Entscheidungsdatum
20.11.2018Norm
BBG §42Spruch
L517 2187410-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter XXXX als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, XXXX vom 16.01.2018, XXXX beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, dass der Bescheid (Behindertenpass) des Sozialministeriumservice, XXXX vom 16.01.2018, XXXX, gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) BGBl. I Nr. 33/2013 idgF aufgehoben und zur Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
11.10.2017 - Antrag der beschwerdeführenden Partei ("bP") auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem § 29b StVO 1960 (Parkausweis) beim Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX (belangte Behörde, "bB")
09.01.2018 - Erstellung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens, Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel
16.01.2018 - Bescheid der bB /Abweisung des Antrages der bP auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel"
19.02.2018 - Beschwerde der bP
27.02.2018 - Beschwerdevorlage am BVwG
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
Die bP ist deutsche Staatsbürgerin, an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft und seit 17.04.2015 im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. Mit Bescheid vom 08.08.206 wurde der Antrag der bP auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass abgewiesen.
Am 11.10.2017 stellte die bP einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gem § 29b StVO 1960 (Parkausweis) bei der bB.
Ein im Auftrag der bB am 09.01.2018 nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, erstelltes Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie weist nachfolgenden relevanten Inhalt auf:
"...
Anamnese:
Neufestsetzung, Letztgutachten 2015, GdB 50 vH
2003 Unfall mit Polytrauma, Schädel-Hirn-Trauma 2°, Serienrippenbrüche, Hämatopneumothorax u. Lungenquetschung, Leberriss, Oberschenkelbruch links, Pseudarthrose, Kniescheibenbruch links, Retropatellararthrose links, Außenknöchelbruch links,
Vorfußbrüche links
Brustwirbelbrüche 1985
Derzeitige Beschwerden:
Zunehmend Rückenschmerzen. Ich muss ständig die Haltung wechseln, einmal sitzen, einmal stehen, einmal gehen. Dann geht es besser. Von Seiten der Knie gibt es Tage, da kann ich einfach nicht gehen. Da muss ich dann mit Krücken gehen.
Auch Schmerzen im rechten Vorfuß, auch links, das wechselt.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Prednisolon bei Bedarf, Metrotrexat, Adenuric, Vigantolet, Pantoprazol
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befund XXXX vom 21.9.2017
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Altersgemäß.
Ernährungszustand:
adipös
Größe: 170,00 cm Gewicht: 100,00 kg Blutdruck:
Klinischer Status - Fachstatus:
53jähriger Mann.
HWS: Rotation: 80-0-80°, in Reklination 50° bds.
Obere Extremität: Schürzen- und Nackengriff bds. möglich.
Ellbogen und Hände altersgemäß unauffällig.
BWS: Kein Klopfschmerz, Rotation bds. 30° möglich.
LWS: Kein Beckenschiefstand, keine Skoliose.
Fingerkuppen-Bodenabstand: 20 cm,
Schober: 10-14, Seitwärtsneigen: 5° bds.
Untere Extremität: Lasegue bds. neg.
Hüften bds.: Extension-Flexion: 0-110°, Innen-Außenrotation:
10-0-30°, Abduktion: 40° möglich.
Blande Narben im linken Oberschenkel- und Kniebereich nach Operationen.
Linkes Kniegelenk: Schwellung im linken Kniegelenksbereich, kein
Erguss. Extension-Flexion: 0-0-130°, Krepitationen, bandstabil.
Rechtes Kniegelenk: Keine Schwellung, kein Erguss.
Extension-Flexion: 0-0-140°, bandstabil. Linkes Sprunggelenk: Blande
Narben bei Z.n. Bruch im Fußbereich. Dorsalextension-Plantarflexion:
10-0-30°.
Unteres Sprunggelenk: Seitengleich.
Rechtes Sprunggelenk: Dorsalextension-Plantarflexion: 10-0-40°, keine Entzündungszeichen, keine Schwellungen im Bereich der Sprunggelenke und Füße bds.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Unauffällig.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1 Zustand nach Schädelhirntrauma
2 Knorpelschaden linkes Kniegelenk
3 Sprunggelenksschmerzen links
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Das Sprunggelenks-, Knie- und Wirbelsäulenleiden schränkt die Mobilität ein, eine kurze Wegstrecke (300-400m) kann aber zurückgelegt werden. Die Beweglichkeit der Gelenke ermöglicht das sichere Ein- und Aussteigen und die Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
derzeit nicht
..."
Mit Bescheid vom 16.01.2018 wies die bB den Antrag der bP auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" unter Zugrundelegung des orthopädischen Gutachtens ab. Angemerkt wurde, dass die Ausstellung des § 29b-Ausweises die Eintragung der Unzumutbarkeit voraussetze. Da die Voraussetzung für diese Eintragung nicht vorliege, bestehe kein Anspruch auf Ausstellung des § 29b-Ausweises.
In ihrer dagegen am 19.02.2018 erhobenen Beschwerde gab die bP an, dass ihrer Meinung nach im angeführten Gutachten ihre tatsächliche Beeinträchtigung nicht vollständig angeführt worden sei. Da sie alleinstehend sei, müsse sie sich um alle täglichen Belange alleine kümmern. Immer öfter sei sie aufgrund der Schmerzen in den Knien und Füßen nicht in der Lage, ohne Krücken aufzutreten. Es sei teilweise sehr schwierig, alle Besorgungen zu erledigen, da es ihr oft nicht einmal möglich sei, mehr als 150 m Wegstrecke zu Fuß zurückzulegen. Wäre sie, was ihr laut Gutachten zugemutet würde, auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, würde sie sich manchmal tagelang nicht selbst versorgen können. Mit zunehmendem Alter würden ihre Beschwerden immer schlimmer - auch dies habe im Gutachten keine Beachtung gefunden. Ihre ständig zunehmenden Rückenschmerzen aufgrund der falschen Belastung durch die Schmerzen beim Gehen und durch den Einsatz der Krücken sollten ihrer Meinung nach ebenfalls Beachtung finden. Es sei unzumutbar hier auch noch Einkaufstaschen oder sonstige Besorgungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu transportieren. Die ganze Situation belaste sie immer mehr. Aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigungen habe sie sogar einen Wohnungswechsel vom Eigenheim in eine kleine Wohnung mit Lift vorgenommen, um alleine zurecht zu kommen. Die Untersuchung sei zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden, als sie gerade eine gute Phase gehabt habe. Durch ihre schweren Verletzungen (auch organisch und neurologisch) sei sie ohnehin von den jeweiligen täglich unterschiedlichen Befindlichkeiten abhängig, meist spiele auch das Wetter eine große Rolle. Sie bitte dringend um Erstellung eines neuerlichen orthopädischen und neurologischen Gutachtens und hoffe dann auf die Berücksichtigung ihrer bestehenden und allfällig auftretenden Beeinträchtigungen. Im Gutachten sei ihre Mobilitätseinschränkung bestätigt worden, allerdings mute man ihr zu, eine "kurze Wegstrecke" von 300 bis 400 m zurücklegen zu können. An einem sehr guten Tag sei das vielleicht möglich, aber im täglichen Leben eben nicht. Ein sicheres Ein- und Aussteigen aufgrund der Beweglichkeit ihrer Gelenke sei ihr auch attestiert worden. Dies bedinge die Benützung der Krücken, wobei sie dann nichts tragen könne. Ein Rucksack funktioniere aufgrund ihrer Rückenschmerzen ebenfalls nicht.
2.0. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.
2.2. Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrundelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).
Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.02.2011, Zl. 2007/11/0142).
In dem für die Entscheidungsfindung der bB in Auftrag gegebenem Sachverständigengutachten wurde dem Auftrag der bB nicht entsprochen: In dem Gutachten wurde dem Erfordernis, sich mit den Leiden der bP in Zusammenhang mit der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auseinanderzusetzen, nicht Genüge getan. Der Sachverständige hat es unterlassen, sich mit den Fragen der Stand- und Gangsicherheit, der Halte- und Hantierfähigkeit, sowie mit der Möglichkeit des Ein- und Aussteigens zu befassen und diese zu erörtern.
Der Orthopäde hat sich, obwohl es Gutachtensauftrag war, nur marginal mit der Frage der Zumutbarkeit auseinandergesetzt. Die Stellungnahme des Sachverständigen betreffend die Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschöpft sich darin, dass das Sprunggelenks-, Knie- und Wirbelsäulenleiden die Mobilität einschränken würden, eine kurze Wegstrecke (300-400m) aber zurückgelegt werden könne. Die Beweglichkeit der Gelenke würde das sichere Ein- und Aussteigen und die Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel ermöglichen.
Die Aussage des Sachverständigen in seinem Untersuchungsbefund, wonach die Gesamtmobilität und das Gangbild unauffällig seien, widerspricht seiner Feststellung der Mobilitätseinschränkung aufgrund der Sprunggelenks-, Knie- und Wirbelsäulenleiden und dem im Ergebnis der durchgeführten Begutachtung festgestellten Knorpelschaden des linken Kniegelenks und die Sprunggelenksschmerzen links.
Der Gutachter hat sich - mit dem Wissen um die Bewegungseinschränkungen - nicht ausreichend mit der Frage der hinreichenden Mobilität auseinandergesetzt. Der Knorpelschaden des linken Kniegelenks und die Sprunggelenksschmerzen links, welche im Ergebnis der durchgeführten Begutachtung angeführt sind, wurden im Zuge der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht hinreichend einer Beurteilung und Würdigung unterzogen.
Der Sachverständige hat sich nur rudimentär mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich - wie bereits oben erläutert - die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Konkreten darstellt und wie die Krankheitsbilder bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zusammenspielen.
Es fehlt an einer plausiblen und schlüssigen Begründung, warum der Orthopäde, trotz Vorliegen genannter Leiden, das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, und somit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, bejaht.
In dem medizinischen Gutachten - dessen (alleiniger) Auftrag es war, die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu beurteilen - hätten nämlich die Auswirkungen der Gesundheitsschädigungen der bP auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt werden müssen.
Ohne diese Fragen abzuklären, ist der Sachverhalt nicht entscheidungsreif erhoben.
Wie der VwGH auch, wie bereits oben angeführt, aussprach, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.
Das Sachverständigengutachten hat die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt.
Zusammenfassend erfüllt das von der bB für seine Entscheidung herangezogene Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).
Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.
Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen Befund- und Beweislage getroffen.
Im fortgesetzten Verfahren wird durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Sachverhalt umfassend zu erheben und einer neuerlichen Beurteilung in Bezug auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, unter Zugrundelegung der konkreten Umstände des Falles, zuzuführen sein.
3.0. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:
-
Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF
-
Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF
-
Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF
-
Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF
-
Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2. Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; ...
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1 im Generellen und die in den Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho. Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Nach Ansicht des Gerichtes liegt zwar die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes für die Prüfung der Beschwerde vor. Eine Senatszuständigkeit, wie sie im § 45 Abs. 3 BBG normiert ist, wird dadurch aber nicht begründet. Dies ergibt sich u.a. aus § 28 iVm § 31 VwGVG in Zusammenschau mit der zitierten Bestimmung des BBG. Laut § 45 Abs. 3 BBG liegt eine zwingende Senatszuständigkeit hinsichtlich Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung vor. Im gegenständlichen Fall bedarf es aber keiner Entscheidung auf Grundlage der zitierten Bestimmung.
Schlussfolgernd liegt keine Zuständigkeit für einen Senat iSd § 45 Abs. 3 BBG, sondern eine Einzelrichterzuständigkeit iSd § 6 BVwGG vor.
3.3. Aus den angeführten Erwägungen wurde nach Ansicht des ho. Gerichtes das Ermittlungsverfahren der bB mangelhaft geführt und ist vor allem hinsichtlich der im Gutachten nicht vorgenommenen Erörterung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ebensolche durchzuführen.
Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor.
Zusammenfassend erfüllt das von der bB für seine Entscheidung herangezogene Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, 2002/06/0151).
Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.
Bei Einhaltung der gebotenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen hätte die bB ihre Entscheidung aufgrund einer anderen, nämlich umfassenderen, Befund- und Beweislage getroffen.
Durch die Zurückverweisung wird die Rechtssache nicht materiell erledigt, sondern es handelt sich um eine prozessuale Entscheidung. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVwGG leitet der Vorsitzende die Geschäfte des Senats und führt das Verfahren bis zur Verhandlung. Die dabei erforderlichen Beschlüsse bedürfen keines Senatsbeschlusses.
Da die gegenständliche Rechtssache für eine materielle Entscheidung mangels hinreichend feststehenden Sachverhaltes für den Senat noch nicht verhandlungs- bzw. entscheidungsreif war, ergibt sich die Zuständigkeit für diese Zurückverweisung als Einzelrichter und ist unter Zugrundelegung der oben angeführten Erwägungen der Bescheid nach § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.
Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice, durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.
3.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war und das Mehrbegehren zurückzuweisen war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen konnte.
3.5. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil im gegenständlichen Fall die Entscheidung als Einzelrichter gemäß § 6 BVwGG iVm § 28 Abs. 3 VwGVG von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Diesbezüglich liegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes Gründe vor, insbesondere aufgrund der im § 45 Abs. 3 BBG normierten Senatszuständigkeit, die auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage schließen lassen.
In diesem Sinne ist die Revision zulässig.
Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L517.2187410.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.02.2019