Entscheidungsdatum
15.11.2018Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W184 2197495-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde vonXXXX, geb.XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1073836200/150687262, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 16.06.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:
"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.
IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.
V. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.
VI. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):
"... A) Verfahrensgang
...
Bei der Erstbefragung ... am 17.06.2015 gaben Sie, zu Ihrem
Fluchtgrund befragt, Folgendes an:
Es gibt keine Schule dort, keine Arbeit, die Taliban haben meinen Vater und einen Onkel ermordet. Ich befürchte auch eine Verfolgung/Ermordung durch die Taliban.
Nach Befürchtungen im Falle einer Rückkehr befragt, gaben Sie an:
Verfolgung durch die Taliban, ich habe Angst um mein Leben.
...
Am 29.03.2018 wurden Sie beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
... einvernommen, wobei Sie im Wesentlichen Folgendes angaben (F =
Frage, A = Antwort):
F: Welche Sprachen sprechen Sie?
A: Ich spreche Dari, teilweise Farsi und teilweise Deutsch.
...
... Ich wurde in XXXX geboren, im Bezirk XXXX, im Dorf XXXX.
...
F: Befinden Sie sich in ärztlicher Behandlung oder in Therapie? Nehmen Sie zurzeit Medikamente ein?
A: Nein.
...
F: Welche Staatsbürgerschaft besitzen Sie?
A: Afghanistan.
F: Welcher Volksgruppe und welcher Religion gehören Sie an?
A: Ich bin Hazara und schiitischer Moslem.
F: Wo war Ihr letzter Wohnort in Afghanistan?
A: In meinem Heimatdorf.
...
F: Bitte schildern Sie mir einen kurzen Lebenslauf betreffend Ihre
Person, z. B.: Wo sind Sie geboren, wo aufgewachsen, welche Schulausbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben Sie ausgeübt?
A: Ich wurde in meinem Heimatdorf geboren. Ich habe keine Schule besucht. Manchmal habe ich Hilfsarbeitertätigkeiten gemacht. Mit 15 Jahren bin ich in den Iran gegangen. Dort wollte man mich aber nach Afghanistan abschieben, deswegen bin ich nach Europa geflüchtet.
Nachgefragt: In Afghanistan habe ich zum Beispiel Busse gereinigt. Das nennt man dort "Cleaner".
F: Wovon haben Sie im Iran gelebt?
A: Ich war circa fünf Monate dort und habe auf einer Baustelle als
Hilfsarbeiter gearbeitet. Nachgefragt: In Teheran.
F: Sind Sie verheiratet?
A: Nein.
F: Haben Sie Kinder?
A: Nein.
F: Können Sie Dari lesen und schreiben?
A: Nein.
F: Womit haben Sie in Afghanistan Ihren Lebensunterhalt bestritten?
A: Als mein Vater noch lebte, hat er sich um mich gekümmert. Danach habe ich selbst gearbeitet. Nachgefragt: Ich war noch sehr klein, als mein Vater starb. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie alt ich war.
F: Hat Ihre Mutter gearbeitet?
A: Nein.
F: Wovon hat sie gelebt, nachdem Ihr Vater verstorben ist?
A: Ich habe gearbeitet.
F: Welche Provinzen haben Sie schon besucht?
A: Ich war nur in XXXX.
F: Wann genau haben Sie sich entschlossen, dass Sie Ihr Heimatland verlassen?
A: Es war circa zwei bis drei Wochen vor meiner Ausreise.
F: Wann haben Sie Ihr Heimatland tatsächlich verlassen?
A: Vor zwei oder zweieinhalb Jahren.
...
F: Sind Sie schlepperunterstützt nach Europa gereist?
A: Ja.
F: Wie viel haben Sie für die Reise bezahlt?
A: Mein Onkel mütterlicherseits hat meine Reise bezahlt, ich weiß es nicht.
F: Wie hat er das organisiert?
A: Das weiß ich nicht.
F: Wo lebt Ihr Onkel?
A: In meinem Heimatdorf.
F: Wie konnte er von dort Ihre Ausreise aus dem Iran organisieren?
A: Telefonisch hat er alles organisiert.
F: Wie sind Sie in Österreich eingereist?
A: Illegal.
F: Seit wann halten Sie sich in Österreich auf?
A: Seit zwei oder zweieinhalb Jahren.
...
F: Wieso wollten Sie in die Schweiz?
A: Meine Geschwister sind dort.
...
Ich weiß nicht, wie sie dorthin gekommen sind, der Schlepper hat es organisiert. Ich glaube, dass sie mit meinem Onkel mütterlicherseits geflüchtet sind.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihren Geschwistern?
A: Ja. Nachgefragt: Sie leben bei einem Cousin väterlicherseits.
F: Welche Familienangehörigen leben noch in Ihrem Herkunftsstaat (Name, Geburtsdatum, Wohnort, was arbeiten diese, Staatsangehörigkeit)?
A: Mutter ..., war früher Schneiderin; Onkel mütterlicherseits ..., Hilfsarbeiter; Onkel mütterlicherseits ..., Hilfsarbeiter. Sie leben alle in meinem Heimatdorf.
F: Wie geht es Ihrer Familie finanziell?
A: Sehr schlecht. Nachgefragt: Meine Onkel versuchen, meine Mutter zu versorgen.
F: Wie sah Ihr Sozialleben in Afghanistan aus?
A: Ich hatte Freunde, aber jetzt nicht mehr. Nachgefragt: Wir sind nicht mehr miteinander in Kontakt.
F: Wie besteht der Kontakt zu den im Herkunftsstaat befindlichen Familienangehörigen?
A: Wir haben via Facebook Kontakt.
F: Wie oft haben Sie Kontakt mit diesen?
A: Ich habe circa einmal pro Woche Kontakt zu meiner Mutter.
F: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit "ja" oder "nein". Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern.
F: Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?
A: Dreimal nein.
F: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen, wie Haftbefehl, Strafanzeige, etc.?
A: Nein.
F: Sind oder waren Sie politisch tätig?
A: Nein.
F: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?
A: Nein.
F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme?
A: Ja.
F: Hatten Sie größere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte, etc.)?
A: Nein. Nur mit den Taliban.
F: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?
A: Nein.
F: Haben sich Familienangehörige in Afghanistan politisch/religiös betätigt?
A: Nein.
F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß ...
A: Mein Vater und mein Onkel mütterlicherseits wurden von den Taliban getötet. Das Leben meiner Geschwister war dort auch in Gefahr, deswegen sind sie mit einem Onkel geflüchtet. Mein Leben war dort auch in Gefahr, deswegen musste ich flüchten.
F: Warum war Ihr Leben in Gefahr?
A: Wenn die Taliban Schiiten und Hazara erwischen, dann töten sie sie.
...
F: Sie haben angegeben, dass Sie selbst in Afghanistan aufgrund Ihrer Religion oder Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt hätten. Bitte konkretisieren Sie das.
A: Es gibt die Probleme zwischen den Taliban und den Hazara.
Nachgefragt: Sie sind mehrmals gekommen. Ich hatte Angst und musste draußen in den Bergen schlafen.
F: Was ist genau passiert?
A: Sie sind mehrmals gekommen, aber sie haben mich nicht erwischt.
F: Wohin sind sie gekommen?
A: Zu uns nach Hause.
F: Wer genau ist da gekommen?
A: Die Taliban.
F: Woher wissen Sie, dass es die Taliban waren?
A: Man weiß es.
F: Wie viele Personen sind gekommen?
A: Bei den Taliban kommen immer 9-10 Personen.
F: Wann sind sie gekommen, in welchem Zeitraum?
A: Sie kommen nachts, tagsüber kommen sie nicht. Das Datum weiß ich nicht. Nachgefragt: Ich war klein. Nachgefragt: 14 oder 15.
F: Was wollten diese Leute?
A: Sie wollten mich töten.
F: Woher wissen Sie das?
A: Ich weiß es, weil die Taliban unsere Feinde sind.
F: Wie oft kamen sie?
A: Mehrmals.
F: Wie oft?
A: Ich weiß nicht, wie viele Male es war, aber sehr oft.
Nachgefragt: Ein- bis zwei Mal pro Woche.
F: Wer war zu Hause?
A: Mein Vater und mein Onkel väterlicherseits waren zu Hause.
F: Sie sagten doch vorher, dass die beiden gestorben wären, als Sie noch sehr klein waren?
A: Als ich groß geworden bin, hat mir meine Mutter das erzählt.
F: Die Taliban kamen zu Ihrem Vater und zu Ihrem Onkel, weil man Sie töten wollte?
A: Sie sind gekommen und haben meinen Vater und meinen Onkel umgebracht. Meine Mutter wusste, dass die Taliban immer wieder zu uns kommen würden, deswegen musste ich draußen in den Bergen schlafen.
F: Haben Sie nach dem Tod Ihres Vaters immer in den Bergen geschlafen?
A: Tagsüber bin ich nach Hause gekommen und habe gegessen und nachts habe ich in den Bergen geschlafen.
F: Sie haben gesagt, dass die Taliban immer wegen Ihnen gekommen wären, als Sie 14 oder 15 Jahre alt gewesen wären. Nun reden Sie wieder von Ihrem Vater und Ihrem Onkel. Welches Problem hatten Sie als Hazara?
A: Die Taliban wollen die Familie töten, wir sind alle Hazara.
F: Wie lange waren Sie nach dem Tod Ihres Vaters noch in Afghanistan?
A: Das weiß ich nicht genau, aber ich bin circa zwölf Jahre nach dem Tod meines Vaters geflüchtet.
F: Ist Ihnen persönlich etwas passiert, gab es einen Vorfall, weil Sie Hazara und Schiit sind?
A: Ja.
F: Was konkret ist Ihnen passiert?
A: Sie sind mehrmals gekommen, aber sie haben mich nicht gefunden.
F: Aber was ist Ihnen dann passiert?
A: Sie könnten mich irgendwann erwischen.
F: Wann haben Ihre Geschwister Afghanistan verlassen?
A: Das weiß ich nicht. Nachgefragt: Zuerst haben meine Geschwister Afghanistan verlassen und dann ich.
F: Haben die Taliban Ihrer Mutter etwas getan?
A: Meine Mutter wurde von den Taliban geschlagen. Und sie wurde gefragt, wo die Kinder sind. Nachgefragt: Sie hat es nicht gesagt, wo wir sind, und wurde geschlagen.
F: Warum wollten die Taliban Ihren Vater töten?
A: Weil es unsere Feinde sind.
F: Warum leben Ihre Onkel noch in Ihrem Heimatdorf?
A: Die beiden müssen noch dort leben, sie haben keine andere Wahl.
F: Welche Probleme haben Ihre Onkel mit den Taliban?
A: Sie haben auch Probleme mit den Taliban.
F: Welche?
A: Religionsprobleme.
F: Warum ist Ihre Familie nicht in eine andere Provinz gegangen?
A: Die Sicherheitslage ist überall schlecht. Überall sind die Taliban.
F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
A: Die Taliban würden mich töten.
F: Wurden Sie persönlich bedroht?
A: Ja, mehrmals.
F: In welcher Form?
A: Ich weiß das Datum nicht mehr, aber ich wurde von den Taliban bedroht. Sie sagten zu mir, dass ich entweder das Land verlassen müsste oder Sie würden mich töten.
F: Sind Sie nach Ihrer heute beschriebenen Ausreise noch einmal nach Afghanistan zurückgekehrt?
A: Nein.
F: Kabul, Herat und Mazar-e Sharif stehen unter der Kontrolle der afghanischen Regierung. Sie sind ein junger und gesunder Mann, Sie könnten Sich völlig anonym in einer der Städte niederlassen und sich dort eine Arbeit suchen und dort leben. Die Taliban würden Sie dort nicht finden können. Was spräche in Ihren Augen dagegen?
A: Dort war mein Leben in Gefahr, deswegen bin ich geflüchtet. Die Taliban und die afghanische Regierung gehören zusammen.
F: Es gibt aber auch kein Meldewesen. Niemand würde wissen, dass Sie zum Beispiel in Kabul leben.
A: Die Sicherheitslage in Kabul ist schlecht.
F: Haben Sie Verwandte in Österreich? Wenn ja, welche und wo wohnen diese? Wie gestaltet sich der Kontakt zu diesen?
A: Nein.
F: Haben Sie Deutschkurse besucht bzw. positive Prüfungen abgelegt?
A: Ich habe den Kurs A1 gemacht. Die Prüfung habe ich nicht.
F: Welchen Aktivitäten gehen Sie in Österreich nach? Sie können diese Frage gern auch auf Deutsch beantworten.
A: Ich kann nicht in Deutsch reden. Vormittags besuche ich ein Fitnessstudio und nachmittags gehe ich draußen spazieren.
(Anmerkung: Asylwerber antwortet auf Dari.)
F: Wie sehen Ihre sozialen Kontakte in Österreich aus?
A: Ich habe Freunde hier, Österreicher und Afghanen.
F: Woher kennen Sie Ihre Freunde?
A: Vom Deutschkurs.
F: Was wollen Sie in Österreich arbeiten?
A: Ich möchte als Friseur arbeiten.
F: Leben Sie in Österreich in einer Lebensgemeinschaft?
A: Nein.
F: Was erwarten Sie sich in Österreich?
A: Ich möchte mir hier eine Zukunft aufbauen.
F: Sind Sie in einem Verein aktiv tätig? Wenn ja, wo und wie lange? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?
A: Nein.
F: Gehen Sie einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach? Wenn ja, wo und wie lange? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?
A: Nein.
...
F: Wieso wollten Sie der Polizei im letzten Dezember Ihren Ausweis nicht zeigen?
A: Ich war stark alkoholisiert. Ich weiß es nicht. Ich konnte deswegen auch nicht deutsch sprechen.
F: Wieso haben Sie angegeben, dass Ihr Name XXXX wäre?
A: Das habe ich nicht gesagt.
F: Warum trinken Sie so viel Alkohol?
A: Ich habe in Afghanistan angerufen und es war dort alles schlecht. Deswegen habe ich getrunken.
F: Haben Sie Privatbesitz in Österreich?
A: Nein.
F: Haben Sie anderweitige private Interessen in Österreich?
A: Nein.
...
B) Beweismittel
...
C) Feststellungen
Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Zu Ihrer Person:
Ihre Identität steht nicht fest ... Sie sind jedenfalls volljährig.
Sie sind afghanischer Staatsangehöriger. Sie gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitischer Moslem. Sie sprechen Dari und etwas Farsi. Sie sind ledig und haben keine Kinder. Sie sind gesund. Sie sind arbeitsfähig. Sie stammen aus der Provinz XXXX.
Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Taliban Sie bedroht oder verfolgt haben. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in Afghanistan einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliegen. Es konnte auch aus den sonstigen Umständen keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung festgestellt werden.
Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle einer Rückkehr von den Taliban verfolgt werden würden. Nicht festgestellt werden konnte, dass Sie im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan im Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Sie verfügen über Angehörige (Mutter und zwei Onkel) in Ihrer HerkunftsprovinzXXXX. Sie können daher Unterstützung bekommen. Sie verfügen zwar nicht über Schulbildung, aber Sie verfügen über Berufserfahrung als Reinigungskraft und als Bauhilfsarbeiter. Sie sind wirtschaftlich genügend abgesichert und können für Ihren Unterhalt grundsätzlich sorgen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden. Außerdem würden Sie dort nicht Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen zu können.
Die Sicherheitslage in Ihrer Heimatprovinz XXXX ist ausreichend sicher. Es ist Ihnen möglich, Ihre Herkunftsprovinz sicher zu erreichen.
Zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Sie sind spätestens am 16.06.2015 illegal in Österreich eingereist und haben am 16.06.2015 den Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Sie verfügen in Österreich über keinen Aufenthaltstitel außerhalb dieses Verfahrens.
Es steht fest, dass Sie keine Angehörigen in Österreich haben. Sie besuchen in Österreich keine Kurse, Schulen, sind nicht in Vereinen aktiv oder gehen einer Arbeit nach. Es bestehen keine besonderen sozialen Kontakte, die Sie an Österreich binden. Es kann kein über das übliche Maß hinausgehendes Privatleben festgestellt werden. Sie sind unbescholten.
Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
Kurzinformation vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul ...
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2018
Am Montag, den 29.1.2018, attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnte. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Experten sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag, den 27.1.2018, ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).
Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen genannt (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer und vier Afghanen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u. a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
Quellen:
Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul ...;
BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire
...;
BBC (24.1.2018): Save the Children offices attacked in Jalalabad, Afghanistan ...;
BBC (21.1.2018): Kabul: Afghan forces end Intercontinental Hotel siege ...;
DW - Deutsche Welle (21.1.2018): Taliban militants claim responsibility for attack on Kabul hotel ...;
NYT - The New York Times (28.1.2018): Attack Near Kabul Military Academy Kills 11 Afghan Soldiers ...;
NYT - The New York Times (21.1.2018): Siege at Kabul Hotel Caps a Violent 24 Hours in Afghanistan;
Reuters (28.1.2018): Shock gives way to despair in Kabul after ambulance bomb ...;
Reuters (24.1.2018): Islamic State claims attack on Jalalabad in Afghanistan ...;
Reuters (20.1.2018): Heavy casualties after overnight battle at Kabul hotel ...;
The Guardian (29.1.2018): Afghanistan: gunmen attack army post at Kabul military academy ...;
The Guardian (28.1.2018): 'We have no security': Kabul reels from deadly ambulance bombing ...;
The Guardian (27.1.2018): Kabul: bomb hidden in ambulance kills dozens ...;
The Guardian (24.1.2018): Isis claims attack on Save the Children office in Afghanistan ...
Kurzinformation vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 ...
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierenden Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilisten und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurückzuführen (SIGAR 30.10.2017).
Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).
Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen, um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurden in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).
Zivilisten
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilisten um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilisten um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilisten fielen Selbstmordattentaten sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
High-profile Angriffe
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017).
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannte sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina in der westlichen Provinz Ghor wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: Je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurden im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: Ein militärisches Gelände, eine Polizeistation und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte, in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf die Angreifer überwältigen. Der IS bekannte sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017).
Interreligiöse Angriffe
Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele veranlassten die afghanische Regierung, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: Landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).
Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).
Im Jahr 2016 und 2017 registrierten die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnte großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihren Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben: Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um 3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurden die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Taliban
Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin, von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich, kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):
Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen, und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften, die Taliban zurückzudrängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).
Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriffen auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe, zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten, hielt das die Gruppierungen nicht davon ab, ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).
Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).
Politische Entwicklungen
Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).
Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).
Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).
Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).
In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).
Quellen:
al Jazeera (20.10.2017): Deadly attacks hit mosques in Kabul and Ghor ...;
BBC (31.10.2017): Kabul Green Zone attacked by suicide bomber ...;
BBC (21.10.2017): Afghan suicide mosque attacks kill scores of worshippers ...;
BS - Business Standard (24.11.2017): Key Haqqani network leader among dozens killed in Afghanistan ...;
Guardian (7.11.2017): Kabul TV station defiantly resumes broadcasting moments after Isis attack ends ...;
Handelsblatt (20.12.2017): Afghanistan stürzt in politische Krise
...;
KUNA - Kuwait News Agency (15.12.2017): Security operations kill 12 rebels in Afghanistan ...;
Independent (20.10.2017): Kabul attack: Isis claims responsibility for Shia mosque suicide bombing killing at least 30 in Afghan capital ...;
INSO - International NGO Safety Organisation (o.D.): Afghanistan - Total incidents per month for the current year to date ...;
INSO - The International NGO Safety Organisation (2017): Afghanistan - Gross Incident Rate ...;
NYT - The New York Times (11.12.2017): Hunting Taliban and Islamic State Fighters, From 20,000 Feet ...;
NYT - The New York Times (7.11.2017): A Leading Afghan TV Station Is Attacked in Kabul ...;
NYT - The New York Times (20.10.2017): Twin Mosque Attacks Kill Scores in One of Afghanistan's Deadliest Weeks ...;
NZZ - Neue Züricher Zeitung (18.12.2017): Palastintrige in Kabul
...;
Pajhwok (1.12.2017): 31 militants eliminated in security operations, says MoD ...;
Reuters (1.12.2017): Islamic State seizes new Afghan foothold after luring Taliban defectors ...;
Reuters (23.11.2017): Islamic State beheads 15 of its own fighters:
Afghan official ...;
Reuters (16.11.2017): Kabul 'Green Zone' tightened after attacks in Afghan capital, Suicide bomber kills nine near Afghan political meeting ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Free Liberty (19.12.2017): Powerful Afghan Governor Vows To Fight His Disputed Ouster ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Free Liberty (18.12.2017): Afghan Party Cries Foul After Ghani Says Powerful Governor Has Resigned
...;
SCR - Security Council Report (30.11.2017): December 2017 Monthly Forecast ...;
SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.10.2017): QUARTERLY REPORT TO THE UNITED STATES CONGRESS ...;
Telegraph (31.10.2017): Suicide bomber thought to be as young as 12 kills five in Kabul's diplomatic zone ...;
Tolonews (5.12.2017): Senior al-Qaeda Member Killed In Joint Military Operation ...;
TP - The Peninsula (20.12.2017): At least 5 killed, 7 injured in security forces operations in Eastern Afghanistan ...;
Tribune (24.11.2017): Afghan forces claim killing top Haqqani commander ...;
UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan: Afghanistan (7.11.2017): protection of civilians in armed conflict: attacks against places of worship, religious leaders and worshippers ...;
UNAMA - UN Assistance Mission in Afghanistan: Afghanistan (10.2017):
Protection of Civilians in Armed Conflict; Midyear Report 2017 ...;
UN GASC - General Assembly Security Council (20.12.2017): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of December 15th 2017 ...;
UN GASC - General Assembly Security Council (21.9.2017): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, as of September 15th 2017 ...;
Xinhua (21.12.2017): 19 insurgents arrested in N. Af