TE Bvwg Beschluss 2018/11/20 L517 2189373-1

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Veröffentlicht am 20.11.2018
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Entscheidungsdatum

20.11.2018

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L517 2189373-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den RichterXXXX als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, XXXX, vom 20.02.2018, XXXX beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, dass der Bescheid (Behindertenpass) des Sozialministeriumservice, XXXX, vom 20.02.2018, XXXX, gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) BGBl. I Nr. 33/2013 idgF aufgehoben und zur Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

01.02.2018 - Antrag der beschwerdeführenden Partei ("bP") auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem § 29b StVO 1960 (Parkausweis) beim Sozialministeriumservice, XXXX (belangte Behörde, "bB")

07.01.2018 - Erstellung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens, Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

16.02.2018 - Sofortige Beantwortung durch die leitende Ärztin der bB

20.02.2018 - Bescheid der bB /Abweisung des Antrages der bP auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel"

06.03.2018 - Beschwerde der bP

15.03.2018 - Beschwerdevorlage am BVwG

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0. Feststellungen (Sachverhalt):

Die bP ist österreichische Staatsbürgerin, an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft und seit 16.01.2018 im Besitz eines bis 31.12.2022 befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.

Am 01.02.2018 stellte die bP einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem § 29b StVO 1960 (Parkausweis) bei der bB.

Ein im Auftrag der bB am 07.01.2018 nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, erstelltes Sachverständigengutachten einer Allgemeinmedizinerin weist nachfolgenden relevanten Inhalt auf:

"...

Anamnese:

1995 Sectio cesarea.

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit chronischen Beschwerden. Rezidivierende Harnwegsinfekte und Harninkontinenz.

Zustand nach mehrmaliger Varizenoperation, zuletzt im März 2017.

09/2017 Beinvenenthrombose links.

Seit 2008 rezidivierende Stimmungsschwankungen bei psychosozialen Belastungsfaktoren.

Vor 6 Monaten Schlafapnoesyndrom.

Gynäkologische Erkrankung mit rezidivierenden vaginalen Blutungen.

Nov/2017 neuerliche Menometrorrhagie, Zustand nach iatrogene Blasenläsion.

Derzeitige Beschwerden:

Momentan hat sie gynäkologische Probleme mit rezidivierenden Blutungen, Kreuzschmerzen, Schlafstörungen, psychische Probleme mit Stimmungsschwankungen,

Erschöpfung und innere Leere, Harnentleerungsstörung bei Zustand nach Blasenverletzung.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Psychotherapie

Medikamente:

Eliquis, Duloxetin, Velbutrin Paracetamol, Sertralin, Trittico ret.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

-

Kurzarztbrief, Klinikum XXXX, vom 07.12.2017:

(Menometrorrhagie unter Eliquis, Unterbauchschmerzen, Cystocele, iatroge Blasenläsion, Z. n. Thrombose des li. Unterschenkels)

-

Vorläufiger Kurzarztbrief, Klinikum XXXX, vom 21.11.2017:

(Starke vaginale Blutung, V. a. Folikelruptur, Z. n. Thrombose des li. Unterschenkels und Sectio cesarea)

-

Ambulanzprotokoll vom 10.03.2017, Klinikum XXXX:

(Z. n. Varizenoperation re., Thrombose der V. peronaea li. bei Varikositas bds.)

-

Ambulanzbericht, Klinikum XXXX, vom 31.10.2017:

(Thrombose der V. peronaea li., Varikositas bds., Z. n. Muskelvenenthrombose li.)

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Altersentsprechend

Ernährungszustand:

Adipös

Größe: 182,00 cm Gewicht: 105,00 kg Blutdruck: 130/90

Klinischer Status - Fachstatus:

CAPUT u. COLLUM:

Augen seitengleich, Visus dem Alter entsprechend, unauffällig, Hörvermögen normal, keine Kommunikationsprobleme, keine Sprachstörung, Schilddrüse leicht diffus vergrößert, nicht suspekt.

THORAX:

Symmetrisch, beidseits beatmet.

COR:

Herztöne leise, Herzaktion mittellaut, keine Vitiumgeräusche.

PULMO:

Vesiculäres Atmen, sonorer Klopfschall, unauffällig.

ABDOMEN:

Adipöse Bauchdecke, nicht druckempfindlich, Leber tastbar, nicht vergrößert, Milz nicht tastbar. Zustand nach iatrogen Blasenläsion, rezidivierende Harnwegsinfekte. Narbe nach Sectio cesarea, Narbe nach Appendektomie reaktionslos verheilt, Nierenlager beidseits frei, Stuhl: chron. Obstipation, Harn: Harninkontinenz

WIRBELSÄULE

Die Wirbelsäule ist gerade, mäßige Schmerzen lumbal, auch die Ileosakralgelenke druckdolent, die Beweglichkeit schmerzhaft, jedoch durchführbar, FBA: 25 cm, Lasegue beidseits negativ.

HWS: Mäßige Fehlhaltung, Dorsalflexion stark eingeschränkt, schmerzhaft, Seitenneigen nach rechs um 1/3 und nach links endlagig eingeschränkt. Kinn-Jugulumabstand: 3 cm

Obere Extremitäten:

Schultermuskulatur druckempfindlich, kein Schulterschiefstand, die Beweglichkeit in der Schulter nicht eingeschränkt, Nacken-und Kreuzgriff beidseits durchführbar.

Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke frei beweglich, Faustschluss beidseits durchführbar, keine neurologischen Ausfälle.

Untere Extremitäten:

Äußerlich unauffällig, kein wesentlicher Beckenschiefstand, die Beweglichkeit in der Hüfte frei, keine Muskelatrophie, keine Schmerzangabe.

Kniegelenke beidseits etwas verdickt, mäßige Synovitis, die Beweglichkeit endlagig eingeschränkt.

Varikositas beidseits 2. Grades, Zustand nach Beinvenenthrombose links mit Stauungszeichen, rechts mehr als links, bei Zustand nach mehreren Operationen. Sprunggelenke endlagig eingeschränkt.

Keine Sensibilitätsstörungen, keine Parese, Fußpulse beidseits tastbar.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Im Untersuchungszimmer normales Gangbild, kein Hinken, keine Hilfsmittel, Zehen- und Fersengang wird beidseits durchgeführt

Status Psychicus:

Bewusstseinsklar, orientiert, Kurzzeitgedächtnis und Konzentration unauffällig, Stimmungslage mittelgradig bedrückt, es erfolgt eine mittelgradig dosierte antidepressive Medikation, über Schlafstörungen und massive psychosoziale Belastungen wird berichtet

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs

Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes: 1 Depressive Störung

Ständige ärztliche Behandlung, keine vollständige Remission, trotz Therapie. Aufgrund des sozialen Rückzuges, Schlafstörungen und anhaltenden Belastungsfaktoren werden 40 % gegeben Pos.Nr. 03.06.01 Gdb 40%

2 Chronische Harnwegsinfekte, Zustand nach Blasenverletzung

Zustand nach iatrogene Blasenläsion mit chronischen

Harnwegsinfekten und Harninkontinenz, keine Therapie hat geholfen; somit werden 30 % angenommen Pos.Nr. 08.01.04 Gdb 30%

3 Venenleiden, Zustand nach Operation

Varikositas beidseits, rechts mehr als links, mit Stauungszeichen, rechts mehr als links, und abgelaufene Beinvenenthrombose links Pos.Nr. 05.08.01 Gdb 30%

4 Chronische Kreuzschmerzen

Derzeit anhaltende Beschwerden bei Fehlhaltung und leichter funktioneller Beeinträchtigung

Pos.Nr. 02.01.01 Gdb 20%

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Pkt. 1 steht im Vordergrund wegen seit Jahren bestehenden Stimmungsschwankungen und massiven psychosozialen Belastungsfaktoren mit Rückzugstendenz und Schlafproblemen, trotz Therapie.

Pkt. 2 wirkt sich auf die psychische Situation zusätzlich ungünstig aus und erhöht um 1 Stufe. Zustand nach Beinvenenthrombose und anhaltende Stauungszeichen wirken sich im Alltag ungünstig aus und steigern mit.

Die derzeit anhaltenden Kreuzschmerzen sind, entsprechend den radiologischen Veränderungen, zu gering und steigern nicht.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Gynäkologische Blutungen, Unterleibsschmerzen

Cystocele

Z. n. Secti cesarea

Struma diffusa

Seit kurzem Schlafapnoesyndrom

Gelenksbeschwerden

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Es liegt keine wesentliche Mobilitätseinschränkung vor, auch keine Gehbehinderung. Der Gang und Stand ist sicher. Die Gelenke der oberen und unteren Extremitäten sind ausreichend beweglich. Eine kurze Wegstrecke kann bewältigt werden, Ein- und Aussteigen und Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist gut möglich und zumutbar

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Eine schwere Erkrankung des Immunsystems liegt nicht vor.

..."

In ihrer sofortigen Beantwortung vom 16.02.2018 führte die leitende Ärztin der bB auf die Frage, ob die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung vorliegen würden und ob der Antragstellerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei, aus: "GA 1/2018 ist schlüssig, die vorgelegten Befunde bewirken keine Änderung - kein Hinweis für UZM."

Mit Bescheid vom 20.02.2018 wies die bB den Antrag der bP auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" unter Zugrundelegung des allgemeinmedizinischen Gutachtens ab. Angemerkt wurde, dass die Ausstellung des § 29b-Ausweises die Eintragung der Unzumutbarkeit voraussetze. Da die Voraussetzung für diese Eintragung nicht vorliege, bestehe kein Anspruch auf Ausstellung des § 29b-Ausweises.

In ihrer dagegen am 06.03.2018 erhobenen Beschwerde gab die bP an, dass sie aufgrund ihrer Inkontinenz, der Gebärmutterentfernung und der damit verbundenen erheblichen Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, der Thrombose und den Depressionen mit Angststörung gravierende gesundheitliche Probleme habe. Wegen ihrer starken Inkontinenz, der Gebärmutterentfernung, den chronischen Kreuzschmerzen und der Angststörung könne sie weder etwas tragen noch ÖVM benutzen. Zudem müsse sie erneut die Venen und Blase operieren, wofür die Operationstermine schon feststünden. Wegen der Lumbalgie und den starken Schmerzen im linken Arm sei sie zur ambulanten Untersuchung ins Krankenhaus überwiesen worden. Beigelegt wurden aktuelle Befunde.

2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.

2.2. Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrundelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.02.2011, Zl. 2007/11/0142).

In dem für die Entscheidungsfindung der bB in Auftrag gegebenem Sachverständigengutachten wurde dem Auftrag der bB nicht entsprochen: In dem Gutachten wurde dem Erfordernis, sich mit den Leiden der bP, insbesondere der Harninkontinenz, in Zusammenhang mit der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auseinanderzusetzen, nicht Genüge getan. Die Gutachterin hat die bestehende Harninkontinenz in Zusammenhang mit der Frage, ob diese die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bewirke, nicht berücksichtigt.

Im Gutachten wird die Harninkontinenz in der Anamnese den derzeitigen Beschwerden und im Ergebnis der durchgeführten Begutachtung, unter der Pos.Nr. 08.01.04 mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H., thematisiert. Bei der für die im Sinne der Antragstellung relevante Frage, ob die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, setzt sich die Sachverständige allerdings nicht mit der Frage auseinander, ob die Harninkontinenz Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel habe. Sie hat es gänzlich außer Acht gelassen, sich damit auseinanderzusetzen, um welche Harnmengen es sich handelt, ob die bP ausreichend mit Inkontinenzprodukten versorgt sei, ob es zu Austritt oder zu Geruchsbelästigungen kommt. Ohne diese Fragen abzuklären, ist der Sachverhalt nicht entscheidungsreif erhoben.

Wie der VwGH auch, wie bereits oben angeführt, aussprach, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.

Das Sachverständigengutachten hat die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt.

Zusammenfassend erfüllt das von der bB für seine Entscheidung herangezogene Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).

Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.

Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen Befund- und Beweislage getroffen.

Im fortgesetzten Verfahren wird durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Sachverhalt umfassend zu erheben und einer neuerlichen Beurteilung in Bezug auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, unter Zugrundelegung der konkreten Umstände des Falles, zuzuführen sein.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

-

Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF

-

Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF

-

Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF

-

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF

-

Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; ...

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1 im Generellen und die in den Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho. Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Nach Ansicht des Gerichtes liegt zwar die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes für die Prüfung der Beschwerde vor. Eine Senatszuständigkeit, wie sie im § 45 Abs. 3 BBG normiert ist, wird dadurch aber nicht begründet. Dies ergibt sich u.a. aus § 28 iVm § 31 VwGVG in Zusammenschau mit der zitierten Bestimmung des BBG. Laut § 45 Abs. 3 BBG liegt eine zwingende Senatszuständigkeit hinsichtlich Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung vor. Im gegenständlichen Fall bedarf es aber keiner Entscheidung auf Grundlage der zitierten Bestimmung.

Schlussfolgernd liegt keine Zuständigkeit für einen Senat iSd § 45 Abs. 3 BBG, sondern eine Einzelrichterzuständigkeit iSd § 6 BVwGG vor.

3.3. Aus den angeführten Erwägungen wurde nach Ansicht des ho. Gerichtes das Ermittlungsverfahren der bB mangelhaft geführt und ist vor allem hinsichtlich der im Gutachten nicht vorgenommenen Erörterung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ebensolche durchzuführen.

Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor.

Zusammenfassend erfüllt das von der bB für seine Entscheidung herangezogene Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).

Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.

Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen, Befund- und Beweislage getroffen.

Durch die Zurückverweisung wird die Rechtssache nicht materiell erledigt, sondern es handelt sich um eine prozessuale Entscheidung. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVwGG leitet der Vorsitzende die Geschäfte des Senats und führt das Verfahren bis zur Verhandlung. Die dabei erforderlichen Beschlüsse bedürfen keines Senatsbeschlusses.

Da die gegenständliche Rechtssache für eine materielle Entscheidung mangels hinreichend feststehenden Sachverhaltes für den Senat noch nicht verhandlungs- bzw. entscheidungsreif war, ergibt sich die Zuständigkeit für diese Zurückverweisung als Einzelrichter und ist unter Zugrundelegung der oben angeführten Erwägungen der Bescheid nach § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice, durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.

3.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war und das Mehrbegehren zurückzuweisen war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen konnte.

3.5. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil im gegenständlichen Fall die Entscheidung als Einzelrichter gemäß § 6 BVwGG iVm § 28 Abs. 3 VwGVG von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Diesbezüglich liegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes Gründe vor, insbesondere aufgrund der im § 45 Abs. 3 BBG normierten Senatszuständigkeit, die auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage schließen lassen.

In diesem Sinne ist die Revision zulässig.

Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Revision zulässig, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L517.2189373.1.00

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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