Erstbeschwerdeführers unter Berücksichtigung seiner diagnostizierten Hirnleistungsschwäche zu würdigen.

14. Mit Urkundenvorlage vom 07.06.2018 übermittelten die Beschwerdeführer diverse Länderberichte von Friederike Stahlmann, einen Arztbefund sowie weitere Integrationsunterlagen, insbesondere die Bestätigung des Standesamtes XXXX über die am XXXX .2018 erfolgte Antragstellung der Eheschließung zwischen der Drittbeschwerdeführerin und ihrem Verlobten.

15. Am 12.07.2018 wurde den Beschwerdeführern das aktuelle Länderinformationsblatt vom 29.06.2018 und die UNHCR-Richtlinien vom 19.04.2016 zur Stellungnahme übermittelt.

In ihrer Stellungnahme vom 31.07.2018 verwiesen die Beschwerdeführer auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan und führten in Hinblick auf die UNHCR-Richtlinien weiters aus, "verwestlicht" wahrgenommenen Personen werde unterstellt, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen, weshalb sie von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen werden würden. Weder Kabul, noch Mazar-e Sharif oder Herat seien taugliche innerstaatliche Fluchtalternativen. Zusätzlich verwiesen die Beschwerdeführer auf den Vortrag der stellvertretenden Leiterin des UNHCR vom 12.03.2018 und legten diesbezügliche Urkunden vor.

16. Mit Schreiben vom 11.10.2018 übermittelten die Beschwerdeführer die aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 und bezogen dazu Stellung, indem sie insbesondere ausführten, Kabul stelle unter keinen Umständen eine innerstaatliche Fluchtalternative dar.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge auf internationalen Schutz, der Erstbefragungen und Einvernahmen der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerden gegen die im Spruch genannten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht, des psychiatrisch-neurologischem Gutachtens vom 24.01.2018, der Stellungnahmen sowie Urkundenvorlagen, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, die Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer stellten am 28.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Mit den im Spruch bezeichneten Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde ihr Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihnen wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Mit am 25.08.2016 eingelangten Schreiben erhoben die Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Ronald FRÜHWIRTH, fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte der gegenständlichen Bescheide und machten unrichtige rechtliche Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Am 11.07.2017 sowie am 14.07.2017 fanden vor dem Bundesverwaltungsgericht öffentliche mündliche Verhandlungen im Beisein der Beschwerdeführer, ihrer Vertreterin, einer Vertrauensperson und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, in welchen die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, diese umfassend darzulegen. Mit Beschluss vom 06.12.2017 wurde Univ. Prof. Dr. med. Georg PAKESCH, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstattung eines Gutachtens betreffend

Kognitionsfähigkeit/Aussagetüchtigkeit/Vernehmungsfähigkeit des Beschwerdeführers beauftragt.

1.2. Zu den Beschwerdeführern und ihren Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie sind afghanische Staatsangehörige und schiitische Muslime. Ihre Muttersprache ist Dari. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet. Sie haben insgesamt vier Kinder, davon die Drittbeschwerdeführerin und den Viertbeschwerdeführer. Ihre zweite Tochter wohnt in XXXX und ihr zweiter Sohn in XXXX . Zur Tochter in Deutschland besteht kein Kontakt mehr, da sie sich von ihrem Ehemann scheiden lassen und wieder neu geheiratet hat.

Die Beschwerdeführer sind in der Stadt Herat geboren und ebendort aufgewachsen. Sie haben bis zur Ausreise nach Europa in einem Haus, das dem Bruder des Erstbeschwerdeführers gehörte, gewohnt und dafür Miete bzw. Pacht gezahlt.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Sie sind nicht selbsterhaltungsfähig, beziehen Leistungen aus der Grundversorgung und leben in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt. Sie nehmen gelegentlich an Veranstaltungen der Gemeinde teil.

1.2.1. Zum Erstbeschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer ist am XXXX alias XXXX in Herat geboren. Er hat zwei Schwestern und zwei Brüder, welche in der Stadt Herat leben. Sein dritter Bruder lebt im Iran und von seinen zwei weiteren Schwestern lebt eine im Iran und die andere in Deutschland. Die Brüder sowie die Schwäger des Erstbeschwerdeführers sind erwerbstätig. Der Erstbeschwerdeführer telefoniert einmal im Monat mit seiner Familie in Herat.

Der Erstbeschwerdeführer hat fünf Jahre die Schule besucht und anschließend insgesamt 20 bis 25 Jahre Gewürze in einem Geschäft verkauft, wodurch er den Lebensunterhalt seiner Familie bestreiten konnte. Zunächst hat der Erstbeschwerdeführer in eben genanntem Geschäft als Angestellter gearbeitet, ehe er zum Geschäftspartner seines Arbeitsgebers wurde.

Der Erstbeschwerdeführer leidet an einer leichtgradigen Hirnleistungsschwäche im Sinne eines Mild cognitive impairments (ICD-10: F06.7). Er nimmt derzeit keine Medikamente ein und befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung. Er ist zeitlich, örtlich und situativ und zur Person voll orientiert. Weder seine Wiedergabe,- noch seine Wahrnehmungsfähigkeit ist beschränkt. Seine Verhandlungs- bzw. Vernehmungsfähigkeit war durch das eben genannte Krankheitsbild ebenso wenig beeinträchtigt. Der Erstbeschwerdeführer leidet an keinen dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen.

Der Erstbeschwerdeführer ist aufgrund seines Alters nicht mehr arbeitsfähig und - abgesehen von der eben genannten leichtgradigen Hirnleistungsschwäche - gesund. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Er spricht kaum Deutsch, ist weder erwerbstätig noch selbsterhaltungsfähig und kein Mitglied in einem Verein. Der Erstbeschwerdeführer hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Er hat keine nennenswerten Kontakte zu Österreichern.

Der mittlerweile volljährige Neffe des Erstbeschwerdeführers namens XXXX lebt im gemeinsamen Haushalt mit den Beschwerdeführern. Mit Erkenntnis vom XXXX wurde dessen Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom Bundesverwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen ( XXXX ).

1.2.2. Zur Zweitbeschwerdeführerin:

Die Zweitbeschwerdeführerin ist am XXXX alias XXXX in Herat geboren und verfügt weder über eine Schul- noch eine Berufsausbildung. Sie hat vier Brüder und eine Schwester, die nach wie vor in Herat leben. Die Brüder und der Schwager der Zweitbeschwerdeführerin sind erwerbstätig. Sie pflegt Kontakt zu ihrer Verwandtschaft in Afghanistan.

Die Zweitbeschwerdeführerin spricht kaum Deutsch, ist weder erwerbstätig, noch selbsterhaltungsfähig und kein Mitglied in einem Verein. Sie hat an einem 50 Unterrichtseinheiten umfassenden Deutschkurs im Auftrag der Caritas XXXX teilgenommen und besucht seit Januar 2018 einen vom Sprachniveau bis A2 gemischten Deutschkurs. Dabei lernt sie Lesen und Schreiben. Zudem hat sie an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen und an drei Tagen im Haus XXXX in der Küche geholfen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist gesund und grundsätzlich arbeitsfähig. Sie ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist westlich gekleidet und trägt ein Kopftuch, das lose ihren Kopf und ihre Schultern bedeckt. Darüber hinaus hat die Zweitbeschwerdeführerin keine westlichen kulturellen oder gesellschaftlichen Werte übernommen. Sie pflegt in Österreich Kontakt zu Österreichern, wobei darüber hinaus keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden konnten.

1.2.3. Zur Drittbeschwerdeführerin:

Die Drittbeschwerdeführerin ist am XXXX in Herat geboren und hat sechs Jahre die Schule besucht. Anschließend hat sie zu Hause Handarbeit verrichtet und daraufhin im Jahr 2014 und 2015 in einem Friseurladen gearbeitet. Die volljährige Drittbeschwerdeführerin ist kinderlos und verlobt. Ihr Verlobter, XXXX , hat am XXXX .2018 beim Standesamt XXXX einen Antrag auf Eheschließung gestellt.

Die Drittbeschwerdeführerin leidet an einer mittel-bis höhergradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit und trägt Hörgeräte. Abgesehen von der Schallempfindungsschwerhörigkeit ist sie gesund und arbeitsfähig.

Sie spricht Deutsch auf dem Sprachniveau A2/B1 und hat die Deutschprüfungen der Neuen Mittelschule XXXX auf dem Sprachniveau A1 mit "Gut" bestanden und jene auf dem Sprachniveau A2 bestanden. Zudem hat sie an einem 50 Unterrichtseinheiten umfassenden Deutschkurs im Auftrag der Caritas XXXX und an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Die Drittbeschwerdeführerin hat im Schuljahr 2016/17 regelmäßig am Unterricht in den Räumen der Neuen Mittelschule XXXX mit Erfolg teilgenommen. Sie besucht einen ehrenamtlich abgehaltenen B1-Kurs in XXXX mit insgesamt acht bis neun Stunden pro Woche. Die Drittbeschwerdeführerin nimmt seit XXXX bis XXXX am Bildungsangebot Externer Pflichtschulabschluss im Rahmen der XXXX , der von Montag bis Freitag durchschnittlich 27 Unterrichtseinheiten pro Woche umfasst, teil.

Sie ist weder erwerbstätig, noch selbsterhaltungsfähig und kein Mitglied in einem Verein.

Die Drittbeschwerdeführerin ist westlich gekleidet, schminkt sich und trägt kein Kopftuch. In Österreich hat sie Fahrradfahren gelernt. Sie geht alleine einkaufen und lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab. Die Drittbeschwerdeführerin will in Österreich die Ausbildung zur Friseurin absolvieren und anschließend in dieser Branche arbeiten.

1.2.4. Zum Viertbeschwerdeführer:

Der Viertbeschwerdeführer ist am XXXX in Herat geboren und ledig. Er hat in Herat sechs Jahre die Schule besucht und als Schneider gearbeitet. Der volljährige Viertbeschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut.

Der Viertbeschwerdeführer spricht Deutsch auf dem Sprachniveau A2/B1 und hat die Deutschprüfung der Neuen Mittelschule XXXX auf dem Sprachniveau A1 bestanden und jene auf dem Sprachniveau A2 mit "Gut" bestanden. Zudem hat er an einem 50 Unterrichtseinheiten umfassenden Deutschkurs im Auftrag der Caritas XXXX und an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Der Viertbeschwerdeführer hat im Schuljahr 2016/17 regelmäßig am Unterricht in den Räumen der Neuen Mittelschule XXXX mit Erfolg teilgenommen. 2016 hat der Viertbeschwerdeführer im Zuge der XXXX Woche Grundkenntnisse in verschiedenen Tätigkeitsbereichen erworben.

Er besucht einen ehrenamtlich abgehaltenen B1-Kurs in XXXX mit insgesamt acht bis neun Stunden pro Woche und seit XXXX den Basisbildungskurs " XXXX ", wo er von Montag bis Freitag an vier Einheiten täglich mit den Schwerpunkten Deutsch, Mathematik, Englisch, Allgemeinbildung sowie Werte teilnimmt. Zusätzlich nimmt der Viertbeschwerdeführer an diversen Freizeitangeboten des Jugendzentrums XXXX sowie an Sportaktivitäten teil.

Von XXXX .05. bis XXXX .06.2018 hat der Viertbeschwerdeführer gemeinnützige Arbeit bei der Gemeinde XXXX verrichtet.

Er ist weder erwerbstätig, noch selbsterhaltungsfähig und kein Mitglied in einem Verein. Der Viertbeschwerdeführer pflegt in Österreich Kontakt zu Österreichern, wobei darüber hinaus keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden konnten.

1.2.5. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Tochter der Nachbarn der Beschwerdeführer wurde ungefähr im April/Mai 2015 entführt und vergewaltigt. Aus diesem Grund haben die Beschwerdeführer den Entschluss zur Ausreise nach Europa gefasst.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund versuchter Zwangsverheiratung durch A. einer konkret gegen sie gerichteten psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt waren oder sein werden.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern wegen Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensgemeinschaft bzw. wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell, bzw. dass jedem Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft bzw. zur Volksgruppe der Tadschiken physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.

Der Viertbeschwerdeführer wurde zwar einmal in Afghanistan von unbekannten Tätern in der Nähe von XXXX überfallen und dabei mit einem Messer an seiner Schulter verletzt; es kam jedoch weder zu weiteren Übergriffen auf den Viertbeschwerdeführer, noch zu Übergriffen auf die Erst-, Zweit- und Drittbeschwerdeführer.

Die Drittbeschwerdeführerin würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden, weshalb sie in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt wäre. Die von der Drittbeschwerdeführerin in Österreich angenommene westliche Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden. Es kann von ihr daher nicht erwartet werden, diese Lebensweise in Afghanistan zu unterdrücken oder überhaupt abzulegen, um dort nicht physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erst- und Viertbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Herat) Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten (zur Drittbeschwerdeführerin siehe Pkt. II.1.2.5.).

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Erst- und Viertbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Erst- und Viertbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin nach Herat ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Der Erstbeschwerdeführer leidet an keinen dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Der Viertbeschwerdeführer kann dort ihre Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erst- und Viertbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin nicht in der Lage sind, in Herat eine einfache Unterkunft zu finden bzw. eventuell sogar in ihr vormaliges Familienhaus zurückzukehren. Herat ist über den dort vorhandenen Flughafen sicher erreichbar.

Der Erst- und Viertbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin können im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit finanzieller Hilfe ihrer zahlreichen in Herat lebenden Verwandten rechnen.

1.4. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

1.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 (in Folge kurz "LIB"):

1.4.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB S. 20). Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB S. 24).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB S. 24).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (LIB S. 30 f).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB S. 31).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (LIB S. 34).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören ua die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (LIB S. 33).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (LIB S. 23).

1.4.1.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatstadt der Beschwerdeführer, Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB S. 101).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran Produktion. Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (LIB S. 101).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (LIB S. 102).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB S. 102 f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB S. 103).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten TalibanGruppierungen (LIB S. 103 f).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017-15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (LIB S. 104).

1.4.1.3. Zur Lage von Schiiten in Afghanistan:

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15 % geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB S. 269).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB S. 269).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen ua der Taliban und des IS (LIB S. 270).

1.4.1.4. Zur Lage von Tadschiken in Afghanistan:

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte; und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah -dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an. Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan; ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist. Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB S. 281 f).

1.4.1.5. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (LIB S. 309).

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (LIB S. 310). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (LIB S. 311).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw (LIB S. 311 f).

1.4.1.6. Grundversorgung und Wirtschaft:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4% bzw. 1,8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (LIB S. 314).

1.4.1.7. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (LIB S. 314 f).

1.4.1.8. Projekte der afghanischen Regierung:

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen (LIB S. 315).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (LIB S. 316).

1.4.1.9. Medizinische Versorgung:

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB S. 318).

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (LIB S. 318).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (LIB S. 318 f).

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baglan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (LIB S. 319).

1.4.1.10. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB S. 319 f).

1.4.1.11. Krankenhäuser in Afghanistan:

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanista

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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