TE Bvwg Erkenntnis 2018/12/11 W137 2109541-1

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Veröffentlicht am 11.12.2018
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Entscheidungsdatum

11.12.2018

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §52 Abs9
FPG §76 Abs1
FPG §80 Abs1
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs4
VwGVG §40 Abs1
VwGVG §40 Abs5

Spruch

W137 2109541-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Syrien, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2015, Zl. 1074824705, sowie die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft (von 24.06.2015 bis 30.06.2015) zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 1 FPG stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2015, Zl. 1074824705, sowie die Anhaltung in Schubhaft von 24.06.2015 bis 30.06.2015 für rechtswidrig erklärt.

II. Dem Antrag auf (unentgeltliche) Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers wird gemäß § 40 Abs. 5 VwGVG nicht Folge geleistet.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag auf Ersatz der Eingabegebühr wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer wurde am 24.06.2015 im Bundesgebiet festgenommen. Dabei gab er an, Staatsangehöriger Syriens zu sein.

Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am gleichen Tag zum Zweck der Anordnung der Schubhaft gab der Beschwerdeführer an, dass er sich seit dem Vortag in Österreich befinde und über Deutschland eingereist sei. Hier habe er keine Familienangehörigen. Er habe nach Ungarn gelangen wollen. In anderen Staaten habe er keinen Kontakt zur Polizei gehabt. Er habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Er wolle zurück in den Krieg, dort könne er wenigstens mit Stolz leben. Ihm sei es lieber nach Syrien zurückzukehren und mit Stolz zu sterben, weil er hier in Österreich schlecht behandelt worden sei. So hätten Sie keine Decken bekommen. Auf die anschließende Frage des Einvernahmeleiters, ob er somit nach Syrien zurückkehren wolle, antwortete er, dass er nach Deutschland wolle. Auf die Frage: "Willigen sie in ihre Abschiebung ein?" antwortete er erneut, dass er nach Deutschland zurückkehren wolle.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.06.2015 wurde für den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz "i.v.m Bundesgesetzblattes Nr. 143/ 2015 vom 28.05.2015" die Schubhaft zum Zwecke der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Im Bescheid wurden unter anderem die Feststellungen getroffen, dass der Beschwerdeführer die Asylantragstellung verweigere. Er sei in Österreich untergetaucht, indem er sich ohne Meldung im Bundesgebiet aufhalte. Auch habe der Beschwerdeführer angegeben, "nach Schweden zu reisen." Er verfüge nicht über ausreichend Barmittel, um seinen Unterhalt zu finanzieren und halte sich unter Verletzung des Meldegesetzes in Österreich auf. Der Beschwerdeführer sei in "keinster Weise integriert", weil er weder Deutsch spreche, noch arbeite und zudem "mehrmal straffällig geworden" sei. In der rechtlichen Beurteilung wurde erwogen: "In Bezug auf das BgBl. Nr 143/2015 wird festgehalten, dass die Voraussetzungen gem. Ziffer 9 des BgBl vorliegen." Aus der Wohn- und Familiensituation des Beschwerdeführers, seiner fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund seines bisherigen Verhaltens könne geschlossen werden, dass ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliege. Der Beschwerdeführer habe widersprüchliche Angaben zu seiner (geplanten) Ausreise (aus Österreich) gemacht. Im Gesamten betrachtet bestehe bei ihm auch aufgrund seines illegalen Aufenthaltes erhöhte Fluchtgefahr.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.06.2015 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Syrien zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde nicht aberkannt.

Der Bescheid enthält keine Feststellungen zur Situation in Syrien. Zur Zulässigkeit der Abschiebung nach Syrien wurde folgendes ausgeführt: "Sie gaben an, dass sie ihr Heimatland Syrien verlassen hätten, weil dort Krieg herrschen würde. Gleichzeitig führten sie ins Treffen, dass sie, ob ihres illegalen Aufenthaltes im Bundesgebiet, einer Abschiebung in ihr Heimatland zustimmen. Sie würden lieber in Syrien leben, um einer schlechten Behandlung in Österreich zu entgehen. [...] Trotz Kenntnis der herrschenden Lage in ihrem Heimatland gaben sie ihrer Rückkehr nach Syrien den Vorzug. Obgleich sie mehrfach über die geltende gesetzliche Lage in Österreich und der EU aufgeklärt wurden, weshalb ihnen eine Weiterreise in einen anderen Mitgliedstaat der EU verwehrt wurde, willigten sie in ihre Abschiebung ein." Somit sei auszusprechen, dass im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung, sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 - 4 FPG genannten Voraussetzungen die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien zulässig sei.

4. Mit Schreiben des Bundesamtes an die Landespolizeidirektion Wien vom 30.06.2015 wurde diese gebeten, den Beschwerdeführer "SOFORT aus der Schubhaft zu entlassen". Der Beschwerdeführer wurde daraufhin am 30.06.2015 um 12.45 Uhr aus der Schubhaft entlassen.

5. Am 30.06.2015, um 13.34 Uhr, langte beim Bundesamt eine Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Bescheid ein. Ausdrücklich wurde die Schubhaftanordnung sowie die Anhaltung in Schubhaft bekämpft.

Vorgebracht wurde unter anderem, dass der Sicherungszweck der Schubhaft, die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien, nicht erreichbar sei. So seien im Bescheid vom 25.06.2015, mit dem gemäß § 52 Abs. 9 FPG ausgesprochen wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Syrien zulässig sei, keine Feststellungen dazu getroffen worden, ob er im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Diese Feststellungen wären jedoch bei einer Entscheidung nach den genannten Normen und auch gemäß § 50 FPG erforderlich gewesen. Es seien auch keine Feststellungen zur sicherheitsrelevanten und menschenrechtlichen Situation in Syrien getroffen worden. Dass das Bundesamt - ohne solche Feststellungen zu treffen und vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Syrien und der dortigen notorisch katastrophalen Situation - davon ausgehe, dass dem Beschwerdeführer in Syrien keine Gefahr iSd Art 2 und 3 EMRK drohe, sei daher keineswegs nachvollziehbar und erweise sich der Bescheid vom 25.06.2015 als offenkundig rechtswidrig. Die Unzulässigkeit der Abschiebung eines Fremden ergebe sich aus § 50 FPG und sei in jeder Lage des Verfahrens amtswegig aufzugreifen, somit unabhängig davon, ob der Fremde einen entsprechenden Antrag gestellt habe. Verwiesen wurde auf VwGH 6.9.2010, 2010/21/0203.

Es sei davon auszugehen, dass der Bescheid vom 25.06.2015, mit dem die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien ausgesprochen worden sei, wegen dieser offenkundigen Rechtswidrigkeit einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten werde. Eine Beschwerde gegen diesen Bescheid werde erhoben werden. Im Ergebnis bestehe für die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien keine taugliche Rechtsgrundlage. Somit erweise sich die Anordnung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens und der Abschiebung, auch ohne vorherige Aufhebung der Rückkehrentscheidung durch das BVwG, als rechtswidrig. Überdies sei die Rückkehrentscheidung noch gar nicht durchsetzbar, weil der Beschwerde gegen diesen Bescheid (vom 25.06.2015) die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden sei und nicht feststehe, dass eine Abschiebung binnen der Maximalfrist von vier Monaten gemäß § 80 Abs. 2 Z 2 FPG erfolgen könne. Bei einer Beschwerdeerhebung gegen die Rückkehrentscheidung könnte die Abschiebung erst zu einem nicht absehbaren Termin, nämlich nach rechtskräftiger Entscheidung des BVwG, durchgeführt werden. Das BVwG habe für seine Entscheidung sechs Monate Zeit. Ob die Maximalfrist von vier Monaten gemäß § 80 Abs. 2 Z 2 FPG eingehalten werden könne, liege damit nicht mehr im Einflussbereich des Bundesamtes. Die von Vornherein nicht absehbare Dauer der Schubhaft stelle folglich eine Verletzung von § 80 Abs. 1 FPG durch das Bundesamt dar.

Beantragt wurde a) eine mündliche Verhandlung durchzuführen; b) den Schubhaftbescheid zu beheben und die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären; c) dem Beschwerdeführer unentgeltlich einen Verfahrenshelfer beizugeben und d) dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten zu ersetzen und ihn von der Eingabegebühr zu befreien.

Mit der Beschwerde wurde eine Vollmacht des im Spruch genannten Vertreters vorgelegt.

6.

Das Bundesamt beantragte mit Beschwerdevorlage vom 01.07.2015,

"1.

den Bescheid des BFA zu bestätigen" und "2. gemäß § 22a BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 1074824705, sowie dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

2.2. Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet:

"§22a (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."

Zu A)

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der darauf gestützten Anhaltung in Schubhaft:

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt. Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich - auch im Sinne der RV (952 BlgNR 22. GP 105 f) - als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Diesen Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (Hinweis E 26. September 2007, 2007/21/0253; E 23. Oktober 2008, 2006/21/0128; E 19. April 2012, 2009/21/0047). (VwGH 11.06.2013, 2013/21/0024)

Das Bundesamt hat eine Schubhaft gegen den Beschwerdeführer angeordnet, obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt evident war, dass der im Spruch des Bescheides angeführte Sicherungszweck der Schubhaft, nämlich die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien, nicht erreichbar war. Denn im Jahr 2015 wurde Staatsangehörigen Syriens aufgrund der realen Gefahr, im dort tobenden Bürgerkrieg umzukommen oder einen ernsthaften Schaden zu erleiden (von Ausnahmen aufgrund von etwaigen Ausschlussgründen abgesehen) durchgehend zumindest subsidiärer Schutz gewährt.

Daran ändert der Bescheid vom 25.06.2015, mit dem gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Syrien zulässig sei, nichts.

In der Beschwerde wurde dazu zutreffend vorgebracht, dass die Unzulässigkeit der Abschiebung eines Fremden sich aus § 50 FPG ergebe und in jeder Lage des Verfahrens amtswegig aufzugreifen sei. Somit unabhängig davon, ob der Fremde einen entsprechenden Antrag gestellt habe. In der Beschwerde wurde daher zutreffend vorgebracht, dass der Sicherungszweck der Schubhaft, die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien, nicht erreichbar sei.

Bereits aufgrund der nicht vorhandenen realen Möglichkeit der Verwirklichung des Sicherungszweckes, nämlich der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien im Juni 2015, als der Bürgerkrieg dort zu dieser Zeit notorisch mit höchster Intensität tobte, was zur Folge hatte, dass § 50 Abs. 1 FPG einer Abschiebung damals jedenfalls entgegenstand - wobei diese Norm auch amtswegig in jeder Lage des Verfahrens aufzugreifen ist - erweist sich der Schubhaftbescheid vom 24.06.2015 als rechtswidrig.

Ergänzend ist festzuhalten, dass aufgrund von § 50 Abs. 1 FPG auch die Rückkehrentscheidung des Bundesamtes vom 25.06.2015, nicht durchführbar gewesen wäre. Somit war auch der zweite Sicherungszweck bei der Anordnung der Schubhaft, nämlich die Erlassung einer durchführbaren Rückkehrentscheidung, von vornherein nicht real erreichbar.

Damit erweisen sich der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.06.2015, Zl. 1074824705, und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 24.06.2015 bis 30.06.2015 als rechtswidrig.

4. Zur unentgeltlichen Beigabe eines Verfahrenshelfers

4.1. Der Beschwerdeführer hat die beantragte Beigebung eines Verfahrenshelfers im Wesentlichen mit Verweis auf Art. 47 GRC begründet. Darüber hinaus wurde darauf verwiesen, dass die Rechtsberatung nicht mit Verfahrenshilfe gleichwertig sei und es für gewillkürte Vertretung auch keine qualitativen Mindeststandards gebe. Der Beschwerdeführer sei somit auf gewillkürte Vertretung der Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH angewiesen, für die jedoch "keine qualitativen Mindeststandards" festgelegt seien.

4.2. Die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 40 VwGVG zur Vertretung von Interessen im Beschwerdeverfahren betreffend einen Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft kam mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht (s. VfGH 17.09.2015, E 1343-1345/2015).

4.3. Selbst bei Anwendbarkeit des § 40 VwGVG auf das vorliegende Schubhaftverfahren wäre dem Antrag nicht zu entsprechen gewesen:

Gemäß § 40 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist. Aus § 40 Abs. 5 VwGVG, wonach die Bestellung eines Verteidigers mit dem Einschreiten eines Bevollmächtigten erlischt, ergibt sich jedoch, dass die Bestellung eines Verteidigers jedenfalls dann nicht erforderlich sein kann, wenn dieser Antrag bereits von einem Bevollmächtigten des Beschuldigten gestellt wird. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Bevollmächtigte kein berufsmäßiger Parteienvertreter ist (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2013, VwGVG § 40 K 7).

Es würde daher den Sinn der oben wiedergegebenen Bestimmung gänzlich unterlaufen, wenn ein Bevollmächtigter für seinen Mandanten einen Verfahrenshelfer beantragen kann. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist daher ein bereits (aufrecht) vertretener Beschwerdeführer jedenfalls nicht legitimiert, einen Verfahrenshelfer zu beantragen, weshalb dem diesbezüglichen Antrag nicht Folge zu geben ist. Im Übrigen ist nicht schlüssig, wieso der Vertreter im gegenständlichen Verfahren - der zunächst als amtswegiger Rechtsberater im Schubhaft-Beschwerdeverfahren bestellt worden ist und in dieser Funktion regelmäßig tätig ist - offenbar davon ausgeht, für die Vertretung in solchen Verfahren nicht hinreichend kompetent zu sein. Zudem ist nicht nachvollziehbar, wieso die Abfassung einer Beschwerde für einen Beschwerdeführer in Asyl- oder Schubhaftverfahren nur durch einen gewillkürten Vertreter erfolgen können sollte, zumal dies durchaus im Aufgabenbereich eines amtlich bestellten Rechtsberaters liegt.

Festzuhalten ist allerdings, die vorliegende Vertretungsvollmacht auch eine Inkassovollmacht umfasst, die in dieser Form dem Vertreter nicht erteilt werden könnte, wäre er im gegenständlichen Verfahren ausschließlich als Rechtsberater tätig.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

6. Kostenersatz

6.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

6.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Der Behörde gebührt als unterlegene Partei daher kein Kostenersatz. Der Beschwerdeführer ist auf Grund der Rechtswidrigkeit der Schubhaftanordnung und der darauf gestützten Anhaltung in Schubhaft in allen Punkten obsiegende Partei, weshalb er Anspruch auf Kostenersatz (soweit beantragt und im Umfang der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen) hat. Kommissionsgebühren, Dolmetschergebühren und Barauslagen sind im gegenständlichen Verfahren nicht angefallen.

6.3. Eingabegebühr

Der Beschwerdeführer stellt zudem den Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr.

Ein solcher Antrag ist jedoch gesetzlich nicht vorgesehen - es gibt dementsprechend keine rechtliche Grundlage für eine solche Befreiung. Die Eingabegebühr ist zudem in § 35 Abs. 4 VwGVG nicht als Aufwendung definiert und insofern auch nicht ersatzfähig. Im Übrigen kann eine "finanzielle Belastung iHv 30 Euro" auch nicht als unüberwindliche oder unverhältnismäßige Hürde zur Wahrnehmung eines Rechtsmittels angesehen werden.

Der Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr ist daher zurückzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Schlagworte

Abschiebung, Abschiebungshindernis, Anhaltung, Bürgerkrieg,
Eingabengebühr, Ersatz, Festnahme, Fluchtgefahr, real risk, reale
Gefahr, Rechtswidrigkeit, Rückkehrentscheidung, Schubhaft,
Schubhaftbeschwerde, Sicherungsbedarf, strafrechtliche Verurteilung,
Untertauchen, Verfahrenshilfe, Verfahrenskostenersatz, Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W137.2109541.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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