TE Bvwg Erkenntnis 2018/11/20 W205 2172820-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2018
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Entscheidungsdatum

20.11.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W205 2172820-1/4E

W205 2172813-1/4E

W205 2169683-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerden 1.) des XXXX , geb. XXXX ,

2.) der XXXX , geb. XXXX und 3.) der XXXX , geb. XXXX , alle staatenlos, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017 bzw. 11.08.2017 (3. BF), Zl.en 1.) 1142925701/170196662-EAST Ost, 2.) 1142925505/170196611- EAST Ost und 3.) 1142926208/170196735- EAST Ost, zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, die Drittbeschwerdeführerin ist deren gemeinsame volljährige Tochter. Sie sind staatenlos und lebten zuletzt in Syrien. Nach illegaler Einreise stellten sie in Österreich am 14.02.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Eine EURODAC Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführer am 05.02.2017 in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurden.

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 14.02.2017 brachten die Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass zwei Söhne bzw. Brüder bereits in Österreich wären und sie mit ihnen zusammenleben würden. Aus Syrien wären sie wegen des Krieges geflohen, der Erstbeschwerdeführer sei bei einem Bombenangriff verletzt worden. Durch den Krieg gebe es keine medizinische Versorgung für die Beschwerdeführer, der Erstbeschwerdeführer leide unter Krebs und die Zweitbeschwerdeführerin unter Epilepsie. Sie wären im Januar 2017 von Syrien über den Sudan und Libyen über Italien nach Österreich gekommen. Über Italien könnten sie nichts sagen, da sie dort nur sehr kurz gewesen wären.

2. In einer Vollmachtbekanntgabe vom 16.02.2017 ersuchten die Beschwerdeführer um Zusammenlegung der Akten mit den Akten der Söhne und um Führung eines Familienverfahrens, die ganze Familie lebe beim ältesten Sohn, der bereits Asylstatus habe.

3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 06.03.2017 auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestützte Aufnahmeersuchen an Italien, welche in der Folge unbeantwortet blieben. Mit Schreiben vom 30.05.2017 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Aufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO hin.

4. In einer Stellungnahme vom 14.06.2017 brachten die Beschwerdeführer vor, zwischen den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienmitgliedern und jenen, die von der Abschiebung nach Italien bedroht wären, bestehe ein ausgeprägtes Familienleben und ein intensives wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Es habe stets zwischen ihnen eine enge Familieneinheit bestanden und sie hätten auch bereits in Syrien in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, was sie nun auch in Österreich täten. Es werde daher ersucht, vom Selbsteintrittsrecht Österreichs aus humanitären Gründen Gebrauch zu machen, da das Zerreißen der Familie eine unangemessene Härte darstellen würde. Zudem wären die humanitären Verhältnisse in Italien ungenügend und würden die in Art. 3 EMRK garantierten Rechte bedrohen.

In einem vorgelegten Schreiben des in Österreich aufhältigen jüngeren Sohnes zum übermittelten Länderinformationsblatt führte dieser aus, dass er gemeinsam mit seinem älteren Bruder, der Asylstatus habe und die Universität besuche, zusammenlebe und die Schule besuche. Die Unterbringungsmöglichkeiten in Italien wären mangelhaft. Sie würden bereits Deutsch sprechen und hätten bereits viel Zeit, Geld und Mühe in ihr Leben in Österreich investiert. In Italien würden sie wieder bei Null anfangen. Die Beschwerdeführer würden darum bitten, sie nicht den diversen im Länderbericht beschriebenen Risiken und Gefahren auszusetzen, die eine Abschiebung nach Italien für sie bedeuten könne.

Mit der Stellungnahme wurde ein Schreiben eines Bundesgymnasiums vom 16.06.2017 hinsichtlich des jüngeren Sohnes bzw. Bruders, der in Österreich ein eigenes Asylverfahren führt, vorgelegt, aus welchem hervorgeht, dass dieser derzeit die 4. Klasse besuche, um einen Pflichtschulabschluss zu erlangen. Er zeige sich außerordentlich engagiert und zielstrebig und sei gut integriert, er werde bereits seit zwei Jahren mit großem Einsatz betreut und nehme alle Hilfestellungen sehr dankbar an. Es bestehe für ihn die Möglichkeit, im Herbst auf eine HTL zu wechseln. Anbei wurde auch ein aktueller Notenstand vorgelegt, aus welchem hervorgeht, dass er alle Fächer positiv abschließen werde.

5. Am 19.06.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem BFA im Beisein zweier Rechtsberaterinnen nach durchgeführter Rechtsberatung.

Hierbei gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er Unterleibskrebs gehabt habe und der Tumor bereits im Heimatland entfernt worden sei, er müsse jedoch alle drei Monate zur Kontrolle, da die Gefahr eines neuerlichen Ausbruches bestehe, zudem habe er eine Herzkrankheit. In Österreich sei er wegen seiner Herzbeschwerden bereits beim Arzt gewesen, auf Grund der Sprachbarriere habe er allerdings nichts verstanden. In Syrien habe er zu wenig Sauerstoff im Herzen gehabt, bei einem Klimawechsel bekomme er Herzschmerzen und bekomme schwer Luft. Er habe allerdings vier verschiedene Medikamente verschrieben bekommen, sein Sohn kümmere sich um alles. Wegen seiner Krebserkrankung habe er allerdings noch keinen Kontrolltermin wahrgenommen. Dies deshalb, weil er bis vor zwei Wochen noch keine Krankenversicherung gehabt habe und er wegen seiner Krebserkrankung auf der Suche nach einem Arzt sei, es dauere Monate bis man einen Termin bekomme. In Österreich würden zwei Söhne seit 2 bzw. 2 1/2 Jahren leben, der ältere sei ungefähr 23 Jahre alt und habe bereits Asylstatus, der jüngere Sohn sei 16 Jahre alt, er befinde sich in einem laufenden Asylverfahren. Sie würden alle in einem gemeinsamen Haushalt leben und hätten freiwillig die Grundversorgung verlassen, um bei ihren Söhnen zu leben. Er habe seine Söhne vor der Einreise nach Österreich vor ca. drei Jahren das letzte Mal gesehen. Sie würden sich gegenseitig unterstützen und hätten eine gemeinsame Haushaltskasse, wo jeder einzahle, es gebe kein "eigenes Geld". Ohne seine Söhne könne er nicht leben, sie wären beide bereits sehr gut integriert und würden in jeder Hinsicht helfen. So würden sie ihn zum Arzt begleiten und mit ihm sprechen, selbiges gelte auch für die Zweitbeschwerdeführerin. Ein weiterer seiner Söhne lebe als anerkannter Flüchtling in Deutschland.

Abschließend ersuchte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer um Zulassung der Verfahren in Österreich nach Art. 10 Dublin III-VO und auch nach Art. 8 EMRK und Art. 9 der Dublin III-VO aufgrund des Sohnes, der in Österreich asylberechtigt sei. Das Kindeswohl stehe unter Zusammenhalt der Familie in der Dublin Verordnung in höchstem Rang und es wäre aus diesem Grund eine Trennung der Familie unzumutbar. Zudem werde ersucht, sofern nicht aus den bereits genannten Gründen das Verfahren zugelassen werde, jedenfalls aus humanitären Erwägungen das Selbsteintrittsrecht wahrzunehmen und die Verfahren zuzulassen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass Sie Epileptikerin sei und immer wieder Anfälle habe, außerdem habe sie eine Herzkrankheit. Es gehe ihr schlecht, sie könne manchmal stundenlang nicht aufstehen oder gehen. Ihr Bruder sei auch hier in Österreich, er sei anerkannter Flüchtling und lebe mit seiner Familie seit 2 1/2 Jahren in Österreich. Sie würden in telefonischem Kontakt stehen und würden sich auch gelegentlich besuchen. In Österreich habe sie bereits drei epileptische Anfälle gehabt, ihre Kinder hätten sie gehalten und ihr etwas zwischen die Zähne gegeben, damit sie sich nicht in die Zunge beiße. Wenn sie im Heimatland einen Anfall gehabt habe, hätten ihre Brüder ihr geholfen, sie habe damals bei ihrer Schwester gelebt. Sie lebe mit ihren Kindern und ihrem Mann gemeinsam in einem Haushalt, die Kinder würden für sie alle einkaufen. Auf Nachfrage bejahte sie, dass sie eine gemeinsame Haushaltskasse hätten. Über Vorhalt, dass Italien für die Führung ihres Asylverfahrens zuständig sei, führte die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie zu ihren Kindern nach Österreich gekommen sei und ohne sie nicht leben könne, sie sei krank und die Kinder würden sich um sie kümmern.

Die Drittbeschwerdeführerin führte an, dass sie bei ihren Brüdern in Österreich bleiben wolle.

Der Rechtsvertreter führte aus, dass er die Zulassung ihres Verfahrens in Österreich beantrage und den Antrag auf die Ermessensklausel des Art. 17 Dublin III-VO stütze, da die Familie sonst zerrissen werde und auf Art. 3 EMRK aufgrund der systemischen Mängel in Italien, da sie als junge Frau alleine in Italien ihr Leben nicht gestalten könnte.

6. Einem Schreiben des ältesten Sohnes der Beschwerdeführer vom 02.06.2017 ist zu entnehmen, dass er über einen positiven und unbefristeten Asylbescheid verfüge und dass sich sein minderjähriger Bruder in einem laufenden Asylverfahren befinde, weshalb sich der älteste Sohn dafür ausspreche und höflich darum ersuche, die Asylverfahren seiner gesamten Familie in Österreich abzuwickeln.

7. Am 01.08.2017 wurden die Beschwerdeführer neuerlich vor dem BFA einvernommen. Hierbei führte der Erstbeschwerdeführer an, unter Herzbeschwerden zu leiden, er habe Schmerzen und nehme Medikamente. Er sei auch bereits wegen seiner Tumorentfernung bei einem Kontrolltermin gewesen, in vier Monaten habe er den nächsten Termin. Zudem leide er unter Bluthochdruck, weshalb er ebenfalls Medikamente einnehmen müsse.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass sie oft bewusstlos werde und nicht reden könne, sie nehme Medikamente dagegen, es passiere einmal in der Woche oder alle zwei Wochen, die Anfälle würden wegen der Epilepsie passieren. Sie habe auch Probleme mit ihrer Schilddrüse, es müsse noch ein Blutbefund erstellt werden, um eine genaue Diagnose zu stellen. Ihr letzter Wunsch sei es für immer und ewig bei ihrem Sohn bleiben zu können, weil es ihr sonst noch schlechter gehe.

8. Im Verfahren wurden folgende Unterlagen hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers vorgelegt:

-

Arztbrief vom 05.07.2017 eines Urologen: Diagnose St.p. TUR-BL am 11/2015 beim N.Vesicae G3, KHK-St.p.MCI 2016, Hypertoonie, Nikotinabusus, Kontrolle in 4 Monaten ad N.Sono + Cystoskopie;

-

Diverse Blutbefunde;

-

Befundbericht vom 31.07.2017 eines Internisten, Diagnose: TUR-B bei N.vesicae 2015 in Syrien, KHK - St.p. MCI 2016, Hypteronie, Nikotinabusus.

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin:

-

Befundbericht vom 31.05.2017 eines Internisten, Diagnose:

Hypertonie;

-

EEG-Befund vom 04.07.2017, Zusammenfassung: kein eindeutiger Befund;

-

Befundbericht vom 13.07.2017 eines Orthopäden: Diagnose: Vitamin D Mangel, Senkspreizfuß bds, Gonarthrose bds;

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Verordnung zur physikalischen Behandlung;

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Blutbefund;

-

Gutachterliche Stellungnahme PSY III Befund vom 16.08.2017, Diagnose: Anpassungsstörung, F43.2, DD: Depression, leichtgradige Episode, Epilepsie mit verminderter kognitiver Leistung, Medikamente gegen Epilepsie zwingend notwendig, Eine Verschlechterung bei Überstellung sei nicht sicher auszuschließen, eine akute Selbstgefährdung oder sonstige vitale Gefährdung sei derzeit nicht fassbar;

-

Befundbericht vom 31.07.2017 eines Internisten: Diagnose:

epileptische Anfälle mit Wesensveränderung, Ton. Klon. Krampfanfälle, Angststörung, Panikstörung, depressive Störungen, Hypothyreose, Hypertonie;

-

Nervenärztlicher und schmerztherapeutischer Befundbericht vom 05.07.2017, wonach die Beschwerdeführerin unter einer posttraumatischen Belastung leide und seit 04.07.2017 in Behandlung sei, bekannte Diagnosen: epileptische Anfälle mit Wesensänderung, tonisch-klonische Krampfanfälle, Angststörungen, Panikstörungen, depressive Störungen- auf Grund der neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sei sie nicht in der Lage für sich selbst zu sorgen, weshalb darum ersucht werde, ihr das Leben bei ihrer Familie zu ermöglichen.

9. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 13 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Die Bescheide enthalten eine ausführliche Darstellung zur Lage in Italien, insbesondere zum italienischen Asylverfahren, einschließlich der Beschwerdemöglichkeiten gegen negative erstinstanzliche Entscheidungen, zum Non-Refoulement-Schutz, zu Versorgungsleistungen, wie etwa Unterbringung und medizinische Versorgung sowie insbesondere zur Unterbringung von Familien und Vulnerablen nach dem Tarakhel-Urteil des EGMR, sowie zur Situation von sog. "Dublin-Rückkehrern" mit Stand vom 26.07.2017.

Die Anträge auf internationalen Schutz seien zurückzuweisen, weil gemäß Art. 13 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Italien für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen, betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der beschwerdeführenden Parteien ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Es hätten sich im Verfahren keine Hinweise für das Vorliegen einer schweren körperlichen Krankheit oder einer schweren psychischen Störung ergeben. Der Erstbeschwerdeführer leide unter Hypertonie, wogegen er behandelt werde. In Italien könne er eine derartige medizinische Behandlung jederzeit in Anspruch nehmen. Hinsichtlich des volljährigen asylberechtigten Sohnes sei auszuführen, dass es sich um kein schützenswertes Familienleben handle, da keine über die normale Beziehung hinausgehende spezifische Elemente der Abhängigkeit vorliegen würden. Es sei die eigene Entscheidung der Beschwerdeführer gewesen, aus der Grundversorgung auszusteigen, wodurch jedoch kein Abhängigkeitsverhältnis begründet werde. Hinsichtlich des minderjährigen Sohnes ergebe sich jedoch ein Eingriff in Art. 8 EMRK. Bei einer Interessenabwägung würden allerdings in Summe die öffentlichen Interessen überwiegen. Den Beschwerdeführern sei bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihres Verfahrens bewusst gewesen, dass sie Österreich verlassen müssten. Bei der Drittbeschwerdeführerin ist zudem der Sache nach ausgeführt, der Aufenthaltsstatus der Eltern und des mj. Bruders sei ungewiss, bei ihrer Beziehung zu den Eltern handle es sich um eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen, bei der keine zusätzlichen Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten würden, die über die üblichen Bindungen hinausgingen.

10. Gegen die Bescheide richten sich die fristgerecht eingebrachten Beschwerden, mit denen auch deren aufschiebende Wirkung beantragt wurde. Darin wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführer hier zusammen mit ihren Söhnen leben würden und ein intensives wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis vorliege. Die Behörde habe sich nur mangelhaft mit der konkreten Situation der Beschwerdeführer auseinandergesetzt.

11. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.10.2017 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

12. Einer aktuellen ZMR-Auskunft ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführer seit 16.02.2017 gemeinsam an derselben Adresse wohnhaft sind, wie die beiden in Österreich aufhältigen schutzberechtigten Söhne/Brüder.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute, die Drittbeschwerdeführerin ist deren gemeinsame volljährige Tochter. Die Drittbeschwerdeführerin ist geschieden und lebt seit der Scheidung bei ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt. Sie reisten im Januar 2017 von Syrien über einen Drittstaat (Libyen) kommend in Italien illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein. Nach kurzem Aufenthalt in Italien, wo sie am 05.02.2017 erkennungsdienstlich behandelt wurden, reisten sie illegal nach Österreich weiter, wo sie am 14.02.2017 die hier gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Das BFA richtete am 06.03.2017 auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestützte Aufnahmeersuchen an Italien, welche in der Folge unbeantwortet blieben. Mit Schreiben vom 30.05.2017 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Aufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO hin.

Zwei Söhne bzw. Brüder der Beschwerdeführer gelangten bereits vor den Beschwerdeführern im Dezember 2015 bzw. November 2016 nach Österreich, wobei der ältere Sohn/Bruder A., geb. XXXX .1994, bei seiner Antragstellung bereits volljährig war, er hat seit Februar 2016 in Österreich Asylstatus. Der jüngere Sohn/Bruder S., geb. XXXX .2000, war zum Zeitpunkt seiner Antragstellung in Österreich (04.05.2015) noch minderjährig, sein Verfahren wurde am 04.05.2015 zugelassen. Mit Bescheid vom 15.03.2018 wurde der Antrag des jüngeren S. hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.03.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Spruchpunkt I. wurde in Beschwerde gezogen, das Beschwerdeverfahren ist aktuell beim Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W203 2192013-1 anhängig.

Dem älteren Sohn/Bruder A. wurde mit Beschluss des BG im Jänner 2016 die Obsorge über seinen minderjährigen jüngeren Bruder S. übertragen, weil sich die Eltern zu diesem Zeitpunkt noch in Syrien befanden.

Die Beschwerdeführer stellten bereits einige Tage nach ihrer Einreise nach Österreich mit ihren Söhnen/Brüdern wieder einen gemeinsamen Haushalt her, schon im Heimatland lebten sie alle in einem gemeinsamen Haushalt, ehe die beiden Söhne nach einem Raketenangriff, der das gemeinsame Wohnhaus teilweise zerstörte, ausreisten. Zwischen den Beschwerdeführern und ihren Söhnen/Brüdern besteht eine sehr enge gegenseitige Verbindung, insbesondere übernehmen die Söhne/Brüder und die Drittbeschwerdeführerin Betreuungs- und Pflegeleistungen hinsichtlich ihrer Eltern und unterstützen diese im Alltag, da beide unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Weiters lebt ein erwachsener Bruder der Zweitbeschwerdeführerin mit seiner Familie als anerkannter Flüchtling in Österreich, sie stehen in regelmäßigem Kontakt.

Der Erstbeschwerdeführer leidet an Hypertonie und nimmt diesbezüglich Medikamente ein, er litt an Unterleibskrebs und wurde deshalb in Syrien operiert, er muss deshalb alle vier Monate zur Kontrolle.

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet unter epileptischen Anfällen mit Wesensveränderung, es kommt trotz Medikamenteneinnahme zu Anfällen, bei denen sie bewusstlos wird. Sie leidet außerdem an Hypothyreose, Hypertonie, einem Vitamin D Mangel, einem Senkspreizfuß sowie Gonarthrose. Weiters leidet sie an einer leichten depressiven Symptomatik im Sinne einer Anpassungsstörung F. 43.2. Die Zweitbeschwerdeführerin ist auf Grund ihrer epileptischen Anfälle auf Hilfe angewiesen und kann ihren Alltag alleine nicht selbständig bewältigen.

Die Drittbeschwerdeführerin ist gesund.

Den gegenständlichen Beschwerden wurde mit hg. Beschluss vom 13.10.2017 gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, der erkennungsdienstlichen Behandlung in Italien und der illegalen Weiterreise der Beschwerdeführer nach Österreich stützen sich auf ihre Angaben und dem korrespondierenden EURODAC-Treffer. Die Feststellungen zum Familienleben der Beschwerdeführer und zum asylrechtlichen Status bzw. zum Status des subsidiär Schutzberechtigten der Angehörigen beruhen auf ihren Vorbringen sowie den zu ihren Verfahren geführten Akten. Dass seit Einreise der Beschwerdeführer mit den in Österreich lebenden Brüdern/Söhnen ein gemeinsamer Haushalt besteht, ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand bzw. den konkreten Erkrankungen der Beschwerdeführer stützen sich auf die umfangreichen im Verfahren vorgelegten medizinischen Befunde und die eigenen Angaben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Im Beschwerdefall ist die geltende, zuletzt durch BGBl. I Nr. 56/2018 - FrÄG 2018 - geänderte Rechtslage maßgeblich.

§§ 5 und 10 AsylG 2005 idgF lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 21 Abs. 3 BFA-VG idgF lautet:

"Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine

Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen Dublin III-VO lauten auszugsweise:

"KAPITEL I

GEGENSTAND UND DEFINITIONEN

[...]

Artikel 2

Definitionen

[...]

f) "Begünstigter internationalen Schutzes" einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dem internationaler Schutz im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a der Richtlinie 2011/95/EU zuerkannt wurde,

g) "Familienangehörige" die folgenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

-

der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare,

-

die minderjährigen Kinder des im ersten Gedankenstrich genannten Paares oder des Antragstellers, sofern diese nicht verheiratet sind, gleichgültig, ob es sich nach nationalem Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt,

-

bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsene sich aufhält, für den Minderjährigen verantwortlich ist,

-

bei einem unverheirateten, minderjährigen Begünstigten internationalen Schutzes, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der/die entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem sich der Begünstigte aufhält, für ihn verantwortlich ist;

KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Artikel 9

Familienangehörige, die Begünstigte internationalen Schutzes sind

Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat -, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.

Artikel 10

Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben

Hat ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.

Artikel 11 Familienverfahren

Stellen mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:

a) zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils von ihnen zuständig ist;

b) andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist.

(...)

Artikel 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununter-brochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(...)

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Artikel 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Artikel 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

KAPITEL VI

AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN

Artikel 22

Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

(2) In dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats werden Beweismittel und Indizien verwendet.

(3) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die Erstellung und regelmäßige Überprüfung zweier Verzeichnisse, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien gemäß den in den Buchstaben a und b dieses Artikels festgelegten Kriterien aufgeführt sind, fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

a) Beweismittel:

i) Hierunter fallen förmliche Beweismittel, die insoweit über die Zuständigkeit nach dieser Verordnung entscheiden, als sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden;

ii) Die Mitgliedstaaten stellen dem in Artikel 44 vorgesehenen Ausschuss nach Maßgabe der im Verzeichnis der förmlichen Beweismittel festgelegten Klassifizierung Muster der verschiedenen Arten der von ihren Verwaltungen verwendeten Dokumente zur Verfügung;

b) Indizien:

i) Hierunter fallen einzelne Anhaltspunkte, die, obwohl sie anfechtbar sind, in einigen Fällen nach der ihnen zugebilligten Beweiskraft ausreichen können;

ii) Ihre Beweiskraft hinsichtlich der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz wird von Fall zu Fall bewertet.

(4) Das Beweiserfordernis sollte nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen.

(5) Liegen keine förmlichen Beweismittel vor, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen.

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

3.2. Zunächst sind vor dem Hintergrund der Rangfolge der Kriterien für die Beurteilung der Zuständigkeit die Familienverhältnisse der betroffenen Familie näher zu beleuchten: Der nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO hierfür maßgebliche Zeitpunkt ist der ihrer ersten Antragstellung im Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten, somit der 14.02.2017. Zu prüfen ist, ob die beiden in Österreich lebenden Söhne/Brüder, die bereits vor den Beschwerdeführern nach Österreich eingereist waren, als Familienangehörige im Sinne der Dublin III-VO zu qualifizieren sind und ob sich daraus allenfalls eine bestimmte Zuständigkeit ergibt.

Der ältere Sohn/Bruder war zum Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführer am 14.02.2017 in Österreich zwar asylberechtigt, aber bereits volljährig. Zu diesem Angehörigen besteht daher keine Familienangehörigeneigenschaft der Beschwerdeführer iSd Art. 2 lit. g Dublin III-VO, weswegen auch keine Zuständigkeit Österreichs nach Art. 9 Dublin III-VO in Betracht kommt.

Anders verhält es sich beim Verhältnis zwischen dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin zum jüngeren Sohn S.: Nach den getroffenen Feststellungen handelt es sich bei diesem nämlich um ein - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführer - minderjähriges, unverheiratetes eheliches Kind des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, wobei die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Daher ist S. als Familienangehöriger dieser beiden Beschwerdeführer im Sinne des Art. 2 lit. g 2. Teilstrich Dublin III-VO anzusehen.

a) Für die Zuständigkeit zur Führung des Verfahrens des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ergibt sich daraus Folgendes: Da diese beiden Antragsteller zum maßgebenden Zeitpunkt (14.02.2017) in Österreich einen Familienangehörigen iSd Art. 2 lit. g Dublin III-VO hatten, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, begründet nach der Rangfolge der Kriterien der Art. 10 der Dublin III-VO die Zuständigkeit Österreichs für die diese Antragsteller betreffende Verfahrensführung. Der Wunsch auf Zusammenführung der betroffenen Personen in Österreich wurde seitens dieser im Beschwerdeverfahren mehrmals schriftlich kundgetan (siehe zur Zuständigkeitsbegründung in einer solchen Konstellation auch:

Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, K1 und K4 zu Art. 10).

b) Die Drittbeschwerdeführerin ist allerdings als zum Antragszeitpunkt volljährige Schwester/Tochter keine Familienangehörige in dem oben angeführten Sinn, weshalb die oa. Zuständigkeitsbestimmung für sie nicht zur Anwendung gelangt. Für sie begründet - als nächstes nach der Rangfolge in Betracht kommendes Kriterium - ihre illegale Einreise das heranzuziehende Anknüpfungsmerkmal für die Zuständigkeit zur Verfahrensführung. Da sie aus einem Drittstaat (Libyen) kommend die Seegrenze von Italien illegal überschritten hat, ist in ihrem Fall gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO Italien für die Prüfung ihres Antrages zuständig. Die Verpflichtung Italiens zu ihrer Aufnahme basiert, nachdem die italienischen Behörden das Aufnahmeersuchen des BFA nicht fristgerecht beantwortet haben, auf Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Hinblick auf die eingetretene Zuständigkeit Italiens Beendigungsgründe vorliegen. Aufgrund des Umstandes, dass der gegenständlichen Beschwerde innerhalb der Sechsmonatsfrist die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, ist auch die Überstellungsfrist bis dato nicht abgelaufen (Art. 29 Abs. 1 letzter Satz Dublin III-VO).

Würde die Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs allerdings zu einer Grundrechtswidrigkeit führen, wäre der Selbsteintritt Österreichs geboten. Zur Frage eines allenfalls gebotenen Selbsteintrittes Österreichs ist folgendes auszuführen: Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngerer Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, K2 zu Art. 17).

Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).

So betont schon Erwägungsgrund 14 der Dublin III-Verordnung, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Dementsprechend hält Erwägungsgrund 17 leg. cit. auch fest, dass die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind (vgl. dazu Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, 61 f; z.B. auch VwGH 15.12.2015, Zahl Ra 2015/18/0192 bis 0195).

Gemäß dem 15. Erwägungsgrund soll mit der gemeinsamen Bearbeitung der von den Mitgliedern einer Familie gestellten Anträge auf internationalen Schutz durch ein und denselben Mitgliedstaat sichergestellt werden, dass die Anträge sorgfältig geprüft werden, diesbezügliche Entscheidungen kohärent sind und die Mitglieder einer Familie nicht voneinander getrennt werden. Befinden sich alle Mitglieder zeitnahe in einem Mitgliedstaat im Asylverfahren, stehen diese wechselseitig als Zeugen bzw. Auskunftspersonen für die Asylbehörden zur Verfügung und erleichtern diese die Verifizierung oder Falsifizierung des Vorbringens, was in weiterer Folge wiederum die Kohärenz der Endentscheidungen erhöhen wird können. Weiters besagt auch der 16. Erwägungsgrund, um die uneingeschränkte Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und des Wohles des Kindes zu gewährleisten, sollte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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