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20/09 Internationales Privatrecht;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde der 1964 geborenen B S in Pakistan, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Februar 1996, Zl. 115.065/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine pakistanische Staatsangehörige, stellte am 12. April 1995 bei der österreichischen Botschaft in Islamabad einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft mit ihrem Ehegatten, der nach ihren Angaben auf dem Antragsformular in Österreich anerkannter Konventionsflüchtling sei. Der Antrag wurde mit Schreiben der österreichischen Botschaft in Islamabad vom 24. April 1995 an den Magistrat der Stadt Wien weitergeleitet. In diesem Schreiben führte die österreichische Botschaft aus, die Beschwerdeführerin habe eine Heiratsurkunde vorgelegt, deren Überprüfung ergeben habe, dass es sich bei der "so genannten Heirat um eine Ferntrauung" gehandelt habe. Die Botschaft übermittle eine Rechtsauskunft des "Vertrauensanwaltes der Botschaft" sowie ein Schreiben des pakistanischen Außenministeriums, in denen erläutert werde, dass die gegenständliche Heirat "nicht einmal in Pakistan gültig" sei. Beigeschlossen war dem Schreiben der österreichischen Botschaft ein Schreiben eines als "Security & Investigation Systems" bezeichneten Unternehmens und ein als "Investigation REPORT" bezeichnetes Schreiben, dessen Verfasser nicht namentlich genannt wird (jeweils in englischer Sprache). In diesem Schreiben wird auch eine rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit von telefonischen Trauungen vorgenommen. Weiters war dem Schreiben der österreichischen Botschaft angeschlossen eine Stellungnahme des Außenministeriums der islamischen Republik Pakistan vom 18. April 1995 (ebenfalls in englischer Sprache).
Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag mit Bescheid vom 1. Juni 1995 gemäß § 4 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, der Bescheid der Behörde erster Instanz habe keine individuelle Einzelfallprüfung vorgenommen, sondern lediglich Textbausteine zusammengefügt.
Mit Schreiben vom 21. August 1995 erstattete der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin bei der Berufungsbehörde eine Stellungnahme, in der er die ihm im Rahmen einer Akteneinsicht zur Kenntnis gelangte Auskunft der österreichischen Botschaft Islamabad vom 24. April 1995 als unrichtig bezeichnete. Nach der von der pakistanischen Botschaft in Österreich erteilten Rechtsauskunft sei es möglich, in Pakistan telefonisch zu heiraten, wenn an der Seite der Frau zwei Zeugen und an der Seite des Mannes zwei Zeugen stünden. Diese Zeugen müssten einander gut erkennen, d. h. sie müssten einander an den Stimmen erkennen. Zur Bestätigung dieser Auffassung wurde ein Aktenvermerk vom 8. August 1995 beigeschlossen, der ein Telefongespräch mit der pakistanischen Botschaft in Wien mit erwähntem Inhalt bestätigt.
Falls die Behörde Zweifel an einer bestehenden Heirat habe, möge sie sich selbst an die pakistanische Botschaft in Österreich wenden. Im Übrigen werde beantragt, einen Rechtsexperten für pakistanisches Eherecht zur Richtigkeit der Behauptungen der Berufungswerberin dem Verfahren beizuziehen.
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 21. Februar 1996 gemäß § 6 Abs. 1 AufG ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, die Beschwerdeführerin habe in ihrer Berufung ausgeführt, dass die erkennende Behörde keine individuelle Einzelfallprüfung vorgenommen habe und gegen das Begründungsgebot nach § 60 AVG verstoßen habe. Sie habe überdies eine Stellungnahme vorgelegt, wonach die Auskunft der österreichischen Botschaft, dass es nicht möglich sei, sich nach pakistanischem Recht telefonisch ferntrauen zu lassen, unrichtig sei. Die Berufungsbehörde möge sich selbst an die pakistanische Botschaft wenden. Die Berufungsbehörde habe "zum gegebenen Sachverhalt Folgendes festgestellt":
Gemäß § 6 Abs. 1 AufG sei bei Antragstellung ein genauer Aufenthaltszweck anzuführen. Die Beschwerdeführerin habe als Zweck "Familiengemeinschaft mit Fremden" angeführt. Von der Berufungsbehörde seien ihre vorgelegten Unterlagen über ihre Eheschließung nicht anerkannt worden. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass sich österreichische Behörden "sehr wohl" an die Rechtsauskünfte anderer österreichischer Behörden, insbesondere Vertretungsbehörden, hielten. Zusätzlich sei jedoch im Falle der Beschwerdeführerin nach Anfrage vom pakistanischen Außenministerium mitgeteilt worden, dass "diese Form der Eheschließung nicht gültig" sei. Der Antrag auf Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck der "Familienzusammenführung mit Fremden" sei daher "auch" von der Berufungsbehörde abzulehnen und spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 1. März 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 351/1995 maßgeblich.
§ 6 Abs. 1 AufG lautete:
"§ 6. (1) Außer in den Fällen des § 7 Abs. 1 werden die Bewilligung und deren Verlängerung auf Antrag erteilt. In dem Antrag ist der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes genau anzugeben und glaubhaft zu machen, dass kein Ausschließungsgrund (§ 5) vorliegt. Der Antragsteller kann den bei der Antragstellung angegebenen Zweck im Laufe des Verfahrens nicht ändern."
Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage verfügte die Beschwerdeführerin jemals über eine Aufenthaltsbewilligung oder einen am 1. Juli 1993 gültigen gewöhnlichen Sichtvermerk. Die belangte Behörde wertete den Antrag daher zu Recht nicht als Verlängerungsantrag. Der angefochtene Bescheid ist demnach auch nicht gemäß § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 mit Ablauf des 31. Dezember 1997 außer Kraft getreten.
Die belangte Behörde stützte ihren abweisenden Bescheid - anders als die Behörde erster Instanz - ausschließlich auf die Annahme, dass keine aufrechte Ehe der Beschwerdeführerin zu jener Person bestehe, zu der sie Familiengemeinschaft anstrebe, weshalb der angegebene Aufenthaltszweck "Familienzusammenführung mit Fremden" nicht verwirklichbar sei.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält aber weder Feststellungen zu den näheren Umständen, welche die belangte Behörde zur Annahme führten, für die Beurteilung der Form der Eheschließung im Sinne des § 16 IPRG sei pakistanisches Recht maßgeblich, noch Feststellungen zu der nach Auffassung der belangten Behörde offenbar maßgeblichen pakistanischen Rechtslage selbst. Diese Umstände sowie die pakistanische Rechtslage, auf die sich die belangte Behörde bei ihrere Bescheidbegründung wesentlich stützt, wären von ihr im Einzelnen darzustellen gewesen, weil anders ihre rechtliche Schlussfolgerung, dass eine "Ferntrauung" nach pakistanischem Eherecht ungültig sei, nicht nachvollzogen werden kann. Die belangte Behörde hat sich jedoch im angefochtenen Bescheid damit begnügt, auf eine Stellungnahme des Außenministeriums der islamischen Republik Pakistan hinzuweisen, ohne auf das damit in Widerspruch stehende Vorbringen der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren einzugehen und im Rahmen einer auf Schlüssigkeit überprüfbaren Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen sie die Angaben der österreichischen Botschaft in Islamabad sowie die Angaben des pakistanischen Außenministeriums für zutreffend gehalten hat.
Wie die Beschwerde weiters zutreffend aufzeigt, ist die belangte Behörde auch auf den im Berufungsverfahren gestellten Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuziehung eines Rechtsexperten für pakistanisches Eherecht nicht nachgekommen, ohne dass sie im angefochtenen Bescheid begründet hätte, weshalb sie eine Beiziehung eines derartigen Rechtsexperten zur Klärung der im Verfahren aufgeworfenen Fragen zum Inhalt des pakistanischen Eherechtes für entbehrlich hält.
Sollten die Feststellungen der näheren Umstände der Eheschließung ergeben, dass sich die Beschwerdeführerin anlässlich der "Ferntrauung" in Pakistan, ihr Ehegatte aber in Österreich aufgehalten hat (wofür sprechen könnte, dass diesem nach den Angaben der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren in Österreich Asyl gewährt worden ist), so wäre davon auszugehen, dass die Beurteilung der Form der Eheschließung nach pakistanischem Recht vorzunehmen ist: § 16 IPRG ist gemäß § 1 Abs. 2 IPRG als Ausprägung des in § 1 Abs. 1 IPRG enthaltenen Grundsatzes anzusehen, wonach Sachverhalte mit Auslandsbezug - ein solcher liegt im Beschwerdefall vor - nach der Rechtsordnung zu beurteilen ist, zu der die stärkste Beziehung besteht. Diesem Auftrag entsprechend können aber sowohl § 16 Abs. 1 (Eheschließung im Inland) als auch § 16 Abs. 2 IPRG (Eheschließung im Ausland) sinnvoller Weise nur so verstanden werden, dass darunter jeweils nur solche Eheabschlüsse fallen, bei denen sich die Nupturienten am selben Ort aufhalten. Ist dies, wie bei einer (telefonischen) Ferntrauung, nicht der Fall, so kommt (subsidiär) § 1 Abs. 1 IPRG zur Anwendung. Auf Grund der übereinstimmenden Staatsangehörigkeit der Nupturienten und, wie sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ergeben dürfte, deren Eltern, die sich auch zum überwiegenden Teil in Pakistan aufhalten dürften, würde vorliegenden Falles die stärkste Beziehung zur pakistanischen Rechtsordnung bestehen.
Da nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der ihr anzulastenden Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Ersatz von Porto war abzuweisen, weil dieser im pauschalierten Ersatz für Schriftsatzaufwand inkludiert ist.
Wien, am 25. Juni 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997190810.X00Im RIS seit
02.05.2001