Entscheidungsdatum
10.12.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W161 2210276-1/3E
W161 2210150-1/4E
W161 2210279-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 07.11.2018, Zl. 1197751410-180631447 (ad 1.) und Zl. 1197752908-180631455 (ad 2.) und Zl. 119775300-180631463 (ad3.), zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als
unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin (1.BF) ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Zweit- und Drittbeschwerdeführer (2.BF und 3.BF), alle sind Staatsangehörige der Russische Föderation. Sie reisten gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten jeweils am 04.07.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.
Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.
2. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 05.07.2018 gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie sei mit ihren Kindern vor ca. 4 Monaten nach Moskau (Aufenthalt etwa 3 Monate) nach Weißrussland und von dort nach Polen weitergereist. Nach drei Wochen Aufenthalt in Polen seien sie über unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Sie wolle hier in Österreich blieben. Als Fluchtgrund gab die 1.BF an, ihr Ehemann habe sie in der Heimat ständig mit dem Umbringen bedroht und sehr oft geschlagen. Er habe auch die Kinder geschlagen und gedroht ihr die Kinder wegzunehmen und dann umzubringen.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 06.07.2018 betreffend die Beschwerdeführer ein auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO"), gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen, welchem die polnischen Behörden mit Schreiben vom 17.07.2018, beim BFA am 18.07.2018 eingelangt, gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO ausdrücklich zustimmten.
4. Am 25.07.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA im Beisein einer Dolmetscherin und einer Rechtsberaterin nach durchgeführter Rechtsberatung. In dieser Einvernahme gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren. Befragt nach Erkrankungen gab die 1.BF an, sie habe nachts immer stechende Schmerzen im Herzbereich. Sie sei in Österreich noch nicht beim Arzt gewesen, jedoch in Russland. Sie habe die Beschwerden, seit sie ihr Mann sie in der Heimat geschlagen habe, das sei vor ca. drei Jahren gewesen. Sie sei hier bei einem Psychologen gewesen. Dieser habe ihr aber keinen Befund gegeben. In der Nacht erinnere sie sich an alles und bekomme zitternde Hände. Danach habe sie die Herzschmerzen und Probleme zu atmen. Dann könne sie nicht einschlafen. Ihr Sohn XXXX werde auch zum Psychologen gehen, sobald er eine Versicherung bekomme. Er habe alles mit ansehen müssen und sei ebenfalls angeschlagen. Er habe wieder angefangen bettzunässen und habe Angst, wenn er Männer sehe. Sie habe in Österreich außer ihren mitgereisten Kindern keine Verwandten. Bei der Einvernahme in Polen habe man ihr gesagt, dass ihr Mann sie dort finden könne. Sie habe nicht vorgehabt, weiter zu fahren, sie hätte nur von ihrem Mann weggewollt. Als sie in Polen gewesen wäre, sei sie von ihrem Mann angerufen worden. Er arbeite bei der Polizei und habe ihr gesagt, er hätte schon Leute geschickt, um sie und ihre Kinder abzuholen. Sie habe Angst bekommen und Polen deshalb verlassen. Befragt nach einem konkreten Vorfall in Polen gab die 1. BF an es habe nur den Anruf ihres Mannes gegeben. Wenn sie gewartet hätte, würde er vielleicht wirklich kommen. Sie habe nicht von Russland wegwollen, sei aber deswegen dazu gezwungen worden. Sie fürchte sich vor Polen, weil sie Angst habe, dort sehr leicht von ihrem Mann gefunden zu werden. Sie habe in Polen bereits eine Einvernahme gehabt, eine Entscheidung sei ihr nicht mitgeteilt worden.
5. Eine vom BFA veranlasste gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 16.09.2018 durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychosomatische- und Psychotherapeutische Medizin und Psychotherapeutin ergibt, dass bei der 1.BF aus aktueller Sicht weder eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung noch sonstige psychische Krankheitssymptome vorliegen. Die Schlussfolgerung im Gutachten lautet:
"Zur Zeit der Befundaufnahme präsentiert sich eine ruhige, in Affekt und Stimmung gelassene junge Frau, ohne Zeichen von Angst oder Verstörung aufzuweisen, auch nicht bei potentiell traumatischen Themen. Es finden sich keine Änderungen in Affekt und/oder Prosodie/sonstiger nonverbaler Zeichen.
Die Träume nicht als Kriterium B zu werten. (Für das Stellen einer PTSD müssen Kriterium A - potentiell traumatische Ereignis- und Kriterium B - kausal in Zusammenhang stehende intrusive Symptomatik - vorhanden sein., Anm.)
Weder finden sich heute Symptome einer affektiven Störung, noch solche einer Traumafolgestörung oder sonstiger F-Diagnose.
Fakt ist, dass ein Schwangerschaftsabbruch bei ungewollter Schwangerschaft vorgenommen wurde. Siehe Befunde. "
Bei der Ärztin gab die 1. BF erstmalig an, sie sei in Polen von einem Schlepper vergewaltigt und schwanger geworden. Sie habe dann in Österreich die Schwangerschaft abbrechen lassen. Sie habe dies nicht anzeigen können, der Mann habe ihr gedroht, sie sonst umzubringen. Sie gab bei der Untersuchung an, die Vergewaltigung in Polen durch den Schlepper spreche aus ihrer Sicht gegen eine Überstellung dorthin. Sie habe Angst vor diesem Mann. In Österreich gäbe es mehr Schutz.
6. Am 21.09.2018 brachten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein, in welcher insbesondere ausgeführt wird, durch die Vergewaltigung der 1.BF sei ihr in Polen erneut schwerste körperliche Gewalt angetan worden und sei sie dieser schutzlos ausgeliefert gewesen. Die 1.BF fühle sich daher in Polen absolut nicht sicher und könne daher nicht dorthin zurückkehren, da sie als alleinstehende Frau mit zwei kleinen Kindern, die bereits Opfer von Gewalt geworden wären, offenbar trotz ihrer besonderen Vulnerabilität keine ausreichende Unterstützung und Schutz erhalten. Es sei offensichtlich, dass die 1.BF als alleinstehende Frau und besonders vulnerable Person, die bereits schlimmste Gewaltserfahrungen - darunter auch sexuelle - in Polen gemacht habe, erneut gefährdet sei, Opfer von Gewalt zu werden.
Der Stellungnahme angeschlossen ist ein klinisch-psychologischer Befundbericht einer Psychologin und Psychotherapeutin vom 06.09.2018 in welchem als diagnostische Schlussfolgerung festgehalten wird, die
1. BF zeige ausgeprägte schwere Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nach psychischen und physischen Traumata mit klinisch relevanten Symptomen und Flashbacks nach ICD-10, F43. Die anhaltende Unsicherheit ihrer Lebenssituation, jede weitere Zwangsmaßnahme und die damit verbundene Unterbrechung einer sicherlich absolut notwendigen fachärztlichen und psychologischen Betreuung, müsse als zusätzliche traumatische Erfahrung mit wahrscheinlicher Retraumatisierung angenommen werden.
7. Am 18.10.2018 wurde die 1.BF neuerlich vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Sie gab an sie habe bisher im Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Befragt nach dem bei der PSY III-Untersuchung angegebenen Vorfall in Polen gab sie an:
"Ich war in einer Betreuungsstelle in Polen untergebracht. Ich musste Polen aber verlassen und eine Frau sagte mir dort, dass ein einen Mann gibt, der mich nach Österreich bringen könnte. Ich traf in nicht weit von der Betreuungsstelle und erklärte sich bereit, mich nach Österreich zu bringen. Der Mann verlangte von mir, 80.000,- Rubel. Ich hatte aber nicht so viel Geld bei mir und der Mann meinte, ich müsste abwarten, bis mehrere Menschen für die Fahrt beisammen wären, damit der Einzelpreis billiger werden würde. Der Mann meinte auch, dass es eine Wohnung gäbe, wo mehrere Frauen auf die Weiterreise warten würden und schlug mir vor, dass ich dort gemeinsam mit meinen Kindern bis zur Abreise Unterkunft nehmen solle. Der Mann brachte uns zu der Wohnung. Ich konnte dort keine anderen Frauen wahrnehmen und der Mann meinte, dass diese erst nachher kommen werden. Er sperrte uns in der Wohnung ein und ließ uns dort zurück. Nach ein paar Tagen kam er zurück und teilte mir mit, dass es keine anderen Frauen gibt, die mitfahren würden. Ich hatte nur 30.000,- Rubel bei mir. Er schlug mir vor, dass ich ihm das gesamte Geld und meinen Schmuck geben solle und mit ihm Geschlechtsverkehr haben solle, um die Reisekosten zu bezahlen. Ich wollte keinen Geschlechtsverkehr mit diesem Mann. Er sperrte die Kinder dann in einem anderen Raum ein und vergewaltigte mich. Ich wehrte mich, aber er schlug mich und zerrte mich an Haaren. Ich hatte keine Möglichkeit, der Vergewaltigung zu entgehen, da er mir körperlich überlegen war. Nachgefragt wie oft mich der Mann vergewaltigt hat, gebe ich an, dass er mich zu diesem Zeitpunkt einmal vergewaltigt hat und am nächsten Tag, sowie am Tag der Ausreise nochmals vergewaltigt hat. Ich hatte mit ihm Geschlechtsverkehr und er forderte von mir auch, dass ich seinen Penis in den Mund nehme, was ich aber verweigerte und er schlug mich wieder. Ich wollte aus der Wohnung fliehen, um ihn bei der Polizei anzuzeigen, aber ich konnte die Wohnungen nicht verlassen, da sie versperrt war. Bei der Abreise drohte er mir, falls ich versuchen sollte zu fliehen oder ihn anzuzeigen, dass er mich umbringen würde und dass er mir und meinen Kinder etwas antun würde. Ich hatte auf der gesamten Fahrt nach Österreich Angst, dass er uns etwas antun würde."
In ihrer weiteren Einvernahme gab sie an sie sei drei Wochen in Polen gewesen nach ca. zwei Wochen habe sie die Betreuungsstelle verlassen müssen aus Angst vor ihrem Mann, da dieser ihr telefonisch angedroht hätte, sie und die Kinder abzuholen. In der Wohnung des Schleppers sei sie ein wenig mehr als eine Woche untergebracht gewesen, anschließend seien sie gleich nach Österreich gefahren. Sie habe den Schlapper seit ihrer Ankunft in Österreich nicht mehr gesehen und auch keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt. Sie hätte zwar eine Anzeige in Polen machen wollen, aber der Mann habe sie und die Kinder bedroht. Sie habe erst nach ihrer Ankunft in Österreich bemerkt, dass sie schwanger sei. Sie möchte noch angeben, dass sie Kontakt zu ihrer Mutter habe. Diese hätte ihr mitgeteilt, dass ihr Ehemann gegen sie Anzeige wegen Entführung der Kinder erstattet hätte. Außerdem habe er angegeben, dass die 1.BF nach Syrien ausgereist wäre, um dort als Terroristin tätig zu sein. Sollte sie nach Russland zurückkehren müssen, würden die Behörden sie verhaften und es sei gelichgültig, ob sie wirklich in Syrien gewesen wäre oder nicht. Es sei alles vollständig und richtig protokolliert worden.
8. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die Bescheide enthalten jeweils eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, insbesondere zum polnischen Asylverfahren, einschließlich der Beschwerdemöglichkeiten gegen Entscheidungen der ersten Instanz, zur Möglichkeit der Inhaftierung von Asylwerbern, zum Non-Refoulement-Schutz, zu Versorgungsleistungen, wie etwa Unterbringungseinrichtungen und medizinische Versorgung, sowie zur Situation von sogenannten "Dublin-Rückkehrern" und Schutzberechtigten, sowie Ausführungen über die Betreuung von Vulnerablen, zu denen insbesondere auch alleinerziehende Elternteile zählen.
Konkret enthalten die Bescheide nachstehende Feststellungen zu Polen:
1. Allgemeines zum Asylverfahren
In erster Instanz für das Asylverfahren in Polen zuständig ist das Office for Foreigners (Urzad do Spraw Cudzoziemcow, UDSC), das dem Innenministerium untersteht. Es gibt ein mehrstufiges Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten:
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(AIDA 2.2017; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle)
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland, Zugriff 3.11.2017
2. Dublin-Rückkehrer
Es gibt keine Berichte über Zugangshindernisse zum Verfahren für Dublin-Rückkehrer. Personen, die im Rahmen der Dublin-Bestimmungen nach Polen zurückkehren, müssen bei der Grenzwache einen Asylantrag stellen oder die Wiedereröffnung eines etwaigen vorherigen Verfahrens beantragen. So eine Wiedereröffnung ist innerhalb von neun Monaten ab dessen Einstellung möglich. Sind diese neun Monate verstrichen, wird ihr Antrag als Folgeantrag betrachtet und auf Zulässigkeit geprüft. 2016 gab es keinen einzigen Fall, in dem ein Verfahren innerhalb der Neun-Monatsfrist wiedereröffnet worden wäre. Viele Rückkehrer zogen hingegen die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland einer Wiedereröffnung ihrer Verfahren vor. Dublin-Rückkehrer sind zu denselben Bedingungen zu Versorgung in Polen berechtigt wie alle anderen Antragsteller (AIDA 2.2017; vgl. EASO 24.10.2017).
Das medizinische Personal der Grenzwache beurteilt den Gesundheitszustand eines Rückkehrers nach seiner Überstellung nach Polen, auch im Hinblick auf seine speziellen Bedürfnisse. Außerdem werden im Einvernehmen mit dem Fremdenamt (UDSC) und dem medizinischen Personal die Möglichkeiten der Anpassung der Aufenthaltsverhältnisse in Polen an die gesundheitliche Situation des Antragstellers bzw. die eventuelle Notwendigkeit, ihn in einer fachlichen medizinischen Einrichtung unterzubringen, abgesprochen. Abhängig von dem Zustand der motorischen Fähigkeit des Ausländers stellt die Grenzwache den Transport eines bedürftigen Rückkehrers zum Aufnahmezentrum, einer medizinischen Einrichtung (falls er einer sofortigen Hospitalisierung bedarf) oder einer fachlichen medizinischen Einrichtung sicher. Personen mit einer vorübergehenden oder dauerhaften motorischen Behinderung, die eines Rollstuhls bedürfen, werden in einem für die Bedürfnisse der motorisch Behinderten angepassten Zentrum untergebracht. Falls der Ausländer einer Rehabilitation bedarf, wird medizinische Ausrüstung sichergestellt. Das medizinische Personal des Flüchtlingszentrums bestimmt die Bedürfnisse des Rückkehrers im Bereich der Rehabilitation und der medizinischen Ausrüstung. Es besteht die Möglichkeit, eine vom Arzt verordnete Diät anzuwenden. Das Fremdenamt garantiert einen Transport zu fachärztlichen Untersuchungen oder Rehabilitation. Der Transport zu ärztlichen Terminen in medizinischen Einrichtungen wird garantiert. Antragsteller, die schwer behindert, pflegebedürftig oder bettlägerig sind, deren Pflege in einem Flüchtlingszentrum nicht gewährleistet werden kann, werden in speziellen Pflegeanstalten oder Hospizen untergebracht. Diese Einrichtungen garantieren medizinische Leistungen samt der notwendigen Rehabilitation für Behinderte rund um die Uhr und professionell ausgebildetes Personal (VB 7.7.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query.
Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail
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VB des BM.I in Polen (7.7.2017): Bericht der polnischen Asylbehörde, per E-Mail
3. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable
Als vulnerabel gelten in Polen laut Gesetz Minderjährige, Behinderte, Alte, Schwangere, alleinerziehende Elternteile, Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke, psychisch Beeinträchtigte, Folteropfer und Opfer psychischer, physischer bzw. sexueller Gewalt. Am Anfang und während des Asylverfahrens sind vom Gesetz gewisse medizinische und psychologische Identifikationsmechanismen vorgesehen und werden auch angewendet, wenn auch die Initiative dazu oft vom Antragsteller ausgehen muss. An der Grenze wendet die Grenzwache eigene Identifizierungsmechanismen für Vulnerable an, die von NGOs als ungenügend kritisiert werden. Einige NGOs behaupten, dass das im polnischen Gesetz vorgesehene Identifikationssystem für Vulnerable in der Praxis nicht funktioniere (AIDA 2.2017).
Die für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen zuständige Vertragsfirma Petra Medica ist vertraglich verpflichtet, einen Früherkennungsmechanismus für Vulnerable zu betreiben. Psychologische Versorgung inklusive Übersetzung ist in allen Unterbringungseinrichtungen vorhanden. Verfahren vulnerabler Personen werden priorisiert und alle Beamten im Umgang mit Vulnerablen geschult. Das Verfahren zur Identifizierung Vulnerabler wurde im Zuge eines Projekts mit einer NGO entwickelt. Die Bewertung spezieller Bedürfnisse geschieht durch einen Arzt während der Erstuntersuchung (epidemiologischer Filter). Werden psychische Probleme erkannt, wird der Betreffende zu einem Psychologen überwiesen. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt Hinweise auf Vulnerabilität aufkommen, wird ebenfalls eine psychologische Untersuchung veranlasst. Gleiches gilt bei Hinweisen auf Folter. Wenn auch von NGOs behauptet wird, die Identifizierung der Vulnerabilität funktioniere in der Praxis nicht immer, kann Polen dennoch als positives Beispiel genannt werden, da der Identifikationsmechanismus verpflichtend ist, und konkrete Umsetzungsmaßnahmen festgelegt wurden (HHC 5.2017).
In Polen gibt es drei NGOs, die sich auf die psychologische Betreuung von vulnerablen Asylwerbern spezialisieren. Die NGO International Humanitarian Initiative arbeitet in Warschau und besucht nötigenfalls auch geschlossene Einrichtungen. Sie betreiben auch das Projekt "Protect" für Folteropfer. Die NGO Ocalenie Foundation arbeitet auch in Warschau und hat einen Psychologen, der Russisch und Englisch spricht. Die dritte ist die Stiftung Róznosfera, welche 2015-2016 ein Projekt mit Grenzwache und Asylbehörde zur Identifizierung von Vulnerablen betrieben hat. Andere NGOs bieten psychologische Hilfe aus finanziellen Gründen nur eingeschränkt und unregelmäßig an (AIDA 2.2017).
Antragsteller mit besonderen Bedürfnissen sind auch entsprechend unterzubringen. Einige der Unterbringungszentren in Polen sind behindertengerecht angepasst. Drei Zentren haben spezielle Eingänge und Bäder für Rollstuhlfahrer, sieben andere Zentren haben gewisse Verbesserungen für diese Gruppe umgesetzt, und es gibt Rehabilitationsmaßnahmen. Traumatisierte Asylwerber (etwa Folteropfer) können in Einzelzimmern untergebracht werden. In Warschau gibt es ein Zentrum, speziell für alleinstehende Frauen mit Kindern. Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).
Wenn Zweifel an der Minderjährigkeit eines Antragstellers bestehen, ist, mit Zustimmung des Antragstellers bzw. seines Vertreters, eine medizinische Altersfeststellung vorgesehen. Es gibt drei Möglichkeiten hierfür: allgemeine Untersuchung, Handwurzelröntgen und Zahnuntersuchung, in dieser Reihenfolge. Im Zweifelsfall wird die Minderjährigkeit angenommen. Wird die Zustimmung zur Altersfeststellung verweigert, wird der Betreffende als Erwachsener behandelt. Die Gesetze sehen vor, dass für unbegleitete Minderjährige auf Antrag der Asylbehörde vom lokalen Bezirksfamiliengericht ein Vormund (kurator) bestimmt werden muss, was in der Praxis auch ausnahmslos der Fall ist. Die Frist zur Bestellung beträgt drei Tage. Es gibt keine Berichte zur Einhaltung dieser Regel. Der Vormund ist nur für das Asylverfahren zuständig, nicht für andere Lebensbereiche des UMA. In den letzten Jahren gab es in der Praxis Probleme mit der zu geringen Zahl an Kandidaten für eine Vormundschaft. Meist wurden NGO-Mitarbeiter oder entsprechend engagierte Rechtswissenschaftsstudenten bestellt. Der Vormund soll während des Asylinterviews des unbegleiteten Minderjährigen anwesend sein, ebenso ein Psychologe (AIDA 2.2017).
Unbegleitete Minderjährige (UM) werden nicht in den herkömmlichen Unterbringungszentren für Asylwerber, sondern in verschiedenen Kinderschutzeinrichtungen in ganz Polen untergebracht. Auch die Unterbringung in Pflegefamilien ist möglich. 2016 waren die meisten UM (142 Anträge von UM gab es in jenem Jahr) in Einrichtungen in Ketrzyn, in der Nähe des dortigen Unterbringungszentrums untergebracht, andere auch in Przemysl oder Rzeszów. Wenn das Asylverfahren negativ ausgeht, bleibt der UM in der Unterbringung, in der er sich befindet. 2016 wurden zwölf Verfahren von UM eingestellt, weil sich diese dem Verfahren entzogen (absconded) (AIDA 2.2017). Unbegleitete Minderjährige unter 15 Jahren dürfen nicht in geschlossenen Einrichtungen untergebracht werden (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017
4. Non-Refoulement
Gemäß polnischem Asylgesetz gilt ein Asylantrag als unzulässig, wenn ein anderes Land existiert, in dem der Antragsteller als Flüchtling behandelt wird und dort Schutz genießen kann bzw. in anderer Form vor Refoulement geschützt ist (first country of asylum). 2016 gab es in Polen 770 Unzulässigkeitsentscheidungen, aber es gibt keine Daten, wieviele davon auf die genannte Regelung zurückgehen (AIDA 2.2017).
Es gibt Berichte, wonach immer wieder potentiellen Antragstellern an der Grenze zu Weißrussland die Einreise nach Polen und der Zugang zum Asylverfahren verwehrt wird (AIDA 2.2017). Stattdessen werden sie nach Belarus zurückgeschickt. Die Grenzwache sagt, dass jene, denen die Einreise verweigert wurde, Wirtschaftsmigranten ohne Visa gewesen seien, die lediglich nach Westeuropa weiterreisen wollten (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). NGOs kritisieren, dass die Grenzwache diese Erkenntnis aus lediglich rudimentären zwei- bis dreiminütigen Befragungen (pre-screening interviews) gewinne. Das polnische Außenministerium wiederum sagt, dass das Gebiet, auf dem diese pre-screening interviews stattfinden, nicht polnisches Territorium sei (HRW 15.6.2017). Es wird weiter kritisiert, dass Belarus über kein funktionierendes Asylsystem verfüge, und daher die hauptsächlich tschetschenischen bzw. zentralasiatischen Schutzsuchenden einem Risiko ausgesetzt seien, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden und dort Opfer von Folter oder Misshandlung zu werden. Diese Praxis dauert angeblich trotz mehrerer interim measures des EGMR weiter an (AI 5.7.2017).
Quellen:
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/336602/479283_de.html, Zugriff 10.11.2017
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AI - Amnesty International (5.7.2017): Public Statement: Poland:
EU Should Tackle Unsafe Returns to Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1499329689_eur3766622017english.pdf, Zugriff 10.11.2017
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HRW - Human Rights Watch (15.6.2017): Poland Ignores European Court Over Return of Asylum Seeker, https://www.ecoi.net/local_link/341960/485286_de.html, Zugriff 10.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017
5. Versorgung
Asylwerber müssen sich binnen zwei Tagen ab Antragstellung in einem Erstaufnahmezentrum registrieren, ansonsten wird das Verfahren eingestellt. Ab Registrierung im Erstaufnahmezentrum sind sie während des gesamten Asylverfahrens sowie ohne Unterschied zu materieller Unterstützung berechtigt, auch im Zulassungs- und im Dublinverfahren sowie bei Folgeanträgen und während laufender erster Beschwerde. Wenn Antragsteller nach einer erfolglosen Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid den Beschwerdeweg weiter beschreiten (Beschwerde an den Voivodeship Administrative Court in Warschau; 2. Beschwerdeinstanz), wird ihnen das Recht auf Versorgung aberkannt. Wenn das Gericht die angefochtene Entscheidung suspendiert, wird dem Beschwerdeführer das Recht auf Versorgung wieder zuerkannt. Jedoch hat der Voivodeship Administrative Court dies im Jahr 2016 meist nicht getan, was dazu führte, dass die betroffenen Beschwerdeführer ohne staatliche Versorgung blieben (AIDA 2.2017).
Generell werden Unterbringung, materielle Hilfe und Gesundheitsversorgung bis zu zwei Monate nach der endgülitigen Entscheidung im Asylverfahren (positiv wie negativ) gewährt. Wird das Verfahren allerdings schlicht eingestellt (z.B. in der Zulassungsphase), verkürzt sich dieser Zeitraum auf 14 Tage. Da Antragsteller mit einer abschließend negativen Entscheidung Polen binnen 30 Tagen zu verlassen haben und keine Versorgung mehr gewährt wird, wenn sie diese Frist zur freiwilligen Ausreise verstreichen lassen, werden sie in der Praxis nur für 30 Tage weiterversorgt. Einzelne Asylwerber berichten jedoch, dass ihnen sogar ein längerer Verbleib im Zentrum gestattet wurde als rechtlich vorgesehen. Versorgung wird in Polen auch ohne Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des AW gewährt. Für AW, die außerhalb des Zentrums wohnen, gibt es eine Zulage (AIDA 2.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
5.1. Unterbringung
Asylwerber, die in einem Zentrum leben, erhalten Unterkunft, medizinische Versorgung, Mahlzeiten (oder PLN 9,-/Tag für Selbstverpflegung), Taschengeld (PLN 50,-/Monat), Geld für Hygieneartikel (PLN 20,-/Monat), eine Einmalzahlung für Bekleidung (PLN 140,-), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten) und Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Asylwerber, die außerhalb der Zentren leben, erhalten eine finanzielle Beihilfe (von PLN 25,-/Tag für eine Einzelperson; bis hin zu PLN 12,50/Tag und Person für Familien mit vier oder mehr Familienmitgliedern), einen Polnisch-Sprachkurs und Unterrichtsmaterialien, Unterstützung für Schulkinder (plus außerschulische Aktivitäten), Geld für notwendige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und medizinische Versorgung. 2016 erhielten durchschnittlich 1.735 Asylwerber Versorgung innerhalb der Zentren und 2.416 außerhalb der Zentren. Die Höhe der Unterstützungen liegt unter dem sogenannten "sozialen Minimum" und wird als zu gering kritisiert, um in Polen außerhalb der Zentren einen angemessenen Lebensstandard führen zu können. Vor allem Mieten in Warschau, wo die meisten AW ihr Asylverfahren abwickeln, sind damit schwer abzudecken. Dies trage dazu bei, dass AW oft zu mehreren in beengten Wohnungen oder unsicheren Verhältnissen lebten und oft illegaler Beschäftigung nachgehen müssten. Selbst für Familien reiche die Unterstützung gerade einmal für die Miete (AIDA 2.2017).
In Polen gibt es elf Unterbringungszentren mit insgesamt 2.331 Plätzen. Zwei der Zentren dienen der Erstaufnahme. Mit Überbelegung gibt es keine Probleme. Alle Zentren unterstehen der polnischen Asylbehörde UDSC, sieben der Zentren werden von Vertragspartnern geführt. Die Unterbringungsbedingungen in den Zentren sind unterschiedlich. Gewisse Grundlagen müssen erfüllt werden, der Rest ist abhängig vom Willen und den finanziellen Möglichkeiten des Vertragspartners. Es gibt keine speziellen Zentren für AW im Grenzverfahren oder in Transitzonen (AIDA 2.2017).
Antragsteller dürfen sechs Monate nach Antragstellung arbeiten. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist wegen mangelnden Sprachkenntnissen usw. in der Praxis aber potentiell schwierig (AIDA 2.2017).
Es gibt spezielle Gegenmaßnahmen der Behörden in Kooperation mit UNHCR und NGOs (sogenannte Local Cooperation Teams) gegen geschlechterbasierte Gewalt in den Unterbringungszentren (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017). UNHCR und NGOs berichten über keine größeren oder anhaltenden Probleme von Missbrauch in den Zentren (USDOS 3.3.2017).
Polen verfügt außerdem über sechs geschlossene Unterbringungszentren (guarded centers) in Biala Podlaska, Bialystok, Lesznowola, Ketrzyn, Krosno Odrzanskie, und Przemysl mit zusammen 510 Plätzen (AIDA 2.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Poland, https://www.ecoi.net/local_link/337193/479957_de.html, Zugriff 10.11.2017
5.2. Medizinische Versorgung
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Asylwerber in Polen mit laufendem Asylverfahren haben bezüglich medizinischer Versorgung, mit der Ausnahme von Kurbehandlungen, dieselben Rechte wie polnische Staatsbürger. Aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde ist die Firma Petra Medica für die medizinische Versorgung von Asylwerbern verantwortlich, genauer medizinische Basisversorgung, Spezialbehandlung, Zahnbehandlung, Versorgung mit Medikamenten und psychologische Betreuung. Die psychologische Betreuung steht sowohl in den Asylzentren, wenn Asylwerber dort wohnhaft sind, aber auch in den Beratungsstellen der Asylbehörde in Warschau, für die diejenige, die außerhalb der Zentren wohnen, zur Verfügung. Die folgenden Leistungen werden im Rahmen der psychologischen Betreuung angeboten:
psychologische Unterstützung, Bildungsaktivitäten, Psychotherapie in Form einer kognitiven Verhaltenstherapie und Krisenintervention. Die erwähnten Maßnahmen basieren auf Standards der polnischen Psychologischen Vereinigung. Wenn die Notwendigkeit einer fachärztlichen Behandlung festgestellt wird, wird der Patient entsprechend seines Alters in eine Klinik für psychische Gesundheit für Kinder oder Erwachsene eingewiesen (UDSC 19.6.2017).
Asylwerber in Polen haben ab Antragstellung das Recht auf medizinische Versorgung, das auch dann weiterbesteht, wenn die materielle Versorgung, aus welchen Gründen auch immer, reduziert oder eingestellt wird. Gesetzlich garantiert ist medizinische Versorgung im selben Ausmaß wie für versicherte polnische Staatsbürger. Die medizinische Versorgung von AW wird öffentlich finanziert. Seit 1.7.2015 wird die medizinische Versorgung von AW durch die Vertragsfirma Petra Medica gewährleistet. Sie umfasst in jedem Unterbringungszentrum auch psychologische Versorgung. Pro 120 AW sind vier Stunden Zuwendung durch einen Psychologen vorgesehen. Das umfasst Identifizierung von Vulnerablen und grundlegende Behandlung. AW können aber auch an Psychiater oder psychiatrische Einrichtungen überwiesen werden. NGOs zeigen sich damit nicht zufrieden, beklagen den Mangel an PTSD-Behandlungen und einige NGOs meinen sogar, die spezialisierte Behandlung von traumatisierten AW und Folteropfern wäre in Polen nicht möglich. Zusätzlich bieten NGO-Psychologen in Unterbringungszentren ihre Dienste an, in manchen Zentren aber nicht regelmäßig. Die Psychologen in den Unterbringungszentren sprechen in der Regel auch Russisch. Darüber hinausgehende Übersetzung wird durch die zuständige Abteilung der Petra Medica gewährleistet. Manchmal ist bei der medizinischen Behandlung die Übersetzung bzw. mangelnde interkulturelle Kompetenz des medizinischen Personals ein Problem. Ebenfalls ein Problem ist, dass einige der Spitäler, die mit Petra Medica in der Behandlung von Asylwerbern zusammenarbeiten, weit von den Unterbringungszentren entfernt liegen, während die nächstgelegenen medizinischen Einrichtungen von Asylwerbern nur im Notfall frequentiert werden dürfen (AIDA 2.2017; vgl. HHC 5.2017).
Petra Medica ist aufgrund einer Vereinbarung mit der polnischen Asylbehörde verantwortlich für die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Polen. In den Empfangszentren wird ein Gesundheits-Check, darunter auch der sogenannte epidemiologische Filter auf Tuberkulose, Infektionskrankheiten, Geschlechtskrankheiten und parasitäre Erkrankungen, vorgenommen. In den Unterbringungszentren wird ambulante medizinische Versorgung, darunter medizinische Grundversorgung, Zahnbehandlung, psychologische Betreuung und Versorgung mit Medikamenten geboten. Wenn nötig, werden Patienten für Tests oder Spezialbehandlung in medizinische Einrichtung der Petra Medica oder andere Vertragseinrichtungen überwiesen. Psychologische Betreuung findet im Zentrum statt, in Spezialfällen kann auch in spezialisierte Kliniken überwiesen werden. Rehabilitationsmaßnahmen sind mit Genehmigung der Abteilung Sozialwohlfahrt der UDSC möglich. Wenn AW außerhalb der Zentren leben, erhalten sie die Behandlung ebenfalls in den oben genannten Einrichtungen oder in relevanten Einrichtungen in den Hauptstädten der Woiwodschaften (Verwaltungsbezirke, Anm.). Wenn nötig, kann eine Überweisung in das nächstgelegene Krankenhaus erfolgen, das mit Petra Medica zusammenarbeitet. Außerhalb des Zentrums konsumierte Leistungen werden über Petra Medicas Patient Registration Coordinator serviciert (werktags zu den Bürozeiten). Wenn ein Patient sich dorthin wendet und er die nötigen Daten bereitstellen kann, wird die Behandlung genehmigt, Einrichtung und Datum für die Durchführung der Leistung ermittelt und dem Betreffenden mitgeteilt. Bei Akutfällen, in der Nacht und an Feiertagen, stehen entweder die übliche landesweite Versorgung bzw. medizinische Notdienste zur Verfügung. Um in den Unterbringungszentren und beim Foreigner Service Team Medikamente zu erhalten, ist eine entsprechende Verschreibung nötig. Wer außerhalb der Zentren lebt und Sozialhilfezahlungen erhält, kann verschriebene Medikamente erhalten, indem er das Rezept an Petra Medica schickt oder diese selbst kauft und sich die Kosten hinterher ersetzen lässt (UDSC 12.12.2016; vgl. PM o.D.).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
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HHC - Hungarian Helsinki Committee (5.2017): Unidentified and Unattended. The Response of Eastern EU Member States to the Special Needs of Torture Survivor and Traumatised Asylum Seekers, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504851185_2017-05-hhc-unidentified-and-unattended.pdf, Zugriff 9.11.2017
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MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016):
Auskunft MedCOI, per E-Mail
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PM - Petra Medica (o.D.): Opieka medyczna dla Cudzoziemców, http://www.petramedica.pl/nasza-oferta/oferta-dla-pacjentow-indywidualnych/opieka-medyczna-dla-cudzoziemcow, Zugriff 10.11.2017
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UDSC - Urzad do Spraw Cudzoziemców (12.12.2016): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail
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UDSC - Urzad do Spraw Cudzoziemców (19.6.2017): Auskunft der polnischen Asylbehörde, per E-Mail
6. Schutzberechtigte
Internationaler Schutz wird unbefristet erteilt. Die Aufenthaltskarte, welche die Nutznießer erhalten, ist aber immer nur für drei Jahre gültig (verlängerbar). Subsidiärer Schutz sowie Humanitärer Schutz werden ebenfalls unbefristet erteilt. Die Aufenthaltskarte, welche die Nutznießer in beiden Fällen erhalten, ist aber immer nur für zwei Jahre gültig (verlängerbar). Nach frühestens fünf Jahren legalen Aufenthalts in Polen können Fremde unter bestimmten Voraussetzungen eine Langzeitaufenthaltsberechtigung beantragen (AIDA 2.2017).
Schutzberechtigte dürfen nach Erhalt der Entscheidung noch für max. zwei Monate in der Unterbringung für Asylwerber bleiben. Sie genießen volle Niederlassungsfreiheit in ganz Polen. Der Staat bietet keine eigenen Unterbringungsmöglichkeiten für Schutzberechtigte, nur einige Gemeinden bieten spezielle Wohnungen zu diesem Zweck an (z.B. fünf pro Jahr in Warschau). Innerhalb des zwölf Monate dauernden Individual Integration Program (IPI), erhalten Schutzberechtigte jedoch eine Zulage für das Anmieten einer Wohnung. Berichten zufolge vermieten aber viele Vermieter nicht gerne an Flüchtlinge bzw. verlangen höhere Mieten. Manche NGOs meinen, Flüchtlinge würden sich in Polen Obdachlosigkeit und Armut gegenübersehen. Schutzberechtigte haben in Polen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt wie polnische Bürger, jedoch sind in der Praxis Sprachkompetenz und Qualifikation der Flüchtlinge oft ein Problem. Schutzberechtigte haben Zugang zum allgemeinen polnischen Sozialsystem wie polnische Bürger auch. Humanitär Aufenthaltsberechtigte oder Geduldete (tolerated stay) haben lediglich Zugang zu Unterbringung, Verpflegung, Kleidung und speziell gewidmeten Leistungen. Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte müssen sich krankenversichern und haben dann Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem wie polnische Bürger. Innerhalb des zwölf Monate dauernden Individual Integration Program (IPI), wird die Krankenversicherung noch von der öffentlichen Hand übernommen, danach muss diese entweder von einem etwaigen Arbeitgeber oder vom Schutzberechtigten selbst übernommen werden. Kinder unter 18 Jahren haben immer Zugang zu medizinischer Versorgung, die in ihrem Fall voll vom Staat übernommen wird. Die Krankenversicherung in Polen deckt die meisten medizinischen Behandlungen ab, lediglich einige Zahnbehandlungen, Medikamentenkosten und einige Heilbehelfe sind nicht umfasst. Das Polish Centre for Rehabilitation of Torture Victims der Foundation International Humanitarian Initiative bietet Folteropfern und Traumatisierten im Rahmen von Projekten Hilfe (AIDA 2.2017).
Quellen:
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AIDA - Asylum Information Database (2.2017): HFHR - Helsinki Foundation for Human Rights, ECRE - European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Poland http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_pl_update.v_final.pdf, Zugriff 6.11.2017
Soweit sich das Bundesamt im gegenständlichen Bescheid auf Quellen älteren Datums beziehe, werde angeführt, dass diese aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse in Polen nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.
Begründend wurde hervorgehoben die Identität der Beschwerdeführer stehe fest. Die 1.BF habe am XXXX einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt. Die Zuständigkeit Polens für die Asylverfahren ergäbe sich aus Art. 18 Abs.1 lit.c Dublin III-VO. Im Verfahren sei kein im besonderen Maße substantiiertes glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Die Beschwerdeführer wären in Polen keiner Verfolgung oder Misshandlung ausgesetzt. Im Verfahren hätten sich keine Hinweise ergeben, dass die Beschwerdeführer an einer schweren körperlichen oder seelischen Krankheit leiden würden. Diese hätten in Österreich keine Verwandten. Die Außerlandesbringung stelle daher insgesamt keinen Eingriff in das in Artikel 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens dar.
9. Gegen die Bescheide richtet sich die am 22.11.2018 eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wird, die 1.BF und ihr zehnjähriger Sohn wären in ihrem Heimatland Opfer von häuslicher Gewalt geworden und seien daher besonders vulnerabel. Erschwerend komme hinzu, dass die 1.BF in Polen von dem Schlepper, der sie nach Österreich verbracht hätte, vergewaltigt worden wäre. Derzeit würden sich die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Traumatisierung in psychischer Behandlung befinden. Die 1.BF warte noch auf einen Therapieplatz im XXXX Familienzentrum in XXXX und sei für einen Therapieplatz bei XXXX vorgemerkt. Der 2.BF und der 3.BF würden akut Hilfe für Kinder und Jugendliche wahrnehmen. Als alleinstehende Frau mit zwei kleinen minderjährigen Kindern, welche allesamt vor häuslicher Gewalt fliehen, seien die Antragssteller eindeutig als vulnerabel einzustufen. Dies sei in Polen nicht geschehen. Allein dadurch habe Polen bereits einen schweren Verfahrensfehler gesetzt, wodurch das Vertrauen der 1.BF in die Schutzmöglichkeiten dieses Landes, Gewalttaten gegen sie und ihre Kinder zu verhindern, zutiefst erschüttert worden wäre. Eine Rückkehr und damit die Rückführung der Beschwerdeführer in den Einflussbereich ihrer Peiniger stelle einen außergewöhnlichen Umstand dar und führe zur Verletzung des Art. 3 EMRK. Im vorliegendem Fall sei auch das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen. Im Verfahren würden jegliche Ermittlungen und Feststellungen zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie zur vorrangigen Beachtung des Kindeswohles fehlen.
Mit der Beschwerde wurden der klinisch-psychologische Befundbericht vom 6.9.2018 betreffend die 1.BF neuerlich, ein Ambulanzbefund vom 21.11.2018 betreffend den 2.BF ohne Diagnose und weitere, nicht lesbare Urkunden vorgelegt.
10. Erst am 7.12.2108 wurden lesbare Befunde betr. den 2.BF vorgelegt:
* Ambulanzbefund über ambulante Vorstellung am 23.10.2018: Diagnose:
Enuresis nocturna (Bettnässen), Medikamentöse Therapieempfehlung:
Minirin melt 1x2 Tbl. vor dem Schlafengehen;
* Ambulanzbefund vom 21.11.2018, Anlass für die Vorstellung:
psychische Belastungsreaktion, Relevantes aus der Anamnese: heute psychologischer Test, Equazen wird eingenommen und gut vertragen, Video-EEG Untersuchung wird gemacht; Status: guter Allgemeinzustand, Diagnose: nicht angeführt;
* Ambulanzbefund über ambulante Vorstellung am 29.11.2018: Anlass für die Vorstellung: psychische Belastungsreaktion, Enuresis nocturna; Es geht ihm gut Equazen hil(f)t lt. psychologischer
Testung viele Ängste, Diagnose: nicht angeführt, weitere
Vorgangsweise: Equazen und Minirin weiter, bei Verschlechterung jederzeit in der Kinderambulanz, psyhologisches Gespräch am 9.1.;
* Ambulanzbefund über ambulante Vorstellung am 05.12.2018: Diagnose:
Enuresis nocturna, deutliche Besserung nach 1x2 Tbl. Reduktion nach Plan, Mutter erklärt: Medikamentöse Minirin melt 1x1 Tbl. vor dem Schlafengehen; Indikation: Enuresis nocturna/Reduktionsschema;
* Rezept für Minirin melt, ausgestellt am 5.12.2018;
* Überweisung Wahlarzt an XXXX : erbeten wird Begutachtung - gibt es Therapie- notwendigkeit bzw. wenn wäre Therapie möglich, ausgestellt am 5.12.2018.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführer reisten gemeinsam über Polen, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein, stellten dort Anträge auf internationalen Schutz, zogen ihre Anträge jedoch während der Antragsprüfung in Polen zurück und begaben sich illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter, wo sie am 04.07.2018 die hier verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte ein Konsultationsverfahren hinsichtlich der Beschwerdeführer mit Polen durch, stellte am 06.07.2018 betreffend die Beschwerdeführer ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen, welchem die polnischen Behörden mit Schreiben vom 17.07.2018, beim BFA am 18.07.2018 eingelangt, gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c Dublin III-VO ausdrücklich zustimmten.
Besondere, in der Person der Beschwerdeführer gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Polen sprechen, liegen nicht vor.