TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/4 W184 2197778-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2018
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Entscheidungsdatum

04.12.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W184 2197778-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1097379205/151909611, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 01.12.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:

"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

"... A) Verfahrensgang

...

Bei der Erstbefragung ... am 01.12.2015 gaben Sie, zu Ihrem

Fluchtgrund befragt, Folgendes an:

Ich bin in Afghanistan Student gewesen, als ich eines Tages mit einem Freund zur Uni fuhr. Wir fuhren mit dem Motorrad und hatten einen Verkehrsunfall. Wir wurden von der Polizei vernommen und ich wurde auch zwei Tage verhaftet. Nachdem festgestellt wurde, dass ich nicht mit dem Motorrad gefahren bin, wurde ich entlassen. In der Zwischenzeit ist mein Freund ..., welcher nicht verhaftet wurde, abgehauen. Ich habe versucht, mein Studium weiter zu besuchen, wurde aber mehrmals von der Familie des Geschädigten aufgehalten und wurde auch mehrmals geschlagen. Ich habe Angst gehabt, dass sie mich vielleicht eines Tages umbringen, und habe daraufhin Afghanistan verlassen.

Bei einer niederschriftlichen Einvernahme ... am 08.02.2018 gaben

Sie vor einem Organwalter des Bundesamtes im Wesentlichen Folgendes an (F = Frage, A = Antwort):

...

F: Befinden Sie sich in ärztlicher Behandlung oder sonst in Therapie?

A: Nein.

F: Nehmen Sie Medikamente?

A: Nein.

...

F: Können Sie Deutsch?

A: Ja, auf A2-Niveau.

...

F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

A: Den Tadschiken.

F: Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?

A: Moslem - Schiit.

F: Sind Sie verheiratet bzw. leben Sie in einer Lebensgemeinschaft? Wenn ja, wo lebt die Gattin bzw. die Lebensgefährtin?

A: Nein.

F: Haben Sie Kinder?

A: Nein.

F: Wo waren Sie zuletzt wohnhaft? Geben Sie den Ort, den Distrikt und die Provinz an.

A: Ich habe in Kabul ... gelebt.

F: War dies ein Haus oder eine Wohnung? Wie viele und welche Personen lebten in dem Haus?

A: Ich habe in meinem Elternhaus gelebt. Mein Vater ist bereits verstorben. In dem Haus lebten meine Mutter, meine fünf Brüder und ich. Ich habe noch drei Schwestern, die verheiratet sind und bei ihren Männern leben.

F: Leben Ihre Mutter und die fünf Brüder noch immer in dem Elternhaus?

A: Nein, sie sind in den Iran gegangen.

F: Wann sind Ihre Familienmitglieder in den Iran gegangen?

A: Ein Bruder von mir ist mit mir mitausgereist. Er blieb im Iran. Der Rest der Familie ging zwei Monate nach meiner Ausreise in den Iran.

F: Welche Schul- bzw. Berufsausbildung haben Sie?

A: Ich habe die 12. Klasse abgeschlossen. Ich besuchte vier Semester eine Privatuni, Studienrichtung BBA, Businessmanagement.

F: Laut Erstbefragung haben Sie neben dem Studium auch gearbeitet?

A: Ja, ich habe in einer Schwimmhalle im Restaurant gearbeitet.

F: Wann haben Sie jeweils die Uni besucht bzw. wann haben Sie dann gekellnert?

A: Von 07:00 bis 12:00 war ich in der Uni. Manchmal ging ich direkt von der Uni in die Arbeit. Manchmal ging ich erst nach Hause und dann erst in die Arbeit. Die Arbeit im Restaurant begann um 13:00 oder 13:30 und dauerte an normalen Tagen bis 19:00 oder 20:00 ...

F: Wenn das Studium bis 12:00 dauerte und die Arbeit um 13:00 bzw. 13:30 begann, müssen die Uni, Ihr Elternhaus bzw. die Schwimmhalle relativ nahe beieinander gelegen sein?

A: Ja, ich fuhr mit einem Fahrrad in die Uni bzw. in die Arbeit. Die Uni war etwa 30 bis 35 Minuten von meinem Haus entfernt. Der Arbeitsplatz war ca. 10-15 Minuten vom Elternhaus mit dem Rad entfernt.

F: Haben Sie bis zu der Ausreise studiert bzw. als Kellner gearbeitet?

A: Ja, bis ich Afghanistan verlassen habe, habe ich studiert bzw. gearbeitet.

F: Wann, wo und woran ist Ihr Vater gestorben?

A: Ich war ungefähr sechs Monate alt, als mein Vater an einer Herzerkrankung starb.

F: Wie finanziert Ihre Mutter im Iran ihren Lebensunterhalt?

A: Meine Brüder arbeiten.

F: Haben Sie Geschwister? Wenn ja, nennen Sie deren Namen und Alter.

A: Ich habe fünf Brüder und drei Schwestern. Ich bin der Jüngste ...

F: Sie gaben an, dass alle Ihre Brüder im Iran leben. Sind Ihre Brüder verheiratet bzw. welchen Arbeiten gehen sie im Iran nach?

A: Sie sind alle verheiratet und haben Kinder. Sie machen die üblichen Arbeiten, welche die Afghanen dort machen, z. B. auf der Baustelle.

F: Ist Ihre Schwester (Name) verheiratet bzw. hat sie Kinder? Wo wohnt sie? Welche Berufe üben sie bzw. ihr Gatte aus?

A: Sie ist verheiratet und hat Kinder. Sie lebt in Kabul. Ihr Mann arbeitet als Krankenpfleger. Sie ist Hausfrau.

F: Ist Schwester (Name) verheiratet bzw. hat sie Kinder? Wo wohnt sie? Welche Berufe üben sie bzw. ihr Gatte aus?

A: Sie ist verheiratet und hat Kinder. Sie ist auch Hausfrau. Ihr Mann arbeitet als Selbstständiger. Sie leben in Kabul.

F: Ist Schwester (Name) verheiratet bzw. hat sie Kinder? Wo wohnt sie? Welche Berufe üben sie bzw. ihr Gatte aus?

A: Sie ist verheiratet und hat Kinder. Sie leben in Kabul. Sie ist ebenfalls Hausfrau. Er arbeitet als Fahrer in einem Hochzeitssalon. Er transportiert die Brautpaare.

F: Haben Sie mit Ihren Familienangehörigen im Iran bzw. in Afghanistan Kontakt? Wenn ja, wie und wie oft?

A: Ja, sehr selten. In Afghanistan gibt es kein Internet. Deshalb rufe ich dort selten an. Ich rufe unterschiedlich an, vielleicht alle zwei bis drei Monate einmal.

F: Hat Ihr Vater Geschwister, welche noch leben? Nennen Sie deren Namen.

A: Nein, sie sind alle verstorben.

F: Hat Ihre Mutter Geschwister, welche noch leben? Nennen Sie deren Namen.

A: Ja, ich habe drei Onkel und zwei Tanten, welche noch leben. Eine Tante ist verstorben.

F: Leben diese Onkel und Tanten in Afghanistan?

A: Ja, nur eine Tante lebt im Iran. Der Rest lebt in Afghanistan.

F: Wann haben Sie zum ersten Mal daran gedacht, dass Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen wollen?

A: Nach dem Unfall mit dem Motorrad, der war am 29.10.2015 ...

F: Wann haben Sie Ihr Heimatland tatsächlich verlassen?

A: Ungefähr einen Monat nach dem Unfall.

...

F: Geben Sie chronologisch und lückenlos die Aufenthaltsorte der letzten drei Jahre in Ihrer Heimat an.

A: In Kabul.

Bitte beantworten Sie die nachfolgenden Fragen kurz mit ja oder nein. Sie können dann später die genauen Details nennen.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat vorbestraft?

A: Außer diesem Unfall nicht, nein.

F: Standen Sie je vor Gericht?

A: Nein.

F: Waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert?

A: Ja, ich war zwei Tage wegen dieses Unfalls inhaftiert.

F: Hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat?

A: Nein.

F: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen, wie Aufenthaltsermittlung, Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc.?

A: Nein.

F: Sind oder waren Sie politisch tätig oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei und hatten deswegen Probleme in Ihrer Heimat?

A: Nein.

F: Sind Sie Mitglied einer Organisation, z. B. der Gewerkschaft, einer NGO, und hatten deswegen Probleme in der Heimat?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses Probleme?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrem Heimatland Probleme aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit?

A: Nein.

F: Hatten Sie größere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte, etc.)?

A: Ja.

F: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teil?

A: Nein.

F: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Asylantrag gestellt haben, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß ...

A: Ich hatte in Afghanistan ein normales Leben. Vormittags habe ich studiert und nachmittags gearbeitet. Eines Tages war ich auf dem Weg zu der Uni. Das war genau am 29.10.2015. Auf dem Weg traf ich einen Freund. Wir haben einander gegrüßt. Er wollte denselben Weg wie ich nehmen. Normalerweise bin ich immer mit meinem Fahrrad gefahren. An diesem Tag war mein Fahrrad kaputt. Deshalb war ich zu Fuß in die Uni unterwegs. Der Freund meinte, er könne mich mit dem Motorrad mitnehmen. Ich stieg auf das Motorrad auf und wir fuhren los. Es war

ungefähr 07:40 als wir an der Kreuzung ... ankamen. Wir waren mit

hoher Geschwindigkeit unterwegs. Auf den afghanischen Straßen gibt es keine Bodenmarkierungen. Plötzlich wollte ein Mann die Straße überqueren. Wir konnten nicht mehr bremsen bzw. ausweichen. Wir fuhren den Mann daher nieder. Mein Freund, welcher das Motorrad gelenkt hat, ist sofort weggelaufen. Er ließ das Motorrad liegen. Ich blieb dort. Nach einigen Minuten kam die örtliche Polizei. Der Verletzte wurde in das Krankenhaus gebracht. Sie haben mich in die zuständige Polizeistation gebracht. Am nächsten Tag war Freitag und deshalb wurde ich nicht entlassen. Weil mein Freund, welcher mit dem Motorrad gefahren ist, der Schuldige war, konnte meine Familie mit der Familie des Verletzten eine Vereinbarung treffen, dass ich aus der Polizeistation herauskomme. Ich wurde von der Polizei freigelassen. Aber die Familie des Verletzten hat mich nicht mehr in Ruhe gelassen. Sie waren hinter mir her. Vor diesem Unfall gab es einen Streit, bei dem einige Freunde von mir und der Verletzte involviert waren. Die Familie dachte, dass aufgrund dieser Streitigkeiten ich ihn mit dem Motorrad niedergefahren hätte. Ich konnte nicht nachhause gehen, weil sie mich verfolgt haben. Sie haben Leute in der Regierung gehabt. Sie könnten mich überall auffinden. Einige Tage nach dem Unfall erwischten sie mich auf der Straße und haben mich zusammengeschlagen. Deshalb bekam ich Angst. Als sie mich geschlagen haben, fuhr der Polizeiwagen plötzlich vorbei. Deshalb haben sie mich losgelassen und sind weggegangen. Nach diesem Niederschlagen steigerte sich meine Angst. Deshalb wurde ich gezwungen, einen Monat später das Land zu verlassen.

...

F: Kannten Sie den Verletzten bzw. dessen Familie bereits vor dem Unfall?

A: Nein, aber es gab einen Vorfall vor diesem Unfall. Der Vorfall geschah vor unserer Uni. Bei diesem Vorfall wurden einige Freunde von mir und von ihm verletzt. Einige Freunde von mir und einige Freunde von dem Verletzten, er und ich waren daran beteiligt. Aufgrund dieser Streitigkeiten dachte seine Familie, dass der Unfall mit Absicht war.

F: Worum ging es bei diesem Vorfall bzw. wie viele Personen waren beteiligt?

A: Drei bis vier Personen waren auf unserer und deren Seite beteiligt. Ein Freund von mir ist mit seiner Schwester in die Uni gegangen. Die Freunde von dem Verletzten waren hinter der Schwester meines Freundes her. Als sie in der Nähe der Uni waren, kam es zu einem Streit.

F: Wie heißt der Verletzte und wie alt ist er circa?

A: Er heißt ... und ist ca. 25 Jahre alt.

...

F: Wie schwer wurde die Person verletzt? Ist dieser Mann jetzt wieder gesund?

A: Sein linker Oberschenkel bis zu dem Beckenbereich war gebrochen. Sein Kopf war auch verletzt. Als ich noch dort war, ist der Zustand von ihm schlechter geworden. Deshalb waren sie hinter mir her.

F: Wie lange dauerte es, bis die Polizei nach dem Unfall an dem Unfallort eintraf?

A: An diesem Ort sind viele Polizisten stationiert. Es vergingen ca.

fünf Minuten, bis sie da waren ... Es haben sich einige Leute um ihn

versammelt. Einer war dabei, der Erste Hilfe geleistet hat.

F: Was wollte die Familie des Verletzten konkret von Ihnen?

A: Meine Familie hat das Schmerzensgeld, welches laut Gesetz vorgeschrieben ist, bezahlt. Aber sie wollten sich dennoch an mir rächen.

F: Um wie viele Personen handelte es sich bei den Familienangehörigen des Verletzten?

A: Sein Vater war ein älterer Mann. Er hat sich nicht darum gekümmert. Aber drei bis vier Brüder waren aggressiv.

F: Wurden Sie dieses eine Mal oder öfters von den Familienangehörigen des Verletzten niedergeschlagen?

A: Das erste Mal war, als die Polizei vorbeigefahren ist. Das zweite Mal haben sie mich vor meinem Haus, als ich einkaufen wollte, in der Nähe von unserem Haus niedergeschlagen.

F: Wie oft wurden Sie von den Familienangehörigen des Verletzten insgesamt bedroht?

A: Zweimal haben sie mich direkt niedergeschlagen und bedroht. Fünf bis sechs Mal haben sie mich indirekt bedroht, indem sie bei mir zuhause waren. Aber ich war nicht zuhause.

F: Wurden Sie bei den zwei Angriffen verletzt?

A: Beim ersten Mal, als die Polizei vorbeigefahren ist, wurde ich auch auf der Stirn oberhalb meiner rechten Augenbraue verletzt und auch mein linker Unterarm, weil er am Boden streifte. Beim zweiten Angriff wurde meine Oberlippe aufgerissen.

F: Wie viele Personen griffen Sie an und wie wurden Sie attackiert, mit Fäusten, mit Waffen?

A: Beim ersten Vorfall waren sie zu dritt. Sie haben mich mit Fäusten und Tritten geschlagen. Beim zweiten Mal waren es zwei Personen mit Fäusten und Tritten. Beim zweiten Mal versuchten sie mich mitzunehmen.

F: Wieso ist es ihnen nicht gelungen, Sie mitzunehmen?

A: Es sind drei Personen vorbeigegangen und deshalb bekamen sie Angst und ließen mich los.

F: Mussten Sie wegen dieser Verletzungen in ein Krankenhaus?

A: Nein, die drei Leute brachten mich in eine Apotheke, wo ich behandelt wurde, weil meine Lippe gerissen war.

F: Wieso konnte der Konflikt nicht friedlich gelöst werden, z. B. durch eine Aussprache zwischen den Familien oder durch die Polizei, etc.?

A: Meine Familie traf seinen Vater und sie haben sich geeinigt, damit ich herauskommen kann. Sein Vater hat das akzeptiert.

F: Wäre nicht eine zweite Aussprache mit dem Vater des Verletzten möglich gewesen?

A: Ein zweites Mal hat meine Familie mit der Familie des Verletzten gesprochen. Sie gaben nicht zu, dass sie das getan hätten, mich geschlagen hätten. Es waren unbekannte Personen, welche mich geschlagen haben. Sie wurden von der Familie des Verletzten beauftragt. Sie wurden bezahlt.

F: Sie gaben an, dass die Familie des Verletzten und Ihre Familie bei der Polizei veranlassen konnten, dass Sie aus der Polizeihaft entlassen werden konnten, weil Ihr Freund der Schuldige war. Wieso wurden Sie dann von dieser Familie bedroht, obwohl sie wussten, dass Sie unschuldig sind?

A: Sie dachten, dass ich an diesem Tag mit dem Motorrad gefahren bin und das mit Absicht gemacht habe.

F: Haben Sie bei der Polizei angezeigt, dass Sie von der Familie des Verletzten bedroht werden bzw. zweimal niedergeschlagen wurden?

A: Es hätte die Anzeige nichts gebracht, weil sie einflussreich sind und Beziehungen mit der Regierung haben. Sie arbeiten auch bei der Regierung.

F: Wie lange haben Sie in dem Versteck bei den Freunden gewohnt?

A: Weniger als einen Monat. Dreimal war ich zuhause in dem Zeitraum zwischen dem Unfall und meiner Ausreise.

...

F: Was war das letztendlich auslösende Moment, dass Sie beschlossen haben, Afghanistan zu verlassen?

A: Es war ungewiss. Ich wusste nicht, wie lange es noch dauern würde und wie lange ich noch am Leben bleibe. Deshalb habe ich mich entschlossen, das Land zu verlassen.

F: Wieso sind Sie nicht in einen anderen relativ sicheren Landesteil von Afghanistan, z. B. nach Mazar-e Sharif, gereist und haben die Angelegenheit abgewartet, anstatt gleich das Land zu verlassen?

A: Ich hatte Angst, dass ich auch in anderen Provinzen von ihnen gefunden werde.

F: War Ihr Freund, welcher mit dem Motorrad gefahren ist, auch ein Student?

A: Nein. Mein Freund ... hat gearbeitet. Er hat am Basar etwas

verkauft.

F: Hat Ihr Freund ... nach dem Unfall weiter gearbeitet bzw. hatten

Sie nochmals Kontakt zu ihm?

A: Ich habe ihn nach dem Unfall nicht mehr gesehen oder mit ihm telefoniert. Ich hatte ihn vorher in einem Schriftkurs kennengelernt.

F: Wieso ist Ihre Familie in den Iran ausgereist?

A: Nachdem ich ausgereist bin, steigerten sich die Drohungen von der Familie des Verletzten wegen meines Unfalles.

F: Welche Verbindungen hat die Familie des Verletzten in die Regierung?

A: Ich weiß es nicht genau. Aber ich weiß so viel, dass Familienmitglieder hochrangige Mitarbeiter in der Regierung sind.

...

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr nach Afghanistan wieder in Kabul wohnen? Wenn nicht, erklären Sie genau, wieso Sie nicht in Kabul leben könnten?

A: Ich weiß es nicht, ob ich zurückkehren kann oder nicht.

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in anderen Landesteilen wohnen?

A: Ich habe kein Vertrauen in die Sicherheitslage der Provinzen in Afghanistan. Deshalb kann ich nicht zurück. Ich habe auch niemanden dort, welcher mich unterstützen würde.

F: Wohnen Familienangehörige oder Verwandte von Ihnen in Österreich? Wenn ja, wo wohnen diese?

A: Ein Enkel von einem Onkel väterlicherseits ...

F: Haben Sie in Österreich Deutschkurse besucht und Prüfungen dazu abgelegt? Können Sie dies nachweisen?

A: Ich habe den A2-Kurs gemacht. Am 09.03.2018 habe ich die Prüfung für A2.

Vorgelegt wird:

Prüfungszeugnis A1;

Mehrere Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen;

Anmeldebestätigung zu Prüfung A2;

Teilnahmebestätigungen an Wertedialog und Werte- und Orientierungskurs;

Zeitbestätigung ...;

Dankschreiben für Unterstützung ...

F: Haben Sie darüber hinaus in Österreich eine Schule besucht bzw. eine Ausbildung genossen? Wenn ja, welche und wie lange?

A: Nein, aber ich habe einige Male ... gesagt, dass ich einen

Ausbildungsplatz haben möchte. Aber sie haben bis jetzt keinen für mich gefunden. Ich war auch einmal beim AMS. Man hat mir die Unterlagen gegeben ...

F: Sind oder waren Sie in Österreich beschäftigt und haben damit ein Einkommen lukriert? Wenn ja, seit wann oder wie lang? Wie hoch war oder ist das Einkommen? Können Sie die letzten drei Lohnabrechnungen vorlegen?

A: Bei der Gemeinde, wo ich wohne, habe ich freiwillig geholfen und habe Taschengeld dafür erhalten.

Vorgelegt wird:

Mehrere Auszahlungsquittungen der Gemeinde ...

F: Sind Sie in einem Verein aktiv tätig? Wenn ja, wo und seit wann? Ist die Vorlage einer Bestätigung möglich?

A: Nein, ich lebe in einem Dorf und dort gibt es keine Möglichkeiten.

F: Befinden Sie sich in Grundversorgung oder haben Sie eine eigene Wohnung, wenn ja, wie hoch ist der Mietzins?

A: Ich wohne in einem Heim und bin in der Grundversorgung ...

F: Sind Sie in Österreich mit dem Gesetz in Konflikt geraten?

A: Nein.

...

B) Beweismittel

...

C) Feststellungen

Der Entscheidung liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Zu Ihrer Person:

...

Ihre Identität steht nicht fest ... Sie sind afghanischer

Staatsangehöriger. Sie sind Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Moslem. Sie sprechen Dari, Farsi und etwas Deutsch. Sie sind strafrechtlich unbescholten. Sie leiden an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung.

Zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats:

Sie waren in Ihrem Herkunftsstaat als Beifahrer in einen Motorradunfall verwickelt, bei dem ein Fußgänger verletzt wurde. Die Familienangehörigen des Unfallopfers verletzten Sie zweimal und bedrohten Sie mehrmals.

Es konnte aus den sonstigen Umständen keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in Afghanistan festgestellt werden.

Zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Sie verfügen über eine zwölfjährige Schulbildung und haben vier Semester studiert. Es leben Familienangehörige und Verwandte von Ihnen in Afghanistan und im Iran. Sie sind mobil, gesund sowie anpassungs- und arbeitsfähig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würden.

Die Sicherheitslage in Kabul ist hingegen ausreichend sicher. Kabul verfügt über einen Flughafen. Sie können Kabul erreichen, ohne einer besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie sind am 01.12.2015 illegal in Österreich eingereist und haben am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Sie verfügen in Österreich über keinen Aufenthaltstitel außerhalb dieses Verfahrens.

Sie sind ledig und haben keine Kinder. Es lebt ein Enkel eines Onkels von Ihnen in (Österreich). Aber zu diesem haben Sie keinen Kontakt. Ansonsten leben keine Familienangehörigen oder Verwandten im Bundesgebiet.

Sie haben sich bemüht, die deutsche Sprache zu lernen. Sie sind nicht selbsterhaltungsfähig. Sie sind in keinem Verein aktiv tätig. Es bestehen keine besonderen sozialen Kontakte, die Sie an Österreich bänden. Es kann kein über das übliche Maß hinausgehendes Privatleben festgestellt werden.

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:

...

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2018

Am Montag, den 29.1.2018, attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnte. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Experten sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag, den 27.1.2018, ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen genannt (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer und vier Afghanen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u. a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

Quellen:

Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul ...;

BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire

...;

BBC (24.1.2018): Save the Children offices attacked in Jalalabad, Afghanistan ...;

BBC (21.1.2018): Kabul: Afghan forces end Intercontinental Hotel siege ...;

DW - Deutsche Welle (21.1.2018): Taliban militants claim responsibility for attack on Kabul hotel ...;

NYT - The New York Times (28.1.2018): Attack Near Kabul Military Academy Kills 11 Afghan Soldiers ...;

NYT - The New York Times (21.1.2018): Siege at Kabul Hotel Caps a Violent 24 Hours in Afghanistan;

Reuters (28.1.2018): Shock gives way to despair in Kabul after ambulance bomb ...;

Reuters (24.1.2018): Islamic State claims attack on Jalalabad in Afghanistan ...;

Reuters (20.1.2018): Heavy casualties after overnight battle at Kabul hotel ...;

The Guardian (29.1.2018): Afghanistan: gunmen attack army post at Kabul military academy ...;

The Guardian (28.1.2018): 'We have no security': Kabul reels from deadly ambulance bombing ...;

The Guardian (27.1.2018): Kabul: bomb hidden in ambulance kills dozens ...;

The Guardian (24.1.2018): Isis claims attack on Save the Children office in Afghanistan ...

Kurzinformation vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 ...

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierenden Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilisten und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurückzuführen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen, um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurden in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilisten

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilisten um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilisten um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilisten fielen Selbstmordattentaten sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017).

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannte sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina in der westlichen Provinz Ghor wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: Je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurden im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: Ein militärisches Gelände, eine Polizeistation und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte, in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf die Angreifer überwältigen. Der IS bekannte sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017).

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele veranlassten die afghanische Regierung, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: Landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierten die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnte großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihren Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben: Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um 3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurden die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin, von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich, kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen, und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften, die Taliban zurückzudrängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriffen auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe, zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten, hielt das die Gruppierungen nicht davon ab, ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Quellen:

al Jazeera (20.10.2017): Deadly attacks hit mosques in Kabul and Ghor ...;

BBC (31.10.2017): Kabul Green Zone attacked by suicide bomber ...;

BBC (21.10.2017): Afghan suicide mosque attacks kill scores of worshippers ...;

BS - Business Standard (24.11.2017): Key Haqqani network leader among dozens killed in Afghanistan ...;

Guardian (7.11.2017): Kabul TV station defiantly resumes broadcasting moments after Isis attack ends ...;

Handelsblatt (20.12.2017): Afghanistan stürzt in politische Krise

...;

KUNA - Kuwait News Agency (15.12.2017): Security operations kill 12 rebels in Afghanistan ...;

Independent (20.10.2017): Kabul attack: Isis claims responsibility for Shia mosque suicide bombing killing at least 30 in Afghan capital ...;

INSO - International NGO Safety Organisation (o.D.): Afghanistan - Total incidents per month for the current year to date ...;

INSO - The International NGO Safety Organisation (2017): Afghanistan - Gross Incident Rate ...;

NYT - The New York Times (11.12.2017): Hunting Taliban and Islamic State Fighters, From 20,000 Feet ...;

NYT - The New York Times (7.11.2017): A Leading Afghan TV Station Is Attacked in Kabul ...;

NYT - The New York Times (20.10.2017): Twin Mosque Attacks Kill Scores in One of Afghanistan's Deadliest Weeks ...;

NZZ - Neue Züricher Zeitung (18.12.2017): Palastintrige in Kabul

...;

Pajhwok (1.12.2017): 31 militants eliminated in security operations, says MoD ...;

Reuters (1.12.2017): Islamic State seizes new Afghan foothold after luring Taliban defectors ...;

Reuters (23.11.2017): Islamic State beheads 15 of its own fighters:

Afghan official ...;

Reuters (16.11.2017): Kabul 'Green Zone' tightened after attacks in Afghan capital, Suicide bomber kills nine near Afghan political meeting ...;

RFE/RL - Radio Free Europe Radio Free Liberty (19.12

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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